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Veröffentlicht am 30.08.2024

Schicksalhafte Begegnungen

Die Lindenterrasse
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„Man sagt, dass die Linde als Baum anstelle von Blättern Tausende kleine Herzen an ihren Ästen trägt.“ (S. 89)
Nienstedten 1790: Maria Burmester ist Anfang 30 und Mutter von 4 Kindern, als ihr Mann bei ...

„Man sagt, dass die Linde als Baum anstelle von Blättern Tausende kleine Herzen an ihren Ästen trägt.“ (S. 89)
Nienstedten 1790: Maria Burmester ist Anfang 30 und Mutter von 4 Kindern, als ihr Mann bei einem Unfall stirbt. Er hinterlässt ihr eine gutgehende Konditorei inkl. Ausflugslokal vor den Toren Hamburgs und Schulden, da er sich lieber mit seinem Zuckerwerk als der Buchführung beschäftigt hat. Schon bei der Beerdigung bekommt sie erste Angebote für ihren Hof, will ihn aber unbedingt für ihre Kinder erhalten. Als ihr ältester Sohn in der Schule Probleme macht, lernt sie Emilia von Wedekind kennen, die Mutter eines Mitschülers. Obwohl sich die Frauen bei der ersten Begegnung nicht ausstehen können, werden ihre Schicksale bald fast untrennbar miteinander verbunden. Denn der Kaufmann Joachim Graaf will Emilia, seine Jugendliebe, zurückgewinnen und mietet dafür die Elbterrasse von Marias Lokal, die sein französischer Kunstgärtner Daniel Louis Jacques dann in die Lindenterrasse verwandelt …

Micaela Jary verbindet in ihrem Roman „Die Lindenterrasse“ die reale Geschichte des späteren ersten französischen Restaurants und schließlich Hotels Louis C. Jacob und seiner Begründer mit der fiktiven Geschichte von Emilia von Wedekind und Joachim Graaf, für die es ebenfalls historische Vorbilder gibt. Ich muss zugeben, dass mich die Schicksale der beiden Frauen etwas mehr gefesselt haben, als die des Hotels.

„Seit ich Witwe bin, fürchte ich mich vor so vielen Dingen wie nie zuvor in meinem Leben.“ (S. 355) Maria ist mit ihrer Situation als Witwe überfordert. Sie traut sich nicht, das Geschäft allein weiterzuführen und hat nicht genügend Geld für ausreichend Angestellte. Außerdem macht ihr ein schmieriger Hotelier eindeutige Angebote – er will ihren Hof um jeden Preis, gern auch mit ihr als Ehefrau. Dafür zerstört er systematisch ihren moralisch und geschäftlich integren Ruf. Dabei schlägt ihr Herz insgeheim längst für Daniel Louis Jacques, der sie nicht nur mit seinem botanischen Wissen, sondern auch der französischen Lebensart und Fürsorglichkeit bezaubert. Allerdings ist er deutlich jünger als sie, darum traut sie seinen Liebesbekundungen nicht.

Emilia ist seit vielen Jahren mit einem Militärarzt verheiratet. Sie sind die ganze Zeit von einer Dienststelle zur nächsten gezogen, aber jetzt haben sie über Emilias Bruder ein Haus in ihrer Heimatstadt Hamburg gekauft und sie kommt endlich zur Ruhe. Es war damals keine Liebesheirat, aber man hat sich arrangiert. Darum verwundert es sie auch, dass er sie plötzlich vor ihrer Familie und der Öffentlichkeit brüskiert, ihren Sohn auf eine entfernte Militärakademie schickt und ihr einredet, dass er ihre plötzliche Hysterie mit Aderlässen und Hausarrest behandeln muss.

