Profilbild von hasirasi2

hasirasi2

Lesejury Star
online

hasirasi2 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit hasirasi2 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.06.2024

Macht das Abschiednehmen etwas leichter

Graue Schnauze, großes Herz
0

„Genauso wie es zu Beginn des Hundeleben mindestens zwei bis drei Jahre braucht, bis der Hund voll da ist, sind es am anderen Ende oft zwei bis drei Jahre, in denen er immer weniger wird. Ein Abschied ...

„Genauso wie es zu Beginn des Hundeleben mindestens zwei bis drei Jahre braucht, bis der Hund voll da ist, sind es am anderen Ende oft zwei bis drei Jahre, in denen er immer weniger wird. Ein Abschied in mehreren Akten.“ (S. 179)
Wenn man seinen Hund zum allerersten Mal im besten Fall als Welpen auf den Arm nimmt, denkt man nicht darüber nach, wie er mal endet. Bei unserem Buddy waren bald wir der festen Überzeugung, dass er entweder beim Spielen tot umfällt oder überfahren wird, weil er leider trotz Schleppleine immer wieder abgehauen ist. Anfang Juni diesen Jahres ist er 16 geworden und sein Ende nicht mehr weit. Wie der Beagle der Tierärztin und Autorin Sophie Strodtbeck hat er schon lange überall Tumore, inzwischen breiten sie sich von der Milz in Richtung Lunge aus. Und wie sie haben wir ihm und uns versprochen, dass er gehen darf, bevor er nicht mehr gehen kann – aber noch läuft er, wenn er inzwischen auch 25 min pro Kilometer braucht. Doch noch rennt er die letzten 200 m bis zum Fressnapf (dem Laden) wie ein junger Gott. Und auch seinen Lieblingseisalden, den es erst seit einem Jahr gibt, findet er trotz Demenz problemlos.

Als mir „Graue Schnauze, großes Herz“ letztes Jahr im Herbst auf der Buchmesse ans Herz gelegt wurde, war mir noch nicht klar, wie nah mir das Thema jetzt gehen würde. Inzwischen fühle ich sehr mit Sophie Strodtbeck und Michael Frey Dodillet mit. Sie haben (hatten) auch beide alte Hunde und kennen das Drama, wenn die lieben Kleinen immer sturer und langlebiger werden – unser Hund liegt lt. Tierarzt seit über einem Jahr im Sterben, allein seit April ist er dem Tod schon dreimal von der Schippe gesprungen.

Nach dem Lesen weiß ich, ich hätte das Buch schon vor 2 Jahren gebraucht, aber zum Glück haben wir vieles intuitiv richtig gemacht. Mit viel Humor und Kompetenz erzählen die beiden AutorInnen von ihren „Problemhunden“ und deren Älterwerden. Wie geh man z.B. mit der nächtlichen Unruhe, veränderten Fressgewohnheiten (Wir haben momentan 4 verschiedene Sorten Futter auf Vorrat und testen jeden Tag, was gerade genehm ist.), Erblinden und anderen Alterserscheinungen um? Wie lange bzw. oft lässt man den Tierarzt noch eingreifen, wenn es auf Kippe steht? All das erzählen sie mit viel Humor am Beispiel ihrer eigenen Tiere, bei denen ich mir mehr als einmal gesagt habe, dass Buddy zum Glück nicht ganz so schlimm war. Vielleicht sehe ich das inzwischen aber auch nur schon zu verklärt.

Am Ende schließt man das Buch mit einem lachenden und einem weinenden Auge und fühlt sich etwa besser auf das Abschiednehmen vorbereitet.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.06.2024

Wiederbelebung

Forgotten Garden
0

Luisa ist erst 36, hat sich aber nach dem frühen Tod ihres Mannes zurückgezogen und arbeitet nicht mehr als Landschaftsarchitektin, weil sie das zu sehr an ihn erinnert. Da ruft der Patenonkel ihres Mannes ...

