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heinoko

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.01.2018

Schwere Kost - großartig geschrieben

Namenlose Angst
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Das Buch habe ich an zwei Tagen gelesen. Ohne Erholung. Ohne Chance mich zu distanzieren. Ich bin eingetaucht in einen Albtraum, wie er schlimmer nicht sein könnte und wie man es sich als Mensch, der etwas ...

Das Buch habe ich an zwei Tagen gelesen. Ohne Erholung. Ohne Chance mich zu distanzieren. Ich bin eingetaucht in einen Albtraum, wie er schlimmer nicht sein könnte und wie man es sich als Mensch, der etwas dergleichen nicht erlebt hat, gar nicht vorstellen kann.
Lara Caspary ist eine junge, lebenslustige, unbefangene und tüchtige Frau. Bis ein psychopathischer Triebtäter sie auf dem Weg zum Auto auf dem Parkplatz in seine Gewalt bringt, sie eine Woche lang festhält und die grausamsten, abstoßendsten und perversesten Spielchen mit ihr treibt. Lara gelingt schließlich die Befreiung, indem sie den Täter einen Abhang hinunterstößt. Doch damit ist nichts wirklich gewonnen, denn der Täter entkommt und Lara lebt in der Folge wie herauskatapultiert aus ihrem bisherigen Leben und gefangen in Ängsten und Albträumen, lethargisch-zurückgezogen. Viele Monate später, als eine weitere Entführung geschieht, die eindeutig dem gleichen Täter zugeordnet werden muss, erwacht in Lara eine grenzenlose Wut und damit neue Kraft…
Die Erzählweise in Ich-Form ist klug gewählt, denn damit rückt die Handlung sehr nahe an den Leser heran. Überaus lebendig wird erzählt, in welche dunkle Welten jemand stürzt, dem Gewalt angetan wurde. Alle Facetten des Verletzt-Seins, des Verlusts des Urvertrauens, des Misstrauens in alles und jeden wird so detailliert und ausführlich geschildert, dass man als Leser dem Entsetzen nicht entkommen kann. Man bekommt tiefste Einblicke in eine Seele, die fast zerbrochen wäre am Erlittenen. Dafür lässt die Autorin der Protagonistin viel Raum, man möchte fast meinen zuviel Raum. Denn wer solch ein Trauma nicht erlebt hat und sich nur lesend damit auseinandersetzt, hat Grenzen des Einfühlens, Grenzen des geduldigen Lesens, möchte zupacken, unterstützen, möchte die Handlung und damit die Bewältigung des Entsetzlichen voran treiben. Die Autorin jedoch lässt uns den sehr realistischen Weg einer Begleitung gehen: Das Kreisen um das Geschehene, wieder und wieder, geradezu emotionslos, das Verschließen vor der Welt, vor den Menschen, und wieder neuerliches Kreisen im Erlittenen, als Opfer – das muss der Leser ertragen. Obwohl man sich als Leser unerträglich lange in der zerbrochenen Welt von Lara bewegen muss, liegt über den vielen Seiten eine leise Spannung. Man kann nicht aufhören zu lesen, getrieben von der Hoffnung, dass Lara einen Weg finden wird aus ihrem inneren Gefangen-Sein. Unter welch dramatischen Umständen dieser Weg seinen Anfang nimmt, ahnt der Leser jedoch nicht.
Fazit: Schwere Kost – großartig geschrieben.

Veröffentlicht am 04.01.2018

Warum bloß ist dieses Buch entstanden?

Lebenserfahrungen einer Frau und Ärztin
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Wenn jemand sich entscheidet, seine persönlichen, privaten Notizen zwischen zwei Buchdeckel zu pressen und sie in die Welt zu entlassen, dann muss es dafür einen Grund geben. Vielleicht einen der Eitelkeit ...

