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heinoko

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.05.2018

Ein kleines, feines Kabinettstückchen Literatur

Die Frau von gegenüber
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Von Herrad Schenk las ich „Das Haus, das Glück und der Tod“, als ich zeitgleich engagiert war im Renovieren eines ehemaligen Dreiseithofes in Niederbayern. Das Buch hatte mich emotional gepackt aus mehreren ...


Von Herrad Schenk las ich „Das Haus, das Glück und der Tod“, als ich zeitgleich engagiert war im Renovieren eines ehemaligen Dreiseithofes in Niederbayern. Das Buch hatte mich emotional gepackt aus mehreren Gründen: Da waren ähnliche Erfahrungen im Umgang mit alter Bausubstanz, mit eigenwilligen Handwerkern und wohlmeinenden, interessierten Nachbarn, und da war das ins Nichts Stürzen, als alles geplante Glück ein plötzliches Ende findet. Umso mehr, als ich entdeckte, dass Herrad Schenk dies alles erlebte in dem Landstrich Deutschlands, in dem ich mein Alter verbringen wollte. Viele Jahre später lebe ich nun wenige Kilometer von Herrad Schenk entfernt und entdecke dieses Buch. Kein Zufall.

Viel geschieht nicht im Buch. Ein einsam lebender, verwitweter Wissenschaftler, der sich festhält an dem Projekt, ein fundamentales Standardwerk abzuschließen, schaut in die Fenster des Hauses gegenüber. Dort sieht er anderen beim Leben zu, insbesondere einer ebenfalls verwitweten, zur Trägheit neigenden Frau, die ihre Unabhängigkeit zu genießen scheint. Als eines Tages eine junge alleinerziehende, unangepasste Frau mit zwei Kindern in das Haus gegenüber einzieht, wird der Sommer von Tag zu Tag schwüler…

Herrad Schenk schreibt klar, ohne Schnörkel, leicht lesbar, aber an keiner Stelle oberflächlich. Sie erzählt in genialer Schlichtheit so intensiv, dass man als Leser das Gefühl hat, selbst in diese kleine, enge Welt hineingezogen zu werden. Die Einsamkeit fällt den Leser an wie ein Tier. Die Sonnentage legen eine innere Düsternis bloß, die erschreckt. Die Hitze verwirrt einerseits, lässt bisher sicher geglaubte Grenzen verschwimmen und offenbart andererseits in Klarheit so manche Lebenslüge. Die Autorin entwickelt auf kleinstem Raum große Themen. Fast beiläufig, wie ungewollt, kommt sie dem Leser nahe und stellt essentielle Fragen, denen man als älterer Mensch nicht länger ausweichen kann.

Veröffentlicht am 27.04.2018

Ein Wimmelbuch über 100 Jahre russische Geschichte

In einem alten Haus in Moskau
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Ich weiß gar nicht, wie und womit ich anfangen soll, dieses unglaubliche, zauberhafte, detailgenaue, liebevollst gezeichnete Buch zu beschreiben.
Ist es ein Kinderbuch? Vielleicht ja. Es zeigt sich in ...


