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Veröffentlicht am 27.09.2019

Es ist nie zu spät um neu anzufangen.

Agathe
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Manchmal sinds gerade die kleinen, kurzen Geschichten, die einen irgendwie bewegen und das obwohl sie nicht einmal so eine große Aussagekraft haben. Und gerade "Agathe" von Anne Cathrine Bomann, war für ...

Manchmal sinds gerade die kleinen, kurzen Geschichten, die einen irgendwie bewegen und das obwohl sie nicht einmal so eine große Aussagekraft haben. Und gerade "Agathe" von Anne Cathrine Bomann, war für mich ein kurzes Lesevergnügen der besonderen Art.


"Ich bin hier [...] weil ich wieder die Lust am Leben verloren habe. Ich hege nicht die Illusion, mich irgendwann gut zu fühlen, aber ich möchte gern zurechtkommen" - Agathe

Ein Psychiater möchte sich eigentlich mit 72 in den Ruhestand begeben. Geschlagene fünf Monate und damit 800 Gespräche bleiben ihm bis dahin. Alles scheint im total banal. Seine Patienten hören und sehen ihn kaum, denn sie erzählen nur von sich und wollen eigentlich gar keine wirkliche Hilfe. Sie berichten von Kleinigkeiten über die sie sich aufregen, großen Banalitäten, die sie furchtbar stören und auch sonst scheinen alle mehr ein Problem mit sich selbst zu haben - so wie der Psychiater auch. Er hat es nie gelernt zu lieben oder die Nähe zu anderen Menschen zuzulassen. Ein großes Hindernis und damit geht ein großer Teil seines Lebens verloren. Eines Tages möchte Agathe bei ihm einen Termin vereinbaren, doch aufgrund der begrenzten Zeit, lehnt er ab. Madame Surruge, seine Sekretärin, schleust sie förmlich ein und packt sie auf die Behandlungsliste und bringt damit einfach alles ins Wanken.

"Man kann als sehr kleines Wesen enden, wenn einen niemand mag. Manchmal frage ich mich, ob so ein Wesen überhaupt noch ein Mensch ist."

Man könnte nun meinen, dass diese kleine Geschichte in ein kitschiges Irgendwas abdriftet, aber genau das macht es nicht. Anne Cathrine Bomann schafft es nämlich genau diesen Teil zu umgehen. Agathe ist bereits verheiratet und eben nur eine Patientin, die ihn herausfordert und den Psychiater aus seinem Schneckenhaus herauslockt. Es geht hier auch nicht um eine Liebesbeziehung, denn wo die genaue Reise hingehen mag, bleibt ein Teil der Fantasie. Daher ist es insgesamt auch eher ein leichtes Buch für Zwischendurch, ohne komplexe Handlungsstränge. In kleinen Passagen, lernen wir einzelne Patienten, die Probleme des Psychiaters, Agathes und seiner Sekretärin Madame Surruge kennen. Agathe ist dabei die Rettung und irgendwie hilft sie ihnen allen, dem Leben eine neue Chance zu geben. Und was soll man da groß sagen? Ich fand diesen Roman wirklich unterhaltend, leicht und nicht zu viel. Dieses Buch ist wie ein liebes
Geschenk, eine kleine Aufmerksamkeit, die optisch wie inhaltlich wahrscheinlich vielen eine kleine Freude bereitet.

"Nur noch vierhunderachtundvierzigmal musste ich mit diesen Menschen sprechen, die ich inzwischen nicht einmal mehr versuche zu verstehen."
Es gleicht einer "vormittäglichen Parade"

Veröffentlicht am 27.09.2019

Wahr oder nicht wahr? Das hier ist die Gruber!

Vater unser
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Angela Lehners Roman Vater unser ist ein Buch, das es tatsächlich in sich hat. Es geht um eine traumatisierte, junge Frau, die alles erdenkliche tut, um ihren Bruder zu retten, zu schützen und sich selbst ...

