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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.11.2020

Zerstörerisches Schweigen

All das Ungesagte zwischen uns
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„All das Ungesagte zwischen uns“ ist mein drittes Buch von Colleen Hoover und ich lerne sie auch in diesem Genre als Autorin immer weiter schätzen.

Inhalt:
Bei einem schweren Autounfall sterben der Vater ...

„All das Ungesagte zwischen uns“ ist mein drittes Buch von Colleen Hoover und ich lerne sie auch in diesem Genre als Autorin immer weiter schätzen.

Inhalt:
Bei einem schweren Autounfall sterben der Vater und Ehemann sowie die Tante und Schwester der sechzehnjährigen Clara und ihrer Mutter Morgan. Mit dem Tod der beiden kommt ein dunkles Geheimnis an’s Licht, das Morgan mit aller Macht vor ihrer Tochter verbergen will. Doch die Heimlichkeiten führen dazu, dass das sowieso schon angespannte Verhältnis zwischen Clara und ihrer Mutter immer mehr außer Kontrolle gerät. Außerdem verliebt Clara sich in einen Jungen, mit dem Morgan sie nicht sehen will und diese findet gleichzeitig Halt bei keinem Geringeren als dem Ehemann ihrer Schwester.

Meine Meinung:
Das Buch hat meine Lesergefühle auf eine Achterbahnfahrt geschickt. Es gab Strecken, die haben mich emotional sehr berührt und dann wieder welche, mit denen ich meine Schwierigkeiten hatte. Manche Handlungen der Protagonisten fand ich sehr verständlich dargestellt, andere konnte ich wieder gar nicht nachvollziehen.
Der große Aufhänger der Geschichte ist, dass Morgan unter allen Umständen die Wahrheit über die Verstorbenen vor ihrer Tochter verbergen will. Sie will das so sehr, dass sie es sogar in Kauf nimmt, von Clara selbst in einem schlechteren Licht gesehen zu werden. Das war mir ab einem gewissen Punkt unverständlich, zumal ich mich gefragt habe, ob im wahren Leben wirklich jemand so selbstlos sein könnte.

Der Schreibstil ist typisch Colleen Hoover. Sehr tiefgreifend und gleichzeitig auf das Innenleben der Charaktere bezogen. Umgebungen oder Orte werden kaum dargestellt, bzw. nur dann, wenn sie einen direkten Nutzen für die Geschichte haben. Das kommt mir im Vergleich zu anderen Autoren immer etwas befremdlich vor. Morgan und Clara erzählen die Geschichte abwechselnd aus der Ich-Perspektive, sodass man ihre Sicht auf die Ereignisse direkt vergleichen kann.

Zu den Charakteren lässt sich sagen, dass Morgan wirklich eine tolle Entwicklung im Laufe der Geschichte durchmacht. Schon vor dem Tod von Mann und Schwester befindet sie sich in einer Art Dauerdepression. Man könnte fast behaupten dieser schwere Schicksalsschlag hat sie in gewisser Weise befreit. Ihre Darstellung war mir allerdings fast ein bisschen zu glatt. Sie hat zwar viele Probleme mit sich selbst und in ihrer Rolle als Mutter, allerdings ist sie in jeder Situation so aufopferungsvoll und stellt ihr eigenes Wohl hinter das von jedem anderen, dass es mir fast ein wenig zu viel war.
Claras Teil der Geschichte wird mit einer typischen Teenagerstimme erzählt. Vor allem zu Beginn und am Ende hat mir das super gut gefallen. Da hatte die Erzählung so einen bestimmten Flair, der mich an alte Highschool-Filme aus den USA erinnert hat. Im Mittelteil ist meine Begeisterung dafür aber ein bisschen abgeflacht. Das lag zum Einen daran wie die Beziehung zwischen Clara und ihrem Freund Miller dargestellt wurde und zum Anderen daran, dass die Geschichte einen starken Fokus darauf legt zu zeigen, wie unreif Clara und ihre Entscheidungen noch sind.

