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Veröffentlicht am 27.09.2019

ein märchenhaftes Kunstwerk

Lanny
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Altvater Schuppenwurz wacht mal wieder recht launisch und leicht gereizt aus seinem Nachmittagsschlaf auf. Ein paar Traumfetzen hängen noch in seinen Gedanken, er schrumpft und erlabt sich an den Gesprächsfetzen ...

Altvater Schuppenwurz wacht mal wieder recht launisch und leicht gereizt aus seinem Nachmittagsschlaf auf. Ein paar Traumfetzen hängen noch in seinen Gedanken, er schrumpft und erlabt sich an den Gesprächsfetzen und Gedanken der Dorfbewohner. Er freut sich über jeden einzelnen Laut und ganz besonders über die Stimme eines ganz bestimmten Jungen. Lanny. Er ist ein ganz besonderes Kind, voller Fragen, unvoreingenommen und neugierig. Und anscheinend auch einer der wenigen, die noch an die mythische Gestalt des Altvater Schuppenwurz glauben. Alles könnte so toll sein, so anders und doch beginnt dann mit Lanny's plötzlichem Verschwinden eine Tragödie, die ein ganzes Dorf bewegt, Vorurteile bestärkt und Hoffnungen auf die Probe stellt...


Es gibt so Bücher, die haben einen ganz besonderen 'Zauber'. Und so ist es dann auch mit Lanny von Max Porter um mich geschehen. Lanny hat mich persönlich anders getroffen ,als erwartet und gerade deshalb finde ich es toll. Märchen begeistern mich bereits seit meiner Kindheit. Natürlich sind die neu verfilmten/aufgelegten Märchen oftmals um Längen niedlicher, kinderfreundlicher und weniger blutrünstig als ihre damaligen Vorgänger, aber ihnen ist im Laufe der Zeit die enorme Aussagekraft und die Hoffnung, dass sich alles noch zum Besten wenden wird, erhalten geblieben. Und irgendwie finde ich auch bei diesem Buch den Vergleich mit einem Märchen recht passend. So dachte ich beim Lesen ständig an eine Mischung aus Das kalte Herz und Schneeweißchen und Rosenrot. Wahrscheinlich weil es auch in beiden ein Männchen gibt, das so klein, grantig und doch von der Menschheit so abhängig ist. Altvater Schuppenwurz ist so eine ähnliche Figur, die von den Menschen aus dem Dorf vergessen wurde und aus dem einstig mächtigen, angsterregenden Männchen wird ein Nichts (um nicht Witzfigur zu sagen).

Die ganze Geschichte um Lanny ist teilweise zwar etwas verwirrend, aber gerade das macht die Faszination dann auch wieder aus. Das Buch ist insgesamt recht künstlerisch und daher sollte man es auch etwas freier betrachten. Die Wortfetzen der Menschen, die Schuppenwurz erreichen, sprengen den gewöhnlichen Satzspiegel und fliegen kreuz und quer durch die Seiten. Während es jedoch im ersten Teil noch eine genaue Zugehörigkeit gibt, so verschwimmt das Erzählte immer mehr. Im zweiten Teil ist der Text eher als eine Aneinanderreihung verschiedener Gedanken und Fragmente zu sehen, bis dann im Dritten eine gedankliche Herausforderung erkennbar wird. Es ist die Frage, ob Traum oder Wirklichkeit, ob Zauber Schuppenwurz's oder alles doch einzig reine Einbildung ist. Im Klappentext heißt es so schön, dieser Roman sei "eine bewegende Warnung davor, was wir zu verlieren haben, und eine Hymne an alles, was wir nie ganz verstehen werden." Besser könnte ich es nicht formulieren. Es beschreibt die zwei unterschiedlichen Bilder, von Menschlichkeit und Aberglaube. Lanny scheint etwas zurückgeblieben, anders und einzigartig zu sein, er kann sich für ganz andere Dinge begeistern und hinterfragt vieles, so ganz natürlich. Schuppenwurz symbolisiert für mich etwas sehr altes, was in Vergessenheit geraten ist und die Menschen doch auch weiterhin begleitet und lenkt. In wie weit etwas geschehen, vorstellbar und real ist, ist dabei gänzlich unwichtig. Dieses Buch ist ein Ausflug, eine künstlerische Auseinandersetzung teilweise genauso fraglich wie Zufälle und das Leben selbst.

