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Veröffentlicht am 25.05.2022

Fußball ist immer noch wichtig

Wieso? Weshalb? Warum? Erstleser, Band 7: Fußball
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Ausgerechnet heute. Tag 1 nach dem Wiederaufstieg in die Zweite Liga und dieses Buch liegt im Briefkasten. Wieso, weshalb, warum Fußball? Eine Frage, die mir schon häufiger gestellt wurde, von Freunden, ...

Ausgerechnet heute. Tag 1 nach dem Wiederaufstieg in die Zweite Liga und dieses Buch liegt im Briefkasten. Wieso, weshalb, warum Fußball? Eine Frage, die mir schon häufiger gestellt wurde, von Freunden, der Frau, ja, auch von mir selbst. Und bestimmt auch irgendwann: von der Tochter, die noch glücklich und zufrieden mit der Soundfahne wedelt und das Betze-Lied mitsingt. Ja, vielleicht ist heute, ausgerechnet heute, der richtige Tag für dieses Buch.

Im neuesten Band der Ravensburger Reihe wird erst einmal erklärt, warum Fußball so beliebt ist, wofür die Linien und Punkte auf dem Spielfeld stehen, welcher Spieler welche Position hat und welche Regeln für die 22 Menschen auf dem Feld gelten. Direkt fällt auf: Es sind nicht nur Jungs und Männer die spielen. Endlich. Das Buch ist auf Höhe der Zeit, richtet sich an Jungen und Mädchen gleichermaßen. Einziges Manko, wenn darauf angelegt: Es wird nicht gegendert. Aber gut.

Auch über Schiedsrichter:innen wird gesprochen, selbst über den bei Fans wie Profis beliebten VAR, und dann, fast ein bisschen spät, aber immerhin, auch über die Geschichte und Entwicklung des Sports, bevor die große Frage im Raum steht: Wie werde ich ein Superkicker? Trainingsmethoden und Schusstechniken werden erklärt, der Alltag von Profi-Fußballer:innen, die wichtigsten Wettbewerbe und natürlich auch die Fans.

Zwischendurch wird mit kleinen charmanten Quiz-Fragen das zuvor Gelesene und Gelernte abgefragt, eigentlich eine ganz gute Methode, die Erstleser:innen schon einmal auf den Schulalltag vorzubereiten, eine Doppelseite lädt zum Stickern ein und ein kleines Leselotto ist auch Teil des Buchs.

Offen nur, wie viele Kinder die richtige Antwort auf die Frage „Deutscher Meister wird …“ finden und nach zehn Jahren Bundesliga-Langeweile doch zur Möglichkeit „immer FC Bayern München“ tendieren. Aber vielleicht wird es da einfach Zeit für den nächsten Aufstieg des 1. FC Kaiserslauterns. Schließlich wurden sie so 1998 als erster und einziger Aufsteiger direkt Deutscher Meister. Womit auch die Frage geklärt wäre, welcher Verein eigentlich der beste ist. Olé olé, olé ola, das Buch hier ist schon recht wunderbar. Und Fußball immer noch wichtig. Schön, wenn er so divers und zeitgemäß erklärt wird, wie in diesem Buch von Ravensburger. Danke dafür!

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Veröffentlicht am 23.05.2022

Der nicht ganz so perfekte Sommer

Schallplattensommer
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Kennt ihr das Gefühl, das so im September langsam angeschlichen kommt, wenn die ersten Herbsttage morgens und abends spürbar sind? Dieses Gefühl, dass der Sommer sich langsam verabschiedet – und nicht ...

Kennt ihr das Gefühl, das so im September langsam angeschlichen kommt, wenn die ersten Herbsttage morgens und abends spürbar sind? Dieses Gefühl, dass der Sommer sich langsam verabschiedet – und nicht das gehalten hat, was er noch im Mai, Juni versprochen hat? Weniger Sonne, weniger Tage im Wasser, weniger bleibende Erlebnisse? Irgendwie schon schön, aber nicht legendär? Das Gefühl hatte ich auf den letzten Seiten von Schallplattensommer. Schade eigentlich.

Maserati lebt bei ihrer Oma und schmeißt mal mit ihr, mal alleine, Omas Imbiss, das einzige Restaurant im kleinen Nest irgendwo auf dem Land, zwischen Seen, Kirsch- und Apfelbäumen. Sie geht nicht mehr zur Schule, geht nicht ins Internet, hat noch ein altes Klapphandy und ist auch sonst nicht der ganz typische Teenager. Am liebsten hat sie ihre Ruhe – bis Casper und Theo auftauchen.