Die Männer in „All das Ungesagte zwischen uns“ sind nahezu perfekt. Auch das ist mir in Colleen Hoover Geschichten schon häufiger aufgefallen. Also, dass ihre männlichen Protagonisten entweder „die Falschen“ oder aber absolute Traummänner sind. Allerdings habe ich noch nicht genug von ihren Büchern gelesen, um sagen zu können, ob das wirklich eine Marotte ist.

Die Oberthemen und Botschaften der Geschichte haben mir sehr gut gefallen und mich teilweise wirklich emotional ergriffen. Es geht um Verlust, um Trauer, um Betrug und Verzeihen. Aber auch um die Liebe. Darum ob und wie sie für immer währen kann. Das Buch macht deutlich, dass es nie zu spät ist, dem Leben eine neue Richtung zu geben, dass man an seine Träume glauben und den Menschen, die man liebt, die Wahrheit sagen sollte, auch wenn sie noch so sehr weh tut.

Fazit:

„All das Ungesagte zwischen uns“ ist eine sehr emotionale Geschichte, die mir viel gegeben hat. Im Plot findet sich die ein oder andere Schwäche, auf die ich nicht näher eingehe, weil ich diese Rezension spoilerfrei halten möchte. Ich bin froh dieses Buch gelesen zu haben und würde es jedem empfehlen. Außerdem hat mich das Ende der Geschichte sehr ergriffen und ich bin den ganzen Abend lang mit einem wohligen Gefühl im Bauch herumgelaufen.


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Veröffentlicht am 02.11.2020

Eine Reise nach Kanada

What if we Drown
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Ich bedanke mich, dass ich „What if we drown“ von Sarah Sprinz im Rahmen einer Leserunde der „Lesejury“ lesen durfte. Meine Meinung bleibt davon unbeeinflusst.

Inhalt:
Nach dem Tod ihres geliebten Bruders ...

Ich bedanke mich, dass ich „What if we drown“ von Sarah Sprinz im Rahmen einer Leserunde der „Lesejury“ lesen durfte. Meine Meinung bleibt davon unbeeinflusst.

Inhalt:
Nach dem Tod ihres geliebten Bruders Austin hält es Laurie in ihrer alten Heimat Toronto nicht mehr aus und zieht für das Medizinstudium einmal quer durch’s Land nach Vancouver. Obwohl Austin vor über drei Jahren gestorben ist, hat sie seinen Tod und dessen Umstände noch immer nicht verarbeitet.
In Vancouver angekommen, findet sie schnell Freunde und die beste WG, die man sich denken kann. Außerdem verliebt sie sich heftig. In Sam, einen älteren Medizinstudenten, der ihr Tutor an der Uni wird.
Alles könnte also perfekt sein, würde Laurie nicht schon bald herausfinden, dass Sams Geschichte auf schicksalhafte Weise mit Austins Tod verwoben zu sein scheint.

