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Veröffentlicht am 08.06.2022

Wir sind Held:innen

Not all heroes wear capes
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Wie werde ich eigentlich ein Held? Maske auf, Cape an – oder auch nicht, siehe Die Unglaublichen – und auf geht’s? Brauche ich Superkräfte wie Spiderman oder nur ein ausreichendes Budget und vielleicht ...

Wie werde ich eigentlich ein Held? Maske auf, Cape an – oder auch nicht, siehe Die Unglaublichen – und auf geht’s? Brauche ich Superkräfte wie Spiderman oder nur ein ausreichendes Budget und vielleicht einen kleinen Kindheitsknacks wie Batman? Keine Sorge, die Antwort beruhigt alle: In jedem von uns steckt Held:innen-Potenzial.

Skeptisch? Dann ist „Not all heroes wear capes“ genau das richtige Motivationsbuch für dich. Er zeigt, was (Alltags-)Held:innen ausmacht, wie einfach jeder von uns die Welt ein kleines bisschen besser machen kann und welche Auswirkungen das auf uns selbst hat.

Und das gar nicht mal so sehr im klassischen Empower-Yourself-Style, den die üblichen Start-up-Flitzpiepen an den Start legen, sondern behutsam, einfühlsam und komplett auf Augenhöhe mit der Zielgruppe – älteren Kindern und jüngeren Jugendlichen. Und ja, auch wir Erwachsenen können viel über uns und auch für uns lernen.

Ben Brooks macht das ganz wunderbar, mixt eigene Erfahrungen mit den Lebensgeschichten von verschiedenen Held:innen der letzten Jahrhunderte. Von ganz bekannten Menschen wie Michael Phelps (Gewinner von 28 olympischen Medaillen) und Captain Tom Moore (sammelte als 99-Jähriger Spenden für Pflegekräfte zu Beginn der Corona-Pandemie) über Leute, die gar nicht mal so sehr im Fokus standen wie Joy Milnes, die irgendwann gemerkt hat, dass sie riechen kann, wenn Menschen an Parkinson erkrankt sind. Klingt verrückt, oder? Ist aber wirklich wahr.

„Not all heroes wear capes“ ist ein buchgewordenes Motivational-Poster, baut dabei aber niemals Druck auf, sondern inspiriert durch schöne Zufälle und bewegende Geschichten, ein bisschen mehr auf die drei wichtigsten Dinge zu achten, die wir haben: uns selbst, unsere Mitmenschen und unseren Planeten. Und vor allem, dass wir alle eines sind, wenn wir es nur wollen: Held:innen.

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Veröffentlicht am 02.06.2022

Traurig-schöner Sommer

Ein unendlich kurzer Sommer
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Und dann war der Sommer plötzlich vorbei. Dieser gewaltige Sommer, der durch Chris‘ Leben gefegt ist, auf einem einsamen Campingplatz in einem verschnarchten Nest irgendwo im Nirgendwo, weit weg von seinem ...

Und dann war der Sommer plötzlich vorbei. Dieser gewaltige Sommer, der durch Chris‘ Leben gefegt ist, auf einem einsamen Campingplatz in einem verschnarchten Nest irgendwo im Nirgendwo, weit weg von seinem früheren Leben. Ein viel zu kurzer Sommer, ein unendlich kurzer Sommer.

Als er den Haushalt seiner verstorbenen Mutter auf seiner Heimatinsel Réunion auflöst, fällt ihm ein Brief in die Hände. Geschrieben wenige Tage nach seiner Geburt. Nie abgeschickt, versteckt in einem Buch. Adressiert an seinen Vater. Seinen echten Vater, der nicht der war, der ihn aufgezogen hatte und früh gestorben war, sondern ein Unbekannter aus Deutschland. Gustav.

Gustav, der knarzige, stoffelige Besitzer des Campingplatzes, der plötzlich Lale vom Aldi-Parkplatz mitnimmt, die junge Frau, die vor ihrem Leben Reißaus genommen hat, warum, das wird alles erzählt in diesem wundervollen Roman, auch die Geschichte von Chris, von Gustav, von dessen altem Freund James und vom Nachbarjungen Flo.

Ein unendlich kurzer Sommer ist ein tolles melancholisches Sommerbuch. Ein Roman mit vielen verhuschten, skurrilen Charakteren, alle anders, alle gleichzeitig furchtbar anstrengend und furchtbar liebenswert. Eine Geschichte für Leser:innen, die Geschichten von Mariana Leky lieben, deren Figuren, deren Stimmungen, die auch in Kristina Pfisters großartigem Debütroman leben.

