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Veröffentlicht am 03.01.2019

Erinnerungen

Das Gutshaus - Stürmische Zeiten
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Zwei Jahre sind vergangen, seit Franziska von Dranitz nach der Wende endlich ihren Gutshof in Mecklenburg zurückbekommen hat. Zusammen mit ihrer Enkelin Jenny soll daraus ein Wellnesshotel werden. Dies ...

Zwei Jahre sind vergangen, seit Franziska von Dranitz nach der Wende endlich ihren Gutshof in Mecklenburg zurückbekommen hat. Zusammen mit ihrer Enkelin Jenny soll daraus ein Wellnesshotel werden. Dies würde nicht nur das Überleben des Hauses sichern, sondern auch viele Arbeitsstellen für die inzwischen überwiegend arbeitslose Dorfbevölkerung schaffen. Leider läuft die Sanierung nicht wie geplant – die Handwerker arbeiten nur unregelmäßig und Franziskas Geld wird knapp. Doch Jenny hält an den umfangreichen Plänen fest. Außerdem zieht sie ihre kleine Tochter Jule allein auf, holt ihr Abi auf der Fernschule nach und beaufsichtigt die Bauarbeiten. Und dann taucht Jules Vater auf ...

Doch erst einmal heiraten Franziska und Walter Iversen endlich. Vor 40 Jahren waren sie schon einmal verlobt (die Hintergrundgeschichte dazu gab’s in Band „Glanzvolle Zeiten“). Für Walter ist die Situation nicht einfach, kehren mit seinem Einzug doch auch die Erinnerungen zurück: „Nun also kehrte er zurück. Mit einem Kleinlaster voller wertloser DDR-Möbel und einem gewaltigen Sack Erinnerungen. Franziska würde es nicht leicht mit ihm haben.“ (S. 55)

„Stürmische Zeiten“ knüpft fast nahtlos an den Vorgängerband an, aber leider fehlte es mir auch hier wieder gerade zum Ende hin deutlich an Spannung.
Wie im Klappentext steht, gibt es große familiäre Spannungen – nicht alle sind mit der Hochzeit von Franziska und Werner einverstanden. Auch zwischen den frischgebackenen Ehepartnern kriselt es. Werner fühlt sich vernachlässigt, weil sich Franziska nur um den Umbau kümmert und ihn nicht in ihr Alltagsleben integriert. Auf der Hochzeitsreise kochen die Gefühle hoch – Werner erzählt Franziska, warum ihre Verlobung damals gescheitert ist.
Überhaupt geht es in diesem Band sehr viel um die Vergangenheit. Nicht nur Franziska und Werner, auch die ehemaligen Gutsangestellten Mine und ihr Mann Karl-Erich setzen sich mit ihrer Lebensgeschichte auseinander – dadurch fehlte mir ein durchgehender Spannungsbogen, zumal sich die Erinnerungen oft ähnelten oder den gleichen Fakt beleuchteten, da die Kapitel abwechselnd aus der Sicht der verschiedenen Personen erzählt werden.

Gute gefallen hat mit hingegen die Darstellung der Umstände nach der Wiedervereinigung. Die LPGs waren aufgelöst, die Werften produzierten kaum noch und auch andere Betriebe wurden geschlossen. Wer nicht arbeitslos sein wollte, musste unterbezahlt artfremde Tätigkeiten annehmen oder in die alten Bundesländer abwandern. Einige haben ihre Chance allerdings auch ihre Chance genutzt und sich neu erfunden. Dazu kam die oftmals ungeklärte Rechtslage, wem welches Land oder Gebäude gehörte. Es gab viele Rückübereignungen und die Treuhand wuchs. Kaum ein „Ossi“ war gut auf die „Goldgräber aus dem Westen“ zu sprechen, welche sich die besten Grundstücke zu Schnäppchenpreisen sicherten. Das Konfliktpotential war groß – diese Situation wird von Anne Jacobs sehr gut beschrieben.

Da ich selber als Kind jedes Jahr auf der Mecklenburger Seenplatte Urlaub gemacht habe und mein Mann aus der Nähe von Waren stammt, weckt das Buch in mir die Sehnsucht nach der wunderschönen, abwechslungsreichen Landschaft, den endlosen Alleenstraßen und danach, mit einem Hausboot über die Müritz zu tuckern.

