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Veröffentlicht am 28.08.2022

Paradoxe Zärtlichkeit

Sanfte Einführung ins Chaos
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Kann man voller Zärtlichkeit über das Thema Schwangerschaftsabbruch schreiben?
Ich dachte immer, das ginge nur voller Wut oder voller Zweifel oder voller Angst oder voller Entschlossenheit.
Marta Orriols ...


Kann man voller Zärtlichkeit über das Thema Schwangerschaftsabbruch schreiben?
Ich dachte immer, das ginge nur voller Wut oder voller Zweifel oder voller Angst oder voller Entschlossenheit.
Marta Orriols hat mich allerdings eines besseren belehrt. In ihrem Roman „Sanfte Einführung ins Chaos“ schreibt die spanische Autorin über ein Paar Anfang 30. Marta und Dani leben in Barcelona. Sie kennen sich seit zwei Jahren und teilen sich eine kleine Wohnung. Marta ist eine aufstrebende Fotografin, sie liebt ihren Job und hat große Ambitionen. Dani ist Drehbuchautor und schreibt für Fernsehserien. Als Marta unerwartet schwanger wird, möchte er das Kind behalten, sie aber nicht. Dieser Konflikt stellt die Beziehung der beiden vor eine Zerreißprobe.
Die Autorin beschreibt auf wenigen Seiten und mit klaren Worten die Zäsur im Zusammeneben dieses Paares. Marta und Dani sind in vielerlei Hinsicht typische Vertreter ihrer Generation und so werden auch zahlreiche Themen und Fragen abgearbeitet, welche diese Generation bestimmen. Da ist dieses längst Erwachsen sein, ohne sich vollständig erwachsen zu fühlen. Der Hedonismus, die Ich-Bezogenheit, das Streben nach einem großen Mehr. Das sich Nicht-Festlegen-Wollen. Ich finde, das alles kommt in den wenigen Tagen, die Marta und Dani bleiben, um eine endgültige Entscheidung für oder gegen die Schwangerschaft zu treffen, wunderbar zur Geltung.
Wunderbar ist außerdem die Sprache, in der die Autorin erzählt. Poetisch, stimmungsvoll, sanft. Wie der Titel schon sagt also. Das Buch liest sich wie ein Polaroidbild. Und das trotz des ernstes Themas. Es ist niemals belehrend oder fordernd. Die Geschichte fragt nicht nach einem richtig oder falsch. Sie zwingt den Leser auch nicht sich für eine Seite zu entscheiden.
Manchmal, nur ganz manchmal, ist da die ein oder andere Aussage oder Handlung, die mich ein bisschen stutzig gemacht hat, und bei der ich mich gefragt habe, ob sie sich nicht falsch liest.
Nichtsdestotrotz finde ich, dass die Autorin in der Geschichte die richtigen Konsequenzen zieht. Ich mag außerdem, wie die Protagonisten konstruiert wurden. Das eben genau diese Konstellation gewählt wurde, um über das Thema Schwangerschaftsabbruch zu schreiben, und nicht eine andere, die es vielleicht einfacher gemacht hätte.

Fazit:
„Sanfte Einführung ins Chaos“ ist ein wirklich überaus gelungenes und aktuelles Buch zu einem Thema, das im Jahr 2022 wieder in den politischen und gesellschaftlichen Fokus gerückt ist. Es bewegt sich nah am Puls der Zeit und stimmt einen sehr treffenden Ton an. Wenige Abzüge in der B-Note, davon abgesehen kann ich es sehr empfehlen.

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Veröffentlicht am 28.08.2022

Abenteuer auf See

Die Passage nach Maskat
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Inhalt:
Theodor Jung, ein kriegstraumatisierter Reporter, reist mit seiner Frau Dora und ihrer reichen Familie auf einem Ozenadampfer Richtung Orient, um eine Fotoreportage zu machen. Doch die Schifffahrt ...