Meine Meinung:
Sarah Sprinz kann schreiben. Und wie sie das kann. Sie schreibt poetisch, atmosphärisch und tief. Für mich gibt es kaum etwas, das man am Schreibstil von „What if we drown“ kritisieren könnte. Ich bin ein großer Fan von ihrem Tonfall und ihrer Wortwahl. Manche Szenen aus diesem Buch werden mir noch lange in Erinnerung bleiben. Und ich habe schon VIELE Liebesromane gelesen.
Allein deswegen würde ich der Autorin immer eine Chance geben.
Auf „What if we drown“ habe ich mich schon seit Monaten gefreut, weil mich das Setting „Medizinstudium in Kanada“ so sehr angesprochen hat. Diesbezüglich bin ich auch nicht enttäuscht worden. Man merkt, dass Sarah Sprinz weiß, wovon sie schreibt, wenn sie von den Hürden eines Medizinstudenten im ersten Semester erzählt. Das ist alles sehr realitätsnah, sehr ehrlich und gefühlvoll beschrieben. Von der Darstellung der kanadischen Landschaften und der University of British Colombia will ich gar nicht erst anfangen. Ich habe es geliebt.
Was ich ein bisschen weniger geliebt habe, ist die Protagonistin.
Laurie hat mich vor einige Herausforderungen gestellt. Ihre Gefühle und das daraus resultierende Verhalten konnte ich vor allem im ersten Teil des Buches manchmal mehr, manchmal weniger nachvollziehen. Es war eine Berg- und Talfahrt mit uns beiden. Des Öfteren war ich wirklich wütend auf sie.
Vor allem zum Ende hin war da jedoch glücklicherweise viel mehr Berg als Tal und ich habe gemerkt, dass auch ich eine Entwicklung mit Laurie durchgemacht habe. Diese Entwicklung war nicht immer leicht, aber auf jeden Fall wertvoll zu lesen. Liebe und ob sie groß genug ist, um dem Anderen seine Fehler zu verzeihen, ist hier ein zentrales Thema, das in meinen Augen sehr schön umgesetzt wurde.
Irgendwie hat sich Lauries innerer Kampf also auch auf mich übertragen. Rückblickend betrachtet, bin ich dankbar für die echten Gefühle, welche die Geschichte in mir heraufbeschworen hat. Und diese Gefühle hätte ich vielleicht nicht gehabt, wenn die Hauptfigur nicht so herausfordernd unperfekt in ihrem Denken und Handeln gewesen wäre.
Zu Sam und den Nebencharakteren gibt es nicht viel zu sagen, außer, dass man sie einfach lieben muss. Ich kann es gar nicht erwarten, die Geschichten von Hope und Emmett im nächsten Jahr zu lesen.
Der Plot von „What if we drown“ ist voller emotionaler Momente und bildreicher Szenen. Manchmal ging die Geschichte ein bisschen rasant vorwärts. Aber darüber kann man hinwegsehen. Schließlich ist der Beginn des Studiums ja auch eine schnelllebige, hochemotionale Zeit. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man sich niemals mehr im Leben schneller auf Menschen einlässt.
Vielleicht hätte das Buch an der ein oder anderen Stelle auch noch ein paar Seiten mehr vertragen können. Manche Dinge wurden nämlich nur sehr kurz angerissen. Über Lauries Leben vor Austins Tod und ihre Motivation, um Medizin zu studieren, hätte ich z.B. gerne noch mehr erfahren. Geschweige denn, wie es in ihrem Leben weitergeht. Aber da setze ich meine Hoffnung in die Folgebände. Vielleicht erzählen Emmett und Hope uns ja bald noch ein wenig über Laurie und Sam.
Nicht unerwähnt lassen, möchte ich an dieser Stelle das Ende des Buchs. Es war so schön, so passend. Genau das, was diese Geschichte gebraucht hat. Ich habe wirklich die ein oder andere Träne geweint und Laurie fast alles verziehen, womit ich kurz zuvor noch gehadert habe.
Allein das Ende ist Rechtfertigung genug, um „What if we drown“ zu lesen.

Fazit:
Ich hatte riesige Erwartungen an dieses Buch und vielleicht habe ich auch deswegen das ein oder andere Mal mit der Geschichte gekämpft. Abschließend bin ich aber zu dem Schluss gekommen, dass die herausragend guten Seiten mit Abstand überwiegen. Es war im wahrsten Sinne des Wortes eine Reise nach Kanada. Und wie das mit Reisen so ist. Es gibt Etappen, die anstrengend sind und wehtun, aber am Ende zahlt es sich aus.



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Veröffentlicht am 29.09.2020

Wir sind nicht allein auf der Erde!

Aus schwarzem Wasser
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Es fällt mir schwer über dieses Buch zu schreiben, weil es so viel auf einmal ist. Es ist sprachgewaltig, faszinierend, kompliziert und manchmal auch frustrierend.
Vor allem aber ist es fast unmöglich ...

Es fällt mir schwer über dieses Buch zu schreiben, weil es so viel auf einmal ist. Es ist sprachgewaltig, faszinierend, kompliziert und manchmal auch frustrierend.
Vor allem aber ist es fast unmöglich spoilerfrei eine aussagekräftige Rezension darüber zu verfassen. Deswegen ist das hier jetzt meine WARNUNG! Ich schreibe keine direkten Spoiler, aber wer völlig ahnungslos in das Buch gehen will, sollte besser nicht weiterlesen.

