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Veröffentlicht am 09.06.2020

Ein Wettlauf gegen die Zeit

Die verlorene Frau
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1960: Die 13jährige Rebecca ruft mitten in der Nacht die Polizei an – ihre Eltern liegen beide tot im Wohnzimmer, sie selber ist blutverschmiert. Rebecca erzählt dem zuständigen Polizisten mehrfach, dass ...

1960: Die 13jährige Rebecca ruft mitten in der Nacht die Polizei an – ihre Eltern liegen beide tot im Wohnzimmer, sie selber ist blutverschmiert. Rebecca erzählt dem zuständigen Polizisten mehrfach, dass sie vor dem Schuss ein Klopfen an der Haustür und eine dritte Stimme gehört hat, aber es finden sich keine weiteren Hinweise auf diese Person. Da ihr Vater gewalttätig war und ihre Mutter die Polizei schon oft erfolglos um Hilfe gebeten hatte, geht man von einem eskalierten Streit aus.

2014: Jessie liegt zwei Tage in den Wehen, bis sie ihre Tochter Elizabeth endlich entbinden kann. Als Folge davon ist Jessie sehr geschwächt und leidet an einer Psychose. Ihre Tochter hat eine Infektion und braucht dringend Medikamente. Trotzdem verschwinden Mutter und Kind am nächsten Tag unbemerkt aus dem Krankenhaus. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Wenn Elizabeth nicht in spätestens 12 Stunden die nächste Infusion bekommt, wird sie nicht überleben.

Die Journalistin Iris wird auf den Fall angesetzt. Was ihr Chef nicht weiß – sie ist Jessies Halbschwester und beide sind Rebeccas Töchter. Iris merkt sofort, dass sich Rebeccas Geschichte zu widerholen scheint. Auch die hatte nach Jessis Geburt eine Wochenbettdepression. Alles scheint mit dem Mord an ihren Eltern vor über 50 Jahren zusammenzuhängen und nur wenn Rebecca endlich alles erzählt, was damals passiert ist, können sie Jessie hoffentlich rechtzeitig finden.

Wie schon in „Das Haus der Verlassenen“ hat Autorin Emily Gunnis auch hier wieder ein dunkles Stück englischer Geschichte geschickt mit einer fiktiven Handlung verbunden. Es um traumatisierte Kriegsheimkehrer, Gewalt in der Familie und darum, wie wenig Rechte Frauen noch in den 60er Jahren hatten, und um Wochenbettdepressionen und die verschiedenen Behandlungsmethoden damals und heute.

Mit viel Tempo und Spannung zieht sie alle Beteiligten und auch den Leser in einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Was ist damals wirklich passiert und warum? Was ist in der Zwischenzeit geschehen und wie hängen die verschiedenen Personen und Erlebnisse zusammen und vor allem – können Jessie und Elizabeth gerettet werden?
Die Geschichte wird über mehrere Zeitstränge und aus der Sicht der verschiedenen Beteiligten erzählt, zusätzlich gibt es alte Tagebuchauszüge. Damit konnte ich mich jederzeit in die Protagonisten und Situationen einfühlen und mitleiden oder mitfiebern. Und obwohl ich mir schon beim Lesen einige Zusammenhänge zusammenreimen konnte, hat Emily Gunnis auch für Überraschungsmomente gesorgt.

Kurzum: Eine sehr spannende, tragische und trotzdem hoffnungsvolle Geschichte über Familie, Freundschaft und Vertrauen, Wahrheit und Lüge, Schuld und dunkle Geheimnisse. 5 Sterne und meine Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 07.06.2020

Wenn sich Geschichte wiederholt

Die Henkerstochter und der Fluch der Pest (Die Henkerstochter-Saga 8)
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„Der … schwarze Reiter kommt in die Stadt … Er holt die Sünder, einen nach dem anderen … gib acht auf seine Pfeife!“ (S. 105) sind die letzten Worte, welche der Kaufbeurener Henker Conrad Näher Jakob Kuisl ...

