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Veröffentlicht am 07.12.2021

Sieben Sommersprossen

Sommersprossen – Nur zusammen ergeben wir Sinn
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„Manchmal wäre es leichter, ein Mensch zu sein, wenn es keine anderen Menschen gäbe.“ (S. 121) Allegra knüpft nur schwer Freundschaften. Ihre Mutter hat sie direkt nach der Geburt beim Vater zurückgelassen ...

„Manchmal wäre es leichter, ein Mensch zu sein, wenn es keine anderen Menschen gäbe.“ (S. 121) Allegra knüpft nur schwer Freundschaften. Ihre Mutter hat sie direkt nach der Geburt beim Vater zurückgelassen und ist verschwunden. Der Musikprofessor hat sie überwiegend allein aufgezogen, gilt als verschroben und hat sie seine Sicht der Dinge gelehrt, ihr die Augen für die Kleinigkeiten im Leben und die Wunder der Natur geöffnet. Besonders die Sterne am der Nachthimmel faszinieren sie, denn sie hat zwar die Haare und Hautfarbe ihrer spanischen Mutter geerbt, aber auch die unzähligen Sommersprossen ihres irischen Vaters. Auf ihrem linken Arm bilden sieben von ihnen den perfekten großen Wagen. „Ihre Gegenwart war tröstlich. Ich trug sie wie eine Rüstung.“ (S. 13) Als Kind hat Allegra die Punkte nur mit dem Finger verbunden, dann mit Stiften, später mit spitzen Gegenständen – tiefe Narben bilden jetzt das Abbild des Sternbildes. Wenn sie nervös oder einsam ist oder Kummer hat, zieht sie sie unablässig nach.

Sommersprossen heißen auf englisch Freckles – ihr Spitzname seit der Kindheit. Wenn man es im Deutschen falsch ausspricht, klingt es nach Freak – und genau so fühlt sich Allegra oft. Sie braucht ihre tägliche Routine, das fängt beim immer gleichen Frühstück an und setzt sich auf ihrer Runde fort (sie kontrolliert als Hilfspolizistin die Parkzettel von Autos). Wenn diese Routine gestört wird, verliert sie den Halt und die Kontrolle über ihr Leben.

„Es heißt, jeder Mensch ist eine Mischung der fünf Leute, mit denen er oder sie die meiste Zeit verbringt. Spricht nicht gerade für ihren Umgang, oder? Der hier ihr Kollege ist wohl einer davon. Ich frage mich, wer die anderen vier Versager in Ihrem Leben sind.“ (S. 66) So wird sie eines Tages vom Fahrer des gelben Ferrari beschimpft, der schon wieder keinen Parkschein gezogen hat. Dieser Spruch bringt sie aus dem Takt, denn sie muss feststellen, dass sie nur eine einzige Person benennen kann – ihren Vater. Sie hat in Dublin keine Bekannten, keinen Partner, nur Kollegen und belanglose One-Night-Stands. Oft geht sie mit Hobby-Künstlern ins Bett, denen sie vorher nackt Modell gestanden hat.

Aber Allegra ist kein Freak, sondern auf der Suche nach Antworten, ihren Wurzeln, ihrer Mutter. Warum hat die sie verlassen? War sie nicht gut genug? Nicht liebenswert? Allegra ist extra nach Dublin gezogen, um sie endlich kennenzulernen, traut sich aber nicht, sie auch anzusprechen. Die Frage nach den 5 Leuten macht ihr klar, dass sie ihrem Leben endlich eine neue Richtung und einen Sinn geben muss.

„Sommersprossen“ ist ein sehr leises, berührendes Buch, das traurig macht und zum Nachdenken anregt. Allegra ist keine sympathische, angepasste Protagonistin, dazu ist sie zu ruppig, eckig und kantig und ihr Alkohol- und Männerverschleiß zu bedenklich. Aber ihre Suche nach Halt und die poetische Sprache gehen ans Herz. Besonders ergreifend fand ich die Bilder der Künstler, die ein Spiegel des jeweiligen Zustandes ihrer Seele waren.