Zusammenfassung:
Majas Mutter ist Patricia Kohlbeck, die deutsche Innenministerin, außerdem eine renommierte Wissenschaftlerin, Ärztin und gefährliche Frau. Die beiden haben nach einem Streit vor zwei Jahren keinen Kontakt mehr zueinander. Dementsprechend überrascht ist Maja, als ihre Mutter plötzlich vor der Wohnungstür ihres Nicht-Freunds Daniel auftaucht und verlangt, dass sie in ihr Auto steigt. Die folgende Fahrt endet in einem Unfall, den Patricia nicht überlebt und Maja scheinbar auch nicht. Aber dann eben doch. Die Umstände ihres Überlebens sind allerdings äußerst mysteriös. Patricias Assistent Efrail, der Maja das Leben gerettet hat, spielt definitiv eine große Rolle dabei. Nur welche? Und inwiefern ist Robert, Majas väterlicher Freund und Leiter des Bundesnachrichtendiensts, in die Geschehnisse verwickelt?

„Aus Schwarzem Wasser“ erzählt die Geschehnisse der folgenden fünf Tage und außerdem noch einige Ereignisse, die etwa zwanzig Jahre zurückliegen.

Meine Meinung:
Ich habe „Aus schwarzem Wasser“ gekauft, weil Anne Freytag es geschrieben hat, und diese ist eine der besten deutschen Autorinnen, die ich kenne. Die Art und Weise wie sie mit Worten Bilder malen kann, ist unvergleichlich! Als ich gehört habe, dass sie jetzt vom Jugendbuch zu einem neuen, erwachseneren Genre übergegangen ist, war ich sofort neugierig. Die Leseprobe hat mich bereits nach der ersten Seite überzeugt.

Wie das so ist - wenn wir Klappentexte und Kurzbeschreibungen zu Büchern lesen, dann haben wir sofort unsere Vorstellungen von der Geschichte. Selten sind meine Vorstellungen so stark von dem tatsächlichen Inhalt des Buchs abgewichen wie in diesem Fall.
Ich dachte, ich hätte einen Polit-Thriller in der Hand! Aber das ist dieses Buch nicht! Oder vielleicht auch irgendwie doch. Aber nicht in erster Linie. Ich würde „Aus Schwarzem Wasser“ als Mischung aus Fantasy, Science-Fiction und Dystopie bezeichnen und einen Warnhinweis für alle Verschwörungstheoretiker aussprechen, weil solche sich nach dem Lesen dieses Buchs maximal getriggert fühlen könnten.

Anne Freytag arbeitet ein wahnsinnig wichtiges Thema, nämlich die Verschmutzung und Vergiftung unserer Meere und Flüsse und die damit einhergehende Zerstörung der Artenvielfalt, auf eine literarisch äußerst ungewöhnliche Weise auf. Man könnte die ganze Geschichte als eine große Metapher sehen und letztendlich stellt sie die Frage: „Was wäre, wenn dieser Lebensraum jemandem gehören würde, der uns ebenbürtig ist?“

Die Kapitel in „Aus Schwarzem Wasser“ sind meist nur wenige Seiten lang, sodass man immer denkt „Eins geht noch“ und dann noch eins liest und noch eins…
Sie werden aus der Sicht von unterschiedlichen Personen wiedergegeben. Allerdings sind nur Majas und Efrails Kapitel in der Ich-Perspektive geschrieben, die anderen werden in der dritten Person geschildert. Diese Art des Erzählens ist ungewöhnlich, aber ich glaube, dass die Geschichte das braucht, weil nur so das Gesamtbild vermittelt werden kann. Darum geht es in diesem Buch auch. Es wird so ein gewaltiges Thema aufgearbeitet, sodass an manchen Stellen, vor allem gegen Ende hin, mehr Personen zu Wort kommen, um die verschiedenen Facetten der Geschichte darzustellen.
Trotzdem sind die Charaktere sehr fein ausgearbeitet. Meistens erhält man genau die richtige Dosis an Informationen, um die Handlungen der Personen nachvollziehen zu können. Die verschiedenen Nuancen in den Beziehungen zwischen Maja und Patricia und zwischen Patricia und ihrer Lebens-Affäre Robert haben mir besonders gut gefallen.

