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Veröffentlicht am 11.03.2020

Mit Achtung und Würde

Das Beste kommt noch
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…. erledigt Andrew seine Arbeit als Nachlassinspektor. Er ist dafür zuständig, die Familien einsam Verstorbener ausfindig zu machen und, wenn er keine Angehörigen ermitteln kann, die Beerdigung zu organisieren. ...

…. erledigt Andrew seine Arbeit als Nachlassinspektor. Er ist dafür zuständig, die Familien einsam Verstorbener ausfindig zu machen und, wenn er keine Angehörigen ermitteln kann, die Beerdigung zu organisieren. 25 Begräbnisse waren es im Vorjahr und an jeder hat er teilgenommen, oft als einziger neben dem Pfarrer: „... die Vorstellung, dass am Ende niemand bei diesen Verstorbenen war, der bezeugte, dass die Menschen gewesen waren, die gelitten und geliebt hatten - diese Vorstellung konnte Andrew einfach nicht ertragen.“ (S. 91)
Über sein Privatleben denken seine Kollegen, dass er in einem Stadthaus lebt, seine Frau Diane Anwältin ist und die beiden Kinder kaum Probleme machen. In Wahrheit lebt Andrew in einem winzigen, heruntergekommenen 1-Zimmer-Appartement, dessen Boden komplett von einer Modelleisenbahn belegt ist. Seine ganze Freizeit und den größten Teil seines Gehaltes opfert er dafür, seine einzigen Freunde sind die Mitglieder des Modellbahn-Forums im Internet.
Erst als ihm Peggy, eine neue Kollegin, zugeteilt wird, beginnt er an seinem Lebensentwurf zu zweifeln. Peggy holt ihn aus seinem Schneckenhaus und bringt Farbe und Aufregung in sein Leben, tut ihm richtig gut. Er mag sie immer mehr, aber sie ist verheiratet und denkt das gleiche von ihm. Er muss etwas ändern, denn: „Wenn er diese Lüge weiterhin aufrechterhielt, würde das ein einsamer Tod sein.“ (S. 165)

Andrew ist ein sehr genügsamer, einfacher und vor allem einsamer Mensch. Seine Eltern sind relativ früh verstorben und seine ältere Schwester ist lange durch die Welt gereist. Jetzt meldet sie sich einmal im Vierteljahr bei ihm, gesehen haben sie sich vor 7 Jahren das letzte Mal. Sein Leben klingt trostlos, aber meist empfindet er es nicht so, denn er hat sich gut mit seinen Schwindeleien eingerichtet. Aber dann passiert etwas und das Lügengebäude droht einzustürzen.

Andrew wirkt oft altmodisch und wie aus der Zeit gefallen. Er hat kein Smartphone und nur einen uralten Computer, am liebsten hört er alte Ella-Fitzgerald-Schallplatten. Zudem hat er sich schon ewig keine neuen Klamotten mehr gekauft – inzwischen sind seine alten schon wieder in. Ich mochte ihn auf Anhieb und hatte oft Mitleid mit ihm, habe ihn aber auch für seinen Job bewundert, den ich nicht machen könnte. Die Wohnungen der Verstorbenen sind oft zugemüllt, die Toten werden zum Teil erst nach Monaten gefunden, entsprechend riecht es dann auch.

Richard Roper hat ein sehr gefühlvolles und nachdenklich machendes Debüt geschaffen. Beim Lesen stellt man sich die Frage, wie und mit wem man leben will, und vor allem, wie sterben. Einsam auf keinen Fall.
Das erste Drittel und das Ende des Buches haben mir besonders gut gefallen, dazwischen gab es für meine Begriffe ein paar kleine Ungereimtheiten, die meinen Lesefluss etwas gestört haben.
Der Autor hat einen feinen Humor und beschreibt seine Protagonisten sehr liebevoll, sie sind trotz ihrer kleinen Schwächen sympathisch. Die sich langsam entwickelnde Verbindung zwischen Peggy und Andrew habe ich gern begleitet.

Mein Tipp für alle, die emotionale Bücher mögen, welche zum Nachdenken anregen.