„Der … schwarze Reiter kommt in die Stadt … Er holt die Sünder, einen nach dem anderen … gib acht auf seine Pfeife!“ (S. 105) sind die letzten Worte, welche der Kaufbeurener Henker Conrad Näher Jakob Kuisl zuflüstert, bevor er zusammenbricht und kurz darauf an der Pest stirbt. Dabei feiern die Kuisls gerade ein großes Wiedersehen, Magdalena und Barbara sind mit ihren Familien aus München nach Schongau gekommen, weil Magdalenas zweiter Sohn Paul – ihr Sorgenkind – beim Großvater in die Lehre gehen soll. Nur sein großer Bruder Peter fehlt noch. Der musste den zukünftigen Kurfürst Max Emanuel trotz der Pestepidemie nach Wien begleiten, soll aber jeden Tag in Kaufbeuren eintreffen. Als Peter auch Tage später immer nicht angekommen ist, machen sich Jakob Kuisl, Magdalena und Simon auf die Suche nach ihm. Dabei stolpern über weitere ungewöhnliche Pestopfer – irgendetwas stimmt da nicht. Es sind immer nur einzelne Personen, die Krankheit verläuft untypisch. Nutzt eventuell ein perfider Mörder die Pestwelle, um unauffällig zu töten?

Der achte Band der Saga um die Henkersfamilie Kuisl von Oliver Pötzsch ist aktueller denn je. Während wir heute gegen Corona kämpfen, ängstigen sich seine Protagonisten vor der Pest. Die letzte Welle ist gerade mal 50 Jahre her und es gibt Überlebende, die sich mit Grauen daran erinnern. Genau wie heute gibt es abgeriegelte Städte, Menschen werden isoliert, Feste abgesagt. Und es gibt Ungläubige, welche die Situation ignorieren, negieren oder schamlos ausnutzen. Die Menschen suchen ihr Heil im Glauben und obskuren Heilmethoden, nur wenige schwören auf Sauberkeit und Hygiene. Dazu gehören die Kuisls, allen voran Magdalenas Mann Simon. Er ist Arzt und wird vom Kaufbeurener Stadtrat damit beauftragt, eine Ausweitung der Pest zu vermeiden – man will das in wenigen Tagen stattfindende Tänzelfest auf keinen Fall absagen, auch nicht nach weiteren Todesfällen ...

Was als gemeinsame Suche von Magdalena, Simon und Kuisl nach der Ursache der Pesterkrankungen beginnt, wird schon bald zu einem Wettlauf gegeneinander und gegen die Zeit. Sie scheinen es mit einem mächtigen Gegner zu tun zu haben und geraten selbst in Lebensgefahr.
Innerhalb des Familienverbandes gibt es viele Spannungen. Magdalena fühlt sich seit langem von Simon vernachlässigt, der anscheinend nur noch für seine Arbeit lebt, ihr Sohn Paul macht ihnen große Sorgen. Er neigt seit frühester Kindheit zu Brutalität und will – wie Magdalenas Bruder Georg – die Henkerstradition der Familie fortführen. Georg ist seit Jahren Kuisls Geselle und wartet darauf, dass der Vater ihm endlich wie versprochen das Amt als Henker übergibt.

Oliver Pötzsch schreibt unglaublich spannend und mitreißend. Er lockt mit diversen Spuren, Verdächtigen und Verschwörungstheorien. Außerdem spickt er die Handlung mit vielen historischen und medizinischen Details. Besonders gefallen haben mir die immer wieder versteckt oder offen auftauchenden Hinweise zum Rattenfänger von Hameln und die Überlegungen, inwieweit man damals schon die Pest als biologische Waffe genutzt hat.

5 Sterne und meine Leseempfehlung nicht nur für Histo-Fans.

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Veröffentlicht am 04.06.2020

Brote wie von früher

Bäuerinnen, Brot und Sehnsucht
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Ich backe schon seit mehreren Jahren Brot, meist auf der Basis von Sauerteig, aber auch mit Hefe. Mein Sauerteig heißt übrigens Herrmann - wie der Kuchen früher - und ich habe festgestellt, dass er mit ...

Ich backe schon seit mehreren Jahren Brot, meist auf der Basis von Sauerteig, aber auch mit Hefe. Mein Sauerteig heißt übrigens Herrmann - wie der Kuchen früher - und ich habe festgestellt, dass er mit dem Alter immer besser wird. Da ich immer auf der Suche nach neuen Rezepten bin, habe ich mich sehr gefreut, dass ich im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks „Bäuerinnen, Brot und Sehnsucht“ von Elisabeth Ruckser testen durfte.

Die Autorin stellt 9 Bäckerinnen (eigentlich sogar 12, denn zu einem Hof gehören 3 Frauen) und ihre wirklich vielfältigen Rezepte vor. Die Frauen haben sich alle auf etwas spezialisiert, backen z.B. noch nach uralten Familienrezepten und in alten Öfen, verwenden nur eigenes Getreide oder wilde Kräuter. Ich fand es sehr spannend und interessant, diese Geschichten zu lesen.

