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Veröffentlicht am 08.11.2022

Warme Geborgenheit und kalte Gefahr

Die Sehnsucht nach Licht
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Ich habe die letzten beiden Bücher von Kati Naumann "Was uns erinnern lässt" und "Wo wir Kinder waren" mit großer Freude gelesen, nicht zuletzt weil sie in der Gegend spielen, in der ich groß geworden ...

Ich habe die letzten beiden Bücher von Kati Naumann "Was uns erinnern lässt" und "Wo wir Kinder waren" mit großer Freude gelesen, nicht zuletzt weil sie in der Gegend spielen, in der ich groß geworden bin, zwischen und in Oberfranken und Thüringen.

Das Buchcover von „Die Sehnsucht nach Licht“ spricht mich sehr an. Ein in eine hügelige Landschaft mit dunklen Waldstücken eingeschmiegte kleine Stadt, im Morgennebel oder im leicht rauchigen Dunst, Licht und Schatten sind nebeneinander da. Der Einband bildet sehr gut äußerlich den Kontrast zwischen Helligkeit und Dunkelheit, zwischen geborgener Wärme und eiskalter Gefahr ab.

Auch in diesem Buch gibt es zwei Erzählstränge bzw. Zeitebenen. Einmal die Bergmannsfamilie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zum anderen die junge Frau der Neuzeit, die den Touristen die damalige Zeit und den Bergbau mit seinen düsteren Seiten und Gefahren, aber auch dem außergewöhnlichen menschlichen Zusammenhalt näher bringen will.

Kati Naumann erzählt wie gewohnt lebendig, mit treffenden und guten Beschreibungen der Menschen, Gefühle und Landschaften, in ihrer typischen klaren Sprache.

Man erlebt in den 10er und 20er Jahren des letzten Jahrhunderts eine völlig andere Welt, im Erzgebirge geprägt von Armut und harter Arbeit, vom Sich-Abfinden mit einem schweren Leben und gesundheitlichen Problemen, von Akzeptanz von Abhängigkeiten. Die Familie hat einen großen Stellenwert, schenkt Liebe, inneren Reichtum, Wärme – der Einzelne wird nicht sonderlich hinterfragt; es geht ums Überleben, um existenzielle Dinge.

Dagegen die Neuzeit, hundert Jahre später, mit völlig anderen Ansprüchen der Menschen, mit nostalgisch sehr skurril anmutenden Sehnsüchten nach der „harten, aber sinnvollen“ Vergangenheit – köstlich, berührend und doch mit einem bitteren Beigeschmack der „Nachbau“ eines Schachtes im häuslichen Keller, wo man mit den ehemaligen Kumpels Karten spielt.

Kati Naumann verbindet gekonnt und mit sehr schönen Übergängen die beiden Geschichten, verwebt Vergangenheit und Gegenwart, lässt Fragen stellen, Antworten suchen, teilweise sogar finden.

Das Buch liest sich trotz der 400 Seiten sehr gut, flüssig, kurzweilig. Perfekt für lange Abende im Herbst und Winter, auch ein sehr schönes Geschenk.

Unbedingte Leseempfehlung!






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Veröffentlicht am 06.11.2022

Intelligent, witzig, nostalgisch

Der Fußgänger
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Schönes Cover, das bereits den Humor und den Hang zum Bissigen bis Grotesken des Autors impliziert. Die rote Aktentasche, die im Verlauf des Textes eine bemerkenswerte Rolle spielt, sticht sofort ins Auge ...

Schönes Cover, das bereits den Humor und den Hang zum Bissigen bis Grotesken des Autors impliziert. Die rote Aktentasche, die im Verlauf des Textes eine bemerkenswerte Rolle spielt, sticht sofort ins Auge und wirkt gleichzeitig skurril und elegant.

Außerdem hat sie mich schmerzlich und nostalgisch an meinen allerersten Schulranzen erinnert - der war tomatenrot und neben den damals vorherrschenden braunen Ranzen ein hübscher Exot.

Der Schreibstil gefällt mir sehr gut. Die Ironie hat ebenso Platz wie nostalgische Erinnerungen an Kindheitsschrecken und -freuden im Zusammenhang mit Gehen im engeren und weiteren Sinn.