Obwohl die beiden Frauen so unterschiedlich sind und in verschiedenen Welten leben, sind sie doch im gleichen Korsett aus Konventionen und Regeln gefangen. Maria hat sich für das Trauerjahr zurückzuziehen und höchstens in der Kirche sehen zu lassen, bis sie sich wiederverheiratet und das Geschäft, den Hof und die Verantwortung (und am besten auch gleich noch ihren Verstand und Körper) an ihren nächsten Mann übergibt. Dass sie mit Graaf und Jaques plötzlich „Männerbesuch“ empfängt, ist ein Skandal.
Emilia macht Graaf mehrfach klar, dass sie an ihrer Ehe festhält, trotzdem scheint ihr Mann Wind davon bekommen zu haben. Plötzlich reglementiert und kontrolliert er sie, obwohl er selbst fast immer auf Dienstreise ist. Wenn ich mir vorstelle, dass mir mein Mann Hausarrest verordnen könnte, ganz zu schweigen davon, was ihr Mann ihr noch so antut, läuft es mir kalt den Rücken hinunter.

Micaela Jary erzählt Marias und Emilias Schicksal sehr gefühlvoll, auch wenn ich Marias Wankelmütigkeit bzgl. Jacques nicht immer nachvollziehen konnte. Trotzdem haben mich die Schilderungen sehr berührt und mitfiebern lassen.
Auch die Elb- bzw. Lindenterrasse wird sehr anschaulich und detailreich beschrieben und man bekommt ein gutes Bild von den historischen Zusammenhängen und Vorgängen, die zu ihrer Entstehung geführt haben.

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Veröffentlicht am 30.07.2024

Die heilende Kraft des Meeres

Mitternachtsschwimmer
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„Wieviel Zeit brauchst du?“ (S. 17) fragt Evan seine Frau Lorna, bevor er allein für eine Woche in das kleine Dorf Ballybrady an die irischen Küste fährt. Nach einem Unglücksfall ist ihre Ehe zerrüttet, ...

„Wieviel Zeit brauchst du?“ (S. 17) fragt Evan seine Frau Lorna, bevor er allein für eine Woche in das kleine Dorf Ballybrady an die irischen Küste fährt. Nach einem Unglücksfall ist ihre Ehe zerrüttet, Lorna redet nicht mehr mit ihm. Er mietet sich in einem alten Cottage ein, das verwohnt und voller Hinterlassenschaften früherer Mieter ist. Gesellschaftsspiele, zerlesene Bücher, alles weist auf glückliche Familienurlaube hin und macht ihn nur noch trauriger.
Evan kapselt sich ab, will seinen Weltschmerz zelebrieren und gibt unbewusst seiner Todessehnsucht nach. Mehr als einmal bringt er sich im bzw. auf dem Meer in gefährliche Situationen, aus denen ihn seine Vermieterin Grace rettet. Auch sie lebt extrem zurückgezogen, hat alte, nie verheilte Wunden und kann sich nur zu gut in Evan hineinversetzen. Wird ihr Credo: „Aufs Wasser blicken vertreibt den Kummer und heilt allen Herzschmerz ...“ (S. 24) auch ihn heilen?

Roisin Maguires „Mitternachtsschwimmer“ ist ein sehr melancholisches Buch. Während sich zu Beginn nur Evan und Grace vom Rest des Dorfes abkapseln, müssen sich nach dem Ausbruch der Coronapandemie alle abschotten. Aber sie finden dennoch Mittel und Wege, sich zu treffen und zu helfen. So kocht Evans Nachbarin plötzlich für ihn mit und man zeigt ihm den Hintereingang des Pubs, weil er WLAN und einen Whiskey braucht.