Angela Lehners Roman Vater unser ist ein Buch, das es tatsächlich in sich hat. Es geht um eine traumatisierte, junge Frau, die alles erdenkliche tut, um ihren Bruder zu retten, zu schützen und sich selbst irgendwie immer weiter in einer Scheinwelt aus Lügen und verschrobenen Erinnerungen verrennt. Sie und ihr Bruder Bernhard befinden sich in der psychiatrischen Abteilung eines Wiener Spitals und schon zu Beginn wird klar, dass es sich um etwas mehr als eine kleine Macke drehen wird. Eva Gruber wird von der Polizei mitgenommen bzw. zurück ins Spital gebracht. Scheinbar hat sie einen Fluchtversuch gewagt, aber so genau weiß man es dann auch wieder nicht. Auch generell gleicht die Sache eher einem Detektivspiel. Durch einen Dialog mit ihrem Therapeuten Korb erfährt man, dass sie vorgegeben hat eine Kindergartengruppe erschossen zu haben. Rein fiktive, rein subjektive, sehr manipulative Gespräche und Begegnungen folgen. Sie will wieder Kontakt zu ihrem magersüchtigen Bruder aufbauen, doch dieser will zunächst gar nichts von ihr wissen. Sie schüchtert Mitpatienten ein, auch andere Therapeuten oder führt Ärzte auf Irrwege. Die Beziehung zu ihrer Mutter ist auch sehr gespalten und irgendwie läuft einfach überhaupt nichts rund und nur Eva scheint in dem Wahn ihrer Vorstellungen aufzugehen und will einfach nur weg. Fliehen und das diesmal nicht alleine.

Dieses Buch innerhalb weniger Zeilen klug und auf den Punkt genau zusammenzufassen, stellt sich als äußerst schwierig da. Angela Lehner hat es geschafft, ein sehr komplexes Weltbild zu erschaffen, das sich nicht chronologisch aufbaut, sondern wie ein vertüddeltes Knäuel nur langsam Einblick in das Leben der Protagonistin gibt. Dies gestaltet sich dann ähnlich spannend wie einen Krimi, allerdings etwas ruhiger und sehr auf der psychisch, verworrenen Ebene. Eva Gruber war mir zu beginn noch wahnsinnig sympathisch, etwas draufgängerisch und so etwas wie ein Freidenkerin, die in einen Käfig gezwängt wird. Doch nach und nach böckelt der Putz und ihr Trauma wird sichtbar. Lehner wechselt dabei zwischen erfundenen Aussagen, verschwommenen Erinnerungen und realen Handlungen und lässt den Leser recht lange im Dunkeln tappen. Vieles scheint möglich und doch ist es bereits von Anfang an wichtig hinter die Fassade der Protagonistin zu gucken. Das macht es fordernd, lebendig, sarkastisch, schadenfroh traurig. Und so kann man das Buch auch einfach nicht weglegen ohne den Ursprung der gesamten Handlung verstanden zu haben. Wobei… ob ich es am Ende nun wirklich durchblicken konnte? Wer weiß das schon.

Eva Gruber ist ein sehr besonderer Mensch in vielerlei Hinsicht. Ihre verschrobene, traumatische Wahrnehmung in dieser Form, hat mich tatsächlich sehr bewegt und auch rückblickend muss ich sagen, dass ich bei diesem Charakter zwischen großer Euphorie, Wut und Aggression schwanke. Lehner stellt in ihrem Buch das ganze psychiatrische System infrage und irgendwie fesselt sie einen damit. Ohne nun tiefgründig auf meine Erkenntnisse eingehen zu wollen… dieses Buch ist bis zum Ende ein sehr gut durchdachtes, teilweise gar durchtriebenes Miststück, dass ich total lieb gewonnen und genauso angenervt und fragend beendet habe. Und dafür ist es dann einfach genial!

