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Veröffentlicht am 15.05.2018

Allmächd, is der goud!

Nürnberg - Fürth, Erlangen MM-City Reiseführer Michael Müller Verlag
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Da liegt sie vor mir, die aktualisierte 11. Neuauflage des Städteführers Nürnberg, Fürth, Erlangen. Die farblich bunte Gestaltung des Covers und besonders die Regenbogenfarben des Buchrückens fallen im ...


Da liegt sie vor mir, die aktualisierte 11. Neuauflage des Städteführers Nürnberg, Fürth, Erlangen. Die farblich bunte Gestaltung des Covers und besonders die Regenbogenfarben des Buchrückens fallen im Buchhandlungsregal auf. Das Titelbild ist ziemlich abgedroschen, hat aber genau deswegen den Effekt, dass man den Reiseführer, noch ohne den Titel gelesen zu haben, bereits mit Nürnberg assoziiert.
Vorweg: Der Reiseführer ist nicht geeignet für Städte-Schnellkonsumenten, für Fast-Sightseeing, für oberflächliches Sehenswürdigkeiten-Sammeln. Zwar gibt es auch eine Übersicht der Sightseeing-Klassiker im Buch, aber wem das genügt, der ist mit einem leichtgewichtigen Faltblatt, das man gratis bei der Touristen-Info bekommt, ausreichend gut bedient. Der vorliegende Reiseführer fordert Zeit! So wie die Stadt, will man sie wirklich entdecken, Zeit fordert. Nürnberg ist so unendlich viel mehr als Burg und Schöner Brunnen. Die Einteilung des Reiseführers, der uns auf 10 verschiedenen Touren durch die Stadt begleitet, begeistert mich. Denn bei diesen Touren, jeweils versehen mit einer Übersichtkarte, werden die Augen auf vielfältige Details gelenkt, auf Historisches ebenso wie auf Modernes, auf Typisches für diesen Stadtteil, auf Wissenswertes, Kulturelles, auf Öffnungszeiten und Eintrittspreise, dazu jeweils ergänzt durch eine Fülle von Hinweisen, wo man in diesem Stadtteil Hunger und Durst stillen kann.
Auch Fürth und Erlangen werden ausführlich beschrieben. Und es finden sich all die nützlichen Hinweise, die einem Touristen das Zurechtfinden in einer fremden Stadt erleichtern, ergänzt durch ein umfangreiches Register, das Straßennamen, Bauwerke, aber auch Stichworte wie Lebkuchen und Schäufele enthält.
Tagelang habe ich in diesem Reiseführer vor- und zurückgeblättert, habe mich festgelesen und bin, indem ich durch das Buch wanderte, ebenso durch meine ersten 40 Lebensjahre in Nürnberg gewandert, wiedererkennend, erinnernd und verblüfft von all dem Neuen, das zwischenzeitlich in Nürnberg entstanden ist.
Ralf Nestmeyer ist, wie ich meine, der perfekte Reiseführer gelungen: Sachlich-klar geschrieben, strukturiert, Geschichte und Gegenwart gleichermaßen würdigend, mitunter auch einmal eine leise Kritik unterbringend, immer aber spürbar seine Zuneigung zu dieser wunderbaren Stadt ausdrückend. Was sich auch in Einschüben wie zum Beispiel diesem hier zeigt, mitten unter „Kultur- und Nachtleben“ zu finden:

„Allmächd!“: „Das Staunen der Welt, die irdischen Schrecken der Existenz und das Bedauern der Vergänglichkeit in ein Wort gepackt, dessen einzigartige Konnation durch eine weit durch die Zahlreihen hervorgestreckte Zunge und einen nach unten geschobenen Unterkiefer hervorgerufen wird“.

Veröffentlicht am 13.05.2018

Sehr gemächlich erzählt

Schweige nun still
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Der Klappentext zog mich magisch an und ließ mich ein hohes Spannungspotential erwarten: Eine junge Frau wird in die Station für Koma-Patienten des St. Catherine Hospital eingeliefert, nachdem man sie ...