Schön finde ich u.a. auch, wie er sich über verbissene Outdoorfanatiker lustig macht..

Man darf keinen sanften esoterischen philosophischen Text über das Wandern erwarten – habe ich auch nicht.

Vielmehr tobt sich Wigald Boning sehr vergnügt zwischen Humor, Sarkasmus, Nostalgie, Frechheit und Unkonventionalität aus. Er geht völlig respektlos, aber immer nett und nie zynisch, mit allem scheinbar Vorgegebenem um.

Köstlich sind diverse Abhandlungen über skurrile Wander-Accessoires und ebensolche Bekleidungsteile, ebenfalls begeistert haben mich die Kolumnen über die höchsten Wanderberge der deutschen Bundesländer.

Ein herrliches Buch für jeden, der sich selbst, seine Füße und die Welt wirklich mit Humor nimmt.




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Veröffentlicht am 09.10.2022

Präzise Sprache voller Abgründe

Die Mauersegler
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Das Cover gefällt mir sehr gut, lässt mich an eine spanische Stadt denken, an ein Schlendern durch heiße trockene Straßen, eine Sonne über den Dächern, die nicht nur freundlich ist, sondern auch beklemmend, ...

Das Cover gefällt mir sehr gut, lässt mich an eine spanische Stadt denken, an ein Schlendern durch heiße trockene Straßen, eine Sonne über den Dächern, die nicht nur freundlich ist, sondern auch beklemmend, dominierend. Sehr raffiniert finde ich die Gestaltung des Spiegelbildes - eine flache Wasserfläche - eine Pfütze auf der Straße? - , in der sich nicht nur die Fassaden der Häuser, sondern auch Wolken und blauer Himmel, Bäume und Vögel - die viel zitierten Mauersegler? - spiegeln.

"Patria" des Autors habe ich nicht gelesen, aber "Reise mit Clara durch Deutschland" hat mir entgegen der Meinung vieler anderer sehr gut gefallen.

Die "Mauersegler" haben mich durch einen Stil beeindruckt, der ganz anders ist als bei "Clara". Aramburu arbeitet mit sehr knappen Worten, präzisen, relativ kurzen Sätzen ohne große Schnörkel, aus denen sich dennoch Abgründe auftun.

Eher derb als poetisch sind manche Ausdrücke. Man spürt, dass die scheinbare Schilderung von reinen Fakten nur oberflächlich tiefere Emotionen überdeckt.

Familiäre Konflikte und Zwistigkeiten werden in portionierten Rückblenden und kleinen Handlungssträngen geschildert, die sich zum Teil zu Eskalationen steigern, zum Teil auch ungelöst stehen bleiben. Das gleiche gilt für Bekanntschaften und Freundschaften, die für mich oft bis zum Schluss undurchsichtig bleiben, auch manches unverständlich, insbesondere was "Humpel" betrifft.

Ich möchte - für die Menschen, die das Buch noch lesen möchten - nichts weiter über den Inhalt verraten, was über den Klappentext und das oben Gesagte hinausgeht.

Als Resumée ziehe ich für mich: gut zu lesen, aber in der zweiten Hälfte manchmal etwas ermüdend, was Sprache und Handlung betrifft.

Dennoch eine Leseempfehlung mit 4 Sternen.

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Veröffentlicht am 07.09.2022

Lebensklug, besinnlich, naturfühlend

Die Rückkehr der Kraniche
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Ich hatte bisher von Romy Fölck nur die Krimis gelesen – die ich allerdings richtig gut fand – und war deshalb besonders gespannt auf einen „Familienroman“ im weiteren Sinne.

Bereits das Cover hat ...



Ich hatte bisher von Romy Fölck nur die Krimis gelesen – die ich allerdings richtig gut fand – und war deshalb besonders gespannt auf einen „Familienroman“ im weiteren Sinne.