Veröffentlicht am 27.09.2019

ganzheitliches Sportkonzept mit Schwierigkeiten

athleticflow
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Ich bin ein Sportmuffel! Und ein nicht gerade kleiner. Ich habe schon viel ausprobiert, bin eine Zeit lang ins Studio gegangen, war jeden Tag walken oder habe zuhause einiges ausprobiert... aber wie das ...

Ich bin ein Sportmuffel! Und ein nicht gerade kleiner. Ich habe schon viel ausprobiert, bin eine Zeit lang ins Studio gegangen, war jeden Tag walken oder habe zuhause einiges ausprobiert... aber wie das immer so ist, irgendwann wird es eintönig und damit auch langweilig. Feste Termine zwingen einen dann zwar zur sportlichen Betätigung, aber die immer gleichen Sachen, eine längeren Anfahrt oder gar das Anstehen an Geräten ist für mich beinahe ein Motivationskiller. Daher mache ich gerne etwas für mich allein, probiere einfach mal was aus und gucke, ob es für mich eine optimale Lösung für den Alltag gibt. So bin ich dann auch bei verschiedensten kleineren Übungen und Einheiten gelandet, die ich immer mal wieder zwischendurch machen kann.
Abhilfe habe ich nun mit dem Buch "athleticflow" von Nora und Simon Kersten gefunden und es beschäftigt mich bereits einige Wochen. Ihr Sportkonzept ist eine Mischung aus High Intensity Training und Yoga. Der große Vorteil? Man kann immer und überall einfach mal loslegen und das ohne große Vorbereitung oder der Präsenz zahlreicher Geräte. Möglichkeiten gibt viele. Es werden in dem Buch insgesamt 6 Workouts im Rahmen von 20 - 45 Minuten plus Aufwärmung vorgestellt. So ist man recht flexibel, fühlt sich eigentlich immer gefordert und hat mit der richtigen Musik auch immer Spaß.

Vom Aufbau ist das Buch recht klassisch. Nach einem kurzen Vorwort folgt eine Selbstvorstellung sowie eine Erklärung des von ihnen entwickelten Fitnesskonzepts, welches zur ganzheitlichen Fitness führen soll. Sie erklären die Vorteile aus Kombination aus Yoga und High-Intensity-Intervall-Training und gehen bereits auf einige Übungen ein. Anschließend folgt der ausgedehnte Praxisteil mit der Aufwärmung und den einzelnen Workouts. An sich ist es super strukturiert und man bekommt beim Lesen auch gleich Lust einzelnes ausprobieren. Und genau das habe ich dann auch getan und festgestellt, dass ich bereits für die Aufwärmung einige Defizite habe. Dies hat mich dann wiederum angespornt weiter zu machen und so habe ich mich Schritt für Schritt rangetastet und gesteigert.

Ich finde es toll, dass der Fokus eben nicht auf einzelnen Kraftübungen ruht, sondern diese mit Atemübungen bzw. ruhige Bewegungen in die einzelnen Workouts integriert werden. Das schafft immer wieder eine Balance und so ist trotz Bewegung Zeit zum Verschnaufen. Yoga und vor allem auch die gezielte Atmung und damit auch bewusste, körpereigene Dehnung ist für den Körper wichtig und überbeansprucht in nicht gleichzeitig. Auch den vorherigen Exkurs in die Yoga-Philosophie für den Alltag, finde ich dabei sehr toll und habe Lust bekommen mich näher damit auseinanderzusetzen. Leider gibt's an dieser Stelle nur eine schriftliche Anleitungen und keine Bilder, was ich persönlich etwas schade finde. Auch im Anwendungsteil habe ich an einigen Stellen ein kleines Verständnisproblem bei dem mir die abgebildeten Stellungen nicht wirklich hilfreich erscheinen... kurze ergänzende Videos wären großartig, denn so hat man eher das Gefühl ständig etwas falsch zu machen oder ist generell zu schnell oder man lässt so wie ich einzelne Übungen einfach aus. Manchmal habe ich auch nach Zeitangaben gesucht und bin irgendwie in tausende Fragen abgedriftet. So habe ich nun am Ende ein für mich verständliches Workout zusammengestellt, bei dem ich einzelne Übungen gegen andere austauschen kann. Das ist nun vielleicht nicht ganz so effektiv wie von den beiden Profis gedacht, aber für mich momentan einfach eine sehr gute Trainingseinheit.