Manchmal passiert einfach nichts, der Sommer ist heiß, es gibt Eis oder Bier oder beides und Nachmittage am See und dann plötzlich, wie ein Sommergewitter, da kracht es, da ziehen die Schatten der Vergangenheit wie dunkle Wolken am Himmel auf, genau wie die Schatten der unvermeidbaren Zukunft. Das ist zwar ein bisschen vorhersehbar, aber auf völlig angenehme Weise, größtenteils unverkitscht, immer charmant, immer liebenswert. Was für ein traurig-schöner Sommer!

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Veröffentlicht am 25.05.2022

Fußball ist immer noch wichtig

Wieso? Weshalb? Warum? Erstleser, Band 7 - Fußball
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Ausgerechnet heute. Tag 1 nach dem Wiederaufstieg in die Zweite Liga und dieses Buch liegt im Briefkasten. Wieso, weshalb, warum Fußball? Eine Frage, die mir schon häufiger gestellt wurde, von Freunden, ...

Ausgerechnet heute. Tag 1 nach dem Wiederaufstieg in die Zweite Liga und dieses Buch liegt im Briefkasten. Wieso, weshalb, warum Fußball? Eine Frage, die mir schon häufiger gestellt wurde, von Freunden, der Frau, ja, auch von mir selbst. Und bestimmt auch irgendwann: von der Tochter, die noch glücklich und zufrieden mit der Soundfahne wedelt und das Betze-Lied mitsingt. Ja, vielleicht ist heute, ausgerechnet heute, der richtige Tag für dieses Buch.

Im neuesten Band der Ravensburger Reihe wird erst einmal erklärt, warum Fußball so beliebt ist, wofür die Linien und Punkte auf dem Spielfeld stehen, welcher Spieler welche Position hat und welche Regeln für die 22 Menschen auf dem Feld gelten. Direkt fällt auf: Es sind nicht nur Jungs und Männer die spielen. Endlich. Das Buch ist auf Höhe der Zeit, richtet sich an Jungen und Mädchen gleichermaßen. Einziges Manko, wenn darauf angelegt: Es wird nicht gegendert. Aber gut.

Auch über Schiedsrichter:innen wird gesprochen, selbst über den bei Fans wie Profis beliebten VAR, und dann, fast ein bisschen spät, aber immerhin, auch über die Geschichte und Entwicklung des Sports, bevor die große Frage im Raum steht: Wie werde ich ein Superkicker? Trainingsmethoden und Schusstechniken werden erklärt, der Alltag von Profi-Fußballer:innen, die wichtigsten Wettbewerbe und natürlich auch die Fans.

Zwischendurch wird mit kleinen charmanten Quiz-Fragen das zuvor Gelesene und Gelernte abgefragt, eigentlich eine ganz gute Methode, die Erstleser:innen schon einmal auf den Schulalltag vorzubereiten, eine Doppelseite lädt zum Stickern ein und ein kleines Leselotto ist auch Teil des Buchs.

Offen nur, wie viele Kinder die richtige Antwort auf die Frage „Deutscher Meister wird …“ finden und nach zehn Jahren Bundesliga-Langeweile doch zur Möglichkeit „immer FC Bayern München“ tendieren. Aber vielleicht wird es da einfach Zeit für den nächsten Aufstieg des 1. FC Kaiserslauterns. Schließlich wurden sie so 1998 als erster und einziger Aufsteiger direkt Deutscher Meister. Womit auch die Frage geklärt wäre, welcher Verein eigentlich der beste ist. Olé olé, olé ola, das Buch hier ist schon recht wunderbar. Und Fußball immer noch wichtig. Schön, wenn er so divers und zeitgemäß erklärt wird, wie in diesem Buch von Ravensburger. Danke dafür!

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Veröffentlicht am 23.05.2022

Der nicht ganz so perfekte Sommer

Schallplattensommer
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Kennt ihr das Gefühl, das so im September langsam angeschlichen kommt, wenn die ersten Herbsttage morgens und abends spürbar sind? Dieses Gefühl, dass der Sommer sich langsam verabschiedet – und nicht ...

Kennt ihr das Gefühl, das so im September langsam angeschlichen kommt, wenn die ersten Herbsttage morgens und abends spürbar sind? Dieses Gefühl, dass der Sommer sich langsam verabschiedet – und nicht das gehalten hat, was er noch im Mai, Juni versprochen hat? Weniger Sonne, weniger Tage im Wasser, weniger bleibende Erlebnisse? Irgendwie schon schön, aber nicht legendär? Das Gefühl hatte ich auf den letzten Seiten von Schallplattensommer. Schade eigentlich.

Maserati lebt bei ihrer Oma und schmeißt mal mit ihr, mal alleine, Omas Imbiss, das einzige Restaurant im kleinen Nest irgendwo auf dem Land, zwischen Seen, Kirsch- und Apfelbäumen. Sie geht nicht mehr zur Schule, geht nicht ins Internet, hat noch ein altes Klapphandy und ist auch sonst nicht der ganz typische Teenager. Am liebsten hat sie ihre Ruhe – bis Casper und Theo auftauchen.