Nach einer Einführung zu Mehlsorten, Anstellgut, Gewürzen, Vor- und Zubereitung und das richtige Backen – bei der auch ich „alter Hase“ noch Neues lernen konnte – werden die Bäuerinnen kurz vorgestellt, bevor zu jeder ein eigenes Kapitel mit den jeweiligen Rezepten kommt.

Inzwischen habe ich schon einige Rezepte probiert, habe mich endlich auch mal an Brote mit Quell- und Kochstücken getraut und bin begeistert, wie einfach die eigentlich sind und wie gut sie funktionieren. Besonders gut geschmeckt haben uns das Karotte-Walnuss-Brot und Margits Bauernbrot. Außerdem habe ich zum ersten Mal Roggenbrötchen gebacken, die aussahen und geschmeckt haben wie von unserem Lieblingsbäcker.

Die Rezepte haben verschieden Schwierigkeitsstufen und sind sehr verständlich mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen beschrieben, so dass sie auch ein Anfänger nachbacken kann.

Uns hat das Buch überzeugt. Es bietet das passende Backwerk für jeden Geschmack und jede Gelegenheit und ich werde es weiter regelmäßig nutzen.

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Veröffentlicht am 03.06.2020

Agathe kann`s nicht lassen

Ein Mordsgeschenk für Agathe
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Was schenkt man eine 90jährigen am besten zum Geburtstag? Das hat sich auch Familie Christiansen gefragt und für die begeisterten Krimileserin und Kreuzworträtsellöserin kurzerhand selbst ein Krimiwochenende ...

Was schenkt man eine 90jährigen am besten zum Geburtstag? Das hat sich auch Familie Christiansen gefragt und für die begeisterten Krimileserin und Kreuzworträtsellöserin kurzerhand selbst ein Krimiwochenende auf einer Ostseeinsel organisiert. Vielleicht hätten sie das aber doch lieber einem Profi überlassen sollen, denn ihr Plan verselbständigt sich bald, die (viel zu vielen) Eingeweihten verstricken sich in Widersprüche und die Situation eskaliert. „Fehler sind was für Anfänger, Könner produzieren Katastrophen.“ (S. 148)

Mit viel Humor erzählt Hanna Reed, wie der geplante „harmonische Familienurlaub“ langsam jeder Kontrolle entgleitet. Nicht nur, dass Agathe anders reagiert und handelt, als ihre Familie es erwartet hätte, den schönen Plan damit ad absurdum führt und ihnen das Leben schwer macht, nach und nach kommen auch noch diverse langgehütete Geheimnisse ans Licht. Außerdem wird ordentlich gezankt und sich sogar geprügelt – wie es bei solchen Feiern eben gern mal passiert.

Die Autorin schreibt sehr unterhaltsam und kurzweilig und die Dynamik innerhalb der Gruppe funktioniert toll. Die Gegenstücke ihrer Protagonisten meint man zum Teil aus der eigenen Familie zu kennen. Da gibt es z.B. den ewigen Single, der dazu verdonnert wird, sich um die immer noch sehr rüstige Agathe zu kümmern, und die vorlauten, mit allen Wassern gewaschenen Urenkel, welche die Situation ihrer kopflosen Eltern schamlos ausnutzen. Mein Highlight aber war der Bombenentschärfer, den nur die eigene Mutter zur Explosion bringt.

Mit 186 Seiten ist das Büchlein perfekt für einen gemütlichen und spannenden Tag am Strand oder um sich einen Sonntag lang auf eine Ostseeinsel zu träumen.

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Veröffentlicht am 01.06.2020

Starker Auftakt

Fräulein Gold: Schatten und Licht
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Berlin 1922: Hulda Gold ist schon 26, unverheiratet und Hebamme im Bülowbogen im Stadtteil Schöneberg. Eine ihrer Schwangeren sorgt sich, weil ihre Nachbarin Rita (eine Säuferin und Hure) tot im Landwehrkanal ...

