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heinoko

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.02.2018

Grandios

Alte Geschichten
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Das Buch klappe ich nach der letzten gelesenen Geschichte zu. Ratlos. Deprimiert. Wütend. Weil das Buch großartig geschrieben ist. Und so entsetzlich.

Die Erzählungen berichten von Frauen und Männern, ...

Das Buch klappe ich nach der letzten gelesenen Geschichte zu. Ratlos. Deprimiert. Wütend. Weil das Buch großartig geschrieben ist. Und so entsetzlich.

Die Erzählungen berichten von Frauen und Männern, die „gegen“ sind. Gegen die anderen, gegen den anderen, gegen die Vergangenheit, gegen sich selbst. Und entweder sie haben resigniert oder sie hassen oder sie sind erkaltet bis ins Herz. Apropos Herz: Das kommt nicht vor. Niemand ist herzlich. Herzerwärmende Gesten gibt es nicht. Es sind beschädigte, herzbeschädigte Menschen, von denen berichtet wird, herzlos berichtet wird.

Dass die Autorin gewohnt ist, Kolumnen zu schreiben, d. h. Themen pointiert zu Papier zu bringen, spürt man in dieser vorliegenden Sammlung von Erzählungen. Da ist kein Satz zuviel, ja da ist kein Wort zuviel. Und das Grauen blinzelt auf jeder Seite zwischen den Sätzen hindurch, das Grauen, das sich Menschen selbst oder dem Partner verordnen, sozusagen als Medikament gegen Einsicht, gegen Reflexion, gegen Hoffnung, gegen alles am besten. Die Autorin schaut mit dem Mikroskop hin und zählt die tiefen Seelenfalten, die unverheilten Seelenwunden. Und sie lässt kein gutes Haar an den Menschen, von denen sie berichtet. Es gibt in diesem Buch an keiner Stelle einen Schimmer von echter Erlösung oder zumindest tragfähiger Hoffnung. Das messerscharfe Seziermesser der Autorin setzt nahezu in jeder Geschichte einen endgültigen Schnitt. Es gibt kein Davonkommen. Grandios.

Veröffentlicht am 14.02.2018

Russisch Brot mit Herz

Liebesgrüße aus Deutschland
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Gerne schauen wir Deutschen mit Neugier, Bewunderung, oftmals auch mit Kopfschütteln nach Russland, nach dem historischen wie auch dem modernen Russland. Nicht erst seit Dr. Schiwago üben russische Geschichten ...


Gerne schauen wir Deutschen mit Neugier, Bewunderung, oftmals auch mit Kopfschütteln nach Russland, nach dem historischen wie auch dem modernen Russland. Nicht erst seit Dr. Schiwago üben russische Geschichten eine merkwürdige Faszination aus. Wir kuscheln uns lesend in teuere Pelze und trotzen gerne der sibirischen Kälte und allzu oft auch der russischen Realität.
Wie ist es nun, wenn ein in Moskau geborener Autor, der seit 1990 in Deutschland lebt, auf uns Deutsche schaut?

„Wenn ein Russe von den Deutschen spricht, dann sagt er, ihnen fehle das Herz. … alles tun sie ohne Herz, aus bloßem Interesse.“
Herz ist es, Herz zeichnet ihn aus, wenn Kaminer uns zuschaut, wie wir Deutschen jährlich Millionen für Klarsichthüllen ausgeben, um unseren Staat ordentlich in Aktenordnern zu verwalten. Er hält uns auf sehr witzige Weise den Spiegel vor. Er, dessen Kater Fjodor Dostojewski heißt, erzählt uns von der deutschen Erfindung von Russisch Brot und stellt den gewagten Vergleich an zur großen Bedeutung von Brot in Russland, ohne das es keine Oktoberrevolution gegeben hätte.

Man liest und lacht und liest und schmunzelt, und ganz nebenbei lernt man mehr über die russische Seele, als es jedes schlaue Sachbuch vermitteln könnte. Dass beispielsweise das Unterrichtsfach Sport in Russland „physische Kultur“ heißt – das sagt doch alles, nicht wahr?

Veröffentlicht am 11.02.2018

Krimi auf österreichisch

Tödliche Fälschung
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Zwei Erzählstränge, zwei rätselhafte Fälle und ein Ermittlerteam der besonderen Art: Daraus ist dieses Buch gestrickt, und zwar in einem speziellen österreichischen Strickmuster, das mich zu Beginn etwas ...