Obwohl Grace und Evan oft hoffnungslos wirken, habe ich sie gemocht. Grace ist schroff und einsilbig, wird aber von allen respektiert. Sie kann anpacken und lebt im Einklang mit der Natur, gibt alten und abgeschobenen Tieren ein neues Zuhause – und Evan, als er wegen des Lockdown bleiben muss. Außerdem gilt sie als verrückt, weil sie zu jeder Jahreszeit nackt schwimmen geht. Aber ist ihr egal, was andere von ihr denken.
Evan steckt mitten in einer Depression und bemerkt erst jetzt, wie lebensmüde er ist. Doch dann bringt ihm Lorna seinen Sohn Luca, weil sie systemrelevant ist und sich nicht ausreichend um ihn kümmern kann. Luca ist taub und war immer ein Streitfall zwischen ihnen. Seine Mutter hat ihn überbehütet und behandelt, als wäre er behindert, dabei weiß er sehr genau, was er will. Natürlich kracht es auch zwischen Vater und Sohn, aber Evan begreift, dass er sich bei der Erziehung zu sehr zurückgenommen und seiner Frau alle Entscheidungen überlassen hat, um Streit zu vermeiden. Ohne ihre ständige Beaufsichtigung und all die Einschränkungen blüht Luca auf. Grace zeigt ihm, was das Meer alles zu bieten hat und er darf im Dorfladen aushelfen. Aber dann soll er zurück zu seiner Mutter …

Genauso schroff wie Grace ist auch die irische Küste. Im Wasser der Bucht, in der Ballybrady liegt, gibt es gefährliche Untiefen, Wirbel und Strömungen. Trotzdem bekommt man beim Lesen des Buches Lust auf eine Reise an die irische Küste, inklusive langem Strandspaziergang und einem guten Irish Whiskey.

Ungeachtet seiner Traurigkeit verbreitet der „Mitternachtsschwimmer“ aber auch Hoffnung, macht Mut zum (Weiter-) Leben und zeigt, dass sich (Ver-)Schweigen bis zu einer Lüge ausweiten kann, die alles zerstört. Ein Buch, das sehr nachdenklich macht.

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Veröffentlicht am 12.07.2024

Die italienische Miss Marple

Mörderische Delikatessen
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„Mein Laden, mein Toter, mein Fall.“ (S. 320) Seit vier Jahren führt Emma Ferrari ein italienisches Feinkostgeschäft in Himmelsricht an der Donau. Sie liebt ihren kleinen Laden in dem urigen Fachwerkhäuschen ...

„Mein Laden, mein Toter, mein Fall.“ (S. 320) Seit vier Jahren führt Emma Ferrari ein italienisches Feinkostgeschäft in Himmelsricht an der Donau. Sie liebt ihren kleinen Laden in dem urigen Fachwerkhäuschen und hat endlich die Kreditzusage der Bank, dass sie das Haus kaufen kann. Da macht der Verkäufer kurz vor dem Notartermin einen Rückzieher: Er kann das Haus angeblich für das Doppelte an einen anderen Interessenten verkaufen. Emma verflucht ihn vor dem ganzen Dorf – und am nächsten Tag liegt er ermordet in der Teeküche ihres Ladens.

Emma ist vor über 20 Jahren der Liebe wegen hierhergezogen und hat sich nach der Scheidung den Traum vom „Alimentari del Sole“ erfüllt, indem sie nicht nur originale Produkte, sondern auch das italienische Lebensgefühl verkauft.
Als der Tote in ihrem Laden gefunden wird, stellt sie das gleich vor drei Probleme: sie ist verdächtig, der Laden wird wegen der Ermittlungen bis auf weiteres geschlossen und dass die geldgierige Witwe des Toten ihr das Haus jetzt doch noch verkauft, ist eher unwahrscheinlich.
Da sie der Polizei, insbesondere Kriminalhauptkommissar Gieseking, die Lösung des Falls nicht zutraut, ermittelt sie zusammen mit zwei Freundinnen auf eigene Faust.

„Mörderische Delikatessen“ ist der Auftakt einer neuen Cosy-Krimi-Reihe mit sehr viel Kleinstadtflair und italienischem Temperament.
Emma ist eine kluge, temperamentvolle und neugierige Frau, die nicht auf den Mund gefallen ist. Sie sieht sich quasi in der Pflicht, auf eigene Faust zu ermitteln, damit sie ihren Laden schnell wieder öffnen und ihren guten Ruf wieder herstellen kann.