Der Klappentext zog mich magisch an und ließ mich ein hohes Spannungspotential erwarten: Eine junge Frau wird in die Station für Koma-Patienten des St. Catherine Hospital eingeliefert, nachdem man sie bewusstlos in einem Straßengraben gefunden hat. Ein tragischer Unfall mit Fahrerflucht? Im Bett neben Cassie liegt Frank, der am Locked-in-Syndrom leidet: Er nimmt alles wahr, kann sich aber nicht mitteilen. Die Menschen um ihn herum verhalten sich so, als wäre Frank gar nicht da. Und so ist er es, der als einziger die Puzzleteile von Cassies Vergangenheit zusammensetzt und erkennt, dass sie noch immer in tödlicher Gefahr schwebt. Denn jemand aus ihrer nächsten Nähe würde alles tun, damit das Schweigen gewahrt bleibt, niemals ans Licht kommt, was wirklich geschehen ist …

Leider wurden meine Erwartungen nicht erfüllt. Obwohl der Plot alles hat, was zu einem Psychothriller gehört, kann sich durch die extrem gemächliche, ausschweifende, fast betuliche Erzählweise keine Spannung aufbauen. Der eigentlich geschickte Schachzug, die Geschichte aus drei verschiedenen Sichtweisen zu erzählen, verliert im Verlauf der Seiten immer mehr an Reiz, umso mehr, als die dargestellten Personen nicht wirklich psychologisch nachvollziehbar denken und handeln. Streckenweise kamen mir die geschilderten Szenarien vor wie eine Mischung aus „Chicago Hope“ und „Barnaby“, was zwar durchaus seinen Reiz hat, aber doch weit weg ist von einem Psychothriller. Viele, viele Seiten lang geschieht im Grunde nichts, man liest und liest, fühlt sich mäßig unterhalten, macht sich so seine Gedanken und Vorstellungen, hat Vermutungen, aber bleibt weitgehend unberührt. Erst auf den letzten 50 Seiten passiert alles auf einmal. Das Geschehen explodiert quasi. Und schon ist das Buch zu Ende und man fühlt sich als Leser wie nach einem überraschenden Gewitter: erschreckt und froh, es hinter sich zu haben.

Veröffentlicht am 13.05.2018

Cold Case auf österreichisch

Mordsg'schicht
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Die Kurzbeschreibung fasst den Inhalt perfekt zusammen: Juliana Kallberger ist froh, in das gemütliche Dörfchen Zwirnbach gezogen zu sein. Hier, in der Heimat ihres Mannes, kann sie in Ruhe ihrem Lieblingshobby ...


Die Kurzbeschreibung fasst den Inhalt perfekt zusammen: Juliana Kallberger ist froh, in das gemütliche Dörfchen Zwirnbach gezogen zu sein. Hier, in der Heimat ihres Mannes, kann sie in Ruhe ihrem Lieblingshobby nachgehen: Der Ahnenforschung. Doch als sie einen Eintrag in ihrem Familienstammbuch ergänzen will, stolpert sie über einen Skandal. 1902 wurde ein Urahne ihres Mannes erhängt in Zwirnbach aufgefunden, kurz nachdem auch seine Frau gestorben ist. War das ein Selbstmord? Juliana kommt der Eintrag ungewöhnlich vor und sie beginnt zu recherchieren, was damals vorgefallen sein könnte. Doch schlafende Hunde soll man nicht wecken und die Stimmung im Dorf kippt, als Juliana beginnt herumzuschnüffeln. Dann wird auch sie selbst bedroht …

Nicht nur das Dörfchen Zwirnbach ist gemütlich, das ganze Buch ist es. Gemütlich, fast betulich wird so vor sich hin erzählt. Wer ein Faible für Ahnenforschung hat, dem mag es gefallen, insbesondere da sich der Anhang detailliert mit dem Thema befasst. Ich persönlich habe diese Absätze jeweils nur überflogen, weil ich zugegebenermaßen gar kein Interesse für das Herumstöbern in der Welt der Ahnen habe. Der Plot als solcher genügt einfach nicht, um zu fesseln. Die Geschichte ist arg konstruiert, vorhersehbar, stellenweise langatmig dargestellt und wurde in einen arg schlichten Schreibstil verpackt. Zwar wird nett erzählt und viel Aufwand betrieben, um Häuser, Gärten, Einrichtungen und andere Äußerlichkeiten zu beschreiben, aber genau an diesen Äußerlichkeiten bleibt die Geschichte auch hängen, bleibt sozusagen zweidimensional, oberflächlich. Der österreichische Slang ist durchaus liebenswert und über die österreichische Küche in allen möglichen Variationen habe ich viel erfahren, aber das genügt leider nicht, um das Buch zu einer Mordsg’schicht zu machen.