Schallplattensommer ist eine Coming-of-Age-Sommergeschichte und eigentlich bin ich recht anfällig dafür. Der große Sommer, Hard Land, Man vergisst nicht wie man schwimmt – alle auf meiner Favoritenliste. Gefühlvolle, nostalgisch-angekitschte Geschichten, aber auch komplett für Erwachsene geschrieben, was vermutlich am Ende den Unterschied macht, denn Schallplattensommer ist mehr Teenie-Roman, richtet sich mehr an die junge Zielgruppe, die manche Aussagen und Wendungen eher nachvollziehen kann als jemand, der in den 90ern groß geworden ist.

Dabei ist das Buch überhaupt nicht schlecht. Maseratis Lebensgeschichte bleibt angenehm vage, sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft. Es gibt spannende, komplexe Figuren und manche, die nur am Rande auftauchen, aber dennoch eine besondere Präsenz haben. Es gibt kleine Dramen und schöne Momente. Stellenweise etwas Teenie-Kitsch. Aber so der richtige Funke, der den Sommer in Schwung bringt, die Arschbombe in den See bei Nacht quasi, das fünfte Kaktuseis am Nachmittag, den Sommerhit, den alle mitgröhlen, der fehlt.

Und so ist Schallplattensommer eher so ein kleines Sommerhoch im Frühjahr oder Herbst, eine nette, durchaus charmante Lektüre, aber dann doch eher nur so ein Sommer wie 2009, der auch 2008 oder 2010 hätte sein können, ohne richtige Präsenz im Nachklang. Und das ist, noch einmal, schade eigentlich.

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Veröffentlicht am 05.05.2022

Sein und Schein

Das Leben eines Anderen
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„Er spielte nicht bewusst etwas vor, vielmehr hatte er das Gefühl, als würde er, je länger er sprach, mit dem, was er sagte, verschmelzen.“

Ein Mann ist gestorben. Ehemann, Vater, Bruder, Sohn. Doch nur ...

„Er spielte nicht bewusst etwas vor, vielmehr hatte er das Gefühl, als würde er, je länger er sprach, mit dem, was er sagte, verschmelzen.“

Ein Mann ist gestorben. Ehemann, Vater, Bruder, Sohn. Doch nur die Hälfte davon ist wahr. Als seine Witwe ein Jahr nach dem Unfalltod die Familie des Verstorbenen kontaktiert, wird schnell klar, dass er nicht Taniguchi Daisuke war. Aber wer war er? Und wie kam er an Taniguchis Identität?

Keiichiro Hiranos Roman „Das Leben eines Anderen“ lebt von seiner Authentizität. Identitätstausch ist hier keine Science-Fiction, kein Face/Off mit John Travolta und Nicolas Cage, sondern ein reales System, bei dem die in Japan gängigen Familienregister und Lebensgeschichten getauscht werden. Ein System, dem Anwalt Akira Kido auf die Spur kommt, als er von Rie, der Witwe des nun namenlosen Gatten, beauftragt wird, die Herkunft ihres Mannes aufzudecken.

Der Klappentext führt dabei ein kleines bisschen in die Irre. Dass Kido selbst in die Rolle Taniguchis schlüpft, dessen Lebensgeschichte übernimmt, „um seinem eigenen Schicksal zu entgehen“, ist etwas hochgegriffen. Im Prolog, der streng genommen eher ein vorgegriffener Epilog ist, was im letzten Kapitel mit Kido deutlich wird, sowie auf einer Geschäftsreise in einer Bar, wechselt Kido seine Identität, gibt sich für jemanden aus, der er nicht ist. Dabei spielt seine scheiternde Ehe und der Alltagsrassismus, dem er als Zainichi – als koreanischstämmiger Japaner – ausgesetzt ist, eine Rolle. Aber er möchte auch mehr herausfinden über die Person, die mit seiner Klientin verheiratet war, und seine Beweggründe, die Identität eines Fremden anzunehmen.

„Das Leben eines Anderen“ ist ein Buch der behutsamen Zwischentöne. Hirano zeichnet wundervolle Figuren, die den Leser:innen mit einer häufig leisen, bewegenden (Vor-)Geschichte begegnen. Der Pfad zur wahren Identität des Verstorbenen ist ein gewundener, der ganz langsam beschritten wird, was dem Roman – neben Einblicken in die japanische Gesellschaft, ihre Bürokratie und den auch hier vorhandenen täglichen Rassismus – eine besondere Tiefe gibt und Hirano zu einem der spannendsten modernen Literaten Japans.