Vorurteile, Verbindungen, Besonderheiten, Liebe, Hoffnungen, Menschlichkeit, Alltägliches, Verlust, Manipulation... die Liste könnte ich ewig fortsetzen und alles sind Themen, die in diesem Roman kritisch bis lehrreich aufgeworfen werden. Max Porter schafft es mit wenigen Worten Bilder zu erzeugen und Gedanken in Gang zu setzen für die andere hunderte Seiten benötigen. Dieser Roman ist eine Kritik an der Zivilisation und irgendwie auch eine Hommage an die Besonderheit jedes Einzelnen und den Glauben als solches.
Am liebsten würde ich es nun jedem einzelnen von euch aufdrängen wollen, doch das wäre falsch. Zumindest fürchte ich, dass gerade diese Verwirrung und der Aufbruch des klassischen Rasters für viele eine große Hürde darstellen und diese die Freude trüben würde. Für mich war es ein großartiges Buch, doch ich sehe es eher als Kunst. Und so wird dann auch ein grünes Bild für manche nur ein grünes Bild bleiben, für andere ist es jedoch das pure Leben.

Veröffentlicht am 27.09.2019

Schonungslos. Krass. Menschlich.

Licht über dem Wedding
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Menschlichkeit ist heute so ein großer Begriff, teilweise ganz unvorstellbar, dass jeder mit jedem harmonieren könnte. Zu verschieden sind die Ansichten, Erwartungen, die Kindheit, die familiäre Bindung, ...

Menschlichkeit ist heute so ein großer Begriff, teilweise ganz unvorstellbar, dass jeder mit jedem harmonieren könnte. Zu verschieden sind die Ansichten, Erwartungen, die Kindheit, die familiäre Bindung, das Leben als solches. Ein jeder verrennt sich in seiner Vorstellung. Manche schüren Hass, Neid und Missgunst und äußern dies mit Gewalt. Andere hingegen scheinen alles andere verdrängen zu wollen und flüchten in eine visuelle Scheinwelt. Unterschiedliche Welten prallen tagtäglich aufeinander und doch begleitet uns alle der Drang des Lebens und irgendwie damit auch die Angst des Versagens, der Einsamkeit, der Leere.
In Nicola Karlssons Roman Licht über dem Wedding beschäftigt sich genau mit den verschieden stark ausgeprägten Differenzen. Hannah hat einen Modeblog und verdient ihr Geld als Influencer und Model im SocialMedia. Doch gerade ihre Bilder beschreiben nicht ihr Leben, denn eben dieses gerät nach und nach aus den Fugen. Und die unliebsame Begegnung mit der einen Nachbarstochter könnte dabei eine recht große Rolle zu spielen. Wolf ist alleinerziehender Vater, ist dem Alkohol verfallen und scheint nichts mehr in den Griff zu kriegen. Er und seine Tochter Agnes, wohnen in dem Hochhaus, in dem auch dieses 'Püppchen' vor kurzem eingezogen ist. Sie sind bereits unten angekommen. So kaputt und gewalttätig. Handgreiflichkeiten sind in ihrem Leben keine Seltenheit und auch ihre Ängste scheinen mehr in Aggression zu münden, als Zutraulichkeit zu erzeugen. Und doch sind sie alle sind auf der Suche, nach dem großen Ganzen, dem Leben und der Hoffnung. Aber sie verrennen sich und werden vom Strom der Einsamkeit mitgerissen, bis...



