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Veröffentlicht am 04.07.2018

Miss Royal Mail

Post für den Mörder
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Daphne Penrose ist Anfang 50 und trägt an Cornwalls Küste im Städtchen in Fowey mit dem Fahrrad die Post aus. Der Job ist anstrengend, die Straßen sind steil und ihre Wadenmuskeln inzwischen steinhart, ...

Daphne Penrose ist Anfang 50 und trägt an Cornwalls Küste im Städtchen in Fowey mit dem Fahrrad die Post aus. Der Job ist anstrengend, die Straßen sind steil und ihre Wadenmuskeln inzwischen steinhart, trotzdem leidet sie in Halbmondnächten (und nur da!) an Schlaflosigkeit. In einer dieser Nächte beobachtet sie, wie jemand etwas vom Boot wirft – Müll?! Leider nicht, wie ihr Mann Francis, der Flussmeister, am nächsten Tag feststellt – es ist der beliebte Reeder Edward Hammett.
Und noch etwas erregt Daphnes Aufmerksamkeit – die Haustür der Malerin Sandra McKallan steht schon seit 2 Tagen offen, doch gesehen hat sie Sandra nicht. Ein Blick durchs Fenster verrät ihr, dass es in dem eigentlich sonst so aufgeräumten Atelier sehr unordentlich aussieht.
Dem mit dem Mordfall beauftragten Chief Inspector James Vincent trauen Daphne und Francis nicht wirklich viel zu, zu gut kennen sie ihn von früher. Leider werden ihre Befürchtungen bestätigt. Vincent ist immer noch ein unsympathisches Ekel, der sich gern mit fremden Erfolgen schmückt. Also ermitteln sie lieber selber – schließlich kennen sie ihre Mitbürger gut. Dachten sie zumindest ... Wer ist wirklich ein Freund und wer ein Feind?

„Post für den Mörder“ stammt aus der Feder von Thomas Chatwin und ich hoffe, dass Daphne und Francis weiter ermitteln werden. Das Pärchen hat echtes Potential für eine Serie.
Ich fand den Krimi absolut genial und sehr spannend, habe ihn an nur 2 Abenden verschlungen. Immer wieder werden durch geschickte Wendungen und komplizierte Verwicklungen neue Spuren und Verdächtige präsentiert. Ich war mir jedes Mal sicher, den Täter zu kennen und lag natürlich falsch.

Daphne und Francis sind sehr sympathische Protagonisten. Sie sieht sich selber nicht als zu neugierig oder Miss-Marple-Verschnitt (da stimme ich ihr übrigens zu ), aber sie kennt Land und Leute eben besser als der überhebliche Inspector und hat intuitiv oft den richtigen Riecher. Ihr Mann Francis versucht sie immer wieder zu bremsen und ermittelt am Ende dann selber mit.

Das Städtchen Fowey bildet eine tolle Kulisse für den Fall. Thomas Chatwin hat die Beschreibung der Örtlichkeiten sehr geschickt mit der Handlung verknüpft und lässt so Bilder vor meinem inneren Auge entstehen und weckt Sehnsucht nach Cornwall. Im Anhang verrät er sogar seine persönlichen Reisetipps.

Veröffentlicht am 02.07.2018

(Genuss-)Urlaub in Schottland

Die kleine Sommerküche am Meer
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Flora ist vor Jahren nach dem Tod ihrer Mutter vom elterlichen Hof auf der schottischen Insel Mure regelrecht nach London geflohen, um nicht wie sie als Bäuerin zu enden. Seitdem arbeitet sie als Anwaltsgehilfin ...

Flora ist vor Jahren nach dem Tod ihrer Mutter vom elterlichen Hof auf der schottischen Insel Mure regelrecht nach London geflohen, um nicht wie sie als Bäuerin zu enden. Seitdem arbeitet sie als Anwaltsgehilfin für eine große Kanzlei und ist in ihren Chef Joel verliebt – nur leider nimmt dieser sie erst wahr, als er jemanden braucht, um einen wichtigen Mandanten auf Mure zu vertreten.
Schon lange macht Flora ihren Job nur noch aus Pflichtgefühl. London gefällt ihr ebenfalls nicht mehr. Es ist groß, laut und stickig. Aber auf die Insel will sie auch nicht zurück: „„Manchmal kam sich Flora vor wie ein Boot, das von den Wellen hin und her geschleudert wurde, und sie war sich nicht sicher, wo es mal landen würde und warum.“ (S. 301)
Flora ist über ihre Rückkehr nicht begeistert und auch ihrem Vater, ihren 3 Brüdern und den anderen Bewohnern scheint sie relativ egal zu sein. Zudem ist ihr Mandant Colton Rogers auf der Insel unbeliebt. Wie soll sie die Zeit nur überstehen? Zum Glück lebt ihre beste Freundin Lorna auch auf Mure und bald lernt sie den Reiseleiter Charlie kennen ...