Von daher: Ein theoretisch tolles Buch mit einer sehr interessanten Grundidee, allerdings in der Praxis teilweise fraglich. So kann ich dann leider auch nicht mehr als drei Sterne vergeben.

Veröffentlicht am 27.09.2019

Essen kann mehr als nur gut schmecken

Essen heilt
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"Du bist was du isst" ist ein sehr geläufiges Sprichwort, was wahrscheinlich jedem schon mindestens einmal über den Weg gelaufen ist, aber in Zeiten zahlreicher Ernährungsmythen, fragwürdigen Tipps und ...

"Du bist was du isst" ist ein sehr geläufiges Sprichwort, was wahrscheinlich jedem schon mindestens einmal über den Weg gelaufen ist, aber in Zeiten zahlreicher Ernährungsmythen, fragwürdigen Tipps und Diäten... Wer beschäftigt sich denn nun wirklich mit dem was er da isst und was seine Ernährung in seinem Körper so alles anrichten kann? Wir alle wissen, dass Fastfood sehr viel 'Pappe' ist und doch landet es häufiger als wir es wahr haben wollen auf unseren Tellern. Und doch... "Von allen persönlichen Entscheidungen, die sie bezüglich Ihrer Gesundheit treffen können, hat nichts größeren Einfluss als ihre Ernährung.", sagt Dr. Mehmet Oz. Er ist einer der bekanntesten Ärzte und Gesundheitsexprten der USA und dort durch zahlreiche Besuche in verschiedensten Fernsehshows, seinem eigenen Format, der "The Dr. OZ Show", und seinem Magazin "Dr. Oz The Good Life" bekannt geworden. Nun erschien sein Buch "Essen heilt" auf dem deutschen Markt und ja, er verspricht eine Menge. Er möchte zeigen, was Essen kann und hat dazu zahlreiche Informationen über die Ernährung und Nahrungsmittel zusammengetragen, sowie einen 21-Tage-Plan mit 33 Rezepten und Snacks ausgearbeitet, mit denen man problemlos seine Geschmacksnerven umprogrammieren, die Stimmung verbessern, eventuell sogar Gewicht verlieren, Zivilisationskrankheiten reduzieren/einschränken/verhindern und das Energielevel steigern kann. Natürlich ist dies eine Entwicklung und geschieht nicht nur durch eine 'richtige' Mahlzeit, doch Ernährung kann beinahe Wunder bewirken.

"Wenn Sie [...] ihre Ernährung langfristig auf Lebensmittel umstellen, die Ihnen gut tun, können Sie langsam, aber sicher körperliche Schäden rückgängig machen und erhalten so die Chance auf ein rundum gesundes Leben."

Das Buch ist grob in drei Teile gegliedert. Im ersten geht es hauptsächlich um die Grundlagen, also welchen Einfluss Lebensmittel auf den Körper haben und wie dieser damit umgeht. Hierzu gibt es Erklärungen zu den biologischen, praktischen und emotionalen Elementen der Ernährung und bereits einige Tipps und Tricks, die helfen, richtig und intelligent einzukaufen, aber auch zu verstehen. Der zweite große Baustein wäre dann die H.I.L.F.E durch Ernährung und enthält Strategien für verschiedene Leiden, aber auch einzelne Abschnitte über Krankheiten. Und gerade hier wird es dann deutlich, dass es Dr. Oz sehr um das Verständnis, wie Essen auch als Medizin wirken kann, geht, denn gerade das Verstehen ist wichtig, um sich selbst zu ermutigen etwas zu ändern und gesund, ausgewogen zu essen und nicht ständig in alte Ernährungsmuster zurückzufallen. Dafür gibt es dann auch mit Teil drei einen sehr ausgeklügelten 21-Tage-Programmplan mit mehr als 100 Rezepten und einer dreitägigen Reinigungskur.