Maja als Protagonistin mochte ich außerdem sehr. Vor allem deswegen, weil es sie gar nicht interessiert, ob man sie mag oder nicht. Sie wirkte rund und echt. Ich konnte ihre Gefühle greifen, ihre Zerrissenheit, wenn sie liebt, obwohl sie nicht will und nicht liebt, obwohl sie wollen würde.
Manchmal hat mir allerdings etwas gefehlt. Vor allem im Bezug auf Efrail und seinen väterlichen Mentor Saul. Über die beiden und ihre gemeinsame Vergangenheit hätte ich gerne noch mehr erfahren. Efrail ist geheimnisvoll und bleibt das auch irgendwie bis zum Schluss. Er hätte noch so viel Potenzial geboten, um seinen Charakter weiter auszubauen. Ich verstehe, dass das in dem Buch keinen Platz mehr gefunden hat. Die Geschichte hätte dafür auch noch dreihundert Seiten mehr vertragen können.

„Aus Schwarzem Wasser“ ist voll von Plotttwists. Gegen Ende hin werden es immer mehr und sie folgen immer schneller aufeinander, sodass ich manchmal gar nicht richtig hinterher gekommen bin. Man muss sich beim Lesen definitiv konzentrieren um nicht den roten Faden zu verlieren. Das Buch ist kompliziert und ich hatte immer mal wieder das Bedürfnis ein paar Kapitel zurückzuspringen, um sicher zu gehen, dass ich nichts verpasst habe. Manchmal konnte ich auch gar nicht herausfinden, ob es an mir liegt oder, ob das Buch einen Logikfehler enthält.
Auf jeden Fall hätte ich es nach der letzten Seite am liebsten gleich nochmal gelesen, um der Sache besser auf den Grund gehen zu können.

Fazit:

Die Idee zu „Aus Schwarzem Wasser“ ist einzigartig. Ich habe nie etwas Vergleichbares gelesen. Und dann auch noch in dieser Sprache! Anne Freytags Bücher sind wirklich Wellness für mein Leserherz. Sie kann mit so wenigen Worten gewaltige Szenen wie aus einem Katastrophenfilm entstehen lassen!
Ich ziehe einen halben Stern ab, dafür, dass das Buch eigentlich hätte länger sein sollen, um Efrail, Saul und ihren Anteil an der Geschichte aufarbeiten zu können.
Trotzdem bleibt „Aus Schwarzem Wasser“ grandios.

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Veröffentlicht am 22.07.2024

Schneeweisschen, Rosenrot und der Bär

Cascadia
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Julia Philipps hat ihrem zweiten Roman ein Zitat aus Grimms Märchen "Schneeweißchen und Rosenrot" vorangestellt. Es ist nicht der letzte Bezug auf die Märchenwelt, der im folgenden Text zu finden ist.
Zwei ...

Julia Philipps hat ihrem zweiten Roman ein Zitat aus Grimms Märchen "Schneeweißchen und Rosenrot" vorangestellt. Es ist nicht der letzte Bezug auf die Märchenwelt, der im folgenden Text zu finden ist.
Zwei Schwestern und ein Bär. Zwei Frauen, deren Leben durch das Eintreffen eines wilden Tieres auf ungeahnte Weise aus den Fugen gerät.
Sam und Elena leben gemeinsam mit ihrer pflegebedürftigen Mutter in der Isolation und Einsamkeit einer Inselgruppe im Nordwesten der USA. Die finanziellen Verhältnisse der Familie sind prekär. Das Geld, das Sam mit Gelegenheitsjobs verdient, wird von den medizinischen Rechnungen verschlungen. Sie träumt vom Weggehen. Davon irgendwo gemeinsam mit ihrer Schwester ein neues Leben anzufangen. Ihre eingefahrenen Routinen werden gestört, als ein Grizzlybär auftaucht und eine unmittelbare Bedrohung für die Familie darstellt.

