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Veröffentlicht am 16.01.2018

Literarische Herzsuche

Die Herzen der Männer
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„Die Herzen der Männer“ – ja, sie sind zu finden in diesem Buch. Man bahnt sich 480 Seiten lang schier endlos scheinende Wege durch einen Urwald von Gewalt, von Abwehr und gnadenloser Härte. Und während ...


„Die Herzen der Männer“ – ja, sie sind zu finden in diesem Buch. Man bahnt sich 480 Seiten lang schier endlos scheinende Wege durch einen Urwald von Gewalt, von Abwehr und gnadenloser Härte. Und während man sich innerlich bereits abgewendet hat, entrüstet oder angeekelt ist, blitzt es plötzlich hervor, so ein Männerherz, so weich, so verletzlich, dass es den Leser im Tiefsten berührt.

Zentrum des Geschehens, der Rote Faden im Buch, ist ein Pfadfinder-Lager in Wisconsin. Im Jahr 1962 lernen wir Nelson kennen, einen traurig-einsamen Jungen, dessen Intelligenz und Perfektionsdrang seine gesamte Umwelt auf Abstand hält oder sie herausfordert zu Quälereien sondersgleichen. „Ich muss klüger sein als die.“ Mit diesem Ansporn rückt er noch weiter weg von den anderen. Er ist auf eine ganz altmodische Weise ganz und gar rechtschaffen. Alle Prügel seines Vaters konnten daran nichts ändern. Jonathan ist der einzige Jugendliche, der auf versteckte und doch tröstliche Weise zu Nelson hält.
1996, gute 30 Jahre später leitet Nelson, der im Vietnamkrieg im Einsatz gewesen war, das Pfadfinder-Lager. Jonathan’s Sohn Trevor nimmt daran teil. Im Verlauf dieses Lageraufenthaltes lernt Trevor seinen Vater von einer Seite kennen, die seine heile Familienwelt-Vorstellung brutal zerstört.
2019 befinden wir uns wieder im gleichen Pfadfinder-Lager, in dem der alte Nelson inzwischen dauerhaft lebt. Dieses Mal lernen wir Thomas kennen, den Sohn von Trevor. Die moderne Zeit lässt das Pfadfinder-Leben fast lächerlich wirken. Das Ende dieses Sommer-Camps ist symbolhaft…

Die unglaublich intensive Sprache des Autors fängt den Leser ein und lässt ihn nicht mehr los. Sie trägt den Leser zum Beispiel durch die grenzenlose Einsamkeit eines Nelson, ohne Chance des Entkommens. Oder durch in Rückblicken angerissene Szenen vom Krieg, von erlittenen Grausamkeiten, die von den Vätern unreflektiert hart an die Söhne weitergegeben werden. Man möchte sich abwenden, will nichts mehr lesen vom schicksalhaften Gefangensein in liebloser Strenge. Man hat genug von den verzweifelten und letztlich vergeblichen Bemühungen, ein wenig Glück zu erhaschen. Aber die Sprache lässt dieses Abwenden nicht zu. Mitten im Berichten abscheuungswürdigen Geschehens gibt es plötzlich Naturschilderungen von atemberaubender Schönheit oder eingestreute kleine Momentaufnahmen aufblitzenden liebenden Verstehens, winzige Augenblicke nur. Aber dennoch sind es Blicke mitten ins Herz, in das Herz von Männern, in vom Leben beschädigte, verletzte Seelen.

Veröffentlicht am 15.01.2018

Zeitgeschichte gut lesbar verpackt

Die Jahre der Schwalben
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Leider kenne ich den ersten Band „Das Lied der Störche“ nicht. Das machte mir zwar keine Probleme beim Einstieg in den Roman „Die Jahre der Schwalben“, aber ich hätte im Nachhinein doch sehr gerne mehr ...