Inhalt:
Theodor Jung, ein kriegstraumatisierter Reporter, reist mit seiner Frau Dora und ihrer reichen Familie auf einem Ozenadampfer Richtung Orient, um eine Fotoreportage zu machen. Doch die Schifffahrt entwickelt sich anders als geplant. Dora verschwindet plötzlich spurlos, und Theodor steht im Verdacht etwas damit zu tun zu haben. Mehr noch: Dora soll plötzlich niemals an Bord gewesen sein! Theodor beginnt zu ermitteln und zweifelt doch gleichzeitig an seinem Verstand.

Meine Meinung:
Lange habe ich keinen Krimi mehr gelesen. Auf diesen hier, der so viel Retro-Charme ausstrahlt, hatte ich jedoch große Lust. Und wurde dahingehend nicht enttäuscht. Cay Rademachers Schreibstil ist atmosphärisch, die wilden 20er werden sprachlich elegant und bildlreich zum Leben erweckt. Der Autor hat merklich sehr fundiert recherchiert. Die Geschichte erinnert ein wenig an einen Abenteuerfilm und hat definitiv Kinopotiential!
An manchen Stellen erscheint mir die Handlung etwas konstruiert. Die Geschehnisse fließen nicht ganz so natürlich, wie ich mir das bei Spannungsliteratur erhoffe. Dennoch ist der Kriminalfall rund um Theodor und Doras Verschwinden wirklich spannend und wird zusätzlich bereichert von zahlreichen originellen Nebencharakteren.
Besonders gut gefallen hat mir außerdem die Aufmachung des Buchs. Auf den Innenseiten des Buchdeckels ist eine bunte Karte mit der Reiseroute abgedruckt, welche die Passagiere im Buch zurücklegen. Für solche kleinen Extras bin ich ja immer Feuer und Flamme.

Fazit:
"Die Passage nach Maskat" von Cay Rademacher ist ein wirklich gelungener Krimi der alten Schule, den ich sehr gerne gelesen habe. Hervorstechend sind das wundervoll beschriebene Setting und die spannenden historischen Hintergründe. Eine klare Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 25.04.2022

Gedankensammlung

Zusammenkunft
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Inhalt:

Die namenlose Ich-Erzählerin ist eine Schwarze Frau, die sich in der Londoner Finanzwelt mit harter Arbeit nach oben kämpfen will. Die stetige Belastung ihrer Arbeit, ihre eigenen Ansprüche ...


Inhalt:

Die namenlose Ich-Erzählerin ist eine Schwarze Frau, die sich in der Londoner Finanzwelt mit harter Arbeit nach oben kämpfen will. Die stetige Belastung ihrer Arbeit, ihre eigenen Ansprüche an sich selbst und die zahllosen Mikroaggressionen, denen sie tagtäglich ausgesetzt ist, spaltet sie sich immer weiter von ihrem eigenen Selbst ab, nimmt ihre Umwelt nur noch von außen wahr. Als sie die Diagnose Brustkrebs erhält, sieht die Erzählerin deshalb keine Sinn eine Therapie aufzunehmen und fährt stattdessen mit ihrem weißen Freund zu dessen wohlhabenden Eltern aufs Land.

Meine Meinung:

„Zusammenkunft“ hat von allen Seiten viel Lob erhalten und das ganz bestimmt zurecht. Das Buch ist es besonders, weil es schafft auf sehr wenigen Seiten unwahrscheinlich viele und komplexe Themen abzuhandeln. Das tut es auf eine poetische, manchmal undurchsichtige, aber immer aufrichtige und vor allem aufrüttelnde Art und Weise.