Das letzte Wort gehört Franziska: „Alles wird gut. Nicht immer so, wie man es sich gedacht hatte. Aber gut wird es trotzdem.“ (S. 574)

Veröffentlicht am 31.12.2018

Sehr gelungener, fesselnder Auftakt zu einer neuen Trilogie

Jahre aus Seide
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Deutschland, Anfang der 1930er Jahre: Ruth Meyer wächst in behüteten Verhältnissen auf. Ihr Vater Karl ist reisender Handelsvertreter für Schuhe und nur am Wochenende zu Hause, trotzdem ist die Familie ...

Deutschland, Anfang der 1930er Jahre: Ruth Meyer wächst in behüteten Verhältnissen auf. Ihr Vater Karl ist reisender Handelsvertreter für Schuhe und nur am Wochenende zu Hause, trotzdem ist die Familie von viel Liebe und Zusammenhalt geprägt. Die Meyers sind Juden, praktizieren ihren Glauben aber kaum noch, halten nur den Sabbat und die großen Feiertage, wie das Lichterfest (das jüdische Äquivalent zu Weihnachten), ein. Bei der Einweihungsfeier ihres neuen Hauses 1927 mit Familie und Freunden kommt heraus, dass sich Karls Schwager Berthold in Deutschland nicht mehr sicher fühlt und nach Palästina auswandern will. Noch steht er mit der Meinung allein da. „Ja, wir sind Juden – aber vor allem sind wir Deutsche.“ (S. 89)
In der Nachbarvilla lebt der Stofffabrikant Merländer. Mit der gleichaltrigen Tochter von dessen Haushälterin freundet sich Ruth schnell an. Sie bekommen von Merländer oft Stoffreste und Ruth lernt, daraus Puppenkleider, Täschchen etc. zu nähen. Dabei kann sie ihre Kreativität ausleben. Sie könnte sich sogar vorstellen, später in der Modebranche zu arbeiten. Aber ihre behütete Kindheit endet jäh, als Hitler Reichskanzler wird und Ruth vom Lyzeum fliegt – Juden sind ab sofort unerwünscht! Da ist Ruth gerade 14 und hat mit Kurt ihre erste große Liebe gefunden. Doch dessen Familie wartet wie so viel auf die Ausreise nach Amerika. Und dann kommt die Reichspogromnacht ...

Ich habe die Ostpreußen-Saga (Das Lied der Störche, Die Jahre der Schwalben, die Zeit der Kraniche) von Ulrike Renk verschlungen und war schon sehr gespannt auf dieses Buch, da es auf wahren Begebenheiten und Ruths Tagebüchern beruht.

Ulrike Renk hat es wieder geschafft, dass man von Beginn an mitten im Geschehen ist. Ich hatte das Gefühl, ein Teil von Ruths Familie zu sein oder zumindest ein stiller Beobachter.
Ruths Vater hatte es aus eigener Kraft weit gebracht, liebte seinen Beruf und seine Familie. Er wollte ihnen alles bieten, was möglich war. Ihre Mutter ging in ihrer Rolle als Hausherrin und Mutter richtig auf, wollte es besser machen als ihre eigene – immer sehr kühle und distanzierte Mutter. Martha war trotz Kindermädchen für ihre Töchter da. Außerdem sie hatte einen Blick fürs Ganze, half Anderen, denen es weniger gut ging. Obwohl sie nicht streng nach den jüdischen Traditionen leben, scheint Nächstenliebe, aufeinander Achtgeben und Schwächeren helfen tief in ihrem Glauben verwurzelt gewesen zu sein.
Mir gefiel, wie unbeschwert Kinder und Erwachsenen unterschiedlicher Konfessionen lange miteinander umgingen: „Wir leben in einer Gemeinschaft vieler Religionen – wir sollten uns alle respektieren.“ (S. 148)
Mit dem Erstarken der Nationalsozialisten wächst die Angst und die Unsicherheit unter ihnen aber immer mehr. Die Autorin beschreibt sehr lebendig, dass sie die Ausgrenzung nicht verstehen – schließlich fühlen sie sich in erster Linie als Deutsche! Besonders erschreckend waren die Beschreibungen von auseinanderbrechenden Familien, weil nicht alle ihr Heimat verlassen wollten und die Ernüchterung, wenn die potentiellen Flüchtlinge aus gesundheitlichen Gründen abgewiesen wurden – ein Fakt, der mir bis dahin unbekannt war. Auch die hohe Arbeitslosenquote der USA nach 1929 und damit resultierende Unsicherheit der Einwanderer hatte ich verdrängt.
Sehr lebendig werden auch die Rückbesinnung der jüdischen Familie auf ihre Religion und Glaubensgemeinschaft geschildert – das gemeinsame Bangen und Hoffen auf bessere Zeiten und wie sich die Stimmung natürlich auch auf die Kinder überträgt, wie schnell diese erwachsen werden musste.
Ich hab zwar schon viele Bücher über diese Zeit gelesen, trotzdem haben mich die Schilderungen, wie sich die Repressalien gegen die Juden immer mehr verstärkten, wieder sehr mitgenommen.