Dass dieses Buch so typisch amerikanisch ist, brauche ich nicht mehr erwähnen. Zumindest ich die Bildwelt großteils schrecklich, aber eins muss man ihm lassen, inhaltlich trifft Dr. Oz den Nagel auf den Kopf. Ich bin wirklich sehr angetan von dem Grundlagen, sowie Hilfe-Teil des Buches. Oz schafft es sehr einfach und verständlich über Fett, (Prä-)Diabetes, Arterienschädigungen, Cholesterin, Entzündungen und Co aufzuklären und zahlreiche Informationen über gute Lebensmittel und deren Wirkung zu liefern. Zwar enthält dieses Buch für mich nun nicht wirklich wahnsinnig viel Neues, aber für jeden, der ein guten Überblick über die richtige Ernährung gewinnen möchte ist dies sicherlich eine sehr wertvolle Hilfe. Auch der Rezeptteil bietet dann sehr wertvolle Tipps, Anregungen oder tatsächlich auch einen super Plan für drei Wochen. Die bauen dabei so ein bisschen aufeinander auf und ich finde, dass hier sicherlich für jeden das ein oder andere dabei ist. Allerdings (vielleicht tue ich mich damit auch nur schwer) würde ich z.B. nie einen Tee aus Bananenschalen machen, dafür sind sie mir dann doch zu stark behandelt oder die geplanten Eier mit Salsa und Bohnen wären für mich zum Frühstück eine enorme Herausforderung... ein Ersatzgericht oder Alternative pro Mahlzeit wäre irgendwie toll gewesen. Ähnlich 'blöd' finde ich dann auch das ständige Springen der Portionsangabe zwischen 2 und 4 Portionen, aber das ist dann auch tatsächlich das einzige wo ich wirklich Kritik ausüben kann. Eine toller Querschnitt, viele Informationen, Gerichte, Tipps und Tricks, über Ernährung, Gesundheit und mehr Lebensfreude. Toll!

Veröffentlicht am 27.09.2019

Historie in Märchenform

Wolgakinder
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Dass im osteuropäischen, russischen Raum Märchen eine sehr große Rolle spielen, muss man, glaube ich, an dieser Stelle zunächst noch einmal betonen. Ich selbst bin ja so ein kleiner Fan dieses recht eigenen ...

Dass im osteuropäischen, russischen Raum Märchen eine sehr große Rolle spielen, muss man, glaube ich, an dieser Stelle zunächst noch einmal betonen. Ich selbst bin ja so ein kleiner Fan dieses recht eigenen Gattung und daher habe ich mich auf "Wolgakinder" von Gusel Jachina doch so ein bisschen mehr gefreut.

"Konnte eine Welt, die so greifbar und voller Gerüche, so gegenständlich wie immer war, für eine bestimmte Zeit ihre Festigkeit verlieren und zu einem bodenlosen Sumpf werden? Oder hatte er sich das alles nur eingebildet? [...] "Ist das wirklich wahr? [...] Soll alles, was mir heute passiert ist, in Wahrheit geschehen sein?"

In ihrem zweiten Roman entführt uns Jachina nach Gnadental, einem deutschen Ort an der russischen Wolga. Es ist 1916, also noch Zarenzeit, als Jakob Bach in dem kleinen Dorf ein recht einfaches, unbekümmertes Leben als Schulmeister führt. Doch dies sollte sich mit einer einzigen Einladung auf das abgeschottete Grimmsche Anwesen auf der anderen Flussseite schlagartig ändern. Hier soll er die Bauerntochter Klara unterrichten. Doch aus anfänglicher Zurückhaltung und Skepsis entwickelt sich schnell die große Liebe. Als Klara dann zu ihm ins Dorf flüchtet, ernten die beiden nur Spott und Abneigung. Die große Welt, möchte sie nicht, sodass sie gezwungen sind die Wolga erneut zu überqueren. Hier leben sie nun fern ab von allem und recht glücklich, doch das Unheil naht. Klara wird von Einbrechern vergewaltigt, wird schwanger und stirbt bei der Geburt. Für Bach ein Trauma mit weitreichenden Folgen. Er erzieht Annchen unter schwierigsten Bedingungen, kehrt nach und nach in die sich ständig verändernde Realität auf der anderen Wolgaseite zurück und erlebt die Geschichte auf eine ganz besondere Art...