Ich mochte das Kleinstadtsetting, in der man sich eigentlich kennt, es hinter verschlossenen Türen aber so manche Geheimnisse gibt.
Dass der Tote sehr unbeliebt und mit einigen Bewohnern verstritten war, wussten Emma und ihre Freundinnen schon vor ihren Nachforschungen, trotzdem stoßen sie auf weitere Verdächtigen mit Motiven und Möglichkeiten, aber sie können es keinem nachweisen und auch die Polizei tappt lange im Dunklen.

Die Handlung verläuft recht gemächlich und besteht vor allem aus den Gesprächen Emmas mit allen möglichen Einwohnern. Wenn sie und Gieseking über den Fall streiten, merkt man, dass sie sich gern aneinander reiben – auch wenn Emma das mit ihrem Tunnelblick (noch?) gar nicht so mitbekommt. Zwischendurch wird der italienischen Küche gehuldigt und bei den im Anhang enthaltenen Rezepten läuft einem das Wasser im Mund zusammen.

Ein sehr gemütlicher Krimi, ohne viel Blut und Dramatik, dafür mit Herz und Flair.

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Veröffentlicht am 07.06.2024

eMail für Dich meets Sex in the City

It's a match – Ein Update für die Liebe
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„Fling ist völlig anonym und damit absolut diskret. Keine Fotos vom Gesicht, keine echten Namen, keine persönlichen E-Mail-Adressen, nichts, was auf die Person zurückgeführt werden kann. Unser Algorithmus ...

„Fling ist völlig anonym und damit absolut diskret. Keine Fotos vom Gesicht, keine echten Namen, keine persönlichen E-Mail-Adressen, nichts, was auf die Person zurückgeführt werden kann. Unser Algorithmus findet ein passendes Match, nicht basierend auf Aussehen, sondern darauf, wonach die Personen suchen.“ (S. 34)
Nachdem auch die dritte künstliche Befruchtung nicht geklappt hat, kann und will Tara nicht mehr. Dann soll es eben (noch) nicht sein, aber ihr Mann Colin drängt sie, es weiter zu probieren. Sie streiten immer öfter, früher war das ihre Art des Vorspiels, jetzt ersetzt es den Sex. Dann erfahren sie unabhängig voneinander von einer neuen Seitensprung-App für Verheiratete, melden sich heimlich an und haben jeweils ein hundertprozentiges Match. Jack und Claire sind genauso, wie Tara und Colin sich ihre Traumpartner vorstellen, so, wie sie früher füreinander waren. Die Chats werden immer heißer und expliziter und bald überlegen sie, sich wirklich zu treffen – aber eigentlich hängen beide noch an ihrer Ehe ...

Tara ist eine echte Powerfrau, Senior-PR-Beraterin einer Werbeagentur, bekommt allerdings immer nur die „Frauenthemen“ und damit auch die kleineren Budgets. Als sich der Erfinder von Fling an die Agentur wendet, sieht sie ihre Chance gekommen. Außerdem glaubt sie an Synchronität und Vorherbestimmtheit – ein Kind soll jetzt wahrscheinlich einfach noch nicht sein, sie müssen warten, bis das Universum den Zeitpunkt für perfekt hält.
Colin ist Analytiker in einer Wirtschaftsprüfungsfirma, die seinem besten Kumpel gehört. Er glaubt nicht an Astrologie o.ä. und will ein Kind, weil er ihm das Gefühl von Geborgenheit geben will, dass er selber nie hatte. Und er will es um fast jeden Preis.
Vielleicht würde Tara sich nicht so quer stellen, wenn er im Haushalt helfen würde, denn sie verdient nicht nur deutlich mehr als er, er erwartet auch noch jeden Abend ein mit Liebe selbstgekochtes Essen von ihr. Dass sie keine Lust mehr hatte, diesem antiquierten Rollenbild zu entsprechen, konnte ich gut verstehen. Überhaupt konnte ich mich gut in beide Charaktere einfühlen, da ich selber schon sehr lange in einer Beziehung bin und da natürlich nicht immer alles eitel Sonnenschein ist und auch die Schmetterlinge nicht ständig fliegen.

