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Veröffentlicht am 26.09.2019

Der Wunsch nach Veränderung - Im Bann eines fremden Lebens

Farben der Nacht
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"Farben der Nacht" von Davit Gabunia ist ein Roman der mich sehr stark beeindruckt hat. Nicht aufgrund seiner Länge oder Geschichte als solches, eher durch das erschaffene Abbild einer ganzen Gesellschaft. ...

"Farben der Nacht" von Davit Gabunia ist ein Roman der mich sehr stark beeindruckt hat. Nicht aufgrund seiner Länge oder Geschichte als solches, eher durch das erschaffene Abbild einer ganzen Gesellschaft. Grob gesagt geht es in dem Roman nämlich um fünf Menschen auf der Suche nach ihrem Glück, für das sie im Endeffekt alles aufs Spiel setzen - ihr Leben, ihren Glauben und alles um sie herum. Über ein Land im Aufbruch und Wandel, über Aufstände und Machtwechsel, Chancen und Veränderung.

Surab, ein eigentlich glücklicher Mann und Vater zweier Kinder, hat vor einer Weile seinen Job verloren und wird zum Hausmann degradiert. Seine Frau geht arbeiten und er? Er versinkt bekümmert in der Wohnung eines trostlosen Wohnblocks und soll nun auf die Kinder aufpassen, mit ihnen 'blöde' Spiele spielen und sich langweilen. Statt nach einer neuen Arbeit zu suchen, vegetiert er auch noch spät nachts auf dem Sofa vor sich hin und beginnt irgendwann den neuen Nachbar von gegenüber mit seinem roten Alfa Romeo zu beobachten. Auch spät in der Nacht sind die Fenster des Nachbarn noch hell erleuchtet. Surab starrt gebannt auf das fremde Leben und beobachtet das bunte Treiben der Männer auf der anderen Seite. Fast regelmäßig erscheint in dessen Wohnung ein höherer Beamter im Anzug und Surab beobachtet durch das Fenster das homosexuelle Liebesspiel der beiden.

Von Irrsin, Faszination und Aufregung getrieben, beginnt Surab die beiden zu observieren, Fotos zu schießen und diese säuberlich auf dem Rechner abzuspeichern. Er geht auf in der Rolle des Spitzels und sein ganzes Leben scheint sich nur noch darum zu drehen. Eines Tages beobachtet Surab einen furchtbaren Streit zwischen den beiden. Eine Vase fliegt, der Beamte verlässt schnellstens die Wohnung und Surab wittert seine Chance. Eine Chance auf ein besseres Leben. Eine Chance auf Veränderung. Doch nicht nur sein Leben bewegt sich in eine ganz andere Richtung ...

Gabunia erschafft mit seinem Buch ein sehr eindrucksvolles Bild einer Gesellschaft im Wandel. Es ist der Sommer 2012 in dem die Menschen auf die Straße gehen. Ein Sommer, der die Regierung zum Sturz bringt. Es entstehen neue Chancen, Möglichkeiten und Hoffnungen. Surab und seine Familie stehen für mich sinnbildlich für die Perspektivlosigkeit, fernab aller Hoffnung, die aufgrund dramatischer Ereignisse und Veränderungen, neue Möglichkeiten erlangen. Es ist ein literarisch sehr starkes, raffiniertes und spannendes Abbild, dessen Ende ungewiss bleibt.
Was soll ich anderes sagen? Mich hat dieser Roman sehr mitgerissen, bewegt und irgendwie auch betrübt. Gerade diese stets mitschwingende trostlose Vegetation und Schwere, die ich bereits bei "Das Birnenfeld" oder "Das achte Leben (für Brilka)" erlebt habe, macht diesen Roman so wahnsinnig intensiv und faszinierend. Es ist diese Vielschichtigkeit innerhalb dieser Geschichte, die zunächst mit einem Ende beginnt und dann Schritt für Schritt die Beobachtungen, Gedanken und Erlebnisse der Protagonisten schildert.

Veröffentlicht am 26.09.2019

Der Rausch des Überstehens

Goldregenrausch
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Es gibt Bücher, die einen bewegen; von der ersten Seite an mitreißen und den Leser in eine Geschichte ziehen können, die einen beschäftigt, berührt und begeistert. "Goldregenrausch" von Claudia Schreiber ...