Luisa ist erst 36, hat sich aber nach dem frühen Tod ihres Mannes zurückgezogen und arbeitet nicht mehr als Landschaftsarchitektin, weil sie das zu sehr an ihn erinnert. Da ruft der Patenonkel ihres Mannes an. Er hat in Collaton an der Küste Land gekauft, das er einem Wohltätigkeitsprojekt spenden will. Sie wollten damals doch einen Gemeinschaftsgarten anlegen, jetzt könnte sie das Projekt verwirklichen.
Obwohl sie schon nein gesagt hat, sieht Luisa es sich trotzdem an. Der Ort wirkt vernachlässigt, viele Geschäfte und Häuser stehen leer. Das Gelände für den zukünftigen Gemeinschaftsgarten ist komplett verwildert. Doch es hat Potential. Dann lernt sie Cas kennen, einen örtlichen Lehrer, der direkt nebenan einen Boxclub für Kinder aus schwierigen familiären Verhältnissen betreibt. Er findet die Idee toll, die Brache wiederzubeleben. Doch außer Harper, die gemeinnützige Arbeit leisten muss, hilft am Anfang niemand Luise. Erst nach und nach kommen immer mehr Bewohner und bringen ihre speziellen Fertigkeiten ein. Aus Einzelgängern wird wieder eine lebendige Gemeinschaft. Der Garten und die Einwohner blühen auf, Luisas Projekt trägt Früchte. „…Harper … hatte unversehens den Gedanken, dass Pflanzen die Welt verändern könnten.“ (S. 285)

„Forgotten Garden“ von Sharon Gosling erzählt genau wie ihre vorherigen Bücher eine sehr bewegende Geschichte.

Luisa hat sich abgeschottet und den Tod ihres Mannes nie überwunden. Sie will sich nicht wieder verlieben, um den Schmerz des Verlustes nicht noch einmal erleben zu müssen. Doch sie findet die Situation in Collaton erschreckend und erkennt sich in der Verlorenheit der Jugendlichen wieder. Und sie hofft, mit ihrem Projekt etwas bewegen zu können – doch dafür muss sie die Menschen von ihren Vorstellungen und Visionen überzeugen. Ihre ersten Unterstützer sind Cas` Schüler, denen es egal ist, ob sie sich am Boxsack oder dem Unkraut abreagieren.
Neben ihrer Muskelkraft bringen die Jugendlichen auch besondere Kenntnisse und Begabungen ein. Harper, die seit Jahren für ihren jüngeren Bruder sorgt, interessiert sich vor allem für das Problem der Klimaveränderung und Bewässerung, und Mo kennt sich mit Social Media aus. Aber der Gemeinschaftsgarten hat auch Gegner.

Der gesellschaftskritische Hintergrund hat mir sehr gut gefallen. Da sind zum einen die Jugendlichen, deren Eltern schon lange jegliche Hoffnung verloren haben und die ihre Kinder sich selbst überlassen. Seit die Fabrik vor Jahren (oder Jahrzehnten?) stillgelegt wurde, interessieren sie sich für nichts mehr. Doch die Jugend will dem Elend entkommen. Harper z.B. fiebert dem Tag ihrer Volljährigkeit entgegen, damit sie Collaton endlich zusammen mit ihrem kleinen Bruder verlassen und sich woanders eine echte Zukunft aufbauen kann.
Sharon Gosling zeigt auch, was Umweltbewusstsein bewirken kann, dass wir neuen Idee gegenüber aufgeschlossen sein sollten und dass wir von den nachfolgenden Generationen lernen können (und müssen) und was man zusammen alles erreichen kann. „… so habe ich gelernt, wie widerstandsfähig eine Gemeinschaft sein kann.“ (S. 391)

Mein Tipp für Fans von John Ironmongers „Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen“.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.06.2024

Der Retter der verlorenen Jungen

Promise Boys - Drei Schüler. Drei Motive. Ein Mord.
0

„… einige Leute haben nicht begriffen, dass wir Männer formen wollten, und nicht kleine Jungs verhätscheln.“ (S. 28)
Die Urban Promise Prep Scholl ist eine reine Jungenschule, die benachteiligte bzw. „schwierige“ ...

„… einige Leute haben nicht begriffen, dass wir Männer formen wollten, und nicht kleine Jungs verhätscheln.“ (S. 28)
Die Urban Promise Prep Scholl ist eine reine Jungenschule, die benachteiligte bzw. „schwierige“ Jugendliche auf Kurs bringen und den Besuch des Colleges vorbereiten soll. Und sie scheint wirklich erfolgreich zu sein. Die Zahl derer, die es nicht auf eine weiterführende Schule schaffen, ist verschwindend gering. Um so größer ist der Schock, als Direktor Kenneth Moore eines Tages nach dem Unterricht erschossen wird. Die Verdächtigen sind drei Schüler, die an diesem Tag nachsitzen mussten: J.B., der extrem schlau ist, Trey, einer der besten Basketballspieler der Schule, und Ramón, der sehr gut kochen kann und von einem eigenen Restaurant träumt. Sie alle sind keine typischen Nachsitzer und an dem Tag wirklich wütend auf Moore – aber auch wütend genug, um abzudrücken?