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Veröffentlicht am 04.12.2021

Das grüne Haus

Die Hafenärztin. Ein Leben für die Freiheit der Frauen (Hafenärztin 1)
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„Sie kam nicht aus freien Stücken. Vor allem aber hatte sie London nicht aus freien Stücken verlassen.“ (S. 6)
Nach der Explosion eines Gasometers am Magdeburgquai wird dieser nicht mehr genutzt. Die Ecke ...

„Sie kam nicht aus freien Stücken. Vor allem aber hatte sie London nicht aus freien Stücken verlassen.“ (S. 6)
Nach der Explosion eines Gasometers am Magdeburgquai wird dieser nicht mehr genutzt. Die Ecke des Hamburger Hafen vereinsamt, nur das grüne Haus strahlt tapfer in der Dunkelheit. Die englische Ärztin Anne Fitzpatrick hat es zusammen mit dem Verein Frauenwohl aufgebaut, um Frauen und Kindern einen Anlaufpunkt in der Not zu bieten. Doch als bei der Eröffnung ganz in der Nähe 2 Leichen gefunden werden, droht Annes Plan zu scheitern. Keine Frau traut sich mehr in diese Gegend – nur die Pastorentochter Helene Curtis, deren großes Vorbild Anne ist, lässt sich davon nicht abschrecken.

„Die Hafenärztin“ habe ich auf der Frankfurter Buchmesse zufällig in der berühmten „Ullsteineule“ entdeckt und der Klappentext hat mich sofort neugierig gemacht.
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von 3 Personen geschildert. Anne ist eine der ersten Ärztinnen in Deutschland. Sie hat lange in England gelebt und dort studiert. Ich finde sie sehr faszinierend, sie ist extrem hilfsbereit, sehr willens- und durchsetzungsstark und hält allein an ihrem Plan fest, nachdem der Frauenverein das grüne Haus nicht mehr betreuen will. Aber sie ist auch einsam und irgendwie traurig, stürzt sich in die Arbeit, um sich abzulenken, hat kein Privatleben. Man kann nur erahnen, warum sie England bei Nacht und Nebel verlassen musste und unter falschem Namen nach Deutschland zurückgekehrt ist. Sie fürchtet übrigens, dass der Täter der berühmte Jack-the-Ripper ist, der vor 20 Jahren in England sein Unwesen getrieben hat …
Helene ist eine moderne junge Frau. Sie will keine Ehefrau und Mutter sein, sondern studieren oder wenigstens einen Beruf erlernen. Das liegt nicht nur an der lieblosen Ehe ihrer Eltern und dass ihr Bruder vor dem strengen Vater regelrecht geflohen ist, sondern auch an der aus England herüberschwappenden Suffragettenbewegung. Die Idee des Frauenwahlrechts und der Gleichberechtigung begeistern sie. Helene ist sehr sportbegeistert, rudert in einem Verein und fährt Fahrrad, selbst im Winter, damit hat sie mir imponiert. Zudem ist sie gewitzt und zielstrebig. Im Laufe der Handlung entwächst sie ihrem bürgerlichen Elternhaus immer mehr und auch über sich hinaus.
Kommissar Berthold Rheydt ermittelt in dem Fall getöteten Frauen. Es ist der erste, den er allein übertragen bekommt und er beißt sich richtig fest. Rheydt wirkt auf den ersten Blick manchmal etwas abgerissen, hat einen schweren Verlust erlitten und noch nicht überwunden, aber mir gefällt, dass er sich auf die Ideen seiner deutlich jüngeren Mitarbeiter einlässt und sie motiviert, um die Ecke zu denken. Er forciert auch neue Ermittlungsmethoden wie Tatortanalyse, Fingerabdrücke und chemische Untersuchungen. Sein Steckenpferd ist der Fußball, er trainiert im gerade gegründeten FC St. Pauli und ist enttäuscht, dass der Sport noch so elitär ist, Arbeiter nicht zugelassen sind. Ein harter Kerl mit einem weichen Kern.