Leider kenne ich den ersten Band „Das Lied der Störche“ nicht. Das machte mir zwar keine Probleme beim Einstieg in den Roman „Die Jahre der Schwalben“, aber ich hätte im Nachhinein doch sehr gerne mehr über die Geschehnisse vor Beginn des zweiten Bandes erfahren, insbesondere da ja die Grundlage der Romane die wahre Lebensgeschichte der Friederike Wilhelmine von Plato und deren Familienmitglieder ist. Das Nachwort der Autorin offenbart, wie klug sie Wahres und Fiktives zusammengefügt hat und wie viel mühsame Recherchearbeit in der Schilderung von Örtlichkeiten und zeitlichen Gegebenheiten liegt. Mein Tip also vornweg: Lesen Sie alle drei Bücher dieser groß angelegten und bewegenden Ostpreußen-Saga!
Der vorliegende Band beginnt mit dem Jahr 1930 und endet im November 1944. Frederike’s Mann Ax ist schwer an Tuberkulose erkrankt und stirbt schließlich. Die blutjunge Frederike ist deshalb gezwungen, die Führung des riesigen Gutes Sobotka zu übernehmen, eine schwere Last. Ernsthaftes Pflichtbewusstsein und die für einen so jungen Menschen typischen Lebensträume stehen in stetem Widerstreit. Frederike wählt den Weg der Pflicht und lernt immer mehr, ihren Aufgaben als Gutsherrin gerecht zu werden. In Gebhard findet sie schließlich den verlässlichen und kompetenten Mann an ihrer Seite. Trotz des Vormarsches der NSDAP, der zunehmenden Zukunftsängste, der Atmosphäre von Misstrauen und Verrat und schließlich der Kriegswirren mit all seiner Not, verliert Frederike letztlich nie die Zuversicht.
Das Buch versteht es, den Leser von Anfang bis Ende zu fesseln. Es schildert so detailreich und farbig das Gutsleben und seine Bewohner, dass man das Gefühl hat, das alltägliche Leben mit ihnen zu teilen, mit ihnen zu arbeiten, mit ihnen am Essenstisch zu sitzen und alle stillen, aber auch einschneidenden Momente des Lebens in direkter Weise mit ihnen gemeinsam zu erleben. Die politische Entwicklung dieser Jahre bewegt die Menschen und wir erfahren, wie blindes und denunziantes Mitläufertum, aber auch geheimer Widerstand wachsen. Die Angst vor einer ungewissen Zukunft liegt über allem…
Das Buch ist ein fesselnder Roman, packend, detailreich, romantisch und realistisch gleichermaßen. Gerade durch die fesselnde Erzählweise wird der geschilderte Zeitausschnitt in seiner brisanten politischen Entwicklung und den Folgen auf das Alltagsleben der Menschen hautnah, geradezu beängstigend nah erfahrbar. Absolut lesenswert!

Veröffentlicht am 13.01.2018

Nett erzählt, aber...

Altes Haus und neues Glück
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Allem voran: Es handelt sich um ein Buch, in dem es nur so wimmelt von Rechtschreibfehlern, Satzzeichenfehlern, Grammatikfehlern. Und dazu noch zu einem Fehler in der Satzherstellung, nämlich merkwürdige ...


Allem voran: Es handelt sich um ein Buch, in dem es nur so wimmelt von Rechtschreibfehlern, Satzzeichenfehlern, Grammatikfehlern. Und dazu noch zu einem Fehler in der Satzherstellung, nämlich merkwürdige Unterstriche und/oder Striche an der Zeilenaußenseite. Das gesamte Buch wirkt dadurch unlektoriert, unkorrigiert und schlampig gemacht. Muss das wirklich sein?

Die Handlung ist schnell erzählt: Alexandra hat ihre Wohnung in Berlin gekündigt, ihre Stelle aufgegeben und ein kleines Häuschen in der Prignitz gekauft, in Erwartung, dort mit ihrem Freund leben zu können. Der Freund fährt sie hin, bricht einen Streit vom Zaun und lässt sie wenige Stunden später zwischen ihren Taschen und Kartons sitzen. Ein vergeblicher Versuch, den Hauskauf rückgängig zu machen und die zunehmende Erkenntnis, dass ihr Freund sie nur benutzt hatte, lässt sie langsam begreifen, dass sie – zumindest vorerst – keine andere Wahl hat, als sich halbwegs wohnlich einzurichten, insbesondere da sie nahezu mittellos dasteht. Die Zeit vergeht und Alexandra lernt nach und nach hilfreiche Menschen kennen, bekommt einen Job und nahezu unbemerkt von ihr selbst beginnt sie, ihr Leben in der ländlichen Abgeschiedenheit lieb zu gewinnen. Doch dann geschieht Einiges, das alles in Frage stellt…

Eine nette Geschichte, zusammengesetzt aus teils recht unglaubwürdigen Komponenten, nett erzählt, nett zu lesen – gäbe es nicht diese unselige Fehlerflut! Die vergrault auch den wohlwollendsten Leser.

Veröffentlicht am 08.01.2018

Spaß am Lesen

Fünf Freunde im Zeltlager
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Die Bücher von Enid Blyton haben mich vor 60 Jahren jede Woche in die Stadtbibliothek getrieben. Ich habe alle verfügbaren Titel von dieser Autorin verschlungen und konnte nicht genug davon bekommen. ...