Ich weiß gar nicht, wie und womit ich anfangen soll, dieses unglaubliche, zauberhafte, detailgenaue, liebevollst gezeichnete Buch zu beschreiben.
Ist es ein Kinderbuch? Vielleicht ja. Es zeigt sich in der äußeren großformatigen Gestaltung eines Bilderbuches, einer Art Wimmelbuch. Wir schauen 1902 mitten hinein in eine Wohnung, in die Familie Muromzew gerade einzieht. Wir schauen und schauen und entdecken unzählige Kleinigkeiten. Am Rand gibt es Erklärungen, aber auch Fragen, Suchaufgaben. Und wir begleiten die Familie Muromzew weiter durch die Jahre, schauen weiter in ihre Wohnung, die sich wandelt, erleben neue Generationen – stets so erzählt, dass es größere Kinder gerne mit Entdeckerfreude lesen.
Ist es ein Erwachsenenbuch? Vielleicht ja. Der Wechsel der Zeiten, der Wechsel der Moden, der Wechsel der politischen Ereignisse wird in den Zeichnungen quasi im Zeitraffer in gezeichneter Form lebendig gemacht, augenfällig gemacht im wahrsten Sinne des Wortes. Dazu gibt es kurze sachbuchgerechte Texte, die den politischen Wandel und seine Wendungen jeweils erklären.
Es wird erzählt die Geschichte der Familie Muromzew, und zwar von 1902 bis 2002, also über mehrere Generationen hinweg. Dank des gezeichneten Familienstammbaums und einer ebenso gezeichneten Übersicht der Nachbarn, Freunde und Zeitgenossen (einschließlich der im Haushalt lebenden Hunde und Katzen) behält man stets die Übersicht. Und da man bis in die Toilette hinein die gesamte Familie beobachten darf, einerseits sehr intim-voyeuristisch, andererseits politisch-distanziert, gewinnt man durch Schauen, Entdecken, Suchen und Spielen ein Maß an Ein-Sicht, wie es so manchem dicken Sachbuch nicht gelingen mag. Urteilsfrei ins Bild gesetzt spricht der Wandel der russischen Lebenswelt voller Charme und ohne Umwege zu uns, egal wie alt wir sind.
Völlig zurecht ist dieses ungewöhnliche, großartige Buch nominiert für den Deutschen Jugendbuchpreis.

Veröffentlicht am 26.04.2018

Ein Kleinod

Ich wollte nur Geschichten erzählen
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Dieses Büchlein ist ein Kleinod. Es enthält nicht das, womit man Rafik Schami normalerweise verbindet, nämlich überbordende Erzählfreude, sondern es ist ein sehr persönliches Buch, mit leisen Tönen, mit ...

Dieses Büchlein ist ein Kleinod. Es enthält nicht das, womit man Rafik Schami normalerweise verbindet, nämlich überbordende Erzählfreude, sondern es ist ein sehr persönliches Buch, mit leisen Tönen, mit viel Traurigkeit, mitunter auch mit Bitterkeit, dann wieder entlarvend-fröhlich, immer aber bewegend.
Rafik Schami erzählt in kurzen Sequenzen, in komprimierter, oft pointierter Form von seiner Heimat Syrien, von Kultur, Politik und von deren Zusammenhängen. Er ist erschreckt über die Unwissenheit der Deutschen über Syrien und Assad und sieht es als seine Aufgabe, durch seine Geschichten „Fenster zu anderen Kulturen“ zu öffnen. Er berichtet über sein Leben im Exil, über sein detailliertes Studium der deutschen Sprache und Phonetik und wie Zivilisation das Lachen verlernen lässt. Ein ganz wunderbarer Abschnitt im Buch sind die Beiträge zum Thema Schreiben und Lesen, insbesondere die 25 Ratschläge für junge Autoren. Man möchte diese Ratschläge auch so manchem älteren Autor gerne in die Hand drücken! Am besten ist Rafik Schami, wenn er in Humor verpackt die Dummheit der Menschen entlarvt. Dass ihm, gerade was den deutschen Literaturbetrieb betrifft, dieser Humor zeitweilig abhanden kommt und leises Entsetzen einen Teil seiner Beiträge diktiert, ist mehr als verständlich.
Ja, das Büchlein ist ein Kleinod. Zum öfter Lesen. Zum Nachdenken. Zum Lernen. Und zum Wertschätzen all der unzähligen Mosaiksteine, aus denen sich das Gemälde des Lebens zusammensetzt.

Veröffentlicht am 16.04.2018

Heiß, explosiv, berauschend

Höllenjazz in New Orleans
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Ich gebe zu, das Cover hätte mich nicht dazu animiert, das Buch in die Hand zu nehmen. Doch nach wenigen gelesenen Sätzen taucht man bereits tief ein in die Welt von New Orleans um 1920, in die Welt des ...


