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Veröffentlicht am 14.05.2022

ein kulinarischer Genuss mit überraschenden Noten in Richtung Traditionen, Freundschaft, Feminismus und Befreiung

Butter
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Dass japanische Romane bzw. Bücher aus dem asiatischen Raum immer etwas spezieller, zumindest für unsere Breiten recht ungewöhnlich und wild sind, ist glaube ich, kein Geheimnis. Daher bin ich normalerweise ...

Dass japanische Romane bzw. Bücher aus dem asiatischen Raum immer etwas spezieller, zumindest für unsere Breiten recht ungewöhnlich und wild sind, ist glaube ich, kein Geheimnis. Daher bin ich normalerweise immer etwas vorsichtiger, wenn ein hochgelobter Roman aus dieser Region ins Deutsche übersetzt wurde... Aber wer kann bei Genuss in Kombination mit einer Serienmörderin, Gesellschaftskritik, Freundschaft, einer Auseinandersetzung mit Traditionen, Befreiung und und und schon nein sagen? Genau, ich nicht. So ist dann Asako Yuzuki mit ihrem Roman "Butter" in der Übersetzung von Ursula Gräfe in meinem Regal gelandet und ich muss ganz ehrlich sagen, es hat sich innerhalb kürzester Zeit zu einem meiner liebsten Japan-Romane entwickelt.

Alles beruht auf der Geschichte einer Frau, die Männer, die sie über Datingwebsites und Heiratsbörsen kennenlernte, mit aufwändigen Gerichten verführte, ihnen Geld abluchste und sie dann sterben ließ. Es könnten allerdings auch Selbstmorde gewesen sein; allerdings sehr Auffällige. Nun sitzt die mehrfache Mörderin, der neben Betrug in fünf Fällen eigentlich nur zur Last gelegt wurde, dass sie sich in unmittelbarer Nähe zu den Opfern befand, lebenslang im Gefängnis. Dieser Fall, die Person Manako Kajii, ihr Vorgehen und vielleicht auch ihre Lebenseinstellung zog sehr viel Aufmerksamkeit und Aufregung auf sich. Doch was ist wirklich geschehen und wieso legt sie dabei so viel Wert aufs Essen?

"Mir macht es Spaß, Männern Freude zu bereiten, es ist keine Mühe für mich, wie Sie das sehen. Sich um Männer zu kümmern, sie zu unterstützen und zu wärmen ist meine gottgegebene Aufgabe als Frau, und ich fühle mich verpflichtet, ihr nachzukommen. In Ausübung dieser Pflicht wird jede Frau schön, eine Göttin. Verstehen Sie das nicht?"

Auf den ersten Blick wirkt diese rundliche Frau, wie aus einer anderen Welt, in der Margarine und Feminismus Fremdworte sind, und doch zieht ihr Auftreten viele in den Bann. Auch die junge Journalistin Rika möchte die Serienmörderin kennenlernen und ihrem Geheimnis für einen Artikel auf die Spur kommen. Doch dies scheint einfacher gedacht als getan. Erst als ihre Freundin Reiko ihr den Tipp gibt Kajii über ihre Rezepte näherzukommen, möchte diese sie im Gefängnis treffen. Und schwups ist es tatsächlich um Rika geschehen. Mit Aussagen wie "In der Gegend gibt es ein tolles Teppanyaki-Restaurant. Natürlich ist das abgehangene Miyazaki Steak fantastisch, aber für den Reis mit Knoblauchbutter [...] könnte ich sterben. Den müssen Sie probieren und mit Ihren Eindruck schildern. Von Ihnen zu hören ist das Einzige, worauf ich mich momentan freuen kann." lotst sie Rika durch die Welt voller Genüsse, traditioneller Gerichte und zeigt ihr, dass es da draußen mehr gibt, als die Welt, die sie kennt. Butter bildet neben Kajii so ein anziehendes Hauptelement, dass sich kunstvoll durch den Roman zieht, immer wieder auftaucht und eine Verbindung zwischen diesen geschilderten Lebenswelten darstellt. Generell prallt hier sehr viel aufeinander, Rika und Reiko verrennen sich, finden sich wieder, steuern bewusst dem Abgrund entgegen um dem Geheimnis Kajiis auf die Spur zu kommen, doch was dann folgt ist alles andere, als man anfänglich erwartet...