Die Bücher von Enid Blyton haben mich vor 60 Jahren jede Woche in die Stadtbibliothek getrieben. Ich habe alle verfügbaren Titel von dieser Autorin verschlungen und konnte nicht genug davon bekommen. So fing es an mit meiner „Leserkarriere“ – Enid Blyton war schuld!
Jetzt, so viele Jahre später, wollte ich es wissen: Was habe ich damals gelesen? Lache ich heute darüber? Finde ich die Bücher von Enid Blyton aus heutiger Sicht kindisch, albern, altmodisch? Obigen Titel, 1948 im Original erschienen, 1955 in Deutsch, fand ich wiederum in der Bibliothek. Beim Nach-Hause-Tragen fühlte ich mich wie damals: einen Leseschatz ergattert zu haben und voller Vorfreude.

Die fünf Freunde, 2 Jungen, 2 Mädchen und 1 Hund, dürfen in Begleitung eines schusseligen Professors in den Ferien zum Zelten fahren. Mitten im Hochmoor bauen sie ihr Zeltlager auf. Da hören sie nachts merkwürdige grollende Geräusche unter der Erde. Und dann wird ihnen auch noch von Geisterzügen erzählt, die unterirdisch unterwegs sein sollen. Damit ist natürlich ihre Neugier geweckt…

Und was soll ich sagen. Die Faszination von damals hat mich auch jetzt wieder erfasst. Das Buch hat einen richtig modernen Schreibstil, ist lebendig erzählt und vor allen Dingen absolut spannend. Natürlich handelt es sich bei den Protagonisten um sehr vereinfacht dargestellte Persönlichkeiten: ängstliche Anne, vorwitzige Georgina, braver Hund, schusseliger Professor usw. Das mögen heutige Pädagogen ankreiden. Nach heutigen Maßstäben mag wohl überhaupt der „pädagogische Hintergrund“, der dezent-erzieherische Zeigefinger fehlen. Meiner Meinung nach bietet das Buch aber etwas überaus Wichtiges: Nämlich Spaß! Spaß am Lesen. Verführung zum Lesen. Spaß an der Spannung. Spaß daran, unverkrampften Kindern bei ihren Abenteuern zuzuschauen. Ja, Spaß am Lesen – das hatte ich damals und das hatte ich heute.

Veröffentlicht am 08.01.2018

Großartige Kabinettstückchen des Lebens

Und dann fängt die Vergangenheit an
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Dieses Buch, erschienen 2016, war für mich eine große Überraschung.
Der Name des Schweizer Autors war mir unbekannt, der Verlag ebenso. Insofern hatte ich meine Erwartungen nicht besonders hoch geschraubt. ...

Dieses Buch, erschienen 2016, war für mich eine große Überraschung.
Der Name des Schweizer Autors war mir unbekannt, der Verlag ebenso. Insofern hatte ich meine Erwartungen nicht besonders hoch geschraubt. Aber bereits nach wenigen Seiten war mir klar: Diese Erzählungen sind gut, nein, sie sind großartig.
Das Buch in seiner griffigen Haptik und einem Cover, das für mich den vielfarbigen Zeitenfluss symbolisiert, machte es mir bereits mit seinem Äußeren leicht, es zu mögen.
Eine Sammlung relativ kurzer Erzählungen enthält das Buch, häppchenweise zu lesen, für eine Kaffeepause vielleicht. So dachte ich. Aber dann, als ich zu lesen begann, wurde der Kaffee kalt und die Pausenzeit weit überschritten.
Denn jede Geschichte für sich ist eine ganze Welt, ein ganzes Leben. Es wird so leicht erzählt, was so unendlich schwer ist. Verlassen und Verlassen-Werden. Anziehung und Abstoßung, Verlust und Gewinn. Oder Schweigen, so viel Schweigen, im Netz des Unsagbaren verfangen. Extremes bierseliges Dahindämmern, harte Verzweiflung, Versagen des Menschlichen. Und gleich darauf der fein-sensible Blick mitten in das Innere des Menschen. Und all die vielen Abschiede, auch diese leichtfüßig erzählt und schwer im Raum hängenbleibend. So viel Einsamkeit. So viel Traurigkeit. Von einem erzählt, der gaukelnd durch die Welt reist.
„Ich zerbeiße mich in der Zeit“ steht da, aber auch „Immer ein- und ausatmen. Der Rest wird schon werden.“ Das sagt alles, über den Autor und über das Buch.