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Veröffentlicht am 19.03.2024

Der SAT.1-FilmFilm

Der erste letzte Tag
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Man kann sich das so gut vorstellen: Matthias Schweighöfer, irgendwo zwischen halbseriös und üblich zerknautscht. Jella Haase, leicht angepunkt, aber aus gutem Hause. Ein klappriges Auto und zahlreiche ...

Man kann sich das so gut vorstellen: Matthias Schweighöfer, irgendwo zwischen halbseriös und üblich zerknautscht. Jella Haase, leicht angepunkt, aber aus gutem Hause. Ein klappriges Auto und zahlreiche Gastauftritte von Promis aus der Film-, Musik- und Wasauchimmerfürneunterhaltung-Branche. Und natürlich mit einem Gastauftritt von Sebastian Fitzek, hupend am Steuer eines Wohnmobils oder als Obdachloser im Luxushotel. Hauptsache augenzwinkernd.

Warum dieser leicht aufgebauschte Mix als Einleitung? So ist das Buch. Leicht aufgebauscht. Dezent ausgedrückt. Ehrlich gesagt: Fitzeks erster Nicht-Thriller strotzt nur so vor Kalauern und Flapsigkeiten, vor doppeläugigem Zwinkern, auf den Schenkel klopfen und mit dem Ellenbogen in die Seite stupsen. Ein Seht-her-ich-kann-auch-anders. Leider ist das furchtbar anstrengend. Und leider ist da furchtbar viel verschenktes Potenzial.

Okay, der Plot ist nicht neu, es gab da die auch viel zu lange, über mehrere Episoden gestreckte Marshall-und-die-fremde-Frau-Story bei How I Met Your Mother mit dem gleichen Kontext (noch gar nicht erwähnt, also: Es geht kein Flieger, es gibt nur noch einen Mietwagen, zwei sich unbekannte und grundverschiedene Leute teilen ihn sich und los geht die wilde Fahrt). Zwischen den Zeilen ist da aber mehr.

Die Geschichte von ihm, Livius, ist halbwegs uninteressant. Blasser Typ, Ehe im Eimer, Buchvertrag für langweiliges Sachbuch kurz vor dem Abschluss, joa. Sie ist deutlich geheimnisvoller: gutes Elternhaus, aneckende Attitüde, unberechenbar – und … nun, ohne zu spoilern, es gibt da eine Sache, die Livius und der Leser erst spät(er) erfahren.

Ich hab’s erwähnt, es ist furchtbar anstrengend, nervig, flach – der perfekte Mix für den nächsten SAT.1-FilmFilm und perfekt für Leute, die sowas mögen. Ehrlich, meine Meinung ist völlig subjektiv, es wird viele Leute geben, die das Buch mögen werden, die sich amüsieren, denen es beim Lesen anders geht bei mir. Das ist total in Ordnung. Für mich ein Stern und auf zum nächsten Buch. Dachte ich bis zum Ende. Oder besser: bis kurz davor.

Und jetzt wird’s schräg: Ich erhöhe auf zwei Sterne – immer noch nicht gut, aber hey. Und: Ich ärgere mich eigentlich noch mehr. Das Ende ist richtig gut. Ich habe Bücher gelesen, die ich super fand und deren Ende ich unnötig und doof fand, hier ist es genau umgekehrt. Das Ende hat genau die richtige Lautstärke, es ist leise, dezent, ohne blöde Witzchen, nicht konstruiert, es ist menschlich, es ist warm, es ist wirklich schön. Und dann sitze ich da und frage mich, warum nicht das ganze Buch in dieser Tonalität geschrieben ist.

Oder in drei Worten: Mensch, Fitzek, ey!

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Veröffentlicht am 11.04.2022

Zum Unwohl. Die Pfalz.

Gretas Erbe
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Eine Geschichte über die Pfalz, das sonnengeküsste Land in Deutschlands Südwesten, Heimat des wundervollsten Fußballvereins der Welt. Eine Geschichte über eine junge Frau, die Teil der noch jungen feministischen ...

Eine Geschichte über die Pfalz, das sonnengeküsste Land in Deutschlands Südwesten, Heimat des wundervollsten Fußballvereins der Welt. Eine Geschichte über eine junge Frau, die Teil der noch jungen feministischen Bewegung wird, gegen den Willen ihrer Ziehfamilie, gegen den Mief der frühen 1970er-Jahre. Und natürlich eine Geschichte über den Weinbau, das Leben als Winzer:in in einer der besten Weinregionen dieser Welt. Es hätte so schön sein können. Hätte.

„Gretas Erbe“, der Auftakt der „Die Winzerin“-Trilogie von Nora Engel ist ein unfassbar ärgerliches Buch. Es ist eine papiergewordene Telenovela, eine Schmonzette sondergleichen. Als hätten ein Saarländer und ein Mannheimer beschlossen, der Pfalz den literarischen Todesstoß zu geben. Und das Schlimmste: Es ist von den Autorinnen – Nora Engel ist das Pseudonym von Danela Pietrek und Tania Krätschmar – nicht einmal beabsichtigt.

Fast alle Figuren außer Greta sind tumb bis unsympathisch angelegt, um den großen Unterschied zur Hauptfigur zu schaffen. Ihr „Bruder“ Robert, die unvermeidliche Love Interest, ist eine Blaupause des Helden in Teenie-Romanzen und Groschenromanen. Lediglich ihre Lehrerin, die nur eine kleine, aber nicht unbedeutende Rolle spielt, sowie die von ihrer Ziehfamilie verhassten Winzernachbarn bestärken Greta in ihren Schritten, bleiben dabei aber völlig blass und unausgegoren.

Eine völlig vorhersehbare Geschichte wird auf 400 - immerhin relativ flüssig zu lesende - Seiten ausgerollt, es gibt keinerlei Überraschungen, nicht einmal am Ende, das lediglich Leute zu einem leisen „Huch!“ hinreißen lässt, die im Leben nicht mehr als vier Bücher gelesen haben und „Rote Rosen“ für eine authentische, geistreiche TV-Serie halten. Die Dialoge sind platt und unglaubwürdig, Greta werden Sätze in Kopf und Mund gelegt, die eine junge Frau zwischen 16 und 19 niemals sagen und denken würde, auch nicht in den frühen 1970er-Jahren.

Zwei, drei Zeilen in Mundart, ein bisschen Weinfest-Folklore, ein abgeschriebenes Weinbau-101-Glossar machen noch keinen Heimatroman über die Weinregion Pfalz, ein paar Zeitgeist-Referenzen über Alice Schwarzer, Schwangerschaftsabbrüche und Bildungsaufbruch noch keine Reise in den frühen deutschen Feminismus. Alles ist total bemüht, konstruiert, platt – und in erster Linie: verdammt schade.

Die Autorinnen verschenken hier völlig das Potenzial für eine spannende, interessante Geschichte über das Erwachsenwerden, über das Ende des Patriacharts, über die Modernisierung der Gesellschaft im ländlichen Raum. Dass diese Geschichte über zwei weitere Bücher gestreckt wird, weckt gleichzeitig Hoffnung und Unbehagen. Hoffnung, dass es irgendwie doch noch besser wird. Unbehagen, dass „Die Winzerin“ am Ende wirklich als platte Telenovela verfilmt wird und die Pfalz nicht als die freundliche, weinverrückte Region dargestellt wird, die sie ist, sondern als das dümmlich-rückständige Klischee, das viele von ihr haben. Zum Unwohl. Die Pfalz.

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