"Ich war genau wie Kajiis Opfer. So hat sie es immer gemacht, sie ist auf den Leuten rumgetrampelt und hat gewonnen. Und es geht weiter. Es gibt mehr und mehr Menschen wie sie. Leute wie ich verkümmern, vielleicht sterben wir auch aus."

Thematisch ist es ein großartiges Buch, dass wirklich alles von Traditionen, Feminismus, patriarchalen Rollen- und Geschlechterzuschreibungen, Aufbruch, Freundschaft, Gesellschaftskritik, etwas Spannung und eine Auseinandersetzung mit dem Spruch "alles eine Frage der Perspektive" bereithält. Kajii steht für mich für die alten Traditionen, die frisch entdeckt sehr toll, anziehend und aufregend sein können, aber rückblickend betrachtet auch sehr starr, aufdrängend und festgefahren. Manchmal führt dies dann sogar so weit, dass Menschen unglücklich werden oder wie in diesem Fall sterben. Und so ergeht es dann auch Rika im Verlauf des Romans. Nach anfänglicher Begeisterung fürs Essen und insbesondere für Butter, sowie Kajiis Anziehung, zahlreichen Gesprächen, die nicht unbedingt so laufen, wie sie sich das wünscht, findet sie irgendwann ihren eigenen Weg und muss sich mit dem gesellschaftlichen Druck auseinandersetzen. So geht es zeitweise z.B. um die Optik, dass sehr dünn als das Schönheitsideal Japans gilt und Normalgewichtig/'der gesunden Norm entsprechend' als liederlich und verkommend. Auch, dass es scheinbar fast nur Margarine zu kaufen gibt und kaum jemand Butter und andere Milchprodukte zu schätzen weiß oder sich Zeit für aufwändige, traditionelle Gerichte nimmt, gibt so einen gewissen Blick auf diese sehr schnelllebige, nicht ganz gesunde Gesellschaft. Oder dann gibt es noch ganze Abschnitte über das Beziehungsgefüge, während ihre Freundin unbedingt ein Kind will und dafür alles zurückstellt, gibt Rika alles um mit der berühmten Serienmörderin ein exklusives Interview führen zu können. Ihre Partner finden sich nicht wirklich in ihren Lebensvorstellungen wieder, sie beschreiten verschiedene Wege und das klassische Familienbild wird durch eine große, befreundete Gruppe ersetzt. Und das scheint in diesem Roman schon etwas ganz besonderes für das traditionelle Japan zu sein. Auch in den Morden, den Beziehungen, die verschiedenen Typen von Männern, Kajiis Sinneswandel und Co kann man noch wahnsinnig viel reininterpretieren, Anmerkungen finden oder so wie ich, ständig begeistert sein. Und ich warne schon vor, trotz einiger kleinerer Längen, macht dieser Roman unglaublich Appetit. Reis mit Butter und Sojasoße hat es mir zum Beispiel sehr angetan und immer wenn ich an dieses Buch denke, denke ich automatisch an dieses simple Rezept. Und so ist es dann insgesamt eine etwas skurrile Geschichte, die die verschiedensten Sinne anregt, zum Nachdenken einlädt, sehr viel Spaß macht und über das eigene Leben nachdenken lässt. Mehr möchte ich dann auch noch nicht vorweg nehmen, ich finde diesen Roman jedenfalls sehr besonders und für mich ist es schon jetzt ein Highlight des Jahres.