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Veröffentlicht am 10.03.2020

Zwei Väter, zwei Gins

Der Gin des Lebens
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Ausgerechnet in dem Moment, als Bene seiner Langzeitfreundin Annika einen Antrag machen will, beendet diese die Beziehung. Aus Frust öffnet er die Flasche selbstgebrannten Gin, die ihm sein Vater kurz ...

Ausgerechnet in dem Moment, als Bene seiner Langzeitfreundin Annika einen Antrag machen will, beendet diese die Beziehung. Aus Frust öffnet er die Flasche selbstgebrannten Gin, die ihm sein Vater kurz vor seinem Tod geschenkt hatte. Er merkt sofort, dass das ein ganz besonderes Tröpfchen ist. „… die Aromen breiteten sich in all ihrer Komplexität aus. Wie ein feingesponnenes Tuch, das sich warm und beruhigend auf dem Gaumen entfaltete. … Zitronen und Orangen konnte er schmecken, wie frisch gepflückt, dazu ein Strauß mit Kräutern … Und noch etwas war in diesem Gin: Leidenschaft, ja Liebe.“ (S. 28) Auch sein bester Kumpel und ein Barkeeper sind begeistert und schlagen vor, mit dem Gin in Serienproduktion zu gehen. Allerdings findet er das Rezept nicht in den Unterlagen seines Vaters, die seine Mutter aufbewahrt hat. Dafür aber die Visitenkarte eines B&Bs in Plymouth, in dem sein Vater jedes Jahr während einer Tagung gewohnt hat. Und da dort auch die älteste Gin-Destillerie ist, fährt Bene kurzentschlossen hin, trotz der Angst seiner Mutter, die überhaupt kein gutes Gefühl bei dieser Sache hat …

Cathy`s B&B ist eigentlich ausgebucht und außerdem hat sie ganz andere Sorgen. Vor ein paar Tagen wurde in ihrem Garten ein Obdachloser erstochen – direkt vor ihrer kleinen Destille! Denn auch sie versucht, ein Gin-Rezept ihres verstorbenen Vaters nachzubauen … „Ihr Vater war wahrscheinlich nicht perfekt, aber was Gin angeht, war er ein verdammtes Genie.“ (S. 43)

Bene hat nach dem frühen Unfalltod seines Vaters dessen Oldtimer-Werkstatt übernommen und kann gerade so davon leben. Er ist der typische Anti-Held, ein aus der Zeit gefallener Rockabilly und Autoschrauber, aber ein Netter. Dem kann sich auch Cathy nicht entziehen, die ihr kleines B&B mit viel Liebe und Leidenschaft führt. Zudem kümmert sie sich um ihren Bruder Matt, der – sagen wir mal – anders ist. Cathy und Bene machen sich zusammen auf die Suche nach den Botanicals (Pflanzen), die dem perfekten Gin seinen Geschmack verleihen. Dabei werden sie immer wieder von eigenartigen Zwischenfällen ausgebremst. Versucht etwa jemand, ihren Erfolg zu verhindern? Aber wer und warum?

Seit mein Mann und ich vor einigen Jahren den (deutschen) Gin für uns entdeckt haben, probieren wir gern neue Sorten aus. Darum wusste ich auch sofort, dass ich dieses Buch unbedingt lesen muss, als ich es in der Verlagsvorschau entdeckt habe. Meine Erwartungen waren hoch und ich wurde nicht enttäuscht.

„Der Gin des Lebens“ von Sebastian Carsten Henn ist die perfekte Kombination aus unterhaltsamem Genuss-Krimi und kleiner Einführung in die Welt des Gins. Die Handlung ist sehr spannend mit geschickten Wendungen und Rückblicken zu Bens Vater in die 90er Jahre. Nach und nach kommt man so verschiedenen Geheimnissen auf die Spur.
Nicht nur der Gin, auch die Protagonisten, das B&B und die Landschaft rund um die raue englische Küste werden so liebevoll und anschaulich beschrieben, so dass man sofort Lust auf Urlaub mit der einen oder anderen Gin-Verkostung bekommt.
Jedes Kapitel beginnt mit einem witzigen Zitat zum Thema Alkohol und es gibt interessante Einschübe zur Geschichte, der Herstellung, den Cocktails und Botanicals des Gins. Am Ende des Buches Gibt es auch noch ein Glossar und Rezepte, wie man z.B. seinen eigenen Bathtube-Gin herstellen oder ihn beim Kochen und Backen verwenden kann.