Schallplattensommer ist eine Coming-of-Age-Sommergeschichte und eigentlich bin ich recht anfällig dafür. Der große Sommer, Hard Land, Man vergisst nicht wie man schwimmt – alle auf meiner Favoritenliste. Gefühlvolle, nostalgisch-angekitschte Geschichten, aber auch komplett für Erwachsene geschrieben, was vermutlich am Ende den Unterschied macht, denn Schallplattensommer ist mehr Teenie-Roman, richtet sich mehr an die junge Zielgruppe, die manche Aussagen und Wendungen eher nachvollziehen kann als jemand, der in den 90ern groß geworden ist.

Dabei ist das Buch überhaupt nicht schlecht. Maseratis Lebensgeschichte bleibt angenehm vage, sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft. Es gibt spannende, komplexe Figuren und manche, die nur am Rande auftauchen, aber dennoch eine besondere Präsenz haben. Es gibt kleine Dramen und schöne Momente. Stellenweise etwas Teenie-Kitsch. Aber so der richtige Funke, der den Sommer in Schwung bringt, die Arschbombe in den See bei Nacht quasi, das fünfte Kaktuseis am Nachmittag, den Sommerhit, den alle mitgröhlen, der fehlt.

Und so ist Schallplattensommer eher so ein kleines Sommerhoch im Frühjahr oder Herbst, eine nette, durchaus charmante Lektüre, aber dann doch eher nur so ein Sommer wie 2009, der auch 2008 oder 2010 hätte sein können, ohne richtige Präsenz im Nachklang. Und das ist, noch einmal, schade eigentlich.

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Veröffentlicht am 05.05.2022

Sein und Schein

Das Leben eines Anderen
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„Er spielte nicht bewusst etwas vor, vielmehr hatte er das Gefühl, als würde er, je länger er sprach, mit dem, was er sagte, verschmelzen.“

Ein Mann ist gestorben. Ehemann, Vater, Bruder, Sohn. Doch nur ...

„Er spielte nicht bewusst etwas vor, vielmehr hatte er das Gefühl, als würde er, je länger er sprach, mit dem, was er sagte, verschmelzen.“

Ein Mann ist gestorben. Ehemann, Vater, Bruder, Sohn. Doch nur die Hälfte davon ist wahr. Als seine Witwe ein Jahr nach dem Unfalltod die Familie des Verstorbenen kontaktiert, wird schnell klar, dass er nicht Taniguchi Daisuke war. Aber wer war er? Und wie kam er an Taniguchis Identität?

Keiichiro Hiranos Roman „Das Leben eines Anderen“ lebt von seiner Authentizität. Identitätstausch ist hier keine Science-Fiction, kein Face/Off mit John Travolta und Nicolas Cage, sondern ein reales System, bei dem die in Japan gängigen Familienregister und Lebensgeschichten getauscht werden. Ein System, dem Anwalt Akira Kido auf die Spur kommt, als er von Rie, der Witwe des nun namenlosen Gatten, beauftragt wird, die Herkunft ihres Mannes aufzudecken.

Der Klappentext führt dabei ein kleines bisschen in die Irre. Dass Kido selbst in die Rolle Taniguchis schlüpft, dessen Lebensgeschichte übernimmt, „um seinem eigenen Schicksal zu entgehen“, ist etwas hochgegriffen. Im Prolog, der streng genommen eher ein vorgegriffener Epilog ist, was im letzten Kapitel mit Kido deutlich wird, sowie auf einer Geschäftsreise in einer Bar, wechselt Kido seine Identität, gibt sich für jemanden aus, der er nicht ist. Dabei spielt seine scheiternde Ehe und der Alltagsrassismus, dem er als Zainichi – als koreanischstämmiger Japaner – ausgesetzt ist, eine Rolle. Aber er möchte auch mehr herausfinden über die Person, die mit seiner Klientin verheiratet war, und seine Beweggründe, die Identität eines Fremden anzunehmen.

„Das Leben eines Anderen“ ist ein Buch der behutsamen Zwischentöne. Hirano zeichnet wundervolle Figuren, die den Leser:innen mit einer häufig leisen, bewegenden (Vor-)Geschichte begegnen. Der Pfad zur wahren Identität des Verstorbenen ist ein gewundener, der ganz langsam beschritten wird, was dem Roman – neben Einblicken in die japanische Gesellschaft, ihre Bürokratie und den auch hier vorhandenen täglichen Rassismus – eine besondere Tiefe gibt und Hirano zu einem der spannendsten modernen Literaten Japans.

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