Es gibt Bücher, die einen bewegen; von der ersten Seite an mitreißen und den Leser in eine Geschichte ziehen können, die einen beschäftigt, berührt und begeistert. "Goldregenrausch" von Claudia Schreiber hat mich in einen Rausch versetzt, in den Bann gezogen, der erst mit dem letzten Satz allmählich verschwand.

Marie Lenz wird als 5. Kind in eine Bauernfamilie hineingeboren. Als erstes Mädchen nach 4 Brüdern, soll sie nun die gleiche trostlose Zukunft erwarten "Feldarbeit mit Hacke, Wochenmarkt, heiraten und es flutschen lassen." Doch gleich am ersten Tag ihres Lebens stirbt sie mehrere Tode und wird stets aufs Neue gerettet. Sie ist ein ganz besonderes Kind, welches gar nicht in diese Familie zu passen scheint. Denn Marie machte ihre Mutter förmlich zur Melkmaschine, die sich dies teuer bezahlen lies. Sie pumpte fleißig Muttermilch ab und verkaufte diese um so für sich selbst etwas Geld für eine mögliche Flucht in eine bessere Zukunft zur Seite zu schafften. Kaum versiegte der letzte Tropfen, wurde Marie dann auch schon weggeschoben, in einen kleinen Stall im Garten der Tante gepackt und sich dort selbst überlassen, während die Familie hinaus aufs Feld zog. Greta, die menschenscheue Seele, die seit dem Tod ihrer Mutter keinen mehr berührt, noch mit jemandem gesprochen hat, kümmert sich einzig um ihren Garten, lässt Marie links liegen und beobachtet sie nur aus sicherer Entfernung. Doch nach und nach beginnt ihre harte Schale zu bröckeln und auch sie erwacht zu neuem Leben. Sie stellen sich gemeinsam den Schikanen ihrer herzlosen Verwandtschaft, aus denen sie manchmal nur noch der Rausch des Goldregens zu retten vermag ...



Auch wenn es optisch recht unscheinbar, etwas dünn und filigran aussehen mag, verbirgt sich im Inneren ein literarischer Schatz. Nun gut, natürlich klein klassisch, pompös ausgeschmücktes und mit zahlreichen Schnörkeln versehenes Schauspiel der Geschichte. Es ist etwas leiser, viel feiner und teilweise doch sehr direkt und kräftig. Es war für mich ein Wechselspiel aus Lachen bzw. bei mir ja eher Schmunzeln, Mitleid, Faszination, Spannung, Entsetzen und Rausch. Claudia Schreiber schafft es mich voll und ganz mit ihrem Buch zu begeistern und gerade das macht es zu meinem aktuellen Lieblingsbuch. Es erinnerte mich komischerweise an Mariana Leky mit "Was man von hier aus sehen kann", obwohl die beiden von ihrer Art recht unterschiedlich sind, kann ich's emotional eindeutig hiermit vergleichen. Thematisch geht es auch um eine ganz besondere Familie /Beziehung /Zuneigung /Liebe /Freundschaft, die allerdings oder besser zum Glück fern ab von Kitsch und Weichspülerei thematisiert wird. So lande ich dann auch hier bei "Es ist ein großartiges Buch zum Verschenken und Selbstbehalten", zumindest möchte ich es nicht wieder hergeben und es wird definitiv auch nicht das letzte Buch sein, das ich von Claudia Schreiber gelesen habe.

Veröffentlicht am 23.09.2019

Drei Frauen. Ein Mann. Ein Schicksal?

Drei
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"Drei" von Dror Mishani ist eigentlich ein Roman über den man so gar nichts verraten darf. Das Problem besteht nämlich darin, dass winzige Informationen, die Faszination wie eine Seifenblase zerplatzen ...

"Drei" von Dror Mishani ist eigentlich ein Roman über den man so gar nichts verraten darf. Das Problem besteht nämlich darin, dass winzige Informationen, die Faszination wie eine Seifenblase zerplatzen lassen könnten. Und doch möchte ich nun darüber reden, "Drei" enthält und kann dann doch vieles, hat mich allerdings so gar nicht begeistert.