Für mich ist das Buch eine gelungene Mischung aus Krimi, Roman und historischem Zeitgeschehen. Henrike Engel schreibt sehr kurzweilig, atmosphärisch und bildlich, lässt das Vorkriegshamburg vor dem Auge des Lesers auferstehen. Man kann sich in den dunklen Hafenecken herrlich gruseln, mit Anne, Helene und Rheydt auf Mörderjagd gehen und erfährt nebenher, was damals tagespolitisch aktuell war. Ich bin schon sehr gespannt auf den nächsten Fall.

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Veröffentlicht am 01.12.2021

Das Haus der traurigen Frauen

Das Erbe der Blumenmalerin
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… wird das kleine Häuschen am Leuchtturm auf den Klippen von Madeira genannt, weil es den Bewohnerinnen, den Frauen der Familie Lanston, in allen Generationen Unglück zu bringen scheint.
1928 wird die ...

… wird das kleine Häuschen am Leuchtturm auf den Klippen von Madeira genannt, weil es den Bewohnerinnen, den Frauen der Familie Lanston, in allen Generationen Unglück zu bringen scheint.
1928 wird die Blumenmalerin Amelia dorthin abgeschoben, weil sie und ihre Schwester den gleichen Mann lieben.
1955 lebt Emma mit ihrer kleinen Tochter Grace hier. Sie ist verwitwet und das Geld wird immer knapper.
2012 sucht Laura dort Zuflucht. Auch sie hat vor kurzem ihren Mann verloren und damit den Halt im Leben. Schon immer haben die Zeichnungen ihrer Vorfahrin Amelias sie fasziniert und sie hofft, auf Madeira mehr über sie zu erfahren. Als sie in den Klippen eine Schatulle mit Briefen entdeckt, kommt sie einem ungeheuerlichen Familiengeheimnis auf die Spur, die sie zurück in ihre Heimat Cornwall führt …

Was gibt es besseres, als sich in diesen Zeiten und bei diesem Wetter auf eine schöne Insel zu träumen. Christiane Lind macht es ihren Leserinnen leicht, Madeira dank der farbenfrohen Beschreibungen förmlich vor sich zu sehen, die salzige Meeresluft im Gesicht und die rauen Felsen unter den Füßen zu spüren. Sie nimmt uns mit auf eine Reise durch fast 100 Jahre und 3 Generationen der Familie Lanston, vom Familiensitz Tristyans Manor in Cornwall über Madeira bis nach Paris und Amerika.
Doch nicht nur Madeira scheint den Frauen der Familie kein Glück zu bringen, auch in England lauern unglückliche Schicksale und dunkle Geheimnisse. Und nicht immer macht uns das, was wir uns wünschen, am Ende auch wirklich glücklich.

Amelia, Emma und Laura sind starke, selbstbewusste Frauen, die aus ihren Familien ausgebrochen sind, weil sie nicht so leben wollten, wie es für sie vorgesehen war, und Männer gewählt haben, die ihre Eltern nicht befürworteten. Sie sind ihren eigenen Weg gegangen, auch wenn der nicht immer leicht und oft mit großen Verlusten und Verzicht verbunden war.

Ich bin gern mit Laura auf die spannende Suche nach den zum Teil traumatischen Erlebnissen ihrer Vorfahrinnen gegangen, nur die die vielen Personen und Zeit- bzw. Ortssprünge waren etwas gewöhnungsbedürftig – mein Tipp, legt Euch beim Lesen einen Stammbaum an. Und auch wenn es mir an einigen Stellen etwas zu viel Drama war, kann ich „Das Erbe der Blumenmalerin“ allen Fans spannender Familiengeheimnisse empfehlen.

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Veröffentlicht am 26.11.2021

Mord in der Vorstadt

Die letzte Schuld
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„Was wir Juden hier vor dem Krieg erlebt haben, war ein Alptraum. Dabei waren wir hier zu Hause, haben uns als Münchnerinnen und Deutsche gefühlt wie alle anderen auch. Wir müssen zurückkommen und dabei ...