Ich gebe zu, das Cover hätte mich nicht dazu animiert, das Buch in die Hand zu nehmen. Doch nach wenigen gelesenen Sätzen taucht man bereits tief ein in die Welt von New Orleans um 1920, in die Welt des Jazz, der Prohibition, des Gangstertums, eine Welt, in der Misstrauen herrscht, in der eine explosive Mischung an Einwanderern und die nicht minder explosive rassistische Gesinnung der Einwohner als ständige Gefahrenquelle lauert. Die Mafia und Louis Armstrong, Tarotkarten und der quasi unsichtbare Mörder – 500 Seiten, die man wie im Rausch liest…
Das Buch erzählt die (wahre) Geschichte des Serienkillers Axeman, der New Orleans in Angst und Schrecken versetzt. Und es erzählt von drei höchst unterschiedlichen Ermittlern, die Jagd auf den Killer machen. Der mysteriöse Mörder tötet mit der Axt und hinterlässt, sozusagen als Markenzeichen, bei seinen Opfern jeweils eine Tarotkarte. Immer schneller und schneller schlägt er zu… Die gelungene Mischung aus Fakten und Fiktion macht das Buch besonders intensiv und überaus spannend. Das Personenverzeichnis zu Beginn des Buches ist, zumindest anfänglich, sehr hilfreich. Der Autor schafft es, so atmosphärisch dicht zu schildern, so dass man als Leser das Gefühl hat, man sei selbst mitten in die rauschhafte Zeit gefallen und erlebe den Schmelztiegel an Korruption, Voodoo, Rassismus und Angst hautnah mit.
Ein berauschendes Lesevergnügen, und das über 500 Seiten!

Veröffentlicht am 15.04.2018

Schön, einfach nur schön

Eine Liebe in Apulien
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Schön, einfach nur schön in letzter Zeit hatten sich mehrere Bücher aus dem Mira-Verlag auf den Weg zu mir gemacht, und alle waren, wie auch das vorliegende Buch, so leicht lesbar, dass man wunderbar in ...

Schön, einfach nur schön in letzter Zeit hatten sich mehrere Bücher aus dem Mira-Verlag auf den Weg zu mir gemacht, und alle waren, wie auch das vorliegende Buch, so leicht lesbar, dass man wunderbar in die Geschichten eintauchen konnte. Romane wie dieser hier passen zu warmen Sommerabenden, an denen man sich nicht mit belastenden, schwierigen Texten herumschlagen möchte, sondern sich zurücklehnen und einfach nur unterhalten lassen möchte.
Viola, arbeitslose Innenarchitektin, frisch getrennt von ihrem untreuen Freund, muss nun auch noch den Tod ihrer geliebten Großmutter verkraften. Da erfährt sie, dass ihre weitsichtige Großmutter ihr das wunderschöne, aber sehr heruntergekommene Anwesen in Apulien vererbt hat, verbunden allerdings mit einigen Auflagen. Viola hat Ideen, packt die Aufgabe tatkräftig an, bekommt Hilfe von Aris, einem gut aussehenden, aber sehr verschlossenen Handwerker - aber dann geschehen unerklärliche Anschläge und Unglücksfälle, und Viola bekommt zu spüren, dass sie nicht bei allen in der Gegend willkommen ist.
Natürlich ist die Geschichte vorhersehbar, natürlich werden reichlich Klischees bedient, aber dennoch hat das Buch im Gesamten eine so positive Ausstrahlung, dass man es nicht zur Seite legen möchte. Man spürt die Wärme des Südens, man riecht die Meerluft, man wird geradezu überschwemmt von den Farben der reich blühenden Pflanzenwelt.. Es gelingt der Autorin durch ihre intensiven Landschaftsschilderungen, im Leser ein Gefühl des Urlaubs, leicht und frei, zu wecken. Aber auch die Charaktere werden so dargestellt, dass man sich ihnen nahe fühlt, dass man gespannt teilhat an dem, was sie denken, fühlen und tun, was ihnen geschieht. Insgesamt ist das Buch ein wohltuendes Leseerlebnis, wunderbar geschrieben und die Leserseele wärmend.