Zwei Erzählstränge, zwei rätselhafte Fälle und ein Ermittlerteam der besonderen Art: Daraus ist dieses Buch gestrickt, und zwar in einem speziellen österreichischen Strickmuster, das mich zu Beginn etwas befremdete, mir aber schlussendlich sehr gefiel.
Kommissar Worschädl besucht mit seiner holden Gattin Karoline ein Cellokonzert, das nicht stattfindet, weil der Bratschist hinter der Bühne tot aufgefunden wird. Und es wird bei einer Joggingrunde mit ihrem Blindenhund ein blindes junges Mädchen entführt. Dazu kommt auch noch jede Menge Falschgeld. Worschädl und seine Kollegin Schinagl, die mit einer schwer pubertierenden Tochter geschlagen ist, ermitteln von Linz bis nach Italien, mitunter bis hin zur persönlichen Schmerzgrenze, bei der auch Bachblüten nicht mehr helfen können…
Wenn man sich erst einmal in den intelligenten, aber etwas sperrigen Sprachstil eingelesen hat, macht das Buch richtig Spaß. Denn abgesehen von den durchaus spannend aufbereiteten Geschehnissen besticht der Krimi durch seinen teils bissigen, teils liebevollen, immer und überall ganz leise durchblitzenden Humor. Auf eine Fortsetzung darf man hoffen.

Veröffentlicht am 11.02.2018

Nu dawai

Berlin - Moskau
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Der Journalist Wolfgang Büscher machte sich zu Fuß auf eine ganz und gar unglaubliche Reise, beginnend an einem heißen Sommerabend in Berlin. Er geht gen Osten, über Polen weiter nach Weissrussland und ...


Der Journalist Wolfgang Büscher machte sich zu Fuß auf eine ganz und gar unglaubliche Reise, beginnend an einem heißen Sommerabend in Berlin. Er geht gen Osten, über Polen weiter nach Weissrussland und schließlich bis Moskau. Das wichtigste Utensil: eine winzige Schere zum Schneiden von Pflasterstreifen…

Das Buch ist kein Reiseführer. Und es ist doch einer, aber einer fast ohne nachschlagbare Fakten, sondern einer, der prall gefüllt ist mit skurrilen Erlebnissen, mit merkwürdigen Begegnungen, mit unglaublichen Geschichten, und immer wieder dazwischen manchmal fast beiläufig eingestreute geschichtliche oder politische Rückblicke, Meinungen, Verwunderungen. Mit einer fein nuancierten Beobachtungsgabe und schier endloser Neugier ausgestattet, erlebt der Autor sehr viel Verwunderliches, Überraschendes. Wir schauen mit ihm zusammen die Mini-Ausschnitte seines persönlichen Erlebens an und bekommen so, ganz ohne Lexikon-Wissen bemühen zu müssen, ein Gefühl für russisches Leben in jeglicher Ausprägung. Und Büscher erzählt uns davon in einer ausgesprochen schönen, stellenweise fast lyrisch anmutenden bildhaften Sprache. Ein wunderbar zu lesendes Buch, lebendig, intensiv. Erleben Sie es selbst: Nu dawai!

Veröffentlicht am 07.02.2018

Ein Buch wie Bitterschokolade

Der Sommer des Raben
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Es fällt mir schwer, diesem kleinen großen Roman gerecht zu werden.
Da gibt es eine klare Handlung: Felix stirbt durch einen unglücklichen Unfall und Siri, seine Lebensgefährtin, erlebt die dunkelste ...


Es fällt mir schwer, diesem kleinen großen Roman gerecht zu werden.
Da gibt es eine klare Handlung: Felix stirbt durch einen unglücklichen Unfall und Siri, seine Lebensgefährtin, erlebt die dunkelste Zeit ihres Lebens. Sie flieht in ohnmächtiges Verharren, lässt andere bestimmen, gewährt dem inneren Stillstand und aufblitzenden Erinnerungsbildern sehr viel Raum. Schließlich nimmt sie, von Beruf Agentin für Puppenexponate, die von Felix begonnene Suche nach der Raben-Marionette Havran aus der weltberühmten tschechischen Werkstatt Spejbl & Hurvinek wieder auf, und mit dieser geradezu besessenen Suche beginnt sich auch ihr inneres Leben wieder in Bewegung zu setzen.
Mir war beim Lesen dieses Buches meistens kalt. Die beschriebene Trauer fiel mich an wie eine plötzliche Erkältung. Und Siri’s ergebenes Stillhalten ließ auch mich erlahmen. Die sehr detailgenau erzählte Welt der Marionetten war einerseits faszinierend, andererseits blieben die Puppen und Marionetten und Raben im gesamten Buch leblos. Ursprung und Besitz, ja – aber an keiner Stelle des Buches wurden sie zum Leben erweckt, nahm sich ein Puppenspieler ihrer an und hauchte ihnen Persönlichkeit ein. Und so fühlte ich mich auch beim Lesen: An den Fäden der Autorin hängend, ihrer erzählten Geschichte folgend, aber ohne eigenes Leben. Hingerissen von ihrem intensiven, feinsinnigen Schreibstil, in dem sich eine nüchterne, fast abgehackte Schreibweise mit Stellen von lyrischer Schönheit abwechselt. Übrig bleibt mir vom Buch der Geschmack von Bitterschokolade – süß und bitter gleichermaßen.