„Was wir Juden hier vor dem Krieg erlebt haben, war ein Alptraum. Dabei waren wir hier zu Hause, haben uns als Münchnerinnen und Deutsche gefühlt wie alle anderen auch. Wir müssen zurückkommen und dabei helfen, das Unrecht wiedergutzumachen.“ (S. 18) Billa und ihre Freundin Lydia befragen für einen Artikel die Bewohner einer Münchner Vorstadtsiedlung zu den Entnazifizierungsbögen, als sie das Auto der Mordkommission entdecken. Eine tote Frau wurde gefunden, ermordet, und die Auffindesituation sieht wie eine Hinrichtung oder ein Racheakt aus. Wer ist sie und warum musste sie jetzt, ein Jahr nach Kriegsende, sterben? Am Tatort treffen sie auf den Mordermittler Emil Graf. Da Billa ihm letztes Jahr schon einmal bei einer Ermittlung geholfen hatte, bittet er sie, sich bei ihrer Recherche auch nach der Frau umzuhören. Dabei bekommt Billa den Tipp, dass es bei den „Persilscheinen“ Mauscheleien gibt. Emil hingegen stößt auf eine Spur, die zu Kunstwerken aus dem „Haus der Kunst“ führt, Hitlers ehemaliger Sammlung ...

„Die letzte Schuld“ ist der zweite Teil der Reihe um den Polizeiermittler Emil Graf und die jüdischen Reporterin Billa Löwenfeld. Man kann die Bücher aber unabhängig voneinander lesen.

Heidi Rehn schafft es, den Leser sofort in die Geschichte zu ziehen und nicht wieder loszulassen. Ich fand es sehr gelungen, wie sie auf das inzwischen vergangene Jahr und die Veränderungen bzw. Fortschritte in München eingeht. Billa und Emil hatten sich nach dem ersten Fall aus den Augen verloren und müssen sich erst einmal wieder annähern, zumal es zwischen ihnen ordentlich knistert.
Mir gefällt, wie Emils Zerrissenheit dargestellt wird. Einerseits macht er seine Arbeit gern und gut, andererseits hadert er immer noch mit seiner Schuld als Mitläufer. Er will nie wieder eine Waffe führen, nie wieder jemanden töten – das könnte bei der Polizeiarbeit zum Problem werden, es macht ihn aber auch sehr menschlich.
Billa ist sehr forsch und scheint vor kaum etwas Angst zu haben, wird dadurch aber auch leichtsinnig und gerät mehr als einmal in gefährliche Situationen. Ich bin fasziniert und beeindruckt, wie geschickt sie die Leute mit Zigaretten, Kaffee oder Schokolade zum Reden bringt und wie offen sie in die Gespräche mit ihnen geht. Sie könnte ja auch einfach alle Deutschen hassen, aber sie hat ihre Vorurteile gut im Griff. Außerdem ist sie immer noch ihrer Abstammung auf der Spur, um die ihre Mutter ein großes Geheimnis macht. Weiß Emils Bruder Fritz mehr? Seine Andeutungen lassen es zumindest vermuten …

Der Fall ist sehr spannend und wirklich gut konstruiert. Ich habe die ganze Zeit mitgerätselt und Vermutungen angestellt, wie alles zusammenhängt. Mir gefällt, wie der Prozess der Entnazifizierung und der Umgang der mit Nazi-Kunst zu dieser Zeit in die Handlung eingeflossen ist – das hat Heidi Rehn hervorragend recherchiert.

Auch die von Angst und gegenseitiger Abhängigkeit geprägt Atmosphäre in der Siedlung war förmlich spürbar. Die Bewohner wissen natürlich genau, welcher Nachbar sich bei den Nazis verdient gemacht hatte, schweigen aber aus verschiedenen Gründen. Nur der Blogwart scheint das Wissen für seine Pläne zu nutzen. Und obwohl kaum einer ein gutes Wort für die Tote übrighat, können Billa und Emil kein Mordmotive feststellen. Fakt ist nur, dass sie sehr ehrgeizig war und hoch hinaus wollte. Ist ihr das zum Verhängnis geworden?

Mein Fazit: Auch „Die letzte Schuld“ ist ein fesselnder, hervorragend recherchierter Krimi mit historisch verbürgten Fakten und einem tollen Ermittlerpaar – ich hoffe, dass sie noch weitere Fälle im München der Nachkriegszeit lösen werden.

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Veröffentlicht am 21.11.2021

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!