Geschickt packt Ulrike Renk ihrer Leser und schürt mit dem Ende dieses Bandes die Neugier ihrer Leser so, dass man unbedingt wissen will, wie Ruths Geschichte und die ihrer Familie denn nun weitergeht – leider erscheint die Fortsetzung erst im Juni 2019.

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Veröffentlicht am 28.12.2018

Isobels Ja(hr)

Mein Jahr zum Glück
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„Neuer Anfang, neue Ideen, neue Energie!“ (S. 6) sagt sich Izzi (Isobel) jedes Jahr am 1.1. und macht eine Liste a la Bridget Jones in ihr Notizbuch, was sie in diesem Jahr alles nicht mehr machen will ...

„Neuer Anfang, neue Ideen, neue Energie!“ (S. 6) sagt sich Izzi (Isobel) jedes Jahr am 1.1. und macht eine Liste a la Bridget Jones in ihr Notizbuch, was sie in diesem Jahr alles nicht mehr machen will – um dann zu entdecken, dass die Liste fast identisch ist mit der vom letzten Jahr. Als sie das in der Redaktionskonferenz der Frauenzeitschrift erzählt, für die sie arbeitet, kommt ihre Chefin auf die Idee, dass Izzi in diesem Jahr „JA“ statt „NEIN“ sagen wird. Sie bekommt ihre eigene Artikelserie „Isobels Ja(hr)“, für die sie jeden Monat etwas Neues wagen und darüber schreiben muss. Wads das ist, dürfen die Leser entscheiden. Schon die erste Aufgabe „Neues Jahr, neuer Look, neues Leben.“ (S. 53) findet sie nicht wirklich toll - ihre blonde Mähne wird wieder in ihr natürliches „Kupferorange“ umgefärbt und ihr Kleiderschrank wird einem großen „Makeover“ unterzogen. So runderneuert, fällt sie endlich auch dem Bruder ihres Schwagers auf, den sie seit 3 Jahren anhimmelt. Entdeckt er jetzt sein Herz für sie?
Alle 12 Aufgaben bringen Izzi an ihre Grenze: sie muss u.a. live im Fernsehen auftreten, eine Social-Media-Pause machen, sich mit jemandem versöhnen oder ehrlich zu sich selbst / für sich selbst stark sein. Jede Aufgabe bringt sie weiter weg von ihrem alten Selbst zu einer neuen, verbesserten Version. Sie entdeckt völlig neue Seiten an sich und merkt, wo ihre (bisher ungeahnten) Stärken liegen. Am Ende des Jahres hat sich ihr Leben wirklich verändert.

Izzi ist eine sehr sympathische, menschliche Protagonistin, eine Frau mit Fehlern. So vernachlässigt sie z.B. ihre beste Freundin, als sie beruflich durchstartet und lässt sich viel zu oft von ihrer Mutter in ihr (Liebes-)Leben quatschen. Sie beneidet ihre ekelhaft perfekte, gutaussehende Schwester – ohne hinter deren Fassade zu schauen. Izzi hingegen ist mit ihrem Aussehen fast nie zufrieden (welche Frau ist das schon) und sieht Fehler an sich, die sonst niemand entdeckt. Die Herausforderungen öffnen ihr die Augen dafür, wie sie wirklich auf andere wirkt und dass die man die Liebe dort findet, wo man gar nicht sucht.


„Mein Jahr zum Glück“ ist das perfekte Kopfkino - sehr amüsant, überraschend und regt zum Nachdenken über das eigene Leben an. Stellenweise erinnert es an Bridget Jones – aber gerade das hat mir sehr gut gefallen. Ich könnte es mir ebenfalls gut als Film vorstellen.

Veröffentlicht am 22.12.2018

Roadtrip

Florence
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Dezember 1952: Louise ist Schauspielerin in Hollywood – keine große Berühmtheit, sie spielt vor allem in Musicalfilmen, aber sie und ihr Mann Arnie können davon leben. Der ist war Drehbuchautor, wurde ...