Im Großen und Ganzen ist es die Geschichte dreier Frauen. Frauen, die unterschiedlicher nicht sein können und doch etwas gemein haben. Sie alle haben gerade ein Schicksal zu verkraften, eine Wendung im Leben hinter sich gelassen oder Angst vor dem was kommt.
Und gerade für ihr Leben, ihre Gefühlswelt und ihre Bedenken hat Mishani großartige Welten geschaffen, die ihre Persönlichkeit mit jeder Seite weiter aufblühen lassen. Orna und Emilia fühlen sich einsam, haben einiges aufgegeben oder auch verloren. Und dann gibt es da auch noch die andere Orna, die ihrem Bauchgefühl folgt und alles in eine neue Richtung lenkt. Der Rechtsanwalt Gil taucht in ihrem Leben auf, fordert jede für sich heraus und lockt sie aus ihrer Komfortzone. Doch was sie alle nicht wissen, er sagt ihnen nicht die Wahrheit... doch auch er weiß nicht alles, was er zu wissen glaubt.

Ja, Mishani hat es geschafft bei vielen Menschen mit diesem Roman Gänsehaut hervorzurufen. Er hat es mit ihm geschafft einen Sensationsbestseller in Israel zu landen. Und auch wenn dieses Buch von vielen unendlich gelobt wird, so kann ich's so gar nicht nachvollziehen. Dror Mishani ist als Autor einiger Kriminalromane bekannt, daher ist es auch nicht verwunderlich, dass es sich hier um einen Detektivroman handelt. Leider, kann diese Info nun die ganze Erwartungshaltung so heraufsetzen, dass das Buch, dem einfach nicht mehr gerecht wird. Und so war es dann tatsächlich auch bei mir. Es gibt insgesamt drei Abschnitte und es passiert nicht sonderlich viel. Das Leben von Orna wird zunähst sehr ausführlich dargestellt und man wartet sehnlichst darauf, dass die Geschichte Fahrt aufnimmt und etwas passiert, doch dann ist es innerhalb weniger Seiten auch schon passiert und eine neue, ähnliche Geschichte beginnt. Das machte es für mich dann tatsächlich zu einem sehr langweiligen Buch. Einzig die letzten 40 Seiten konnten noch einmal etwas an Tempo zulegen, aber das macht es für mich dann einfach zu keinem großartigen Roman. So groß waren vorher die Lücken und die Ähnlichkeit. Vielleicht hätte es dem Ganzen auch gut getan, wenn die einzelnen Abschnitte mehr miteinander verwoben gewesen wären und sich am Ende alles aufdröselt, aber so ist es einfach nur eine vorhersehbare Aneinanderreihung. Fragen werden aufgeworfen, teilweise beantwortet, doch einiges bleibt unklar. Gil wird großteils nur angerissen und bleibt bis zur letzten Seite schemenhaft. Und das Einzige, was dann wirklich toll ist, sind die emotionalen Welten der Frauen. Und dann? Dann gibt es da auch noch Mishanis Gedanken über den Roman: "...für mich ist Drei kein Roman über Verbrechen. Er handelt von anderen Dingen, von unserer Pflicht, die Menschen um uns herum und ihre Leben zu sehen, wahrzunehmen. Es ist vor allem ein Roman über unsere Verantwortung gegenüber den Lebenden und gegenüber den Toten, die immer noch bei uns, >im Leben< sind." Und das stimmt mich dann am Ende tatsächlich wieder etwas versöhnlich, aber eine wirkliche Empfehlung kann ich hier leider nicht aussprechen.

Veröffentlicht am 22.09.2019

1 Vermisste, 6 Freunde, 1 Mörder und 1 spannendes Verwirrspiel

Bis ihr sie findet
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"Bis ihr sie findet" von Gytha Lodge war ein Bestseller in Großbritannien und ist nun auch auf Deutsch erschienen. Die Geschichte beginnt mit dem Fund der Überreste eines seit 30 Jahren vermissten Mädchens. ...