Dieser Roman ist ein gewaltiger Brocken, im wahrsten Sinne des Wortes. Und das kann man jetzt nicht mal auf den Umfang beziehen, denn tatsächlich reißen die 57 Kapitel einen einfach so mit. Schon nach den ersten Seiten wird man als Leser schonungslos in das Leben der Protagonisten gezogen und so schnell auch nicht mehr losgelassen. Man könnte beinahe meinen es wäre ein übelst spannender Krimi und doch ist es eigentlich 'nur' ein Gegenwartsroman, der die aktuelle Situation innerhalb der Großstadt nicht besser darstellen könnte. Welten die auf kleinsten Raum aufeinanderprallen und trotz der gewaltigen Unterschiede so viel gemein haben.
Hannah, Agnes und Wolf sind Figuren, mit denen ich in meinem Umfeld so gar nichts anfangen könnte, zu groß wären hier Spannungen und so war ich dann auch innerhalb des Romans recht wütend, aufgebracht, hassend. Hannah, die irgendwie alles für ein Bild machen würde und in einer so oberflächlichen Welt lebt, alles andere verdrängt und doch so recht wenig vom Leben versteht. Sie hat eine ganz spezielle und für heute recht typische Einstellung, die mich bereits im Geiste herausfordert und zum Teil auch auf die Palme bringt. Wolf, der Schläger und Säufer, und seine Tochter, hingegen sind Menschen denen ich recht wenig über den Weg traue und um die ich wahrscheinlich auch stets einen großen Bogen machen würde. Und so bauten sich dann zwischen dem ganzen Unverständnis, auch Aggressionen in mir auf, die ich gar nicht beschreiben kann. In dieser Form hat mich die Situation und jede Handlungen der einzelnen Protagonisten so wahnsinnig aufgewühlt und wütend gemacht. Doch mit der Zeit wirkten sie dann eher verletzlich, leicht neben der Spur und neben der Wut empfand ich plötzlich Mitleid, Trauer und Hoffnung, dass sich für sie alles zum Besseren wenden wird. Und irgendwie ändert sich in ihrem Leben ja auch was, nur eben so ganz anders als erwartet, mehr überrumpelt, krass und... puh.

Licht über dem Wedding lebt gerade von der Sprache und diesen recht konträren Charakteren. Ein jeder hat seine spezielle Geschichte und gerade das macht diesen Roman so tief, nahbar und ganz besonders. Nicola Karlsson verleiht Menschen eine Stimme, die irgendwo auf dem Abstellgleis herumdümpeln und durch jeden Verlust und jede Begegnung sich neu herausfordern, sich verängstigen lassen und irgendwie auch menschlicher werden. Für mich war dieser Roman eine ganz besondere Lesererfahrung und daher gibt's von mir auch eine ganz, ganz große Empfehlung!

Veröffentlicht am 27.09.2019

Geld, eine Zerreißprobe für sich

Goldschatz
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Thematisch hat "Goldschatz" recht viel Spannendes zu bieten. Es ist scheinbar ein eher kritischer Roman, der sich mit der Wegwerfgesellschaft beschäftigt und menschliche Abgründe offenbart... Zumindest ...

Thematisch hat "Goldschatz" recht viel Spannendes zu bieten. Es ist scheinbar ein eher kritischer Roman, der sich mit der Wegwerfgesellschaft beschäftigt und menschliche Abgründe offenbart... Zumindest dachte ich es...

Es geht um eine Gruppe, bestehend aus fünf jungen Menschen, die gemeinsam eine WG gründen wollen. Trixis Eltern haben Tante Emmas altes Bauernhaus mit samt allerlei Gerümpel geerbt. Ihre Tochter macht sich nun gemeinsam mit ihren Freunden daran, es für sich herzurichten. Alles muss am besten noch innerhalb der Semesterferien passieren, doch für die Großrenovierung fehlt ihnen einfach das Geld. Zudem möchten sie als Gruppe "Gegenstrom" den Konsum weitgehend verweigern und sich gegen die Wegwerfgesellschaft auflehnen, doch auch diese Idee scheint oftmals viel leichter gesagt, als getan. Den gefundenen Trödel und Möbel wollen sie aufbereiten und zu Geld machen. In einer alten, wertlosen Kanne finden dann sie zufällig ein kleines Säckchen mit Goldmünzen. Dieser Fund könnte nun all ihre Probleme und Geldsorgen lösen, aber er stellt die Beziehung zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern mehr und mehr auf die Probe. Als dann auch noch ihr Nachbar, der alte Herr Gläser, so ein gewisses Interesse zu entwickelt und ihnen Geschichten von früher erzählt, tun sich weitere Abgründe auf...

