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Veröffentlicht am 08.08.2024

Überwindungsversuche

Corregidora
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Sie findet sich in einer Klinik wieder, den Unterleib haben sie ihr ausgeräumt nachdem ihr Ehemann sie hinter dem Café, in welchem sie regelmäßig ihren Blues singt, die Treppe hinunter gestoßen hat. Ursa ...

Sie findet sich in einer Klinik wieder, den Unterleib haben sie ihr ausgeräumt nachdem ihr Ehemann sie hinter dem Café, in welchem sie regelmäßig ihren Blues singt, die Treppe hinunter gestoßen hat. Ursa ist etwa 25 Jahre alt und es ist das Kentucky Ende der 1940er Jahre. Gayl Jones nimmt mich in ihrem hierzulande relativ unbekannten Roman "Corregidora" aus dem Amerikanischen übersetzt v. Pieke Biermann @kanonverlag mit in die Gedankenwelt der jungen Bluessängerin. Es sind Gedanken um ihre weiblichen Vorfahren: die Urgroßmutter befand sich in Brasilien im Besitz des sadistischen Sklavenhalters Corregidora, der ebendiese immerwieder sexuell ausgebeutet hat. Als daraus eine Tochter hervor geht, zieht der Mann das Mädchen großum auch dieses sexuell zu missbrauchen und mit ihr eine weitere Tochter zu zeugen, diese wird später die Mutter von Ursa sein. Ein Erbe oder auch Trauma, welches über Generationen weiter gegeben wird, thematisiert das Buch. Die Atmosphäre fand ich sehr düster, dass Ursa immer wieder an Männer gerät, welche sie uns ihren Körper besitzen wollen, anstatt die junge Frau wahrhaft zu lieben, war nervenaufreibend für mich. Trotzdem war das Buch jetzt nicht erschütternd für mich. Dass die Versklavung von Menschen unter anderem grausam war/ist, ist mir nicht neu. Lesenswert ist der Roman allemal, wenn auch das hintere Viertel etwas langatmig war.

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Veröffentlicht am 29.06.2024

Und plötzlich gab es die DDR nicht mehr

Muldental
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Knapp 40 Jahre hat der sozialistische Staat seine Bürger*innen geprägt. Und dann war Schluss. In ihrer Anthologie "Muldental" @diogenesverlag erzählt Daniela Krien die Geschichten verschiedener Menschen ...

Knapp 40 Jahre hat der sozialistische Staat seine Bürger*innen geprägt. Und dann war Schluss. In ihrer Anthologie "Muldental" @diogenesverlag erzählt Daniela Krien die Geschichten verschiedener Menschen und Familien aus ebendiesem Muldental. Da gibt es den Sohn eines Töpfers, der unter dem Jähzorn seines kranken Vaters leidet. Zwei Frauen, alte Freundinnen, treffen sich am Jobcenter nach vielen Jahren wieder und beschließen aus der Not heraus sich zu prostituieren. Und ein einsamer Mann, der in der Zeit nach der DDR nicht angekommen zu sein scheint, Zigaretten sammelt, das ganze Jahr in seine Steppjacke gekleidet. Die 11 Kurzgeschichten in diesem Band sind alle sehr unterschiedlich. Und doch verbindet sie so vieles, die Herkunft und auch eine gemeinsame Jugend. Das Ende der DDR markiert für alle Personen in den Geschichten einen wichtigen Wendepunkt in ihrem Leben. Die sogenannte "Wende" hat vielen keinen oder nur kurzen finanziellen Wohlstand gebracht. Familien sind zerbrochen, Lieben gescheitert. Und obwohl jede Geschichte mit ein tristes Gefühl hinterlassen hat, gab es doch eine, welche Hoffnung schenkt, Hoffnung auf Annäherung und Versöhnung. Jede Geschichte lässt sich sehr gut als Häppchen lesen, das ganze Buch mit knapp 200 Seiten lässt sich aber auch als Hauptgang in einem Rutsch lesen, was ich euch gerne empfehle.

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Veröffentlicht am 29.06.2024

Wofür kein Platz ist in unserer Leistungsgesellschaft

Potenziell furchtbare Tage
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Wir alle leben in ihr: einer (post)-kapitalistischen Welt, voller Leistungsdruck. Eine Welt, welche für uns Menschen nicht gut ist. Bianca Jankovska hat sich diesem Themenkomplex in ihrem Buch "Potentiell ...

Wir alle leben in ihr: einer (post)-kapitalistischen Welt, voller Leistungsdruck. Eine Welt, welche für uns Menschen nicht gut ist. Bianca Jankovska hat sich diesem Themenkomplex in ihrem Buch "Potentiell furchtbare Tage" @haymonverlag angenommen. Ihre Sprache ist emotional sehr aufgeladen, was für mich anfangs etwas ungewohnt war, ich habe mich aber Seite für Seite daran gewöhnt. In so gut wie jedem Kapitel finden sich Triggerwarnungen, was nicht unbedingt selbstverständlich ist, jedoch in diesem Fall sehr löblich.
Denn es sind vor allem die eigenen Erfahrungen, welche Bianca Jankovska hier schildert. Das Aufwachsen in einer Familie mit Migrationshintergrund, ein Vater der viel arbeitet um die Familie zu ernähren, somit durch Abwesenheit glänz, keine enge Beziehung zur Tochter hat. Eine Mutter, welche der Tochter Bildung wo sie nur kann ermöglicht, ihre Tochter liebt für die sehr guten Noten in der Schule, ihre Leistungen im Studium. Doch schon während der ersten Berufserfahrungen wird Bianca bewusst, dass ihr das bestehende System in dem sie arbeitet, nicht gut tut. In dieser Arbeitswelt ist kein Platz für menstrierende Menschen, Dienstleistende, welche die Erwartungen der Kunden nicht erfüllen. Der Großteil der Lebenszeit geht für Lohnarbeit drauf, an der sich praktisch nur der reiche Teil der Welt bereichert. Yogakurse und Selbstoptimierung versprechen Abhilfe, doch dort werden lediglich die Symptome eines kranken Systems gelindert. Wie ändern wir die Ursache??
Dafür hat die Autorin viele kleine Ideen parat. Dennoch muss ich sagen, dass sie aus meiner Sicht "das Rad" nicht neu erfunden hat. Dass die Schere Arm/Reich immer mehr auseinander klafft, viele arme Menschen von wenigen Armen ausgebeutet werden ist bekannt. Auch dass die 4-Tage-Woche mit 10-Stunden-Tagen keine richtige Work-Life-Balance schafft ist mir bekannt.
Dennoch ist dieser Erfahrungsbericht für mich angenehmer zu lesen gewesen als ein dröges Sachbuch.