Bereits das Cover hat mich sehr für das Buch eingenommen. Eine im Dunst liegende Landschaft, herbstlich, winterlich, in Pastelltönen, deutlich in Wassernähe, in morgendlichem Licht, Vögel, Bäume, wenige Häuser, ruhig…

Genauso entwickelt sich auch die Geschichte. Zwei Schwestern, eine Tochter, eine Mutter, die nach teils jahrelangem innerem und äußerem Abstand wieder aufeinander treffen, mit Schwierigkeiten, Gepolter, Unverständnis, Zweifeln, Zorn und doch auch Sehnsucht und Zärtlichkeit versuchen, sich erneut anzunähern, etwas Gemeinsames – wieder – zu finden.
Nun ist dies ja eine Geschichte, die in vielen Neuerscheinungen der letzten Jahre so oder ähnlich erzählt wurde. Aber erstens IST das ja nun einmal ein großes Thema des Lebens schlechthin und deshalb wert, immer wieder neu und anders betrachtet zu werden, und zweitens gelingt es Romy Fölck meiner Meinung nach auf eine ganz besondere Art.

Sehr gut gefällt mir die abwechselnde Erzählperspektive aus der Sicht der vier Frauen. Wunderbar ist auch die Landschaft im Norden eingewoben, sehr gut geschildert. Man läuft mit durch den Nebel, bekommt nasse Füße, träumt sich auch einmal – selten! - in einen kühlen Sonnenuntergang...

Die Männer in der Geschichte sind eher Randfiguren. Sie wirbeln zwar teilweise die Emotionen der Frauen etwas durcheinander, aber nicht nachhaltig.

Ein sehr sehr schönes Buch – besinnlich und lebensklug, ohne je in Kitsch oder Pseudo-Romantik abzudriften. Ein wunderbares Geschenk auch für Schwestern, Mütter, Töchter und gute Freundinnen.

Absolute Leseempfehlung.


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Veröffentlicht am 07.04.2022

Beschaulich und etwas verwirrend

Kaiserstuhl
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Das Cover ist wunderschön und passt gut zum Inhalt des Buches. Eine romantische, beschauliche Szenerie hoch oben über den Weinbergen, eine Frau mit ärmelloser Bluse und Stirnband sitze am Wegesrand / ...

Das Cover ist wunderschön und passt gut zum Inhalt des Buches. Eine romantische, beschauliche Szenerie hoch oben über den Weinbergen, eine Frau mit ärmelloser Bluse und Stirnband sitze am Wegesrand / Straßenrand und macht ein kleines Picknick. Sie wirkt jung, schlank, konzentriert, dem Beobachter abgewandt, schält sie gerade einen Apfel. Neben ihr, lässig geparkt ein sehr kleines türkisfarbenes Auto mit einem Koffer hinten auf ein Gestänge geschnallt. Eine Isetta? Das Bild versetzt einen sofort in die 50er / 60er Jahre, in denen der Roman spielt.

Für mich ist es das erste Buch von Brigitte Glaser, das ich gelesen habe, und ich hatte viele sehr positive Kritiken über ihre vorangegangenen Bücher gelesen.

Kaiserstuhl spielt auf verschiedenen Zeitebenen und wird aus der Sicht unterschiedlicher Personen dargestellt – ein Stil, den ich sehr mag und der ein Buch oft sehr lebendig und spannend macht.

Hier allerdings ist es mir etwas schwer gefallen, mich hinein zu finden. Für mich zu viele Personen auf einmal eingeführt, deren Verbindungen erst nach und nach erkennbar werden. Danke für den Stammbaum am Schluss der Buches; den fand ich sehr hilfreich, aber er beinhaltet natürlich nur einen kleinen – den familiären – Teil der Verflechtungen.

Gut gefallen hat mir die gemächlich – beschauliche Schreibweise. Sie passt für mich gut in die Zeit der 50er, 60er Jahre und auch in das verwirrende Innenleben der Personen.

Sehr schön finde ich die politischen Geschehnisse eingewoben, auch diese aus der Sicht der diversen agierenden Charaktere betrachtet.

Toll zu lesen die Landschaftsbeschreibungen; man ist stets dabei, sei es in sommerlicher Idylle oder im eiskalten Schneetreiben.

Die Charaktere der Personen werden langsam, aber gut entwickelt und konturiert; das Buch nimmt nach den ersten 100 Seiten deutlich an Spannung auf, alles „rundet“ sich.

Insgesamt: Leseempfehlung!

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