"Diese schreckliche Zeit nannte er das Jahr der Hungernden. Er glaubte, etwas Schlimmeres könnte es nicht geben. Damit hatte er unrecht. Ein Jahr später kamen kaum noch erwachsende Wanderer, stattdessen zogen Kinder über das Eis der Wolga. Kleine Greisengesichter, finstere Tieraugen, vom Skorbut schwarze Zähne, Hinterköpfe wie Hundefellchen voller Krätze [...]. An einem Tag bestattete Bach drei von ihnen."

"Wolgakinder" ist ein klassischer, russischer Roman. Leicht traditionell und märchenhaft erzählt Gusel Jachina von den Wolgadeutschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Vom Krieg gebeutelt und vom aufstrebenden Kommunismus unterdrückt - ein Dorf, am Rande der Wolga im Wandel der Zeit. Und zwischendrin befindet sich Bach, der den größten Teil der Geschichte abseits verbringt und immer mal wieder seinen Weg zurück in die Realität findet. So spielt dieser Roman auch in zwei verschiedenen Welten, die Jachina gekonnt miteinander verwebt. Teils poetisch, teils sehr intensiv menschlich, voller Angst und doch so voller Liebe... Sprachlich wie inhaltlich erzeugt sie ein faszinierendes und detailliertes Bild, welches jedoch ab und zu von Kapiteln über Lenin/Stalin durchbrochen wird. Wahrscheinlich wird dieses Buch nicht bei jedem Anklang finden, denn auf dieses ganz besondere Märchen muss man sich einlassen können und wollen. Der historisch unterfütterte Kern, bleibt in diesem Fall eher eine Randerscheinung und lässt sich daher nicht mit ihrem Vorgängerroman "Suleika öffnet die Augen" vergleichen. Für mich war dies nicht sonderlich schlimm, denn Märchen strahlen auch eine besondere Form der Hoffnung aus und gerade dieser Stil hat dieses Buch/diese Geschichte dann auch zu etwas ganz Eigenem gemacht. Auch der entwickelte Kalender des Jakob Iwanowitsch Bach, von 1918 mit dem Jahr der Verwüsteten Häuser, bis zu dem Jahr des großen Kampfes (1934) und des Ewigen Novembers (1935) fasziniert mich total und hat mich damit noch einmal aus historischer Sicht gepackt. Zumindest finde ich diese Idee der jährlichen Begegnungen, an der sich die Geschichte Bachs bzw. des Dorfes Gnadental entlang hangelt sehr interessant. Es ist die Zeit des Umbruchs, des Leids, der Veränderung und genau das kommt den Erzählungen des ehemaligen Schulmeisters enorm zu Gute. Doch dann gibt es da eben auch noch die Abschnitte von Lenin und Stalin, die zwar noch einmal eine neue Perspektive bieten, aber irgendwie total unnötig sind und den Lesefluss unterbrechen. Die Geschichte um Bach, Klara und Annchen finde ich toll, aber für eine Euphorie reicht es hier dann leider nicht.
Am Ende bleiben einige Dinge ungewiss, die Gesamtaussage irgendwie kaum greifbar und man fragt sich, ob es nun an der Übersetzung liegt, eine Kürzung stattgefunden hat oder es im russischen Original von Gusel Jachina tatsächlich so angedacht war. Es ist nicht ganz rund, aber irgendwie trotzdem schön.