Wenn jemand sich entscheidet, seine persönlichen, privaten Notizen zwischen zwei Buchdeckel zu pressen und sie in die Welt zu entlassen, dann muss es dafür einen Grund geben. Vielleicht einen der Eitelkeit oder einen der Selbstüberschätzung oder einen des Helfenwollens. Wie auch immer: In dem Moment, in dem das eigene Werk die private Schublade verlässt, muss es sich an vielerlei Kriterien messen lassen. Handelt es sich um Literatur? Zu welcher Literaturgattung ist das Werk zu zählen? Ist die Sprache gleichermaßen individuell als auch dem Thema und der Gattung angemessen? Stimmen die primitivsten Grundlagen von Grammatik und Rechtschreibung? Und welche Zielgruppe soll erreicht werden?
Ausgehend vom Buchtitel erwartet man ein vielseitiges Werk, eine autobiographische Erzählung dessen, was gewesen war, wie man geworden ist und welche Erkenntnisse man aus dem bisher gelebten Leben gezogen hat. Vielleicht wäre ein „kleinerer“ Titel, wie z. B. „Gedanken einer …“ diesem kleinen Buch eher gerecht geworden, hätte passendere Erwartungshaltungen hervorgerufen.
Die wenigen Seiten enthalten Quintessenzen, Gedanken, Erfahrungen, Erlebnisse, in bunter Folge und in leider sehr uneinheitlichem, mitunter nicht nachvollziehbarem Sprachstil. Teils sind es bewegende Einblicke, teils nüchtern-sachliche, den Leser distanzierende Sätze, teils durchaus literarisch zu nennende kurze Momentaufnahmen. Alles wirr gemischt. Die Frage muss erlaubt sein: Sind derart willkürlich zusammengestellte Sequenzen tatsächlich „Lebenserfahrungen“ zu nennen? Weil ich der Autorin gerecht werden wollte, insbesondere ihrer Intention, anderen Menschen etwas zu „geben“, las ich die Texte mehrfach, in zeitlichem Abstand. Und immer wieder erlebte ich das Gleiche: Den unbedingten Wunsch, die Autorin hätte doch aus den intuitiv hingeschriebenen Zeilen etwas geschaffen, d. h. sich für eine Stilform entschieden und entsprechende sprachliche Arbeit hineingesteckt. Tagebuchnotizen vielleicht (hier hätte die Ich-Bezogenheit seinen richtigen Platz). Oder Lyrik (hier wäre die Reduktion auf das Bildhafte, Symbolische angebracht). Oder Geschichten erzählen (Geschehnisse in logischer Folge verständlich darstellen). Zumindest ein Lektorat wäre dem Büchlein zu wünschen gewesen, wenn es denn unbedingt ein Buch hat werden müssen. So hätten wenigstens die Rechtschreibfehler, die falschen Satzbezüge und grammatikalischen Unrichtigkeiten ausgemerzt werden können zum einen, ein guter Lektor hätte aber auch die richtige literarische Form anregen können. So wie das Büchlein vorliegt, handelt es sich letztlich nur um ein paar private Notizen, die sicherlich der Schreibenden geholfen haben, die aber besser in der privaten Schublade hätten verbleiben sollen.

Veröffentlicht am 03.01.2018

Ein Schwarz-Weiß-Film in Buchdeckeln

Wer ist B. Traven?
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Zur Einstimmung habe ich mir den alten Schwarz-Weiß-Film „Der Schatz der Sierra Madre“ von aus dem Jahr 1948 angesehen und war einigermaßen überrascht, hinter der Fassade einer Mischung aus Western- und ...

Zur Einstimmung habe ich mir den alten Schwarz-Weiß-Film „Der Schatz der Sierra Madre“ von aus dem Jahr 1948 angesehen und war einigermaßen überrascht, hinter der Fassade einer Mischung aus Western- und Abenteurer-Handlung die Entlarvung des ewig Gültigen zu finden: Nämlich die Wahl, die dem Menschen grundsätzlich gegeben ist. Entweder der Gier nach Besitz, die vor nichts zurückschreckt, nachzugeben oder einer inneren Bereitschaft zu helfen, vielleicht sogar um jeden Preis, zu entsprechen. Im Buch fehlte mir etwas die Auseinandersetzung mit den Werken von B. Traven. Aber hier hatte ich vielleicht auch falsche Erwartungen.