"Bis ihr sie findet" von Gytha Lodge war ein Bestseller in Großbritannien und ist nun auch auf Deutsch erschienen. Die Geschichte beginnt mit dem Fund der Überreste eines seit 30 Jahren vermissten Mädchens. 1983 ging das Kind mit seiner Schwester und ihren 5 Schulfreunden zelten. Dieser Ausflug war für die Außenseiterin Aurora Jackson zunächst noch etwas ganz besonderes, denn hier durfte sie zur eingeschworenen Clique gehören. Es war eine sehr aufregende Nacht für alle Beteiligten. Neben einigen erhitzten Gesprächen am Lagerfeuer gab es mehrere Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe, Alkohol floss und auch Drogen waren im Spiel und dann? Am nächsten Morgen war Aurora spurlos verschwunden. Es folgten zahlreiche Suchaktionen, Untersuchungen und Verhöre, doch die Polizei konnte diesen Fall nie lösen. Die Befragungen der Freunde ergab keinerlei Hinweise über ihren Verbleib und bis auf einige Vermutungen, gab es auch nie einen konkreten Tatverdächtigen. Doch nun soll der Fund ihrer Leiche einige hundert Meter neben dem Zeltplatz alles ändern. Detective Chief Jonah Sheens, der das Mädchen selbst noch aus seiner Schulzeit kennt, und sein Team rollen diesen Fall erneut auf. Die Schulfreunde sind auch heute noch eine eingeschweißte Clique und alle beteuern ihre Unschuld, doch Ungereimtheiten tauchen auf. Wieso hat man Aurora damals nicht gefunden? Was ist wirklich geschehen? Welcher der sechs spielt ein falsches Spiel? Ist es ihre Schwester Topaz, die damals nicht die ganze Wahrheit erzählte? Oder doch deren damalige Freundin Coralie, die betrunken voller Eifersucht einen Fehler beging? Vielleicht haben auch Jojo, Daniel, Brett oder Connor der Polizei damals ein Lügenmärchen aufgetischt? Und wenn ja, wieso decken ihn die anderen? Haben sie wirklich nichts bemerkt? Gab es nur einen Mörder oder war bereits alles ein abgekartetes Spiel?

"Was ist es, womit er so viel Macht über dich hat? [...] Warum hat sich in jener Nacht alles geändert? Ist irgendetwas passiert, nachdem wir schlafen gegangen sind?""Leck mich [...] Wie kannst du es verdammt noch mal wagen? Du ... Nein, weißt du was? Ich bin fertig."

Natürlich ist das Setting und die Idee dieses Krimis nicht neu und doch habe ich "Bis ihr sie findet" unheimlich gern gelesen. Gytha Lodge ist es nämlich gelungen, einen Krimi zu schreiben, der ohne blutige Zerstückelungen auskommt, trotzdem spannend ist und bei dem man nicht bereits nach den ersten Seiten eine Vermutung hat, was geschehen ist und vor allem wer der Mörder sein könnte. Es gibt zahlreiche Wendungen, Verdächtige, Rückblicke und persönliche Probleme zwischen den Freunden und Ermittlern, was es für mich in vielerlei Hinsicht sehr lebendig gemacht hat. Und so habe ich das verwirrende Schauspiel, das nach und nach zu bröckeln droht, förmlich verschlungen. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle auch erwähnen, dass ich ein heimlicher "Navy CIS"-Serienfan bin, denn genau daran erinnert mich diese Geschichte und die damit verbundenen Untersuchungen. Hier geht es nämlich hauptsächlich um die Analyse und das Neuaufrollen des Falls von vor dreißig Jahren. Das Opfer hat schon lange das Zeitliche gesegnet und es gibt zahlreiche Verhöre und Untersuchungen, Ermittlungsstrategien und spannende Schlussfolgerungen.
Neben den drei Hauptermittlern, lernen wir die sechs Freunde und Aurora kennen, sympathisieren oder werden skeptisch, sind genervt oder begeistert. Jojo war neben dem Inspector Jonah Sheens mein Liebling in diesem Krimi und ich hoffe tatsächlich, dass es hier auch noch eine Fortsetzung geben wird. Ansonsten kann ich ohne die Spannung zu lüften nur noch einmal betonen, dass mir dieser Krimi sehr gefallen hat. Ich mag die Zeitsprünge zwischen den einzelnen Kapiteln, die sich nach und nach der Lösung nähern. Auch das Erlebte Auroras, sowie die persönlichen Verstrickungen machen den Fall auf unspektakuläre Weise sehr spannend. Und auch generell ist es ein sehr angenehm zu lesendes Buch. Gytha Lodge würde ich beinahe mit Katrine Engberg auf eine Stufe stellen und finde diesen Krimi im Vergleich zu anderen Spannungsromanen aus den UK recht stark. Jeder Hardcore-Thriller-Fan wäre wahrscheinlich von der Geschichte sehr enttäuscht, aber es ist ein wirklich guter Krimi für jeden, der hin und wieder mal zu etwas Spannendem greift, gerne auf Blutrünstigkeit verzichtet und vielleicht so wie ich amerikanische Polizei-/Ermittlerserien mag.