Die Zustände innerhalb der britischen Gesellschaft, die hier beschrieben werden, sind sicher in vielerlei Hinsicht auf Deutschland übertragbar, wenn mir auch nicht alle Zusammenhänge abschließend klar geworden sind. Genau das ist auch mein einziger, wenn auch nicht ganz unbedeutender Kritikpunkt am Buch. Aufgrund der Knappheit und Dichte des Textes, geht für mich an manchen Stellen wichtige Information verloren, die in meinen Augen nötig gewesen wäre, um die Geschichte besser verständlich zu machen. Ich verstehe, dass es mit Sicherheit nicht die Absicht der Autorin gewesen sein kann, ein rundum nachvollziehbares und detailliert ausgestaltetes Buch geschrieben. Sonst wäre „Zusammenkunft“ nicht die poetische und einhomogene Ansammlung an Textfragmenten, die es ist. Das Buch spricht allerdings so wichtige Themen an, dass ich diesen an der ein oder anderen Stelle mehr Raum gewünscht hätte.

Nichtsdestotrotz ist Natasha Brown ein besonderer Text in einer besonderen Sprache gelungen, der es lohnt gelesen zu werden. „Zusammenkunft“ porträtiert eine noch junge Frau, die an ihrem eigenen von einer feindselig eingestellten Gesellschaft bestimmten Ansprüchen zu zerbrechen droht. Die Ich-Erzählerin schleicht dabei immer wieder um eine Art passiven Todeswunsch als kurzfristigen Ausweg herum. Ihr eigenes Leben scheint ihr nichts mehr Wert zu sein. Auch an dieser Stelle, hätte ich es schön gefunden, wenn die Autorin in irgendeiner Form zu verstehen gegeben hätte, dass es sich bei der Denkweise ihrer Protagonistin um Gedanken handelt, die von einer psychischen Erkrankung geprägt sein müssen. So wird der Leser dahingehend im Unklaren gelassen.

Fazit:

„Zusammenkunft“ ist ein ganz besonderes Stück Prosa. Ein Buch, das man gelesen haben sollte, eben weil es thematisch so nah am gesellschaftlichen Puls des Jahres 2022 ist und weil es eine Thematik aufgreift, die von der Gegenwartsliteratur viel zu lange größtenteils ignoriert worden ist.

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Veröffentlicht am 25.03.2022

Scharfsinnige Spannungsliteratur

Vertrauen
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Tel Aviv, Israel: Inspektor Avi Avraham und sein Team arbeiten gleich an zwei merkwürdigen Fällen. Ein Neugeborenes wird in der Nähe eines Krankenhaus ausgesetzt. Die Mutter des Kindes scheint schnell ...

Tel Aviv, Israel: Inspektor Avi Avraham und sein Team arbeiten gleich an zwei merkwürdigen Fällen. Ein Neugeborenes wird in der Nähe eines Krankenhaus ausgesetzt. Die Mutter des Kindes scheint schnell gefunden zu sein, doch damit ist das Rätsel noch lange nicht gelöst. Zeitgleich verschwindet ein Gast aus einem Hotel offensichtlich spurlos. In beiden Fällen tuen sich interessante Spuren auf, die Avi letztlich sogar nach Paris führen. Es stellt sich die Frage, ob es letztlich sogar einen Zusammenhang zwischen all diesen Vorkommnissen gibt?

„Vertrauen“ ist ein leiser und langsamer Krimi. Genau deshalb habe ich das Buch ausgewählt, persönlich lese ich diese Art der Spannungsliteratur nämlich am liebsten. Ich bin auf der Suche nach Krimis, die feinsinnig und weniger blutrünstig sind. Das bietet „Vertrauen“ definitiv!
Tel Aviv und Paris sind dabei tolle Kulissen, welche de Geschichte einen ganz eigenen Flair verleihen.
Die Persönlichkeit des Inspektors ist ein wesentlicher Teil des Romans. Seine nachdenkliche und leicht melancholische Figur war mir dabei sehr sympathisch. Außerdem verarbeitet der Autor auch politische und soziokulturelle Themenkomplexe in seinem Buch. Das habe ich als Bereicherung empfunden.
Die Geschichte ist definitiv spannend. Es werden viele Hinweise gestreut und als Leser fühlt man sich immer dazu angehalten, mitzurätseln. Durch die langsame Erzählweise, zieht sich die Handlung jedoch phasenweise leicht in die Länge.
Mir persönlich hat der Erzählstrang rund um das Baby am besten gefallen, da mich dieser emotional mehr abholen konnte. Besonders interessant fand ich es an dieser Stelle auch, dass der Autor unterschiedliche Perspektiven gewählt hat, um seine Geschichte zu erzählen.