Dezember 1952: Louise ist Schauspielerin in Hollywood – keine große Berühmtheit, sie spielt vor allem in Musicalfilmen, aber sie und ihr Mann Arnie können davon leben. Der ist war Drehbuchautor, wurde im Korea-Krieg verwundet und sitzt seitdem im Rollstuhl. Jetzt verbringt er seine Tage im abgedunkelten Schlafzimmer, hat keinen Lebenswillen mehr. Da erfährt Louise von einem Anwalt, dass sie die Alleinerbin der berühmten Drehbuchautorin Florence Daniels ist. In deren Wohnung findet sie neben wertvollen, zum Teil bisher unverfilmten Drehbüchern Fotos und ein Tagebuch ihrer Mutter. Louise ist verwirrt, ihre Mutter starb, als sie noch sehr klein war. Was verband die beiden Frauen? Doch statt nachzuforschen, fährt sie erst einmal nach Las Vegas, um eine weitere platte Komödie zu drehen, obwohl sie es nicht will. „Das ist vielleicht nicht die Karriere, die ich mir gewünscht habe, aber es ist wenigstens etwas. Zumindest einer von uns beiden muss doch etwas haben.“ (S. 57)

Im April 1926 fährt Florence von New Jersey nach Hollywood, um Drehbuchautorin zu werden. In letzter Minute begleitet ihre Freundin Ethel sie. Die wurde gerade von ihrem Mann Carl verlassen, er hat auch ihre kleine Tochter Louise mitgenommen. Ethel möchte ihn zurückgewinnen, auch wenn ihre Ehe keine leidenschaftliche war. Die Drei waren früher beste Freunde, aber nach Ethels und Carls Hochzeit hatte sich Florence zurückgezogen.

„Florence“ wird auf zwei Zeitebenen erzählt und ist ein sehr widersprüchliches Buch. An einigen Stellen hat es mich zu Tränen gerührt, an anderen blieb ich merkwürdig emotionslos und distanziert, obwohl gerade etwas Schreckliches passiert. Der Schreibstil hat für mich nicht immer zum Inhalt gepasst.

Ethel und Florence haben Geheimnisse voreinander, für die sie sich schämen und finden leider erst viel zu spät heraus, dass sie diese doch eigentlich teilen. Florence hat die letzten Jahre so gelebt, wie sie wollte – so frei wie möglich, ohne Mann oder Familie. Sie träumte schon immer davon, Drehbücher zu schreiben und riskiert jetzt alles dafür. Ethel ist das ganze Gegenteil, ein sehr vorsichtiger Mensch, angepasst. Sie will immer alles richtig machen und versteht nicht, dass ihr Mann sie verlassen hat – sie hat ja nichts falsch gemacht, es gab nie Streit, keine Meinungsverschiedenheiten. Sie ist sehr ängstlich und ich fand es toll, wie sie sich im Laufe der Reise entwickelt hat. Die Reise, das Zusammensein mit Florence, ihre Gespräche und Geständnisse machen sie mutig und frei: „Ich will mir keine Sorgen mehr machen, Flor. Ich will leben.“ (S. 245).

Louises Handlungsstrang fand ich sehr widersprüchlich. Sie fährt los um einen Film zu drehen, den sie eigentlich hasst. Dabei hat sie gerade geerbt, bräuchte das Geld also gar nicht so dringend. Hollywood und LA sind nicht besonders weit entfernt, trotzdem braucht sie mehrere Tage. Verfährt sich immer wieder, macht bald auch absichtlich Umwege. Denn wenn sie ehrlich ist, will sie gar nicht an- sondern ihrer Ehe, ihrem jetzigen Leben entkommen.

Das Buch ist ein bisschen Thelma und Louis, ein bisschen On The Road – aber für mich leider nichts Halbes und nichts Ganzes. Die Beschreibungen der Landschaften und Roadtrips der Frauen, ihre Entwicklungen haben mir gut gefallen, aber insgesamt hat es für mich nicht richtig funktioniert. Dazu kam ein zuckersüßes Ende, das nicht passte und welches es nicht gebraucht hätte.

Veröffentlicht am 20.12.2018

Leichen pflastern seinen Weg

Roter Rabe
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September 1951: Kaum ist Heller aus dem Ostseeurlaub zurück und hat Karin in den Zug nach Köln zu ihrem Sohn Erwin gesetzt, muss er sich um 2 obskure Todesfälle kümmern. Zwei Mitglieder der Zeugen Jehovas ...