„Promise Boys“ ist ein sehr spannender Jugendkrimi, auch wenn der Erzählstil etwas gewöhnungsbedürftig ist. Ich vermute, dass sich der Autor am Konsumverhalten der TikTok-Generation orientiert hat und darum immer wieder Sprüngen und Wechsel zwischen den Erzählenden in die zum Teil sehr kurzen Kapitel einbaut, um die jungen Leser bei der Stange zu halten.
Das Setting aber ist großartig. Die Promise ist ein Vorzeigeprojekt, dass sich u.a. durch Spenden finanziert und mit den Erfolgen seiner Schüler wirbt. Allerdings erreichen Moore und die Lehrer das nicht durch besonders ausgeklügelte Lehrmethoden, sondern durch militärischen Drill und absolutem Gehorsam. Nach außen spielt man sich als Retter der Jungen auf, in Wirklichkeit werden sie mit unnachgiebiger Härte und Strenge erzogen und dabei oft gebrochen. „Nicht auffallen, gute Noten schreiben und dafür aufs College kommen, weit weg von hier.“ (S. 45) Sie dürfen nicht miteinander reden oder lachen und müssen immer im Gänsemarsch auf einer blauen Linie hintereinandergehen, alle im genau gleichen Takt. Ihre Uniform hat perfekt zu sein, nirgendwo ein Schmutzfleck, eine verrutschte Naht oder fehlende Krawatten, Schuhe, in denen man sich spiegeln kann. Außerdem werden schlechte Schüler vor dem Abschluss einfach weggelobt, um die Zahlen zu beschönigen.

Nick Brooks erzählt die Handlung abwechselnd aus der Sicht der Verdächtigen, ihrer Familien und Freunde. Die drei wurden nach der Befragung durch die Polizei von der Schule suspendiert, haben Hausarrest und drehen fast durch, denn sie wissen, dass sie es nicht waren. Aber vielleicht einer der anderen beiden? Unabhängig voneinander stellen sie erste Ermittlungen an, kommen aber erst weiter, als sie sich endlich zusammenschließen. Doch das gegenseitige Vertrauen fällt den Außenseitern schwer – was, wenn der Täter doch unter ihnen ist und für seine Zwecke benutzt!?

Mich konnte der Täter am Ende überraschen – Euch auch?!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 13.06.2024

Ein denkwürdiger Abend

So ist das nie passiert
0

Vor 22 Jahren ist Willas jüngere Schwester Laika verschwunden und trotz sofortiger großangelegter Suche der Polizei nie gefunden worden. Zuerst ging man von einer Entführung aus, dann von einem Verbrechen, ...

Vor 22 Jahren ist Willas jüngere Schwester Laika verschwunden und trotz sofortiger großangelegter Suche der Polizei nie gefunden worden. Zuerst ging man von einer Entführung aus, dann von einem Verbrechen, obwohl es keine Hinweise darauf gab. Seit 22 Jahren dreht sich Willas Leben um die Suche nach ihr, schon unzählige Male hat sie sich eingebildet, Laika zu sehen, doch sie war es nie. Während ihr Vater erschreckend kühl und rational damit umgeht, ist ihre Mutter daran zerbrochen.
Als ihre Freundin Robyn sie jetzt zu einem Abendessen einlädt lernt sie dort zwei Frauen kennen, die vom Aussehen und Alter her beide Laika sein könnten. Eine von ihnen, Liv, ist Psychologin und macht ihr mit einer Übung klar, wie sich Erinnerungen im Laufe der Zeit verändern: „Es ist tatsächlich erstaunlich, wie leicht das menschliche Gehirn getäuscht und dazu gebracht werden kann, sich an etwas zu erinnern, dass nie passiert ist.“ (S. 38)