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Veröffentlicht am 29.06.2024

Freiheit für ALLE Brüste

Oben ohne
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Ich gebe zu, das Thema hat mich in den vergangenen Jahren hin und wieder leicht gestreift. Intensiver auseinander gesetzt habe ich mich damit erst jetzt. In "Oben ohne" @edition_nautilus setzt sich Julia ...

Ich gebe zu, das Thema hat mich in den vergangenen Jahren hin und wieder leicht gestreift. Intensiver auseinander gesetzt habe ich mich damit erst jetzt. In "Oben ohne" @edition_nautilus setzt sich Julia Fritzsche damit auseinander, warum es für weibliche und queere Menschen derzeit nicht so leicht ist an öffentlichen Orten mit unbedekten Nippeln präsent zu sein. Zum einen gibt es bisher keine einheitliche gesetzliche Regelung in ganz Deutschland. Zum anderen ist dies für männlich gelesene Menschen einfacher und selbstverständlicher, da dieses Gewohnheitsrecht über Generationen gewachsen ist. Und es ist Ausdruck von patriarchaler Überlegenheit - bewusst oder unbewusst. Julia Fritzsche lässt mich an ihren eigenen Freibaderfahrungen in diesem Kontext teilhaben, aber auch an der Erfahrung einer anderen weiblichen Person, welche in Berlin vor Gericht gegangen ist. Insgesamt ein spannendes und wichtiges Thema bezüglich Gleichberechtigung ALLER Menschen. Insbesondere die geschilderten Erfahrungen fand ich sehr gut. Der Mittelteil des Buches, in dem viel historisches Hintergrundwissen zum Thema runtergerattert wird, fand ich zum einen sehr dröge, zum anderen nicht ausführlich genug. Trotzdem halte ich den Titel sinnvoll um sich zumindest einmal damit auseinander zu setzen, warum es für eine Hälfte der Menschheit ein Privileg ist sich Oben ohne zu zeigen und für andere Diskriminierung, Sexualisierung, Bodyshaming u.v.m. bedeutet.

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Veröffentlicht am 29.06.2024

Wenn das Leben zur Hölle gemacht wird...

Rote Augen
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...dann ist nichts mehr wie es Mal war. Beinahe wie ein Erfahrungsbericht liest sich der Roman "Rote Augen" v. Myriam Leroy aus dem Französischen übersetzt v Daniela Högerle @edition_nautilus . Was mit ...

...dann ist nichts mehr wie es Mal war. Beinahe wie ein Erfahrungsbericht liest sich der Roman "Rote Augen" v. Myriam Leroy aus dem Französischen übersetzt v Daniela Högerle @edition_nautilus . Was mit schmeichelnde Nachrichten eines Fans auf Social Media beginnt entwickelt sich für die junge Journaltin zu einem einschneidenden Abschnitt in ihrem Leben. Als sie ihren Verehrer zurück weist, beginnt er sie im Netz zu diffamieren, zu mobben, seine Gefolgschaft springt auf den Zug auf. Anstatt die Zurückweisung zu respektieren terrorisiert der Mann die Journalistin mit Hassnachrichten, stellt sie mit verfremdeten Fotos öffentlich bloß. Ihr Umfeld reagiert mit Unverständnis, Freund*innen wenden sich an. Auch ihr Lebensgefährte wird zur Zielscheibe des Hasses im Netz, die Beziehung der beiden auf eine harte Probe gestellt. Irgendwann entscheidet sich die junge Frau sich Hilfe bei der Polizei und Staatsanwaltschaft zu holen. Doch die dort angebotene Hilfe ist ernüchternd. Es ist eine Odyssee durch 4 Jahre. Die Auswirkungen auf Körper und Psyche zerstörend.
Für mich war das Lesen des Romanes sehr anstrengend. Obwohl ich hatte Themen wie psychische Gewalt in der Literatur nicht scheue, bin ich hier nervlich an meine Grenzen gestoßen, das gelesene hat immer wieder Wut, Verzweiflung und Unbehagen in mir ausgelöst. Dennoch wird hier das Thema Hass im Netz, Misogynie, Toxische Männlichkeit und Sexismus sehr nachvollziehbar behandelt. Und es ist meiner Meinung nach ein immer noch sehr wichtiges Thema. Dennoch möchte ich ich hier eine eingeschränkte Leseempfehlung aussprechen, denn es triggert aufgrund der authentischen Erzählart doch sehr. Eine entsprechende Warnung von Seiten des Verlages konnte ich auf/in dem Buch nicht finden.

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