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Veröffentlicht am 10.03.2020

Die Einsamkeit in der Menge

Das Savoy - Schicksal einer Familie
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London 1936: Seit 4 Jahren leitet Violet Mason das Savoy in London, unterstützt von ihrer Schwägerin Judy und den guten Geistern des Hauses. Doch das Personal und das Gebäude brauchen dringend eine Verjüngungskur, ...

London 1936: Seit 4 Jahren leitet Violet Mason das Savoy in London, unterstützt von ihrer Schwägerin Judy und den guten Geistern des Hauses. Doch das Personal und das Gebäude brauchen dringend eine Verjüngungskur, Schadensfälle und Störungen häufen sich. „Mittlerweile wirkte das Hotel erschöpft, verbraucht und ausgelaugt, es war im höchsten Grad renovierungsbedürftig.“ (S. 39)
Zudem erschüttert ein neuer Mord das Savoy und Violet wird von der Presse gejagt. Doch dann tritt Omar, ein adeliger Geschäftsmann und Hotelgast in ihr Leben. Er umwirbt sie und lädt sie zu den Olympischen Sommerspielen nach Berlin ein. Dort trifft sie ausgerechnet Max, ihren ehemaligen Chefredakteur vom BBC, wieder. Er soll von den Spielen berichten und öffnet ihr die Augen für das, was in Deutschland gerade passiert: „Du siehst nur eine Fassade. Du siehst, was die Nazis dich sehen lassen wollen, jetzt, da sie von der ganzen Welt beobachtet werden.“ (S. 163) Und dann überschlagen sich die Ereignisse …

Maxim Wahl hat es geschafft, mich von der ersten Seite wieder in den Kosmos des Savoy zu ziehen und mit Violet mitzufiebern. Geschickt bindet er wichtige Personen, Details und Ereignisse aus dem ersten Band „Das Savoy – Aufbruch einer Familie“ in die Handlung ein, sodass man die Zusammenhänge versteht, auch ohne ihn gelesen zu haben. (Was allerdings schade wäre, da auch er sehr spannend war!)

Violets Tage sind mit Arbeit angefüllt, das Privatleben bleibt auf der Strecke. „Ein Hamsterweibchen im Laufrad des Savoy war sie geworden, während draußen drastische Umwälzungen vor sich gingen.“ (S. 175) Immer öfter sehnt sie sich nach ihrer Zeit beim Radio zurück, dem relativ unbeschwerten Leben ohne die ganze Verantwortung. Auch den Tod ihres Partners John, der sich nach dem Vorfall 1932 das Leben genommen hat, hat sie noch nicht überwunden, sondern sucht die Schuld bei sich. Ihr Großvater hat die Folgen seines Schlaganfalls immer noch nicht überwunden, wird im Hotel gepflegt und kann ihr nur durch Augenbewegungen bei Entscheidungen helfen. Omar bringt endlich wieder Leichtigkeit und Abwechslung in ihr Leben, macht die Reise nach Berlin zu einem Abenteuer.

Das historische Setting passt perfekt zur fesselnden Handlung und zeigt die angespannte politische Lage, die verschiedenen Facetten des immer stärker werden Nationalsozialismus. Dieser hat inzwischen auch in den höchsten Kreisen von England Befürworter, welche sich u.a. offen gegen die emigrierenden Juden und für Hitlers Pläne aussprechen.
Das Savoy ist ein Schmelztiegel, ein Treffpunkt viele Menschen. Hier werden Geldgeschäfte, politische Gespräche, Konferenzen und geheime Tête-à-Têtes abgehalten und ist darum auch für interessant für verschiedene zwielichtige Gestalten.

Der Fall ist sehr komplex und man kommt den Drahtziehern (auch hinter dem Anschlag auf Violets Großvater) immer näher. Leider endet das Buch mit einem fiesen Cliffhanger, der mich denn nächsten Band schnell herbeisehnen lässt.

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Veröffentlicht am 09.03.2020

Der Mann mit der Maske

Tschudi
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Berlin 1896: Hugo von Tschudi, der neue Direktor der Nationalgalerie, eröffnet eine Sonderausstellung und bringt den Impressionismus nach Berlin. Er hat mit der Unterstützung von Max Liebermann in Paris ...