Obwohl es sich um ein ganz und gar anderes Buch handelt, habe ich Julia Philipps Eigenart zu schreiben und die Motive, zu denen sie sich hingezogen fühlt, aus ihrem Vorgängerroman wiedererkannt.
Das Buch ist durchsetzt on einer ätherisch bis tristen Atmosphäre. Manchmal ist der Text beinahe unwirklich, bei genauerem Hinsehen verschwimmen die unmittelbaren Grenzen zur Realität. Ich mochte den Bezug zur Märchenwelt, der immer wieder in Ansätzen durchschimmert. In Kombination mit der grauen Welt der Armen und Sozialschwachen entsteht so ein interessantes Spannungsfeld. Der Bär selbst ist dabei klar als Symbol oder Metapher erkennbar, also ebenfalls ein Stilmittel, das stark an Märchen erinnert.
Inhaltlich konzentriert sich der Roman im Kern auf die Beziehung der Schwestern Sam und Elena. Genau diese hat sich mir jedoch nicht in all ihren Facetten erschlossen. Teilweise hat man beim Lesen das Gefühl, die beiden (inklusive der Handlung) drehen sich viel zu lange um sich selbst. Ich gehe davon aus, dies ist genauso beabsichtigt. Dieses "Feststecken" miteinander und in diesem ungewollten, eigentlich verabscheuten Lebensentwurf.
Das Ende, das die Autorin konzipiert hat, ist hingegen furios und dramatisch. Ähnlich wie der Bär die Schwestern reißt es die Leser aus dem Rhythmus des Romans. Ich bin am Schluss überrascht worden und das hat mir sehr gut gefallen.
Fazit:
Julia Philipps hat einen sehr eigensinnigen, einzigartigen, in Teilen zähen, aber doch sehr lesenswerten Roman geschrieben. Wer atmosphärisch dominiertes Erzählen gepaart mit komplizierten innerfamiliären Konflikten und Sozialkritik mag, wird hier fündig werden.

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Veröffentlicht am 31.03.2024

Moderne Mystik

Elyssa, Königin von Karthago
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Der trojanische Held Aeneas strandet als Schiffbrüchiger mit seiner Mannschaft und seinem Sohn an der Küste Karthagos. Elyssa, die Königin dieses Landes, nimmt sie bei sich auf. Was mit Gastfreundschaft ...

Der trojanische Held Aeneas strandet als Schiffbrüchiger mit seiner Mannschaft und seinem Sohn an der Küste Karthagos. Elyssa, die Königin dieses Landes, nimmt sie bei sich auf. Was mit Gastfreundschaft beginnt, wird schon bald zu einer tiefen leidenschaftlichen Liebe. Als Anführer ihrer beiden Völker sind Elyssa und Aeneas jedoch nicht nur sich selbst verpflichtet, sodass die Verbindung der beiden unter keinem guten Stern zu stehen scheint.

Es ist einige Jahre her, dass ich von Vergills Mythos um die Königin Karthagos, zum ersten Mal in einem Lateinbuch gelesen habe. Was damals noch eher Mittel zum Zweck gewesen ist, habe ich dank Irene Vallejos Roman nun wieder entdecken dürfen. Verschiedenste Protagonisten, u.a. der Dichter Vergill selbst, oder der berühmte Liebesgott Eros, werfen in den einzelnen Kapiteln aus ihrer Perspektive einen Blick auf das schicksalhafte Kennenlernen von Aeneas und Elyssa. Die Neurerzählung des Mythos beschränkt sich jedoch nicht nur auf Romantik, sondern stellt auch das politische Gefüge, in dem sich Elyssa als Königin immer wieder neu gegen machthungrige Männer behaupten muss, in den Vordergrund. Mir gefällt die Ausarbeitung ihres Charakters, diese sanfte Balance zwischen starker Regentin und träumerischer Liebhaberin. Noch mehr gefällt es mir, dass in diesem Text nicht etwa Aeneas, der Held, im Mittelpunkt der Geschichte steht, sondern Elyssa als Frau und Königin.

Der Trend der letzten Jahre, antike Geschichten in modernen Romanen, neues Leben einzuhauchen, wurde von Irene Vallejo mit "Elyssa. Königin von Karthago." mutig fortgesetzt. Für mich ist diese Art von Büchern immer noch nicht alt geworden, wird es vielleicht nicht. Die Gestaltung der deutschsprachigen Ausgabe aus dem Diogenesverlag ist außerdem ausgesprochen schön.

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