Nun, ich beginne das Buch zu lesen und habe sofort das Gefühl, in einem alten Kino zu sitzen, der dunkelrote Samtvorhang öffnet sich, laute, etwas blecherne
Filmmusik beginnt und auf der Leinwand entsteht Szene um Szene, kurze intensive Sequenzen.
Der Film, sorry das Buch, spielt Ende der 1940er Jahre in Hollywood. Leon Borenstein ist ein durchaus erfolgreicher Journalist in Hollywood und erhält von seinem Chef den Auftrag, sich auf die Suche nach B. Traven zu machen, d. h. dessen Pseudonym zu lüften. In Mexiko wird gerade sein überaus erfolgreicher Roman „Der Schatz der Sierra Madre“ verfilmt, und zwar mit Humphrey Bogart Zu dieser Filmcrew wird Borenstein entsandt. Zwar spielt Borenstein durchaus erfolgreich Schach mit Humphrey Bogart, aber über B. Traven erfährt er nichts. Eine neue Spur lockt ihn ins zerbombte Wien, aber auch von dort bringt er keine wirklichen Erkenntnisse mit. Die Rückkehr Borenstein’s nach Mexiko bringt ihm intensive Erlebnisse in vielerlei Hinsicht…
Als sich der Samtvorhang wieder schließt und es hell wird im Kino, erwache ich aus dem soeben erlebten wilden Bilderreigen, fühle mich, als käme ich von einer langen Reise zurück, als hätte ich zahlreiche Abenteuer erfolgreich bestanden und wüsste nun endlich etwas mehr als zu Beginn des Films resp. des Buches.


Der Roman ist eine gekonnte Mischung zwischen Wahrheit und Phantasie und äußerst spannend zu lesen. Er mäandert zwischen realem, gut recherchiertem Geschehen und erdachter Handlung. Er ist ein Liebesroman ebenso wie ein Abenteurerroman. Es enthält politische Fragen ebenso wie großartige Beobachtungen von Land und Leuten. Man erlebt hautnah die ganz besondere Atmosphäre der Filmwelt Hollywoods. Man sitzt in den übelsten Spelunken ebenso wie in der Stierkampfarena. Es wird uns in intensiven, üppigen Bildern eine Geschichte erzählt, die nicht nur Cineasten in ihren Bann ziehen dürfte. Darauf „un otro tequila, por favor!“

Veröffentlicht am 02.01.2018

Unbedingt mit dem Nachwort beginnen!

Zu viele Köche
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Mir wurde erst durch das Nachwort klar, wie geschickt Rex Stout eine politische Botschaft in seinen Kriminalroman eingearbeitet hatte und welch immense Tragweite Nero Wolfe’s im Roman beschriebenes Verhalten ...