Der Hof der Familie ist vernachlässigt und erwirtschaftet nicht mehr genug. Flora packt mit an und erinnert sich, dass es früher auch schöne Seiten / Zeiten gab. Als sie das Rezeptbuch ihrer Mutter entdeckt und die Gerichte nachkocht, findet sie ihre innere Mitte wieder und die Familie wieder zusammen. „Familien sind nicht einfach.“ (S. 137)

Flora ist eine unglaublich sympathische, feenhafte Person, die im Laufe der Handlung über sich hinauswächst und immer sympathischer wird. Einzig ihre Fixierung auf ihren Chef Joel habe ich nicht nachvollziehen können.
Der wird als typischer Bad-Boy dargestellt, nach außen hart, nach innen zart – mit schwieriger Kindheit und Sinnkrise. Das war mir einfach zu stereotyp und zu viel Drama.
Auch Floras Brüder, die für so einige Turbulenzen und Überraschungen sorgten, sowie die anderen Inselbewohner mochte ich sehr. Der Zusammenhalt unter ihnen und die Ruhe, welche die Insel ausstrahlt, wird toll beschrieben.

„Die kleine Sommerküche am Meer“ ist ein richtig schöner Sommerroman, der mit einer amüsanten Story, herrlichen Schilderungen der Insel Mure und Floras Gerichten Lust auf (Genuss-)Urlaub in Schottland macht.

Veröffentlicht am 28.06.2018

Die fliehende Möwe

Der Tod bohrt nach
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Frau Dr. Leocardia Huberta Kardiff ist eine Zahnärztin mit kleinen Problemchen. Sie hat z.B. eine Spritzenphobie, aber damit kann sie immer besser umgehen, ganz im Gegensatz zu dem Patienten, der in den ...

Frau Dr. Leocardia Huberta Kardiff ist eine Zahnärztin mit kleinen Problemchen. Sie hat z.B. eine Spritzenphobie, aber damit kann sie immer besser umgehen, ganz im Gegensatz zu dem Patienten, der in den nächtlichen Notdienst kommt. Herr Möwe ist total nervös, geradezu hysterisch und wird immer wieder ohnmächtig. Als die Betäubungsspritze endlich wirkt und sie mit der Behandlung anfangen will, flieht er aus ihrer Praxis, faselt was von: „es geht um Leben und Tod“. Dr. Leo könnte jetzt zur Tagesordnung übergehen, aber da kommt ihr zweites Dilemma zum tragen: sie ist extrem neugierig und wittert schnell Mord und Totschlag. Also fährt sie am nächsten Tag zu Möwes Haus und stellt fest, dass er und eine weitere Bewohnerin vermisst werden. Brav ruft sie ihren Freund an, den smarten Hauptkommissar Jakob Zimmer, der sich des Falls annimmt. Doch natürlich kann sie es nicht lassen, selber zu ermitteln ...

„Der Tod bohrt nach“ ist schon der dritte Krimi um Dr. Leo und auch wenn ich die beiden Vorgängerbände nicht kenne, habe ich sofort gut ins Buch und Leos Leben gefunden. Sie ist eine taffe Frau, die mit beiden Beinen relativ fest im (Berufs-)Leben steht. Leider mischt sich ihr Vater, dem die Praxis früher gehört hat, diesmal sehr in ihren Alltag ein und treibt sie in den Wahnsinn, ihre Töchter pubertieren gerade und Jakob hat viel zu wenig Zeit für sie.

Der Erzählstil ist etwas ungewöhnlich, er wechselt zwischen Leo als Ich-Erzählerin und einem neutralen Beobachter. Die Protagonisten sind zum Teil herrlich makaber, denn Möwe ist nicht der einzige komische Vogel im Buches. Der Fall ist recht verzwickt und spannend. Erst am Ende wird klar, wer alles wie involviert ist – leider war es mir etwas zu verwirrend, zu viel passierte auf einmal.

Isabella Archan schreibt sehr amüsant und unterhaltsam, dies war garantiert nicht mein letztes Buch von ihr.