Einen Goldschatz konnte ich in Ingrid Nolls Krimi leider nicht finden. Ich bin sowieso eher überrascht, dass dieses Buch als Krimi eingestuft wird, denn dafür war es dann tatsächlich mehr als langweilig. Einfach und schnell fliegt man beim Lesen durch die Seiten, doch einen wirklichen Mehrwert konnte ich hier leider nicht entdecken. Noll gelingt es zwar Menschen und ihre Gedanken in Dialoge zu verpacken und das rechne ich ihr in diesem Fall wirklich hoch an, aber der Handlungsplot ist teilweise wirklich fraglich. Ein Nachbar, der eine kleptomanische Elster spielt, dem scheinbar alle Funde im Haus gehören und der dann auch selbst noch einen Schatz verborgen hält... ach, ich weiß nicht. Schon sehr abstrus das Ganze. Das einzige was ich am Ende dann wirklich mag, ist die Aussage, dass Geld den Menschen verändert. In diesem Fall ist es eine Gemeinschaft, die mit dem Ziel nachhaltig und konsumreduziert zu wirtschaften, durch verschiedene Dinge zu Geld kommt und dadurch einfach alles auf Spiel setzt. Sie scheitern. Aber das war mir bereits mit dem Klappentext klar und so konnte es am Ende dann in diesem Fall auch keine wirkliche Überraschung mehr geben. Für Noll-Fans ist dies sicherlich ein lohnenswerter Roman bzw. 'Krimi', aber ansonsten würde ich dann doch (leider) davon abraten.

Veröffentlicht am 27.09.2019

Die Geschichte geht weiter...

Abendrot
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Nach dem "Lied der Weite" nimmt uns Kent Haruf mit seinem neuen Roman "Abendrot" wieder mit ins kleine Städtchen Holt, Colorado. Die McPheron-Brüder stehen in diesem Teil vor einer neuen Herausforderung, ...

Nach dem "Lied der Weite" nimmt uns Kent Haruf mit seinem neuen Roman "Abendrot" wieder mit ins kleine Städtchen Holt, Colorado. Die McPheron-Brüder stehen in diesem Teil vor einer neuen Herausforderung, die Einfluss auf ihr ganzes Leben nimmt. Auch die Hilfe ihrer 'Pflegetochter' wird wieder gebraucht und sie zieht kurzzeitig mit ihrer Tochter Katie zurück auf den Hof. Aber nicht nur das, auch Luther und Betty haben am ganz anderen Ende der Stadt große Sorgen. Sie fürchten, dass man ihnen die beiden verbliebenen Kinder wegnehmen könnte. Sie leben abseits in einem Trailer am Existenzminimum und gemeinsam mit ihrer Sozialarbeiterin Rose Tyler versuchen sie alles richtig zu machen und doch kann eine einzige, unerwartete Begegnung, alles ins Wanken bringen. Auch DJ und sein Opa geraten in diese drohende Auseinandersetzung.



"Alles ist gut gegangen. Danke, dass du gekommen bist. Ich hab nicht gewusst, was ich ohne dich machen soll [...] Ich hab's einfach nicht verhindern können..."



An dieser Stelle möchte ich dann auch schon gar nicht mehr so viel sagen, außer, dass dieser Teil so einige unerwartete Wendungen mit sich bringt. Nachdem es im vorherigen Teil hauptsächlich um Hilfe, Aufnahme und Vertrauen ging, so dreht sich jetzt vieles um Verluste, Abschiede und Angst. Die Angst etwas neues zu wagen oder vor dem was kommen mag. Kent Haruf schafft es mal wieder mit seiner sehr ruhigen, bedachten Art ein großartiges Stück Erzählung aufzubauen und damit auch sehr besonderen Figuren eine Stimme zu geben. Es gibt nicht sonderlich viel Diskussionsbedarf oder fragwürdige Elemente, denn bei Haruf hat man stets das Gefühl, dass seine ganze Geschichte harmonisch bis aufs kleinste Detail abgestimmt ist und dadurch so mitreißend wirkt, ohne dass sonderlich viel Abgefahrenes passiert. Haruf beschreibt das Leben in all seinen Facetten, samt Gedanken und Herausforderungen. Man schließt viele seiner Figuren ins Herz und möchte sie begleiten. Und so hoffe ich dann auch, dass ein weiterer Teil nicht allzu lange auf sich warten lässt, denn Holt hat sich irgendwie zu einem meiner Lieblingsorte entwickelt. Von mir eine ganz klare Leseempfehlung, die dann allerdings schon bei "Lied der Weite" beginnt.

