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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.10.2019

Gleichzeitig lustig und traurig, bitterböse und liebevoll

Otto
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Otto wird zum Pflegefall, rang seinen Töchtern aber das Versprechen ab, ihn nie in ein Heim zu geben. So stellen sie eine ungarische Pflegerin ein, besuchen ihn fast täglich und warten im Grunde auf sein ...

Otto wird zum Pflegefall, rang seinen Töchtern aber das Versprechen ab, ihn nie in ein Heim zu geben. So stellen sie eine ungarische Pflegerin ein, besuchen ihn fast täglich und warten im Grunde auf sein Ableben. Aber Otto ist zäh.

Aus Sicht der älteren Tochter Timna werden die Geschehnisse berichtet. Bruchstückhaft und in Zeitensprüngen erfährt man Details aus ihrer Familien- und Ottos Lebensgeschichte.

Otto wuchs in einer jüdischen Familie im rumänischen Siebenbürgen auf, zog von dort nach Israel und danach nach München. Er war als Ingenieur tätig und zweimal verheiratet. Aber auch die Ehe mit Ursula, der Mutter von Timna und ihrer um 1 Jahr jüngeren Schwester Babie hält nicht. Es folgt die Scheidung. Die Kinder leben tageweise bei ihrem Vater und tageweise bei ihrer Mutter, die sich zur Alkoholikerin entwickelt...

Wie die Autorin die Dinge betrachtet und benannt hat, fand ich sehr amüsant und teilweise urkomisch. Sie hat einen schönen scharfen, manchmal wirklich bitterbösen, gleichzeitig aber auch liebevollen Witz, der mich auf fast jeder Seite wirklich zum Schmunzeln brachte! Der jüdische Witz ist ja berühmt, insofern passt ihre Darstellungsweise sehr gut. So heißt es auch: "Ein Jude ist der beste Humorist Europas" (S.124).

Durch diesen allgegenwärtigen Sarkasmus, den schwarzen Humor, wurde ich zu den Figuren und der Handlung etwas auf Distanz gehalten und das war auch teilweise gut so, da die Figuren allesamt eine sehr tragische Seite haben. Psychisch angeschlagen, skurill, teilweise sehr unglücklich. Das machte mich allerdings aufgrund der Schreibweise nicht so arg betroffen. Auch in der Beschreibung des Vaters, las ich für mich eher die Liebe zum Vater, das Verständnis für und Lustigmachen über seine Marotten heraus und das Despotische, Gemeine kam bei mir gar nicht so recht an.

Aufgrund der sehr pointierten und eigenen Erzählweise gerieten bestimmte Situationen und Menschen sehr einprägsam. Auch das Altern fand ich gut dargestellt.

Ein weiterer großer Pluspunkt: ich nahm der Autorin alles ab. Selbst die absurdesten Situationen klangen so normal und authentisch, dass ich teilweise nicht mehr wusste, lese ich jetzt eigentlich eine Autobiographie oder doch einen Roman. Teilweise lag das natürlich auch an den sehr realen dargestellten Fakten des jüdischen Lebens, die immer wieder eine Rolle spielen.

Nun zu den Kritikpunkten: Die große Schwäche sehe ich im Aufbau des Romans. Es sind im Grunde aneinandergereihte Anekdoten, die lose zusammen gehalten sind von Ottos Alterungs- und Sterbeprozess. Es gibt keinen großen Höhepunkt, und es ermüdete mich, diese teils dahinplätschernde Abfolge der Anekdoten zu lesen. Im Mittelteil langweilte ich mich gar. Das Ende empfand ich dann als sehr abrupt.

Die Figuren zeigen wenig bis keine Entwicklung und blieben mir emotional fern. Der Roman endet mit einer emotionalen Aussage, die bei mir aber, durch die zumeist gewahrte Distanz, gar nicht recht ankam.

Der Funke ist daher bei mir, trotz des klugen, traurig- witzigen, angenehm eigensinnigen Schreibstils und einiger wahrlich einprägsamen Anekdoten leider nicht gänzlich übergesprungen.

Veröffentlicht am 01.10.2019

Wichtige Themen, wunderschöne Kulisse, aber etwas kitschig und konstruiert

Der Gesang der Flusskrebse
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3,5 Punkte

Ein Familien-, Frauen- und Kriminalroman in Einem, erzählt auf verschiedenen Zeitebenen, die im Verlauf zusammen fließen. Die Kulisse bildet das Marsch- und Sumpfland nahe des Meeres. Die Hauptprotagonistin ...

3,5 Punkte

Ein Familien-, Frauen- und Kriminalroman in Einem, erzählt auf verschiedenen Zeitebenen, die im Verlauf zusammen fließen. Die Kulisse bildet das Marsch- und Sumpfland nahe des Meeres. Die Hauptprotagonistin Kya lebt dort seit ihrer Kindheit ganz allein. Erst von der Mutter, dann von ihren Geschwistern und letztendlich auch von ihrem gewalttätigen alkoholabhängigem Vater verlassen. So wurde dann die Marsch zu ihrer Mutter, die Natur zu ihrer Familie. Sie selbst entwickelt sich im Laufe der Jahre zu einer Expertin für die dortige Flora und Fauna.

Kya lebt sehr scheu und zurückgezogen. Tate, ein Freund ihres Bruders, bringt ihr als Jugendliche das Lesen bei. Die beiden verlieben sich ineinander, jedoch zieht Tate weg, um auf das College zu gehen. Irgendwann lernt Kya den attraktiven Frauenheld Chase kennen, der um sie wirbt.

Der Leser erfährt gleich zu Beginn, dass Chase tot aufgefunden wurde. Die Ermittlungen weisen bald auf Kya, die schnell zur Hauptverdächtigen wird.

Aufgrund des Titels und auch des Covers (beide gefallen mir ausnehmend gut) hatte ich irgendwie große Erwartungen an einen schönen poetischen Schreibstil. Hier wurde ich leider enttäuscht. Die Sprache ist recht einfach gehalten und auch die eingestreuten Gedichte konnten mich nicht berühren. Die Autorin verwandte sehr viel tierische Metaphern, häufig im Stil von: "flach gegen den Eisschrank gedrückt, wie ein überfahrener Storch" oder "dünn wie 'ne Zecke an 'nem Fahnenmast" oder auch "drinnen ist es heiß wie Wildschweinatem" usw. Das irritierte mich erst ein wenig, dann fand ich es eher unfreiwillig komisch, und entwickelte sich dann zu einem running gag..:) Viele Natur- und Tierbeschreibungen empfand ich leider auch etwas zu dürftig, da die Autorin oft nur benannte, statt beschrieb.

Nichtsdestotrotz öffnete mich der Roman für diese besondere Landschaft, die Marsch, und machte mich sehr neugierig. Viele erwähnten Vögel sah ich mir auch gleich im Internet an, da ich sie nicht kannte.

Die Geschichte wusste mich grundsätzlich zu fesseln. Gegen Ende wurde es mir jedoch etwas zäh und wirklich überraschende Wendungen blieben aus. Einige Dinge fand ich leider auch zu kitschig (z.B. die Liebesgeschichte zu Tate), viele Handlungsabläufe wirkten zu konstruiert und die Protagonisten blieben einseitig und schablonenhaft.

Dennoch gefiel mir Kya, als weibliche Hauptfigur gut. Sie wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben. Trotz Einsamkeit und Ängsten geht sie ihren eigenen Weg und ist einfach eine starke Frau.

Auch die Themen, die der Roman in sich vereint, haben mich berührt und zum Nachdenken angeregt. Es geht neben der Naturverbundenheit um Familie, Mutterschaft und Liebe sowie um Gewalt gegen Frauen, Rassismus und Ausgrenzung.

An einigen Stellen hätte ich mir jedoch auch hier noch mehr Tiefgründigkeit gewünscht, z.B. zu der bitteren, aber auch spannenden Frage, die Kya zeitlebens beschäftigt: Warum Mütter ihre Kinder verlassen.

Fazit: Ein einfach konstruierter Unterhaltungsroman mit wichtigen Themen und einer wunderbaren Kulisse, der im Gedächtnis bleibt, aber mehr verspricht, als er zu halten vermag.

Veröffentlicht am 01.10.2019

Meisterhaft erzählt, raffiniert komponiert.

Drei
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Zurecht ein Bestseller in Israel. Mich hat es voll erwischt, was mir in dieser Form, glaube ich, noch nie passiert ist. Voll erwischt mit Tränen und Schmerz. So richtig, richtig erwischt.

Den Klappentext ...

Zurecht ein Bestseller in Israel. Mich hat es voll erwischt, was mir in dieser Form, glaube ich, noch nie passiert ist. Voll erwischt mit Tränen und Schmerz. So richtig, richtig erwischt.

Den Klappentext werde ich nicht weiter ergänzen, um nicht zu viel zu verraten.
Der Roman/ Kriminalroman (?) ist in drei Teile gegliedert, in denen je eine Frau im Mittelpunkt steht. Zuerst Orna. Sie leidet sehr unter der Trennung von ihrem Mann, der eine neue Frau gefunden hat. Auch ihr sensibler Sohn Eran leidet, da der Vater sich einfach nicht mehr meldet.
Der 2. Teil handelt von Emilia, einer lettischen Frau, die als Pflegerin nach Israel kam, kaum des Hebräischen mächtig und völlig einsam.
Die dritte Frau ist Ella, verheiratet mit einem sehr eifersüchtigen Mann. Sie hat drei Kinder, geht aber nochmal zur Universität und schreibt derzeit ihre Master Arbeit.
Sie alle lernen Gil kennen, einen Rechtsanwalt.

Die Sprache ist fein und klar, das Lesen macht wirklich große Freude. Der Roman ist sehr fesselnd, spannend und voller Überraschungen. Er entfaltet zudem eine sehr tiefe Wirkung.
Die Frauen Portraits sind überaus eindrucksvoll und unglaublich berührend gestaltet. Wahnsinn, wie ein Mann so über Frauen schreiben kann. Toll! Der Autor besitzt wahrlich eine sehr gute Beobachtungsgabe, Feingefühl und Empathie. Die Frauen werden gezeigt in ihren verschiedenen Rollen als Mutter, als Berufstätige, Liebende, Suchende uvm. Als Leser ist man sehr nah dran an ihrem Schicksal, ihren Ängsten, Sorgen und Hoffnungen. Ich bemühte mich auf Distanz zu bleiben, doch es gelang mir nicht und so wurde ich immer wieder tief berührt.
Daneben geht es auch um Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit.

Ich würde gern sehr viel mehr erzählen, aber hier kommt es wirklich auf das eigene unmittelbare Leseerlebnis mit all den dann hervorgerufenen Gefühlen und Gedanken an. Und ich will dabei nichts verderben. Also lest dieses Buch, lasst es auf euch wirken und sprecht dann mit Leuten darüber, die es schon gelesen haben…:

Veröffentlicht am 01.10.2019

Ein rundum gelungenes Kinderbuch!

Über die Grenze
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Norwegen 1942. Die Eltern von Otto und Gerda verstecken seit kurzem Daniel und die kleine Sarah, zwei jüdische Kinder, im Keller. Sie sollen eigentlich ins sichere Schweden, wo schon ihr Vater wartet. ...

Norwegen 1942. Die Eltern von Otto und Gerda verstecken seit kurzem Daniel und die kleine Sarah, zwei jüdische Kinder, im Keller. Sie sollen eigentlich ins sichere Schweden, wo schon ihr Vater wartet. Doch dann durchsucht die Polizei das Haus, findet die Kinder zwar nicht, nimmt aber Ottos und Gerdas Eltern mit.

Die beiden Geschwister beschließen nun, Daniel und Sarah zu helfen und sie zu ihrer Tante in eine andere Stadt zu bringen. Eine abenteuerliche und gefährliche Reise beginnt. Sie treffen auf verschiedene Menschen und es ist gar nicht so einfach zu erkennen, wem man wirklich vertrauen kann. Zumal sich Otto und Gerda gar nicht so gut verstehen, weil sie sehr unterschiedlich sind. Gerda, 10 Jahre, ist ein großer Musketier Fan, wild und risikobereit. Otto, 12 Jahre, ist eher zurückhaltend, vorsichtig und studiert am liebsten seine Landkarten und seinen Globus.

Das Buch ist für Kinder ab 9 Jahren gedacht und das passt auch. Die Geschichte ist altersgerecht, dabei sehr spannend und fesselnd erzählt. Es gibt kurze Kapitel und die Sprache ist einfach, allerdings auf keinen Fall trivial. Es wird geradlinig und stringent erzählt, wie und ob die Kinder es über die Grenze schaffen.

Diese vier recht verschiedenen Kinder sind gut beschrieben und bieten sich als Identifikationsfiguren an. Gerda steht hierbei besonders im Mittelpunkt, über ihre Innensicht erfährt man am meisten.

