Sieben Sommersprossen
Sommersprossen – Nur zusammen ergeben wir Sinn„Manchmal wäre es leichter, ein Mensch zu sein, wenn es keine anderen Menschen gäbe.“ (S. 121) Allegra knüpft nur schwer Freundschaften. Ihre Mutter hat sie direkt nach der Geburt beim Vater zurückgelassen ...
„Manchmal wäre es leichter, ein Mensch zu sein, wenn es keine anderen Menschen gäbe.“ (S. 121) Allegra knüpft nur schwer Freundschaften. Ihre Mutter hat sie direkt nach der Geburt beim Vater zurückgelassen und ist verschwunden. Der Musikprofessor hat sie überwiegend allein aufgezogen, gilt als verschroben und hat sie seine Sicht der Dinge gelehrt, ihr die Augen für die Kleinigkeiten im Leben und die Wunder der Natur geöffnet. Besonders die Sterne am der Nachthimmel faszinieren sie, denn sie hat zwar die Haare und Hautfarbe ihrer spanischen Mutter geerbt, aber auch die unzähligen Sommersprossen ihres irischen Vaters. Auf ihrem linken Arm bilden sieben von ihnen den perfekten großen Wagen. „Ihre Gegenwart war tröstlich. Ich trug sie wie eine Rüstung.“ (S. 13) Als Kind hat Allegra die Punkte nur mit dem Finger verbunden, dann mit Stiften, später mit spitzen Gegenständen – tiefe Narben bilden jetzt das Abbild des Sternbildes. Wenn sie nervös oder einsam ist oder Kummer hat, zieht sie sie unablässig nach.
Sommersprossen heißen auf englisch Freckles – ihr Spitzname seit der Kindheit. Wenn man es im Deutschen falsch ausspricht, klingt es nach Freak – und genau so fühlt sich Allegra oft. Sie braucht ihre tägliche Routine, das fängt beim immer gleichen Frühstück an und setzt sich auf ihrer Runde fort (sie kontrolliert als Hilfspolizistin die Parkzettel von Autos). Wenn diese Routine gestört wird, verliert sie den Halt und die Kontrolle über ihr Leben.
„Es heißt, jeder Mensch ist eine Mischung der fünf Leute, mit denen er oder sie die meiste Zeit verbringt. Spricht nicht gerade für ihren Umgang, oder? Der hier ihr Kollege ist wohl einer davon. Ich frage mich, wer die anderen vier Versager in Ihrem Leben sind.“ (S. 66) So wird sie eines Tages vom Fahrer des gelben Ferrari beschimpft, der schon wieder keinen Parkschein gezogen hat. Dieser Spruch bringt sie aus dem Takt, denn sie muss feststellen, dass sie nur eine einzige Person benennen kann – ihren Vater. Sie hat in Dublin keine Bekannten, keinen Partner, nur Kollegen und belanglose One-Night-Stands. Oft geht sie mit Hobby-Künstlern ins Bett, denen sie vorher nackt Modell gestanden hat.
Aber Allegra ist kein Freak, sondern auf der Suche nach Antworten, ihren Wurzeln, ihrer Mutter. Warum hat die sie verlassen? War sie nicht gut genug? Nicht liebenswert? Allegra ist extra nach Dublin gezogen, um sie endlich kennenzulernen, traut sich aber nicht, sie auch anzusprechen. Die Frage nach den 5 Leuten macht ihr klar, dass sie ihrem Leben endlich eine neue Richtung und einen Sinn geben muss.
„Sommersprossen“ ist ein sehr leises, berührendes Buch, das traurig macht und zum Nachdenken anregt. Allegra ist keine sympathische, angepasste Protagonistin, dazu ist sie zu ruppig, eckig und kantig und ihr Alkohol- und Männerverschleiß zu bedenklich. Aber ihre Suche nach Halt und die poetische Sprache gehen ans Herz. Besonders ergreifend fand ich die Bilder der Künstler, die ein Spiegel des jeweiligen Zustandes ihrer Seele waren.