Mach dich locker
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„Marie Hasemann, das Kaninchen im Raubtiergehege.“ (S. 7) ist Food-Designerin und entwickelt gesunde Nahrungsmittel. Ihrem Chef Holger, der aussieht wie ein Surferboy, steht sie fast rund um die Uhr zur ...

„Marie Hasemann, das Kaninchen im Raubtiergehege.“ (S. 7) ist Food-Designerin und entwickelt gesunde Nahrungsmittel. Ihrem Chef Holger, der aussieht wie ein Surferboy, steht sie fast rund um die Uhr zur Verfügung. Parallel managt sie auch noch erfolgreich ihren Mann Alexander, einen etwas lebensuntüchtigen Anwalt, und ihre beiden Kinder Robin und Lilli. Das weiß außer ihrer Assistentin Scarlett aber niemand, denn bei FeelBetterFood ist man jung, dynamisch, erfolgreich und unabhängig ... Zudem ist sie perfektionistisch veranlagt, hat für alles eine Liste und prüft alles nach. „Mein Leben ist wie jonglieren mit Dynamit … Einmal die Kontrolle verlieren, und schon fliegt mir alles um die Ohren.“ (S. 10) Und genau das passiert, als ein neuer Schüler in Robins Klasse auftaucht und dessen Mutter Babette Marie den Rang abläuft. Prompt legt ein Hexenschuss Marie völlig lahm und sie verliert die Kontrolle über ihr Leben und ihre Familie …

„Mach dich locker“ von Ellen Berg ist viel mehr als ein heiterer Frauenroman. Sehr tiefgründig geht sie auf das Problem der überforderten Karriere-Mütter ein, die immer in allem die besten und perfekt sein wollen und dabei nicht nur die eigenen Ziele und Wünsche aus den Augen verlieren, sondern auch die ihrer Partner und Kinder. Gekonnt spielt die Autorin dabei mit den Erwartungen und Ansichten der Leser und geht amüsant auf die Schulweisheiten und Irrtümer der Volkskrankheit Rücken ein.

Ich wusste zu Beginn nicht, wer mir mehr leidtut – Marie oder ihrer Umwelt. Ich werde ja schon liebevoll „Planungsbeauftragte“ genannt, aber Marie ist noch schlimmer. Sie installiert eine Überwachungskamera im Teddy ihrer Tochter, ist die Klassensprecherin bei ihrem Sohn und versucht ihren Mann immer wieder zu „optimieren“. Kein Wunder, dass der mit der lockeren Babette anbandelt und die Kinder einfach an einen Babysitter und seine extrem übergriffige Mutter abschiebt. Robin entzieht sich als Teenager immer mehr Maries Kontrolle und sie muss Seiten an ihm entdecken, die sie nie für möglich gehalten hat. Als dann auch noch die süße kleine Lilli lieber eine zerfetzte Jeans als einen rosa Rüschenrock will, gerät ihr Weltbild völlig ins Wanken. Aber je mehr sich Marie auf ihre Rückenprobleme und die Behandlung einlassen muss, desto mehr denkt sie über alles nach und versetzt such auch in die Position ihres Gegenübers ...

Natürlich kommt der Humor trotzdem nicht zu kurz. Das beginnt schon mit den ausgefallenen Namen von Babettes Kindern Luna-Rosé und Marvin-Blue (Wer muss da auch an Familie Ochsenknecht denken?) und setzt sich über die zum Teil überzeichneten Protagonisten (den Orthopäden und seine Frau habe ich gefeiert), die gelungene Situationskomik und Sprüche fort. „Manche Probleme lösen sich ganz von allein. Man darf sie nur nicht dabei stören.“ (S. 77).

Die Handlung hat ein ordentliches Tempo, man mag das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen, und einige Überraschungen parat, damit es nie langweilig oder vorhersehbar wird. Genial fand ich auch die Schlüsselszene am Ende und vor allem das Kopfkino dazu. Überhaupt frage ich mich nach dem Lesen von Ellen Bergs Büchern immer, warum die noch nicht verfilmt wurden?!

5 Sterne und meine Leseempfehlung für diesen humorvollen Rücken- und Lebensratgeber.

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