Berlin 1922: Hulda Gold ist schon 26, unverheiratet und Hebamme im Bülowbogen im Stadtteil Schöneberg. Eine ihrer Schwangeren sorgt sich, weil ihre Nachbarin Rita (eine Säuferin und Hure) tot im Landwehrkanal gefunden wurde für die Polizei schon feststeht, dass es Selbstmord war. Hulda wiegelt ab, aber als sie den zuständigen Kriminalkommissar Karl North kennenlernt und hat sie auch das Gefühl, dass der in dem Fall gar nicht ermitteln will. Als sie erfährt, dass Rita Streit mit ihrem Zuhälter und ihm mit seiner Vergangenheit gedroht hatte, begibt sie sich selber in die Berliner Unterwelt und damit in Gefahr …

„Fräulein Gold: Schatten und Licht“ ist der Auftakt der Trilogie um die Hebamme Hulda Gold und den Kriminalkommissar Karl North und hat mich von Beginn an gefesselt. Es ist eine Symbiose der Hebammensaga von Linda Winterberg und der Gereon-Rath-Reihe von Volker Kutscher. Man erfährt viel über die Arbeitsweise der Hebammen, bekommt man einen guten Einblick in die Polizeiarbeit, die politischen Entwicklungen und das Erstarken der Nationalsozialisten.
Autorin Anne Stern lässt das Berlin der 20er Jahre lebendig werden. Sie zeigt einerseits die Wunden, die der Krieg in die Stadt und ihre Bevölkerung gerissen hat, den täglichen Kampf ums Überleben, Frauen, die arbeiten gehen oder sich prostituieren müssen, hungernde Waisenkinder und andererseits das wilde Nachtleben mit Jazz, Alkohol, Koks und schnellen Sex mit Fremden – die vielen Varianten, wenigstens kurz den Krieg, Alltag, Hunger und die Sehnsüchte zu vergessen. Die Zeit ist schnelllebig und gefährlich. „Berlin war ein einziger Reigen aus Vergnügungen, Champagner und Zügellosigkeit, aus irrlichterndem Glitzern, Drogen, körperlicher Liebe, so viel man wollte. Doch am Ende bezahlte man immer dafür.“ (S. 317)

Anne Sterns Protagonisten haben Ecken und Kanten, eine Vergangenheit.
Rita hat in einem Irrenhaus vor den Toren Berlins gearbeitet. Lange war sie überzeugt, dass die Ärzte den Patienten mit den zum Teil sehr ungewöhnlichen Behandlungsmethoden helfen wollen, aber der Krieg und der Umgang mit den Versehrten und Kriegszitterern hat ihr die Augen geöffnet.
Hilda ist mutig, dabei manchmal etwas leichtsinnig, hilfsbereit, durchsetzungsfähig und lässt sich nichts verbieten. Sie liebt ihre Arbeit und ist trotzdem oft unzufrieden, weil gern mehr für ihre Patientinnen tun würde, aber nicht darf. „Ich kann schlecht wegsehen, bin mit meinen Gefühlen immer gleich dabei. Vielleicht hoffe ich, dass ich mich dadurch selbst erlösen kann.“ (S. 197) Sie hat eine gescheiterte Beziehung hinter sich, kann den Mann aber immer noch nicht loslassen. Außerdem quälen sie nächtliche Albträume – ihre Mutter war psychisch krank und sie hat Angst, wie sie zu werden.
Karl ist ein Einzelgänger und hat Angst, dass jemand von seiner Herkunft erfährt, darum lässt er erst niemanden an sich heran. Er wird die Dämonen seiner grausamen Kindheit im Waisenhaus nicht los. Die Frage, warum seine Mutter ihn weggeben hat, ihn nicht lieben konnte, beschäftigt ihn sehr, er fühlt sich in seinem Leben fremd. „Er würde sich, egal wie hoch er die Karriereleiter noch emporsteigen würde, doch immer wie der kleine Waisenjunge fühlen, während sein Assistent schon jetzt so selbstverständlich auftrat, als gehöre ihm die ganze Welt.“ (S. 171) In Ritas Wohnung entdeckt er etwas, was ihn erschrickt und vielleicht seiner Herkunft näherbringen könnte – aber will er es wirklich wissen?

Hulda und Karl geraten bei der Aufklärung des Falls immer wieder aneinander. Sie hält ihn für unfähig und bequem, er sie für vorlaut, zickig und streitsüchtig. Und obwohl sie ihre Nachforschungen getrennt anstellen, kommen sie letztendlich zum gleichen Ergebnis. Zudem finden sie sich, geben das aber natürlich nicht zu.

Anne Stern schreibt sehr spannend, farbenprächtig, mitreißend – einfach grandios. Ich bin begeistert und will unbedingt wissen, wie es mit Hulda und Karl weitergeht, welche Fälle sie in Zukunft aufklären werden.

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