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Veröffentlicht am 08.03.2022

ein beeindruckendes Schauspiel aus Flammen, Kunst und dem erdrückenden Selbst

Die Feuer
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Während in Australien die Temperaturen unaufhörlich steigen und die Buschbrände in den Bergen immer weiter vorrücken, scheint im Theater in Melbourne noch kühle Normalität zu herrschen. Zahlreich sind ...

Während in Australien die Temperaturen unaufhörlich steigen und die Buschbrände in den Bergen immer weiter vorrücken, scheint im Theater in Melbourne noch kühle Normalität zu herrschen. Zahlreich sind die Menschen gekommen um die Aufführung von Samuel Becketts Stück "Glückliche Tage" anzuschauen. Winnie, "[d]ie Frau ist in einer grellen, eindeutig brutalen und schroffen Landschaft gefangen, doch ihre einzige Angst ist es, ihr Mann könnte sie nicht sehen." - Sie sehen, wie sie langsam von einem stetig wachsenden Erdhügel verschluckt wird und Tag ein, Tag aus ihre Habseligkeiten in einem Beutel ordnet, während Willie seit einiger Zeit wieder im Freien ist und sich scheinbar nicht einen Hauch an ihrer misslichen Lage stört. Doch Winnie sorgt sich, nicht mal um sich selbst, sondern um ihn und häuft immer weitere Sorgen an.
Wahrscheinlich könnte man sich mit dieser Szene nun ewig auseinandersetzen, dabei ist es nicht mal die 'Hauptfigur' in Claire Thomas Roman "Die Feuer", es ist mehr das Skelett , das den Geschichten und Gedanken dreier Frauen Halt gibt und sie miteinander vereint. Margot, die Literaturprofessorin, hadert schon lange mit ihrer Ehe mit dem dementen John, der immer wieder wild um sich schlägt. Ivy, erlebt immer wieder ihr Trauma vom plötzlichen Kindstod ihres Erstgeborenen. Und die zweiundzwanzigjährige Summer, die Schauspielschülerin und Platzanweiserin im Theater, kämpft mit ihrer Angststörung und den Gedanken über ihre Herkunft, die Umwelt und ihre Freundin, die sich den aufbausenden Feuer entgegenstellt. Sie alle scheinen, so wie Winnie, irgendwie festzustecken in ihren Sorgen und Gedanken, Ängsten und in ihren zugeteilten Rollen innerhalb ihrer Beziehungen und der Gesellschaft. Doch die Pause des Stücks, in der die drei Frauen aufeinander treffen und das anknüpfende, unausweichliche Schicksal Winnies im zweiten Akt setzen so einiges in Bewegung.

"Auf der Bühne versucht Winnie jetzt, die Grenzen ihrer Realität zu erfassen. Was sie von der Außenwelt wahrnimmt und was von ihrem Innenleben.
Ich höre natürlich Schreie. Aber sie sind wohl in meinem Kopf."

Um so mehr ich über diesen Roman, die einzelnen Geschichten der Frauen, die gesellschaftlich vorgegebene Rolle der Frau und das stetig voranschreitende und sich immer wieder ins Gedächtnis rufende Theaterstück nachdenke, umso begeisterter bin ich von diesem Buch. Claire Thomas schafft es in der Übersetzung von Eva Bonné mühelos die Grenzen zwischen Schauspielkunst, gesellschaftlichen Herausforderungen der heutigen Zeit und den intimsten Gedanken, zugleich die tief verankerten Ängste und Sorgen ihrer Protagonistinnen aufzuhebeln. Und das literarisch so fein, kreativ und welteneröffenend...wow. Ich mag die Darstellung der Beziehungen und Begegnungen auf vielerlei Ebenen, sowie deren Einfluss auf jeden selbst wahnsinnig gern. Der nach außen hin aufrecht erhaltene Schein, die Rollen in die jeder im Laufe seinesihres Lebens geschlüpft ist, die bröckelnde Fassade und das ständige eigene Hinterfragen. Ich mag die sich ergänzenden Einblicke in diese ganz verschiedenen Leben und Gedankenwelten. Das Spiel zwischen Frau und Mann - auf der Bühne und ganz privat. Und ich mag das sich schnell manifestierende Gefühl mit den Protagonistinnen zusammen im Publikum zu sitzen, von den Menschen drum rum genervt zu sein, sich ständig unangenehm beobachtet zu fühlen und zeitgleich andere zu beobachten, und diesem absurden Stück zu folgen, Elemente wahrzunehmen, abzudriften, wieder aufzuwachen und präsent zu sein.