Die Idee hinter „It´s a match“ fand ich super: Ein Paar, dessen Ehe kurz vorm Scheitern steht, versucht diese mittels Seitensprüngen wiederzubeleben. Allerdings war mir letztendlich vieles zu vorhersehbar und das Ende etwas zu drüber. Darum nur 3,5 von 5 Sternen.

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Veröffentlicht am 03.06.2024

Die erste Impressionistin

Die Malerin des Lichts
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„Eine Frau ist nicht dazu geschaffen, Malerin zu sein. Es genügt, wenn sie einen Maler inspiriert.“ (S. 261) Diesen und ähnliche Sätze hat Berthe Morisot hörte ihr ganzes Leben, dabei war sie sehr erfolgreich ...

„Eine Frau ist nicht dazu geschaffen, Malerin zu sein. Es genügt, wenn sie einen Maler inspiriert.“ (S. 261) Diesen und ähnliche Sätze hat Berthe Morisot hörte ihr ganzes Leben, dabei war sie sehr erfolgreich und nahm für ihre Bilder mehr ein als Édouard Manet. Zudem war sie die erste und lange auch einzige Frau, die zu den Impressionisten gehörte.

Agnès Gabriel widmet sich dieser zu Unrecht vergessenen und zu ihrer Zeit oft kritisierten Frau, die von Selbstzweifeln geplagt war und trotzdem entschlossen, lieber auf die Liebe und eine eigene Familie zu verzichten, als auf das Malen. „Ab dem Tag ihrer Vermählung trägt die Frau ein eng geschnürte Korsett, das nicht aus Spitze und Fischbeins, sondern aus Zwängen und starren Regeln besteht.“ (S. 43)

Zusammen mit ihrer Schwester Edma bekam sie Mal- und Zeichenunterricht, beide feierten Erfolge und wurden im Pariser Salon ausgestellt. Doch nach Edmas Heirat erwartete ihr Mann, dass sie das Malen aufgab und sich ganz ihm und der Familie widmete. Das bestärkte Berthe in ihrer Überzeugung, dass sie nur als Unverheiratete frei für die Kunst sein würde. Bis sie Édouards Bruder Eugène trifft, der sich in sie verliebt und ihr verspricht, dass sie auch nach der Hochzeit noch malen und ausstellen dürfte …

Agnès Gabriel erzählt die Geschichte aus Berthes Sicht. Obwohl sie bereits eine anerkannte Künstlerin ist, sitzt sie Édouard Manet 6 Jahre lang Modell, darf sich nicht bewegen und am besten auch nicht denken. Dabei kann sie gerade dabei ihren Gedanken freien Lauf lassen: „… wie wäre es, wenn sie die Positionen tauschten? Manet auf dem Sessel und sie an der Staffelei. Er das Modell und sie die Malerin.“ (S. 29) Sechs Jahre lang hofft sie auf ein Wort der Anerkennung oder Kritik von ihm, doch er schweigt. Das einzige Mal, als sie ihn direkt um Rat bittet, übermalt er ihr Bild so lange, bis sie ihre Arbeit nicht wiedererkennt.

Aber es ist nicht nur Berthes Geschichte, sondern die ihrer ganzen Familie. Berthes Mutter hat immer bedauert, keine Pianistin geworden zu sein, aber die Ehe war wichtiger und richtiger. Weil ihr Mann nicht kunstinteressiert war und sie nicht ins Theater oder ähnliches ausführte, hielt sie einen üblichen wöchentlichen Salon ab oder besuchte andere, in den aufstrebende und berühmte Künstler gern gesehen waren und die Berthe dadurch z.T. schon seit ihrer Kindheit kannte.

Berthes Geschichte ist sehr interessant, da auch ich bisher nur in Nebensätzen von ihr gehört und gelesen habe. Man kann ihren Drang zu Malen und ihre innere Zerrissenheit, in die sie Eugènes Werben stürzt, sehr gut nachvollziehen. Allerdings erzählt die Autorin stellenweise zu viel vom Alltag der Familie oder irgendwelchen Nebenschauplätzen und dann plätschert die Handlung leider ohne größere Höhepunkte vor sich hin.

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