Fazit: „Vertrauen“ von Dror Mishani hat meine Erwartungen definitiv erfüllt. Es ist genau das richtige Buch, wenn man einen unaufgeregten, aber scharfsinnig konzipierten Kriminalroman lesen möchte.

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Veröffentlicht am 26.10.2021

Der Großvater

Die Enkelin
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Inhalt:
Kaspar findet seine Ehefrau Birgit tot in der Badewanne. Sie war Alkoholikerin, hat einen tief begrabenen Schmerz mit der Sucht betäubt. Jahrzehnte ihres Lebens haben die beiden miteinander verbracht ...

Inhalt:
Kaspar findet seine Ehefrau Birgit tot in der Badewanne. Sie war Alkoholikerin, hat einen tief begrabenen Schmerz mit der Sucht betäubt. Jahrzehnte ihres Lebens haben die beiden miteinander verbracht und doch ist Birgit Kaspar ein Stück weit fremd geblieben. Erst nach ihrem Tod erfährt er von der Vergangenheit, die sie einst im Osten zurückgelassen hat. Ohne sie muss er sich auf eine Spurensuche begeben.

Meine Meinung:

Bernhard Schlink ist ein fantastischer Autor, der genau weiß, wie man eine Geschichte erzählt. Ich mag seine Sprache und die eindrücklichen Bilder, die er von seinen Figuren zeichnet. Das beginnt schon auf den ersten Seiten mit Birgits Tod.
„Die Enkelin“ ist eine deutsch-deutsche Geschichte über Schuld und den Wert von Familie. Aber eben nicht nur das. Es ist auch ein hochaktuelles Buch, das es schafft eine Verbindung zwischen ostdeutscher Vergangenheit und Gegenwart herzustellen. Auf seinem Weg Birgits Vergangenheit aufzuarbeiten wird Kaspar immer wieder dazu gezwungen sich für teils extreme Perspektiven und Weltanschauungen zu öffnen, die nicht seiner eigenen entsprechen. Diese Annäherung und die damit einhergehenden Differenzen stellt der Autor sehr einfühlsam dar. Auch wenn dem Titel nach, die Beziehung zwischen Kaspar und seiner Enkelin eine zentrale Rolle im Buch einnimmt, ist eigentlich der Großvater die Kernfigur.
Die Geschichte ist in drei Teile gegliedert. Schlink schafft es durchgängig einen gewissen Spannungsbogen aufrechtzuerhalten. Dabei werden unterschiedliche Zeit- und Handlungsebenen nacherzählt, sodass ein allumfassendes, vielschichtiges Bild des Konflikts entsteht.
Trotz der politischen Problematik, die das Fundament der Geschichte bildet, schafft es der Autor sie weitergehend wertfrei zu erzählen. „Die Enkelin“ überlässt es dem Leser selbst sich ein Bild über die Protagonisten zu machen. Das schafft Bernhard Schlink, indem er mit Kaspar einen Mann gezeichnet hat, der sich sehr darum bemüht, die Dinge um ihn herum, in ihrem Wesen zu akzeptieren und zu verstehen. Das hat ihn für mich sehr sympathisch gemacht.
Ich habe das Buch sehr sehr gerne gelesen.

Fazit:

Ein Buch, das nicht nur seinen Protagonisten, sondern auch Leserinnen und Leser herausfordert, zum Nachdenken anregt und Bewusstsein für scheinbar fremdartige Lebensentwürfe schafft, ohne zu werten oder zu belehren.

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