Berlin 1896: Hugo von Tschudi, der neue Direktor der Nationalgalerie, eröffnet eine Sonderausstellung und bringt den Impressionismus nach Berlin. Er hat mit der Unterstützung von Max Liebermann in Paris in die Zukunft investiert und Gemälde und Plastiken von Degas, Rodin, Manet, Cezanne, Monet u.v.a. gekauft. Die Ausstellung ist ein Erfolg, sie spaltet die künstlerisch „Blinden“ von den „Sehenden“, wie Tschudi sich ausdrückt. Man liebt oder hasst sie und damit gleichsam auch ihn, aber auf jeden Fall ist er in aller Munde. „Sie sind die Art Mann, die seine Feinde gar nicht mehr berühren muss, um sie zu töten.“ (S. 19)
Doch man starrt nicht nur die Bilder an, sondern auch ihn, den Direktor, weil sein Gesicht von der Wolfskrankheit (Lupus) gezeichnet ist. E trägt oft Halbmasken, um wenigstens die schlimmsten Wunden zu verstecken.

„Tschudi“ ist das Portrait eines Mannes, der für die Kunst und gegen seine Krankheit kämpft. Er ringt stets um Anerkennung – die der Bilder und ihrer Schöpfer – und darum, selbst erkannt und (an)gesehen zu werden, dass man ihm ins Gesicht schaut ohne abgestoßen zu sein.
Immer wieder erklärt er dem Kaiser, Kritikern und interessierten Besuchern, dass die modernen Gemälde nicht mehr die Gegenwart projizieren. Im Vordergrund stehen nicht der Inhalt, sondern die Farben und das Licht, welche darauf eingefangen werden. Aber Berlin scheint noch nicht bereit zu sein für die Moderne. Seine Gegner sammeln sich. Auch Wilhelm der II. ist entsetzt – warum werden im Deutschen Nationalmuseum keine deutschen, sondern Bilder jüdische Ausländer gezeigt?! Nationalistische, rassistische und antisemitische Parolen werden laut. Die Emotionen kochen hoch.

Doch nicht nur seine Gegner, auch seine Krankheit behindert ihn. Nicht alle können sich verstellen, er sieht ihnen den Ekel und die Angst an – das kränkt und ärgert ihn. Denn Lupus ist nicht ansteckend (im Gegensatz zur Syphilis, die in Berlin grassiert), aber er ist schmerzhaft und wird ihn irgendwann umbringen. „Ich bin kein Mensch, der krank ist – ich bin ein Kranker, der ein Mensch ist.“ (S. 73)
Die Auswirkungen des Lupus werden sehr detailliert beschrieben und haben selbst mich, die ich diese Krankheit leider nur zu gut kenne, immer wieder erschreckt. Ich kann also sowohl Tschudi als auch seine Gegenüber sehr gut verstehen und mich in sie einfühlen.

Mariam Kühsel-Hussaini schreibt sehr literarisch, manchmal etwas sperrig. Ich musste viel nachschlagen, weil es nur kurz angedeutet oder erwähnt wird. Sie beschreibt Treffen mit Freunden, anderen Kunstinteressenten, Berühmtheiten, Gedankenfetzen und Episoden. Dadurch erinnerte mich die Handlung oft an Tagebucheinträge. Trotzdem ist das Buch sehr spannend (und leider auch sehr schnell ausgelesen). Man bekommt einen guten Einblick in die damalige Kunst Welt, wie sie funktioniert, wer dazugehört – eine umfangreiche Milieustudie.

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Veröffentlicht am 08.03.2020

Utopia

Die Schule am Meer
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1925 gründen 4 sehr engagierte Lehrerehepaare auf Juist „Die Schule am Meer“ – eine Reformschule, in der die Schüler mitreden dürfen, nicht mehr geschlagen oder missbraucht und Jungen und Mädchen zusammen ...