Veröffentlicht am 27.09.2019

Von Traurigkeit und Zuversicht zwischen Begegnungen.

Der traurige Gast
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"Willkommen in Berlin!" bzw. eigentlich leben die Protagonisten in Matthias Nawrats Roman "Der traurige Gast" alle schon eine Weile dort und sind trotzdem nie so wirklich angekommen. Aufgrund einer gefundenen ...

"Willkommen in Berlin!" bzw. eigentlich leben die Protagonisten in Matthias Nawrats Roman "Der traurige Gast" alle schon eine Weile dort und sind trotzdem nie so wirklich angekommen. Aufgrund einer gefundenen Visitenkarte meldet sich der Ich-Erzähler bei einer Architektin und möchte mit ihr seine Wohnung renovieren. Er selbst hat gerade erst geheiratet, hat noch keine Kinder und doch hat er in dem Moment den Wunsch nach Veränderung. Aber dazu kommt es scheinbar nie, denn ihre Treffen schweifen oftmals in die persönlichen Erzählungen der ehemals aus Polen stammenden Architektin ab. Und so hört er sich stets ihre Erlebnisse, Verluste, Geschichten an, bis dann keine Zeit mehr bleibt und sie ein erneutes Treffen vereinbaren müssen. Aber er spricht nicht nur von ihr, sondern auch von seiner Begegnung mit einem alten Mann in einem polnischen Lokal, von der Verkäuferin in dem polnischen Laden oder von den Gesprächen mit einem ehemaligen Kommilitonen von der Universität und von Dariusz, der Tankstelle und dessen Leben. Einem jedem schenkt er Raum und Aufmerksamkeit und stellt damit ein faszinierendes Bild verschiedenster Stadien einer immigrierten Gesellschaft her. Menschen, die alles aufgeben und verlassen, um anzukommen und es doch nie so wirklich schaffen.

Zugegeben, dieser Roman war für mich keine einfache Hürde. Nawrat schafft insgesamt eine eher bedrückte Atmosphäre, die dann Seite für Seite zunimmt und scheinbar auf ihn überspringt. Willkommen und Abschied. Aufbruch, Veränderung und Stagnation. Der traurige Gast ist in diesem Fall wahrscheinlich Nawrat selbst. Er, der wie der Mann ohne Namen ursprünglich auch aus dem polnischen Opole stammt und als Kind nach Deutschland/Berlin migrierte. So schildert er sehr eindrucksvoll einzelne Treffen mit alten 'Vertrauten' bzw. eigentlich lernt er seine Gesprächspartner erst kennen und dennoch herrscht zwischen ihnen bereits eine Verbindung. Ihre Vergangenheit schweißt sie zusammen und doch sind sie eher einsam. Sie teilen mit ihm ihre Geschichten und Eigenarten, ihren Verlust und Schmerz... Am Ende entsteht ein recht eigenartig düsteres, harmonisches, graues Bild, das den Leser mit nimmt, überrascht, aber auch deprimiert zurücklässt. Ich kann es wirklich nur ganz schwer in Worte fassen... es herrscht dieses beklemmende, bedrückende Gefühl in Verbindung mit Hoffnungslosigkeit und doch geht es irgendwie immer weiter oder endet teilweise so ganz plötzlich und abrupt. Und gerade das in Kombination mit dieser Nähe und Menschlichkeit... Puh, ich bin beeindruckt; also nicht mal wirklich so wahnsinnig von der Geschichte begeistert, denn das schafft anspruchsvolle Literatur eher selten, aber dafür so aufs Tiefste berührt und melancholisch mitgerissen. Und daher möchte ich in diesem Fall auch mit eine, wie ich finde, sehr passenden Zitat enden:



"... Menschen können ohne Zuversicht nicht leben. Ohne Zuversicht beginnen sie zu hassen. Und schließlich, über kurz oder lang, fangen sie an, sich für diesen Mangel an Zuversicht zu rächen. Ihre Wut lenkt um [...] Dabei ist die Zuversicht, so scheint es mir, eine Entscheidung. Jeder kann in jedem Moment von heute auf morgen entscheiden, zuversichtlich zu sein. Und damit wenigstens hier, in diesem konkreten Welt jetzt, das Schlimmste verhindern."