Mir wurde erst durch das Nachwort klar, wie geschickt Rex Stout eine politische Botschaft in seinen Kriminalroman eingearbeitet hatte und welch immense Tragweite Nero Wolfe’s im Roman beschriebenes Verhalten gegenüber den Schwarzen im Erscheinungsjahr des Buches 1938 hat. Er erweist ihnen Respekt, ja, er dankt ihnen sogar für ihre Gastfreundschaft in ihrem Land! Wunderbar, dass Klett-Cotta das Werk Rex Stout‘s wieder auflegt, noch dazu in einer sehr schönen Ausstattung.
Erzähler in diesem feinen kriminalistischen Kabinettstück ist Archie Godwins, der von sich selbst sehr überzeugte Sekretär von Nero Wolfe, jenem überaus berühmten und ausgesprochen dickleibigen Detektiv, der seine Fälle durch intelligentes Beobachten und Nachdenken zu lösen pflegt. Nero Wolfe wird als Ehrengast nach West-Virginia eingeladen zu einem Treffen der 14 namhaftesten Köche, die allesamt in Neid und Missgunst miteinander verbunden sind. Als einer dieser Köche mit einem Tranchiermesser erstochen wird und ein rassistischer Sheriff und ein unerfahrener Staatsanwalt ihre Unfähigkeit unter Beweis stellen, erklärt sich Nero Wolfe bereit, die Lösung des Falls selbst herbeizuführen.
Der Kriminalroman wurde zwar neu übersetzt, aber dennoch brauchte ich eine Weile, bis ich mich einfinden konnte in die etwas umständliche und den damaligen Konventionen genügende, gemächliche Sprache. Nach wenigen Seiten jedoch wurden mir die Dialoge selbstverständlich und die langsame Erzählweise zum Genuss. Insbesondere die kleinen, feinen Bösartigkeiten der Konkurrenten untereinander und so manch raffiniert versteckter Witz machten mir Freude, dazu die geschilderten Persönlichkeiten in ihren teils recht absonderlichen Verhaltensweisen, teils dem Zeitgeist geschuldet, teils als Marotte einzuschätzen. Es lohnt sich, Rex Stout als intelligenten, politischen und bissig-witzigen Autor neu zu entdecken.

Veröffentlicht am 30.12.2017

Lesen darf doch keine Qual bereiten?

Außer sich
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Auf dieses Buch war ich neugierig. Worauf ich jedoch nicht gefasst war: Dass ich allergrößte Mühe hatte. Mehrere Anläufe des Lesens und Weglegens, streckenweiser Faszination, dann wieder kopfschüttelnden ...

Auf dieses Buch war ich neugierig. Worauf ich jedoch nicht gefasst war: Dass ich allergrößte Mühe hatte. Mehrere Anläufe des Lesens und Weglegens, streckenweiser Faszination, dann wieder kopfschüttelnden Unverständnisses wechselten sich ab. Und so blieb es leider über die Wochen hinweg. Bis ich aufgab… Insofern ist diese Rezension keine Rezension, sondern ein Bericht meines persönlichen Scheiterns.
„Sie sind zu zweit, von Anfang an, die Zwillinge Alissa und Anton. In der kleinen Zweizimmerwohnung im Moskau der postsowjetischen Jahre verkrallen sie sich in die Locken des anderen, wenn die Eltern aufeinander losgehen. Später, in der westdeutschen Provinz, streunen sie durch die Flure des Asylheims, stehlen Zigaretten aus den Zimmern fremder Familien und riechen an deren Parfumflaschen. Und noch später, als Alissa schon ihr Mathematikstudium in Berlin geschmissen hat, weil es sie vom Boxtraining abhält, verschwindet Anton spurlos. Irgendwann kommt eine Postkarte aus Istanbul – ohne Text, ohne Absender. In der flirrenden, zerrissenen Stadt am Bosporus und in der eigenen Familiengeschichte macht sich Alissa auf die Suche – nach dem verschollenen Bruder, aber vor allem nach einem Gefühl von Zugehörigkeit jenseits von Vaterland, Muttersprache oder Geschlecht.“
Soweit der Klappentext, der mein Interesse geweckt hatte. Was aber fand ich im Buch? Verwirrende Abfolgen von Szenen, aus wechselnden Perspektiven und wechselnden Zeiten geschildert. Es gelang mir nicht, diese kreuz und quer ausgekippten Mosaiksteinchen zu einem schlüssigen Bild zusammenzusetzen. Und wer ist Alissa, wer ist Ali, sind sie zwei oder eines? Sind es reale Menschen oder fiktive Selbstbilder? Die Last der politischen Gegebenheiten, des Judentums, des Fremd-Seins im Inneren wie im Äußeren sind weitere Aspekte im Verwirrspiel dieses Buches.
Anspruchsvolle Literatur lese ich gerne. Für dieses Buch jedoch bin ich offensichtlich nicht klug genug. Das Lesen war eine Qual. Und für diese Qual ist mir meine Lebenszeit zu kostbar.