1925 gründen 4 sehr engagierte Lehrerehepaare auf Juist „Die Schule am Meer“ – eine Reformschule, in der die Schüler mitreden dürfen, nicht mehr geschlagen oder missbraucht und Jungen und Mädchen zusammen unterrichtet werden. „Hier auf Juist konnten sie eine neue Welt erschaffen. Konnten ihre gemeinsame Version einer Schule ohne Angst verwirklichen.“ (S. 24) Sie kaufen ein altes, heruntergekommenes Anwesen und bauen dieses zusammen mit den Schülern aus beziehungsweise erweitern es immer wieder. Das Geld dazu stammt von Schulgeldern, Spenden und dem, was die Schüler z.B. in den Ferien auf Konzert- oder Theaterreisen verdienen. Kameradschaft und Zusammenhalt werden großgeschrieben, man duzt sich untereinander – auch die Schüler ihre Lehrer.
Zudem werden nicht nur der Geist, sondern auch der Körper gestählt, das morgendliche Bad in der eiskalten Nordsee gehört genauso dazu wie Gymnastik und Ausdauerläufe. Man formt den Menschen als Ganzes.

Aber Juist ist klein und die Schule hat nicht nur Befürworter, sondern auch Gegner, die nationalsozialistisches Gedankengut auf der Insel verbreiten und Stimmung gegen die Reformisten machen. Vor allem, dass ca. 1/3 der Lehrer und Schüler Juden sind oder Kommunisten sind, ist ihnen ein Dorn im Auge.

Die Autorin Sandra Lüpkes stammt von Juist, kennt die Geschichte der Schule von Kindheit an und erzählt sie aus drei Perspektiven.
Da ist zum einen Anni Reiner, die aus einem reichen, jüdischen Elternhaus stammt und zusammen mit ihrem Mann Paul (einem Arier) zu den Gründern gehört. Anni ist nicht nur Lehrerin, sondern steckt von Beginn an immer wieder die ihr jährlich zustehenden Dividenden aus dem Familienvermögen in die Schule, die auch ihre 3 Töchter besuchen. Sie hat ihr Leben als behütete Industriellentochter für Paul und ihren gemeinsamen Traum aufgegeben und bereut es fast nie. Schwer wird es für die erst, als die Schule 5 Jahre nach der Gründung zu einer Bildungsmaschinerie geworden, die ihre ganze Kraft und Zeit raubt, und Paul die Belange der Schule bzw. Schüler vor die seiner Familie stellt.
Eine weitere Sicht auf die Geschehnisse bietet Eduard Zuckmayer. Er ist Dirigent bzw. Konzertmeister und auf der Insel im Urlaub, als er die Schule entdeckt. Das Konzept gefällt ihm so gut, dass er als Musiklehrer bleibt. Er möchte – wie seine Mitstreiter – eine Aufgabe, die ihn erfüllt und seinem Gegenüber, in dem Fall den Schülern, etwas bringt, anstatt Karriere zu machen.
Moskito steht für die Schüler aus aller Herren Länder. Seine Familie lebt seit 10 Jahren in Bolivien. Dass sie ihn jetzt so weit weg nach Föhr in die Schule schickt, gefällt ihm zu Beginn nicht, doch er findet schnell Freunde.

Die Schule erscheint wie ein ganz eigener Kosmos am Ende der Welt, Informationen von außen kommen oft erst verspätet an. Eine kleine heile Welt, während es „draußen“ immer ungemütlicher wird und die Nazis an die Macht kommen. Irgendwann hat das „Draußen“ trotzdem Auswirkungen auf die Schüler und Lehrer und die Ausrichtung der Lehrpläne, zumal der der Direktor alles macht, damit die Schule nicht verboten wird.

Das Konzept der Reformschule hat mir sehr gut gefallen, die idealistischen Vorstellungen von der großen Gemeinschaft, dass Freud und Leid immer geteilt werden. Nachteilig war, dass es kaum einen Rückzugsort gab und sie von der Natur anhängig waren.

Der Roman ist im wahrsten Sinne des Wortes schwere Kost – 576 Seiten dick und knapp 700 g schwer. In meinen Augen ist es kein Schmöker für leichte Lesestunden, dazu ist die Handlung zu komplex und umfangreich, das Thema zu schwer.
Ich würde das Buch als biografischen Roman bezeichnen, denn die Lehrer gab es wirklich, die Schüler sind fiktiv, orientieren sich aber auch an damals dort lebenden Kindern.
Sandra Lüpkes hat einen sehr eindrucksvollen Roman geschaffen, der mir zum Ende hin echte Gänsehaut beschert hat.

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