Veröffentlicht am 27.06.2018

72 Stunden

Die rote Frau
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„Er konnte nicht fassen, dass er sich hier um diesen Scheißdreck kümmern musste.“
Rayonsinspektor August Emmerich und sein Assistent Ferdinand Winter haben es geschafft. Nach der erfolgreichen Lösung ihres ...

„Er konnte nicht fassen, dass er sich hier um diesen Scheißdreck kümmern musste.“
Rayonsinspektor August Emmerich und sein Assistent Ferdinand Winter haben es geschafft. Nach der erfolgreichen Lösung ihres ersten Falls „Der zweite Reiter“ gehören sie endlich zur Abteilung „Leib und Leben“. Allerdings nehmen ihre Kollegen sie nicht für voll. Emmerich hat immer noch Probleme mit dem Granatsplitter im Knie und Winter kann seinen Arm noch nicht wieder benutzen, seit er im Dienst verletzt wurde. Die Vorurteile gegen Behinderte sind groß in der Vorzeigeabteilung. Ihre Kollegen verachten sie und teilen ihnen nur Schreibarbeiten zu. Doch Emmerich lässt sich davon nicht unterkriegen. Als er in kürzester Zeit den Fall um den neuen „verhexten“ Film der berühmten Schauspielerin Rita Heidrich lösen kann, ringt er dem Leiter der Abteilung eine Chance ab. Er bekommt 72 Stunden, um parallel zu seinem direkten Vorgesetzten Brühl im Mordfall des beliebten Stadtrates Richard Fürst zu ermitteln. Brühl hat nämlich den schwerstverwundeten Kriegsheimkehrer Beppi als dringend tatverdächtig verhaften lassen. Aber Emmerich kennt Beppi. Dieser hatte Richard Fürst viel zu verdanken. Fürst wollte ein Heim für die Kriegsversehrten bauen. Hat er dafür wirklich Gelder veruntreut und musste darum sterben, wie seine Konkurrenten behaupten?

Die Versorgungslage 1920 in Wien ist schlimmer als im Krieg, das öffentliche Leben stark eingeschränkt, die Stadt kaum wieder aufgebaut. Dementsprechend wächst auch die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Zudem flackert die Angst vor dem nächsten Krieg immer wieder auf. Wer wird das Land dann verteidigen? Die meisten Soldaten sind auf den Schlachtfeldern geblieben.

Emmerich und Winter ermitteln in den verschiedensten Bevölkerungsschichten und ihre Zeit wird immer knapper. Nicht nur ihre Vorgesetzten sitzen ihnen im Nacken, auch ein Mann im braunen Anzug verfolgt sie angeblich – trachtet er ihnen nach dem Leben? Die Uhr tickt, 72 Stunden sind schnell vorbei. Eine atemlose Jagd durch das zerstörte Wien und vor allem wieder die Unterwelt bringt Emmerich und Winter in Gefahr: „Wenn es darum geht, uns in richtig schlimme Situation zu bringen, sind sie wirklich ein Weltmeister!“

Emmerich ist sehr geradlinig und nutzt wieder illegale Mittel und Methoden, um den Fall zu lösen. Er ist nicht nur intelligenter als sein Vorgesetzter, sondern auch weniger voreingenommen. Außerdem treibt ihn nach wie vor die Sorge um seine große Liebe Luise und deren Kinder um – kann er sie vor ihrem Mann bzw. Vater retten?
Winter verehrt die Schauspielerin Rita Heidrich und genießt es, ihren Personenschützer zu spielen. Außerdem nutzt er seine Verletzung, um mit den Sekretärinnen des Kommissariats zu schäkern und sich die Arbeit zu erleichtern. Seine gute Bildung und Erziehung helfen Emmerich auch dieses Mal beim Umgang mit der oberen Gesellschaft. Die beiden Ermittler ergänzen sich hervorragend.

Es sind die Schilderungen der Katakomben und unterirdischen Schlachthäuser, der Gegensätze zwischen den Armen und Reichen, der Filmwelt und den Logierhäusern, welche das Wien der 20er in meinem Kopf lebendig werden lassen und die damaligen Stimmungen vermitteln.
Alex Beer versteht es meisterlich, den Leser nach und nach mit Informationen zu füttern und die extreme Spannung trotzdem bis zur letzten Sekunde zu halten. Das i-Tüpfelchen ist der tolle Sprecher Cornelius Obonya, der dem Hörbuch mit seinem Wiener Dialekt und der Interpretation der Texte Leben einhaucht.