Veröffentlicht am 10.05.2018

Aneinandergereihte Klischees

Landeierforschung
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Der Klappentext sagt genug zum Buchinhalt: Die 40-jährige Anne gerät eher zufällig mit ihrem unkonventionellen Cousin Mike in das 300-Seelen-Nest Eisheim. Dort lernt sie nicht nur, dass es auf dem Land ...


Der Klappentext sagt genug zum Buchinhalt: Die 40-jährige Anne gerät eher zufällig mit ihrem unkonventionellen Cousin Mike in das 300-Seelen-Nest Eisheim. Dort lernt sie nicht nur, dass es auf dem Land mehr zu entdecken gibt als Kühe und Schützenfeste, sie entdeckt auch, dass sie sich auf dem Rücken eines Pferdes erstaunlich gut fühlt. Außerdem trifft sie den attraktiven Reitlehrer Ben, der zwar ihre schlechtesten Eigenschaften zum Vorschein bringt, aber komischerweise trotzdem genau das zu sein scheint, was Anne braucht.

Aufgrund von Buchtitel und Cover bin ich von einer humorigen Story ausgegangen, von spritzigen Dialogen und von so mancher zum Lachen reizenden komischen Situation. Tja, leider lag ich völlig falsch. Ich las eine langweilig vor sich hindümpelnde, vorhersehbare Geschichte, die an Oberflächlichkeit kaum mehr zu überbieten ist. Alle denkbaren Klischees werden reichlich bedient. Die Protagonisten allesamt verkörpern Klischees, Männer natürlich allem voran. Selbst Dekorationen, Blumenschmuck oder Lebensformen, ja sogar Pferde scheinen in diesem Buch nur der Verkörperung oder Verbildlichung eines bestimmten Klischees zu dienen. Noch schlimmer als diesen nichtigen Buchinhalt empfinde ich jedoch den Schreibstil. Eine uninspirierte Alltagssprache, mit Alltagswörtern gespickt, stellenweise sogar in einer abstoßenden Sprache formuliert („Ich hatte… auf den morgigen Tag geschissen.“) – nein, das zu lesen macht keinen Spaß, ist nicht romantisch, ist nicht vergnüglich, ist nur verlorene Lebenszeit. Schade.

Veröffentlicht am 10.05.2018

Brutal-reißerisches Road Movie

Die Rache der Polly McClusky
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Nate McClusky, soeben erst dem Knast entkommen, flieht mit seiner Tochter 11-jährigen Polly vor einer Gang, die beiden nach dem Leben trachtet.
Polly ist überdurchschnittlich intelligent, zu Beginn des ...

Nate McClusky, soeben erst dem Knast entkommen, flieht mit seiner Tochter 11-jährigen Polly vor einer Gang, die beiden nach dem Leben trachtet.
Polly ist überdurchschnittlich intelligent, zu Beginn des Buches ganz unschuldiges Kind, in verschiedenen Welten lebend. Im Verlauf der Geschichte wandelt sich Polly unter Schulung ihres Vaters zunehmend, bekommt „Revolverheldaugen“. Sie lernt zu kämpfen und wechselt sukzessive die Fronten.
Die Sprache fasziniert mich und stößt mich ab, beides gleichermaßen und beides gleich intensiv. Auf jeden Fall hat sie eine enorme Sogwirkung, sie lässt mich nicht kalt, sondern zieht mich in eine Geschichte hinein, die ich eigentlich gar nicht lesen möchte. Es ist schon eine besondere Kunst, die entsetzlichsten Geschehnisse auf eine solch berauschende Weise darzustellen. Ich würde sagen: genial brutal geschrieben – auch wenn ich den Inhalt im Gesamten nicht mag.