"Winnies Hügel wird sich nicht bewegen, selbst wenn das richtige Gerät im richtigen Winkel mit dem richtigen Druck und für die richtige Dauer angesetzt würde. Niemand wird sie retten oder freilegen. Sie steckt in der Erde fest, und je früher wir alle das einsehen, desto besser. Genau."

Aufgeteilt ist dieser Roman grob in drei Teile - zwei Akte mit je wechselnden Ausschnitten aus der Gedanken und Szenenbeschreibungen der drei Frauen und einer Pause, die einem Textbuch eines Theaterstücks gleicht und dem Ganzen nicht nur eine Auflockerung, sondern auch eine neue Wendung gibt.
Alles in allem kann ich sagen, dieses Buch hat was mit mir gemacht. Die Geschichte hat mich emotional zwar nicht überrollt, aber schon nach wenigen Seiten war ich so gebannt, so fasziniert und begeistert, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen wollte. Und auch noch im Nachhinein hänge ich ihm hinterher, denke über sehr viele Gegebenheiten nach, über die Menschheit, das Offensichtliche und doch Unsichtbare und irgendwie frage ich mich die ganze Zeit, wie hätte diese Geschichte wohl aus der Perspektive ihrer Partner*innen gewirkt? Was würden sie machen? Wie sich erklären? Würden sie das Leid und die Sorgen ihrer Geliebten wirklich nicht wahrnehmen? Und wie sähe ihr Weltbild aus? Wobei... will man das dann wirklich wissen?
Für mich ist "Die Feuer" jedenfalls ein großes Highlight, an das ich sicherlich noch sehr lange denken werde und für dessen Tiefe und Offenheit ich sehr dankbar bin.

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Veröffentlicht am 24.01.2022

eine wahnsinnig bewegende Geschichte - mein Highlight 2021

Shuggie Bain
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Wenn man mich nach meinen Lieblingsbüchern des letzten Jahres fragen würde, wäre "Shuggie Bain" von Douglas Stuart (in der Übersetzung von Sophie Zeitz) eins der ersten, die mir da in den Sinn kommen. ...

Wenn man mich nach meinen Lieblingsbüchern des letzten Jahres fragen würde, wäre "Shuggie Bain" von Douglas Stuart (in der Übersetzung von Sophie Zeitz) eins der ersten, die mir da in den Sinn kommen. Dieses Buch enthält so eine besondere, wahnsinnig intensive und tragische Geschichte und hat mich gedanklich wirklich sehr lange beschäftigt. Teils von der Härte seiner eigenen Vergangenheit inspiriert, hat Douglas Stuart einen Debütroman geschrieben, in der er das tragische Schicksal einer Familie aufgreift, die im Laufe der Zeit durch die Alkoholsucht der Mutter nahezu in den Ruin getrieben wird. Agnes wurde von den Männern in ihrem Leben verlassen, gebrochen und in die Abhängigkeit getrieben. Ihr Sohn Shuggie erzählt hier von seinem Leben, seinen tragischen Erlebnissen; er erzählt vom einstigen Stolz der Mutter, ihrem Umzug der Familie von Glasgow in eine abgehängte Arbeitersiedlung nach Pithead, dem weiteren Absturz und dessen Folgen.

"Wenn Shuggie sie jetzt trinken sah, wusste er, dass sie es nicht tat, um sich zu amüsieren. Sie trank, um sich zu vergessen, weil sie keinen anderen Weg kannte, um den Schmerz und die Einsamkeit loszuwerden."