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Veröffentlicht am 25.04.2022

Traumpfad Manhattan

Auf der Zunge
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Is this the real life? Is it just fantasy?

Eine Frau wandelt durch New York. Weg von ihrer Wohnung, weg von ihrer Ehe, weg von ihrem Leben. Sie sieht Menschen, trifft Menschen, berührt Menschen, die ihr ...

Is this the real life? Is it just fantasy?

Eine Frau wandelt durch New York. Weg von ihrer Wohnung, weg von ihrer Ehe, weg von ihrem Leben. Sie sieht Menschen, trifft Menschen, berührt Menschen, die ihr Geschichten erzählen, die ihr etwas geben, die ihr etwas nehmen, bis sie selbst wieder nach Hause findet, zu sich findet.

Jennifer Clements „Auf der Zunge“ ist ein reizvolles Buch. Ein poetisches Werk mit kurzen (Ab-) Sätzen, mit flackernden Momentaufnahmen, mit Beobachtungen dieser niemals schlafenden Stadt und ihrer bunten Mischung aus Menschen, die tagein, tagaus in ihr leben, arbeiten, flanieren.

Kein Roman, kein Gedicht, irgendetwas dazwischen, ganz einfach zu lesen und doch unglaublich komplex und vielschichtig, mit interessanten, verrückten Figuren, die gleichzeitig, wie es zu New York passt, komplett anonym bleiben, selbst die Hauptfigur, über die Leser:innen lediglich ihr Familienleben, ihren Beruf, ihr ungefähres Alter erfahren.

Nicht alle Episoden sind charmant, interessant, freundlich, manche sind gar etwas öde, andere beängstigend, aber „Auf der Zunge“ ist ein unglaublich fesselnder Spaziergang durch Manhattan, der nie klar real, nie klar ein Traum ist, der einen unglaublichen Interpretationsspielraum bietet und dabei doch ein durchaus passendes Bild von New York zeichnet.

Der fast schon surreale Erzählstil, der Aufbau, das alles wird anecken und kontrovers diskutiert werden, aber das macht Clements Werk zu einer der interessantesten Neuveröffentlichungen des Jahres. Not just another New York Story, obwohl dann irgendwie doch, denn die Figuren, die Orte, die Stadt, sie wirken vollkommen vertraut. Und genau das hat New York ja auch gemeinsam mit diesen Träumen, bei denen man nie weiß, ist das jetzt das echte Leben – oder passiert das alles doch nur in meinem Kopf?

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Veröffentlicht am 13.04.2022

Für immer lesen.

Ich lese!
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Lesen ist ein großartiges Hobby. Bei Sonne und Regen. Zuhause und im Park. Morgens und abends. Und das schon das ganze Leben. Schön, wenn so ein Hobby weitergegeben werden kann. Und noch schöner, wenn ...

Lesen ist ein großartiges Hobby. Bei Sonne und Regen. Zuhause und im Park. Morgens und abends. Und das schon das ganze Leben. Schön, wenn so ein Hobby weitergegeben werden kann. Und noch schöner, wenn es auf so wundervolle Weise illustriert wird, wie in Attilio Cassinellis „Ich lese“.

Auf strahlend weißen Seiten lesen knallbunte Tiere. Eine Katze bei Mondschein im Bett. Ein Hase auf Urlaub im Meer. Ein Eichhörnchen ganz ungestört im Baum. Aber auch zusammen, laut und vorlesen ist auf den insgesamt 56 Doppelseiten zu sehen und zu, ja, lesen.

Die kurzen Sätze sind hier zwar nur Beschreibungen der Bilder, die keine Geschichte erzählen, aber dafür gleich die vielen Bedeutungen und Arten des Lesens nennen und so den Wortschatz der sehr jungen Zielgruppe erweitern.

Das Buch ist offiziell ohne Altersempfehlung, quasi ab 0 Jahren, und vermutlich am besten für Kinder zwischen anderthalb und zweieinhalb Jahren geeignet, wenn es um das reine Vorlesen geht. Die Illustrationen dagegen regen auch ältere Kinder an, selbst zu malen oder sich kleine Geschichten zu überlegen, was genau die Tierchen dort lesen und machen.

Ein Kompliment geht auch an den Insel-Verlag: Das Buch hat eine sehr angenehme Haptik, die Seiten sind in der richtigen Stärke und die Druckqualität ist im Vergleich zu vielen anderen Kinderbüchern sehr hoch. Das macht „Ich lese“ zu einem Buch, das nicht nur Spaß macht, zu lesen und anzusehen, sondern auch zu einem tollen Geschenk für junge Familien, die eines besonders gerne tun: für immer lesen.

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