„So ist das nie passiert“ erinnert an ein Sternfahrt, alle Handlungsstränge und Geschichten beginnen und enden mit dem Essen der Freunde und wird überwiegend aus Robyns und Willas Sicht erzählt.
Robyn hat Willa direkt nach Laikas Verschwinden kennengelernt, weil Willa „danach“ auf eine andere Schule geschickt wurde, um Abstand zu gewinnen und von der Presse ferngehaltem zu werden. Sie teilten sich ein Zimmer, wurden Freundinnen und Partnerinnen, aber mit dem Schulabschluss hat Willa die Beziehung beendet – sie stehe eigentlich gar nicht auf Frauen. Trotzdem sind sie Freundinnen geblieben. Robyn erinnert sich u.a. an den Sommer, den sie zusammen bei ihren Eltern verbracht haben und indem ihr Vater, ein berühmter Tonkünstler, ihnen Kintsugi näher gebracht hat. „Man kann alles heil machen, so lange man das richtige Werkzeug hat.“ (S. 19) Aber Willa kann auch er nicht heilen, denn obwohl sie viel aus der Zeit vor Laikas Verschwinden erzählt, hält sie noch mehr – oder hat es verdrängt.
Wenn sich Willa an die Zeit vor Laikas Verschwinden erinnert, dann sieht sie eine glückliche Familie, in der es an nichts mangelte. Aber Livs Worte über Erinnerungen geben ihr zu denken. Sie gesteht sich immer mehr ein, wie es wirklich war und warum sie sich auch so viele Jahre nach Laikas Verschwinden noch die Schuld daran gibt: „… ich war so damit beschäftigt, sie vor sich selbst zu schützen, dass ich vergaß, sie vor der Außenwelt zu warnen. Ich hätte ihr sagen sollen, dass es da draußen Menschen gab, Männer, sogar Frauen, die ihr etwas antun konnten.“ (S. 73)

Sarah Easter Collins Roman ist eine psychologisch komplexe, extrem spannende Familiengeschichte. Sie dreht sich um Willas und Laikas Kindheit und Jugend, um Willas verdrängte oder beschönigte Erinnerungen und hat mich sehr berührt. Willa scheint nämlich zu vergessen, dass sie damals beide noch Kinder bzw. Teenager waren und sie gar nicht so viel hätten machen können. Eine aufwühlende Geschichte, die zum Nachdenken anregt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.06.2024

Einfach mal raus

Das Glück liegt am Strand
0

Liv ist gern Intensivkrankenschwester, aber langsam wird ihr alles zu viel. Sie muss oft Überstunden machen und für Kollegen einspringen, eine ältere Lieblingspatientin stirbt, eine ehemalige Mitschülerin ...

Liv ist gern Intensivkrankenschwester, aber langsam wird ihr alles zu viel. Sie muss oft Überstunden machen und für Kollegen einspringen, eine ältere Lieblingspatientin stirbt, eine ehemalige Mitschülerin landet auf ihrer Station und überlebt nur knapp. Dann quartiert sich auch noch ihre Mutter bei ihr ein, weil sie ihren Partner verlässt und von Teneriffa zurück nach Deutschland zieht. Liv muss einfach mal raus. Also lässt sie die geplante Weiterbildung sausen und besucht stattdessen ihre Schwester Jo(hanna) auf Norderney.

„Es ist nie zu spät, wiederzukommen.“ (S. 52)
Liv und Jo haben früher ihre Herbstferien mit Oma und Opa auf der Insel verbracht und viele schöne Erinnerungen daran, darum hat sich Jo dort auch mit einem kleinen Inselcafé selbstständig gemacht. Leider sind die Schwestern sehr verschieden und es kommt schnell zum Streit. Liv fühlt sich übergangen, weil Jo nur von ihren Problemen erzählt und nach ihrer Mutter fragt, sich aber nicht für Liv zu interessieren scheint. Außerdem nutzt sie das seltene, handbemalte Porzellan ihrer Oma, das immer nur in der Vitrine stand, im Café. Doch als Jo Liv gesteht, dass sie geschäftliche Probleme hat, raufen sie sich zusammen und nehmen an einer geheimnisvollen Schatzsuche teil, um das Café zu retten. Und dann lernt Liv auch noch Keno kennen, der längst vergessen geglaubte Gefühle in ihr weckt …

Liv steht kurz vor einem Burnout und will auf der Insel zur Ruhe kommen, aber sie steht sich wie oft selbst im Weg. Sie grübelt und kann nicht loslassen, will (schon von Berufs wegen) keine Fehler machen und nimmt sich viel zu wenig Zeit für sich.
Jo ist viel offener und mutiger, dafür verdrängt sie Probleme gern und hofft, dass die sich von alleine lösen. Sie hat viele Freunde, die ihr gern helfen, traut sich aber nicht, ihre Familie um (monetäre) Hilfe zu bitten, weil es wie ein Eingeständnis des Scheiterns klingen könnte.

Ich liebe die Bücher von Christin-Marie Below, weil ich in ihnen sofort ankomme und mich wohlfühle und sie ohne die typischen, vorhersehbaren Wendungen und Happy Ends auskommt.

„Das Glück liegt am Strand“ ist eine wunderschöne Geschichte über zwei Schwestern, die sich (wieder) zusammenraufen, mit zarten Liebesgefühlen, dem Hauch von Neuanfang in der Luft und ganz viel Norderney-Feeling. Dazu liegt über allem das Rauschen des Meeres und der Duft von Salz (und Kuchen).

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere