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Veröffentlicht am 10.03.2024

Anders als erwartet

Am Ende des Seils
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„Frauen am Berg sind der Ruin des Alpinismus.“

Sowohl der Klappentext als auch die Historie der Eiger-Nordwand haben bei mir die Erwartung geschürt, dass Am Ende des Seils ein emotionaler und spannender ...

„Frauen am Berg sind der Ruin des Alpinismus.“

Sowohl der Klappentext als auch die Historie der Eiger-Nordwand haben bei mir die Erwartung geschürt, dass Am Ende des Seils ein emotionaler und spannender Roman sein wird. Zu Beginn hat mich das Buch auf jeden Fall gepackt & ich war sehr gespannt, welches Schicksal die Autorin für die Seilschaft gewählt hat und ob Hedis Unwille der Partei beizutreten Konsequenzen haben wird. Außerdem tauchen Namen auf, die historisch in Bezug zu der Unternehmung stehen, was mir gut gefallen hat!

Der Versuch „das letzte Problem der Alpen“ zu bezwingen, nimmt allerdings einen viel kleineren Teil der Handlung ein als ich gedacht hätte und auch die zwischenmenschlichen Beziehungen hatten für mich weniger Tiefe als gehofft. Leider konnte ich zusätzlich die Verbindung von Hedi & Thomas nur wenig nachfühlen. Ich habe nicht verstanden, was die beiden ineinander sehen oder warum ich mitfiebern soll, ob sie ihn – der sie verlassen und sich kurzerhand mit der Tochter seines Chefs verlobt hat – zurückgewinnen kann.

Mit zunehmender Seitenzahl wurde es für mein Empfinden zudem zunehmend seichter, sodass es mich mehr an einen Heimatfilm erinnert hat, was gemessen an der politischen Lage, die das Geschehen begleitet – 1936 in Deutschland – auch dazu geführt hat, dass die Geschichte für mich zunehmend an Authentizität eingebüßt hat.

Der Versuch viele Themen und Arten von (Liebes-)Beziehungen unterzubringen hat für mich außerdem dazu geführt, dass vielversprechenden Strängen die Tiefe gefehlt hat. Und so verpuffen einige Szenen für mich, z. B. wenn es um Geschlechterrollen, Widerstand oder sogar Beteiligung, um sich und andere zu schützen, geht, obwohl einige Dialoge ohne Umschweife Absurditäten aufzeigen: „Sie haben die Altersgrenze des Gebärens ja noch lange nicht erreicht, deshalb stehen Ihre alpinen Ambitionen auch noch in keinem Gegensatz zur Mutterrolle.“

Das Bezwingen der Eiger-Nordwand hat eine spannende und dramatische Grundlage versprochen. Letztendlich wurden meine Erwartungen nicht ganz erfüllt, dafür lässt sich die Geschichte aber angenehm lesen & hat mein Interesse an weiteren historischen Romanen geweckt!

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Veröffentlicht am 10.03.2024

Ein Buch wie eine Umarmung

Magie und Milchschaum
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Magie & Milchschaum ist bei mir direkt nach Beenden auf die Lieblingsbücher-Liste gewandert.

🦉 Found Family als Geschichte: Die Art, wie die Charaktere zusammenfinden & sich unterstützen, ist schlicht ...

Magie & Milchschaum ist bei mir direkt nach Beenden auf die Lieblingsbücher-Liste gewandert.

🦉 Found Family als Geschichte: Die Art, wie die Charaktere zusammenfinden & sich unterstützen, ist schlicht herzerwärmend & so schön, dass ich das Buch in einem Rutsch beendet habe. Und wie cool ist es bitte, dass die Protagonistin Viv eine Ork-Kriegerin ist?

✨ No plot, just vibes: Ich lebe für Atmosphäre, für mich ist es daher kein Makel & cozy Fantasy ist immer gern gesehen. Trotzdem möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass sich der Klappentext auf ein Problem bezieht, das erst im letzten Viertel auftaucht. Am besten blind in das Geschehen starten!

🛠️ Ist das eine tragende Wand? Eines meiner liebsten Formate sind Sendungen zu Renovierungen – gerne auch mit Laien, die mal Wände einreißen, die die Statik gefährden. Vielleicht mochte ich deswegen den Aufbau des Cafés so gern. Auch wenn Vivs Wahl auf einen kompetenten Handwerker fällt, dessen grummelige Art ich sehr gefühlt habe.

Wenn ihr eine buchige Umarmung gebrauchen könnt, ist das Buch eine gute Wahl. Ich wäre auf jeden Fall Stammgast im Magie & Milchschaum!

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Veröffentlicht am 10.03.2024

Unterhaltsam & spannend!

Der große Rausch
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In Babel spielt unter anderem der Opiumkrieg bzw. der Handelskonflikt zwischen Großbritannien und China eine Rolle – ein Thema zu dem ich eindeutig zu wenig wusste. Im Anschluss habe ich mich daher mit ...

In Babel spielt unter anderem der Opiumkrieg bzw. der Handelskonflikt zwischen Großbritannien und China eine Rolle – ein Thema zu dem ich eindeutig zu wenig wusste. Im Anschluss habe ich mich daher mit „Der große Rausch“ auf einen kleinen historischen Exkurs begeben.

Das Thema mag vielleicht einen trockenen Eindruck erwecken, das Buch ist aber angenehm leichtgängig zu lesen. Das liegt in meinen Augen vor allem daran, dass sich viele kleine Episoden aneinanderreihen. Auf rund zehn Seiten stecken z. B. bereits im ersten Abschnitt viele interessante Einblicke:

Aus Heilmittel wird Rauschgift. Laudanum war ein verbreitetes Schmerzmittel und in jeder Apotheke erhältlich. Opium diente jedoch nicht nur zur Linderung von Beschwerden. Den Start machen daher „dichte Dichter“ & damit ist nicht nur Thomas De Quincey gemeint, der seine freizeitlichen Opium-Erlebnisse festgehalten hat, auch Edgar Allan Poe, E.T.A. Hoffmann, Victor Hugo & einige weitere tauchen hier auf. Anderenorts wurde zu dieser Zeit der Wirkstoff isoliert & nach dem griechischen Gott der Träume benannt. Die Rede ist von Morphium, das auch unter wohlhabenden Damen mittleren Alters sehr beliebt war. Und was folgt aus der nächsten darauf aufbauenden pharmazeutische Entdeckung (K.), die z. B. Freud fürs Bergsteigen empfohlen hat? Genau, ein neuer Weincocktail (Vin Mariani) & die Vorgeschichte zur Coca Cola. Den Abschluss macht eine dritte Entdeckung (H.), die zunächst in einem von Bayer patentierten Hustenmedikament endet. Das hat mich am meisten überrascht.

Über die Zeit wird jedoch nicht nur aus Heilmittel Rauschgift: Aus Rauschgift wird Sünde, aus Sünde wird Verbot & aus Verbot Verbrechen. (Fast unvorstellbar, wie sich die Bewertung verschiedener Substanzen über die Jahre hinweg verändert hat.) Es geht auch – wie so oft – um wirtschaftliche & globale politische Interessen, begleitet von Panik, Protest, Rassismus & Mythen.

Für mich war es ein sehr interessantes Buch, das außerdem für das beste Wissenschaftsbuch 2024 nominiert ist!

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Veröffentlicht am 01.02.2024

Ein ungewöhnliches Buch!

Die Welt vor den Fenstern
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Wie gefährlich ist es, wenn ein Narrativ zur Wahrheit erhoben wird? Mit dieser Frage beginnt der Klappentext & für mich war klar: Das will ich auf jeden Fall lesen!

Das Buch hat mich dank der Atmosphäre ...

Wie gefährlich ist es, wenn ein Narrativ zur Wahrheit erhoben wird? Mit dieser Frage beginnt der Klappentext & für mich war klar: Das will ich auf jeden Fall lesen!

Das Buch hat mich dank der Atmosphäre direkt in seinen Bann gezogen. Die immer wiederkehrenden täglichen Abläufe im Kontrast zu dem wachsenden Bewusstsein, dass etwas nicht stimmt, haben für mich das unbehagliche Gefühl des Settings noch intensiviert. So ist zwar die ganze Zeit klar, dass etwas passieren wird, bloß nicht was und auch nicht wann. Dafür habe ich beim Lesen fleißig Theorien gesammelt, was dort aus welchen Motiven geschieht oder noch geschehen könnte.

Die strikten Regeln innerhalb der Familie orientieren sich an der Astrologie – eine Verknüpfung, die ich in der Ausgestaltung sehr interessant fand. So tragen z. B. alle den Namen eines Sterns, der wiederum die Position innerhalb der Familie vorgibt. Außerdem werden jeden Tag Geschichten erzählt, die einen spannenden Einblick in das Wissen über die Welt sowie die Träume und Wünsche bieten. Zudem wird die Mythologie häufiger zu Rate gezogen.

Niemand kommt rein, niemand geht raus. Und doch füllen sich die Vorräte, wenn sie auf die entsprechenden Stellen am Boden gestellt werden, in unbeobachteten Momenten wieder auf. Während ich mir direkt Gedanken gemacht habe, wie das durch wen bewerkstelligt wird, ist in der Gemeinschaft klar: Das Haus versorgt uns mit allem, was wir benötigen. Und diese Antwort muss genügen.

Insgesamt habe ich das Buch gern gelesen & die Atmosphäre war genau so, wie ich es erwartet hatte. Allerdings bleiben bis zum Ende einige (für mich) zentrale Fragen offen, was mich doch etwas enttäuscht hat. Ein Epilog hätte die Geschichte für mich einfach abgerundet.

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Veröffentlicht am 15.01.2024

Dranbleiben lohnt sich!

Milchmann
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„Damals, als ich achtzehn war, lauteten die Grundregeln in der permanent alarmbereiten Gesellschaft, in der ich aufgewachsen war: Wenn keine körperliche Gewalt ausgeübt und man nicht direkt verbal beleidigt ...

„Damals, als ich achtzehn war, lauteten die Grundregeln in der permanent alarmbereiten Gesellschaft, in der ich aufgewachsen war: Wenn keine körperliche Gewalt ausgeübt und man nicht direkt verbal beleidigt worden war und keiner in der Nähe blöd guckte, dann war auch nichts passiert. Wie also konnte man Opfer von etwas sein, das es gar nicht gab?

Ein deutlich älterer verheirateter Mann stellt einer jungen Frau nach und doch schauen alle nur auf sie.

Bei Milchmann ist nicht nur der Titel, sondern auch die Art der Erzählung ungewöhnlich: Keine der Figuren trägt einen Namen & der Ort wird nicht genannt. Stattdessen begegnen wir Milchmann – nicht zu verwechseln mit Echter Milchmann –, erfahren etwas über Schwager Eins bis Drei, bekommen von Älteste Freundin gutgemeinte Ratschläge und besuchen Vielleicht-Freund.

Ich habe einige Seiten gebraucht, um mich an die Namenslosigkeit zu gewöhnen, empfinde es rückblickend aber sehr passend: Ständig wird be- und verurteilt, es gibt nur „wir“ oder „die“, andere Gedanken haben keinen Platz. Alles bleibt austauschbar. Irritationen werden als Schwachsinn abgetan & die Personen gesellschaftlich ausgeschlossen.

„Er war bei der Arbeit von einer Autobombe in den Tod gerissen worden, weil er die falsche Religion am falschen Ort gehabt hatte, so was kam vor.“

Und dann wäre da noch die Gewalt und die Willkür, die für die Erzählerin zum Alltag gehören, mich in ihrer Selbstverständlichkeit hingegen nicht nur einmal aus der Bahn geworfen haben.

Die Einblicke, wie die Gemeinschaft tickt, wo Grenzen gezogen werden (oder auch nicht), wie sich die Gerüchte weiterverbreiten und ein Eigenleben entwickeln sowie die eindringliche Schilderungen der Protagonistin, wie sie zunehmend in die Isolation getrieben wird, obwohl sie so dringend Solidarität bräuchte, haben mich sehr bewegt.

Insgesamt ein besonderes Buch, das Konzentration fordert und nicht ohne Ausschweifungen auskommt, sich aber sehr lohnt.

Meine Empfehlung: Gemeinsam lesen! Die verschiedenen Interpretationen & der Austausch zum Nordirlandkonflikt (namentlich nicht genannt, aber stets präsent) waren für mich Gold wert.

Die Übersetzung stammt von Anna-Nina Kroll. 📝

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