Wahrscheinlich wiederhole ich mich nun zum zigsten Male, aber diese Geschichte um Shuggie und seine Geschwister, seine Mutter Agnes, ihr langsamer sozialer Abstieg, seine rührende Naivität und die eigenen Probleme mit sich und seinem Umfeld, sowie diese tiefe Verbundenheit zwischen Mutter und Sohn, die Hilflosigkeit und diese emotionale Schilderung lässt einfach niemanden kalt. Es ist ein Roman, der die Leser:innen in seinem Ganzen und auf unterschiedlichsten Ebenen fordert, berührt und sie bedröppelt, aber auch fassungslos zurücklässt. Diese gnadenlose Porträt einer Familie, in dem der Sohn bis zum Schluss für seine Mutter kämpft und irgendwann doch einsehen muss, dass er nichts mehr für sie tun kann, ist einfach krass. Doch das Schlimmste an dieser Geschichte ist nicht mal das Ende und auch nicht 'der Weg' dort hin, es ist das verdammte, gute Jahr - ein Jahr hat es seine Mutter geschafft trocken zu bleiben und es war wahrscheinlich die schönste Zeit in Shuggies jungem Leben, aber dann... nun ja.

"Shuggie wollte nicht mehr hier sein. Er wollte nicht so tun, als wäre es okay, mit Mädchenspielzeug zu spielen oder die schmutzigen Teile von Jungs in der Oberschule anzufassen. Er wollte nicht wie das Limonadenmädchen sein. Er wollte nicht wie Agnes sein. Er wollte normal sein."

Eine große, bewegende Geschichte und eine noch größere Leseempfehlung von mir!

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Veröffentlicht am 09.01.2022

Auf einen Tee in Marokko

Auf Basidis Dach
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Dieses Buch ist eine Entdeckungsreise, eine persönliche Erinnerung, ein Stück weit Reiseführer und Augenöffner zugleich. Man stellt sich bereits binnen weniger Seiten vor, wie Mona selbst einem gegenübersitzt ...

Dieses Buch ist eine Entdeckungsreise, eine persönliche Erinnerung, ein Stück weit Reiseführer und Augenöffner zugleich. Man stellt sich bereits binnen weniger Seiten vor, wie Mona selbst einem gegenübersitzt und bei einer Tasse Tee, warmer Abendluft, umringt von fernen Gerüchen und Stimmen, ihre Geschichte erzählt. Und ich denke, jeder, dieder Mona aus dem Radio oder von Instagram her kennt, wird es ähnlich gehen- Man hat schon nach den ersten Sätzen ihre Stimme im Ohr, nimmt ihre stete Freude und das Glück ihrer Erzählung und Erinnerungen oder bei den ernsteren Themen die Betrübtheit wahr und merkt gleichzeitig wie toll und schwer es ist zwischen zwei doch so unterschiedlichen Ländern und Kulturen aufgewachsen zu sein. Mona erzählt von sehr privaten Momenten und Gesprächen mit ihrem Vater, ihrem Basidi, sucht nach dem, was andere ihr als Herkunft oder Wurzel zuschreiben und nähert sich dabei nicht nur dem Land, aus dem ihre Eltern stammen, sondern auch ein Stück weit sich selbst an. Sie weist in diesem Buch auf viele Missstände hin und guckt hinter die Fassaden “oberflächlicher Orientromantik und rassistischer Stereotype”… Journalistin eben. Aber dieses Buch hat auch so viele tolle Momente, so tiefgründige und ruhige Gedanken über den Menschen, Kulturen, Traditionen… eben das, was wir als unser Leben und Alltag bezeichnen, und ist so locker leicht, unaufdringlich und unterhaltsam, dass es Spaß macht durch die Seiten zu fliegen. Und so stellt man sich auch vor, wie es wohl gerade in Marokko wäre, fühlt das gesellige Beieinander, schlendert mit Mona und ihrem Vater über die Märkte, trinkt Tee und genießt. Alles wirkt plötzlich so vertraut nah und diese einzelnen Geschichten sind so lebendig, so bildlich einnehmend und auch als nicht Reisefreund verspürt man den Drang Marokko live erleben zu wollen. Und genau dafür liebe ich dieses Buch über Mona Ameziane, ihre Familie und eben auch ein wundervolles Land. Würde es nun von Mona geführte Reisetouren geben… ich glaube, ich wäre sofort dabei. Große Empfehlung, großes Highlight aus 2021.