Veröffentlicht am 23.06.2018

Alte Wunden

Vergessene Seelen
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„Das Laub raschelte sommerlich leise im Wind, was aber nicht darüber hin wegtäuschen konnte, dass tausendfach das Klingen von Hämmern auf Ziegelsteinen wie ein hartnäckiger Tinnitus über der Stadt lag.“ ...

„Das Laub raschelte sommerlich leise im Wind, was aber nicht darüber hin wegtäuschen konnte, dass tausendfach das Klingen von Hämmern auf Ziegelsteinen wie ein hartnäckiger Tinnitus über der Stadt lag.“ (S. 6)

Sommer 1948 in Dresden. Es ist unerträglich heiß. Der Krieg ist seit 3 Jahren vorbei aber die Stadt liegt noch immer weitgehend in Trümmern. Auch Karin, die Frau von Oberkommissar Max Heller, gehört zu den Trümmerfrauen, welche die alten Wunden ihrer Heimat beseitigen, damit sie neu aufgebaut werden kann.

Heller wird zu einer Baustelle gerufen, auf der ein toter Junge gefunden wurde. Ist der vielleicht vom Kran gestürzt? Aber äußere Verletzungen fehlen. Als Heller ihn sich genauer anschaut, ist er entsetzt. Der Junge hat unzählige blaue Flecken in verschiedenen Stadien, ist eindeutig über längere Zeit misshandelt worden! Doch seine Eltern und Brüder sind seltsam ungerührt, als sie von seinem Tod erfahren. Auch die Mitschüler und der Lehrer wussten angeblich von nichts. „Es gibt keine Menschlichkeit mehr.“ (S. 312).

Der Fall, die Kindesmisshandlung, reißt bei Heller alte Wunden auf. Sein Gewissen quält ihn – wegen damals. Was genau „damals“ war, erfährt man nur Stück für Stück und andeutungsweise. Verwunden hat er es nie.
Schnell wird klar, dass der Junge zu einer Bande gehörte, die in illegale Geschäfte verwickelt ist. Aber wer steckt dahinter? Verdächtig sind eigentlich alle in den Fall Involvierten. Aber niemand redet.
Außerdem muss sich Heller mit seinem Sohn Klaus auseinandersetzen. Der gehört zur politischen Polizei und will seinem Vater den Fall entziehen. Vater und Sohn entfernen sich nicht nur politisch immer mehr voneinander. Klaus ist ein sogenannter 100%iger, heißt alles gut, was die sowjetischen Besatzer machen. Schließlich haben die Deutschen ihnen im Krieg Unsägliches angetan. Dass sein „Verein“ immer mehr an die Nazis erinnert, will er nicht einsehen.

Immer mehr Menschen verschwinden nach „Drüben“. Die Gerüchte mehren sich, dass die westlichen Besatzungsmächte ihre Zonen abriegeln. Die D-Mark wird eingeführt und die Angst vorm nächsten Krieg wächst.

Und dann ist da noch die Angst um Annie, das Pflegekind, das Max und Karin aus dem Kinderheim aufgenommen haben. Sie spricht kaum und hat jede Nacht Albträume – was hat sie erleben müssen?

Frank Goldammer webt auch in „Vergessenen Seelen“ wieder eine sehr dichte Atmosphäre, aufgeladen wie das Wetter. Menschliche Abgründe tun sich auf und Wut entlädt sich wie die kräftigen Gewitter. Heller hetzt über Trümmerberge und durch Ruinen, scheint immer einen Schritt hinterherzuhinken. Weitere Beteiligte sterben, er gerät selbst in Lebensgefahr. „Noch immer tötet dieser Krieg, obwohl er längst vorbei ist.“ (S.138)
Der Fall ist mir extrem zu Herzen gegangen und hat mich bis zuletzt in Atem gehalten. Immer wieder bringt er neue Verdächtige und Tatmotive und am Ende ist klar – wohl niemand war damals ohne Schuld. Auch Max Heller nicht.

Als Dresdnerin kenne ich die Straßen und Plätze sehr genau und bin immer wieder fasziniert, wie umfassend der Autor für seine Bücher recherchiert und was er alles einfließen lässt.
Diese Woche, genau 70 Jahre nach dem Handlungszeitpunkt des Buches, erheben sich wieder rote Ziegelnebelschwaden und Hämmern über das heiße Dresden. Alte Ziegelbauten müssen für die Hafencity weichen und die Stimmung des Krimis wird sofort greifbar.

Mein Fazit: Unbedingt Lesen und dem nächsten Band im Dezember entgegenfiebern!