September 1951: Kaum ist Heller aus dem Ostseeurlaub zurück und hat Karin in den Zug nach Köln zu ihrem Sohn Erwin gesetzt, muss er sich um 2 obskure Todesfälle kümmern. Zwei Mitglieder der Zeugen Jehovas saßen wegen Spionage in U-Haft in getrennten Zellen und haben gleichzeitig auf eine sehr ungewöhnliche Art Selbstmord begangen. Die Russen machen jetzt die (deutschen) Wärter dafür verantwortlich. Hellers Vorgesetzter Niesbach hat Angst. „Wäre es Mord, müssten wir alle um unsere Posten fürchten ... Und um unsere Leben.“ (S. 21/21)

6 Jahre nach Kriegsende geht die Angst wieder um. Aus dem Ostsektor ist ein eigenständiger Staat geworden, die DDR, doch die Russen mischen sich immer noch in alles ein. Widerspruch wird nicht geduldet, alles und jeder kontrolliert. Dazu kursieren Gerüchte, dass die Amis etwas ganz Großes planen, um die Russen zu entmachten. Es wird getuschelt, die Atombombe, welche schon 1945 auf Dresden fallen sollte, wäre jetzt so weit ... Überall tauchen Flugblätter auf, in denen vor feindlichen Spionen und Abhöraktionen gewarnt wird.

Als Heller mit den Ermittlungen beginnt, taucht sein alter Freund Alexej Saizev wieder auf. Der hat ihn damals bei den Ermittlungen zum „Angstmann“ unterstützt, jetzt arbeitet er für den Geheimdienst MGB. Saizev macht ihm unmissverständlich klar, dass Heller zwar ermitteln darf, am besten aber zu keinem Ergebnis kommt, denn Saizev ist hinter „dem Amerikaner“ her, einem Topspion, vermutlich von der CIA. Die Russen nennen ihn „Woron“ (den Raben).
Doch nicht nur Saizev und Niesbach erschweren Hellers Ermittlungen. Der ehemalige Polizist Salbach ist jetzt Unterkommissar und neu in Hellers Team, aber sein Kollege Oldenbusch traut ihm nicht, hält ihn für einen Spion vom MfS (Ministerium für Staatssicherheit). Heller ist entsetzt: „Ich glaube, hier leiden alle unter Verfolgungswahn. Wo soll denn das hinführen, wenn jeder jedem misstraut?“ (S. 36)
Trotzdem ermittelt Heller rastlos und immer ratloser. Jeder Zeuge, den sie finden, hat plötzlich einen Unfall oder begeht Selbstmord. Er muss schneller werden. Was bzw. wer steht hinter allem? Woher hat derjenige seine Informationen? Ist es einer von ihnen? Worum geht es wirklich? „Ich habe den Verdacht, dass an dieser Sache mehr hängt als nur die üblichen Verdächtigen. Etwas soll hier geschehen. In dieser Stadt, Ich habe keine Ahnung, was.“ (S. 27)

Dazu kommen private Sorgen. Karin sollte ein Telegramm schicken, sobald sie in Köln angekommen ist, aber es kommt nie eins. Die Nachbarn werden komisch, die Kollegen fragen nach Karin. Kann es sein, dass sie wirklich einfach drüben bleibt? Ohne Heller? Ohne Anni?
Ihre Vermieterin Frau Marquardt ist extrem vergesslich und schusselig geworden. Plötzlich taucht eine entfernte junge Verwandte auf – Edeltraut Hermann. Heller hat ein komisches Gefühl.

Frank Goldammer schreibt wieder extrem fesselnd und legt ein unglaubliches Tempo vor. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Die vielen Verdächtigen, die ganzen Toten (bei 8 habe ich aufgehört zu zählen), die Spitzel, die Frage, wer auf welcher Seite steht, schaffen eine ziemlich düstere Atmosphäre. „... der kalte Krieg ist viel schwieriger als der andere Krieg. Hier kämpft man an vielen Fronten und weiß nicht, ob der Feind wirklich Feind und der Freund wirklich Freund ist. Man darf niemandem Vertrauen schenken, man muss immer wachsam sein. Immerzu. Ohne Unterlass.“(S.93)
Als gebürtige Dresdnerin kann ich mich noch gut an die Zeit erinnern, als man genau überlegen musste, gegenüber wem man was sagen durfte, konnte mich gut in Heller einfühlen, in seine Sorge, ob Karin wiederkommt. Und nicht zuletzt die Angst, was genau denn „die große Sache“ ist, die der Rabe plant – gruselig.

5 Sterne und meine unbedingte Leseempfehlung – ich bin schon sehr gespannt auf Hellers nächsten Fall.