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Veröffentlicht am 08.07.2021

Carolina Setterwalls zutiefst bewegende Auseinandersetzung mit dem Glück des Lebens und dem plötzlichen Ende

Betreff: Falls ich sterbe
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Das Leben schreibt die emotionalsten Geschichten, so oder so ähnlich könnte man dieses Buch kurz zusammenfassen, denn was Carolina Setterwall (in der Übersetzung von Susanne Dahmann) mit ihrem autofiktionalen ...

Das Leben schreibt die emotionalsten Geschichten, so oder so ähnlich könnte man dieses Buch kurz zusammenfassen, denn was Carolina Setterwall (in der Übersetzung von Susanne Dahmann) mit ihrem autofiktionalen Roman „Betreff: Falls ich sterbe“ ist nichts anderes als das harte, schicksalhafte Leben, ihr Leben und bittere Realität. Ihr Freund Aksel stirbt in der Nacht, während sich Carolina um ihren gemeinsamen Sohn Ivan kümmert, an einem Herzanfall. Er war gerade einmal Mitte dreißig, sie wollten sich eine Familie aufbauen, ihr Sohn erblickte vor wenigen Monaten die Welt und nun ist... ist alles schwarz. Im Schock bewegt Carolina sich durch die nächsten Tage, Wochen, Monate und wird eigentlich nur noch von ihren Freunden und der Familie gehalten.
Sie muss wieder lernen mit dem Leben und ihrem neuen Alltag klar zu kommen, erneut Fuß zu fassen und mit ihrem Schmerz umzugehen. Sehr nahbar, bewegend und intensiv lässt Carolina uns an den Gedanken, dem Leben und der Trauer an dem Leben ihrer Protagonistin teilhaben. In zwei parallel verlaufenden Erzählsträngen berichtet sie von der schlimmsten Zeit ihres Lebens und dem Kennenlernen ihres Freundes, ihrer Beziehung, sowie alltäglichen Momenten, Gedanken, Diskussionen. Sehr aufwühlend, persönlich und nahbarer erzählt sie von dem, was in ihr vorgeht und wie sie sich langsam ihren Weg zurück ins Leben kämpft und dabei stets diese schmerzvolle Erfahrung erinnert wird. Bereits die ersten 50 Seiten haben mich wahnsinnig mitgenommen und es wird auch nur minimal besser. Ich war schockiert, aufgelöst, bewegt von Carolinas Schicksal, konnte sie zwar nicht immer verstehen, noch fand sie wahnsinnig sympathisch, aber puh... das macht was mit einem. Dieses Buch hat es einfach in sich, berichtet sehr offen, reflektiert und ehrlich von gedanklichen Abgründen, von den schwierigen, verzweifelten Phasen der Mutterschaft, der Partnerschaft und Elternschaft, gibt Einblicke wie es ist mit Ängsten und Therapien umzugehen, beweist was Familie heißt, was Selbstbestimmung bedeutet und macht und was eben auch das Schicksal für einen gewaltigen Einfluss hat.
Das Leben ist kostbarer und fragiler Schatz und ja, ich glaube das muss einem irgendwie viel häufiger bewusst werden. Bewusst sein.
Am liebsten würde ich nun sowas sagen wie: das müsst ihr einfach lesen, aber dieser Roman ist wahrscheinlich nichts für sehr nah am Wasser gebaute Menschen. Dieses Buch trifft tief ins Herz und das auf eine wahnsinnig ergreifende, bewundernde und schonungslose Art und Weise. Unvergleichbar toll.

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