Die jungen LeserInnen erhalten hier Anregungen, über die geschichtlichen Vorkommnisse nachzudenken und nachzufragen. Die Schrecklichkeit des Krieges, der Hunger, das Misstrauen der Menschen zueinander, die Gefährlichkeit des Widerstands, all das wird gut beschrieben. Es wird sich dabei klar für Humanität und Menschlichkeit positioniert.

Nicht zuletzt geht es zudem um Mut, Familie und Geschwister.

Diese inhaltlich und sprachlich sehr schöne Geschichte ist einfach so rund, einfach so toll und altersgerecht erzählt, dass ich wirklich sehr begeistert bin! Hier passt einfach alles. Daher: absolut empfehlenswert!

Veröffentlicht am 01.10.2019

Spannender Krimi mit unausgeschöpftem Potential bei der Figurenentwicklung

Bis ihr sie findet
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3,5 Punkte
Der vorliegende Krimi ist ein Reihenauftakt. Der Klappentext fasst die Dinge ganz gut zusammen, sodass ich gar nicht viel ergänzen möchte.

Es gibt zwei Handlungsstränge. Der Haupthandlungsstrang ...

3,5 Punkte
Der vorliegende Krimi ist ein Reihenauftakt. Der Klappentext fasst die Dinge ganz gut zusammen, sodass ich gar nicht viel ergänzen möchte.

Es gibt zwei Handlungsstränge. Der Haupthandlungsstrang dreht sich um die Aufklärung des Mordes an der 14 jährigen Aurora Jackson, die nun, nach 30 Jahren, vergraben mitsamt eniger Päckchen Speed gefunden wurde.
Hier stehen das 4 köpfige Ermittlungsteam, insbesondere der Detektive Chief Inspector Jonah Sheens und die neue Mitarbeiterin Detektiv Constable Juliette Hanson im Vordergrund. Man erfährt wie sie die Ermittlungen führen sowie einiges aus deren Privatleben, wenngleich recht dezent.
Der zweite Handlungsstrang hat Aurora im Blick und zwar genau an dem Tag, an dem sie vor 30 Jahren ermordet wurde.

Die Grundidee klang für mich extrem spannend, so dass ich an diesem Krimi nicht vorbei kam – und, um gleich auf den Punkt zu kommen - er war auch tatsächlich sehr spannend. Ich konnte ihn kaum zur Seite legen und sehr gut miträtseln, wer der Täter war. Es gab mehrere Verdächtige und es blieb mir bis zum letzten Moment völlig unklar, wer Auroras Tod zu verantworten hatte.

Der Schreibstil ist zudem sehr bildhaft, viele der Szenen standen mir ganz klar vor Augen.

Auroras Handlungsstrang mitsamt der Szenen des Campingausflugs gefiel mir ausnehmend gut. Ihr (schüchterner, netter) Charakter war gut gezeichnet und ich konnte gut mit ihr mitfühlen.
Das Ermittlungsteam fand ich sympathisch, allen voran natürlich der clevere, menschliche, einfach sympathische Chief Jonah. Die sehr gewissenhafte und eifrige Hanson fand ich etwas nervig, aber das passte dennoch gut und war vielleicht ein wenig auch so gewollt. Zum Team gehören noch der eigenwillige Detective Sergant O `Malley und der smarte, distanzierte Detektive Sergant Lightman, die allerdings eher im Hintergrund standen.
Die Clique fand ich auf den ersten Blick interessant angelegt. Besonders interessierten mich die Charaktere, wie ihre Beziehungen untereinander gestaltet waren, wie sie durch Auroras Verschwinden geprägt wurden und welche Dynamik nun, nach dem Auffinden der Leiche unter ihnen entstand. Leider wurde ich diesbezüglich ziemlich enttäuscht. Die Charaktere blieben nämlich zumeist blass und oberflächlich, manch einer kam gar nicht recht zur Geltung. Auch blieb mir unklar, was sie eigentlich vor Auroras Tod zusammenhielt, da sie so unterschiedlich erschienen und irgendwie das Gruppengefühl bei mir nicht recht ankam. Auch nach dem Fund fand ich die Dynamik und die Beziehungen untereinander zum Teil nicht ausreichend genug geschildert. Letztendlich blieben für mich daher einige Fragen offen. Sehr, sehr schade, hier hätte es so viel Potential gegeben.

Fazit: Alles in allem dennoch empfehlenswert, trotz unausgeschöpften Potentials bei der Figurenentwicklung, da mit einer interessanten Grundidee sehr spannend und bildhaft erzählt.