Veröffentlicht am 20.08.2019

Liebe kann auch grausam sein.

Harz
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Ein ausgezeichneter Skandinavienkrimi, der von vielen Seiten gelobt wird, ist Ane Riels Thriller "Harz". Doch dieses Buch zeichnet sich nicht durch einen besonders aufregenden Plot oder faszinierend aufrüttelnde ...

Ein ausgezeichneter Skandinavienkrimi, der von vielen Seiten gelobt wird, ist Ane Riels Thriller "Harz". Doch dieses Buch zeichnet sich nicht durch einen besonders aufregenden Plot oder faszinierend aufrüttelnde Tötungsdelikte aus, denn "Harz" ist da viel feiner, ruhiger und so ganz anders als erwartet. Im Grunde geht es um eine Familientragödie. Jens und sein Bruder wachsen auf dem Kopf, einer ganz kleinen Insel, die direkt an eine etwas größere angrenzt, auf. Hier lebt nur die Familie Haarder und alles könnte ganz normal sein. Ihr Vater betreibt eine Schreinerei. Holz ist seine Leidenschaft und gerade dieses Gefühl für dieses faszinierende Material möchte er auch Jens vermitteln. Als der Vater dann plötzlich aufgrund eines Blitzschlags stirbt, bricht die Familie auseinander. Während es seinen Bruder in die große Welt hinaustreibt, bleibt Jens der Schreinerei und der Insel treu, aber er kapselt sich mehr und mehr ab. Aus einer Haushaltshilfe wird seine Frau, mit der er dann etwas später ein kleines Mädchen namens Liv, bekommt. Und genau da beginnt die Tragödie, denn Liv ist tot. Zumindest meldet er dies den Behörden, um sie vor der Außenwelt geschützt aufwachsen zu sehen. Abgeschirmt, auf dem Gehöft, zwischen alten Puppen, Krempel und konservierten Tieren. Ein Leben in der Falle, deren Schlinge sich nach und nach weiter zuzieht.

"Ich weiß nicht, ob es richtig von uns war, dich tot zu melden. Aber wir hatten solche Angst, wir hatten solche Angst, dich zu verlieren. Es war eine schreckliche Sache, die wir deiner Großmutter angetan hatten. Aber das, was sie uns antun wollte, war noch grausamer. Wir hatten keine Wahl!"

Ane Riel widmet sich mit "Harz" einer krankhaften Liebe, einer Obsession und einem sehr traurigen Leben. Es ist eine Mischung aus Erzählung und Abschiedsbriefen der Mutter, die das Bett nicht mehr verlassen kann und so ihrer Hilflosigkeit Ausdruck verleiht. Es entwickelt sich nach und nach das Bild einer sehr gestörten Familie. Man kann es eigentlich gar nicht so recht in Worte fassen, ohne den Inhalt zu verraten. Sie oder besser Jens geht über Leichen, um Liv zu schützen oder sie doch eher an sich zu binden. Und gerade das ist auch das spannende Element der ganzen Handlung. Ane Riel erzeugt dabei eine sehr beklemmende Atmosphäre, die mit der Faszination für den Rohstoff Harz angereichert wird, doch auch hier erwartet man dann einfach mehr. Zumindest habe ich mir zahlreiche in Harz eingeschlossene Leichen vorgestellt, Baumharz als Element des Todes und generell eine düstere Handlung. Doch es steht in diesem Fall stet das Material eher für die Konservierung gegen das Vergessen.
Auch der Plot lässt zu wünschen übrig. Für die knapp 300 Seiten bringt dieses Buch doch einige Längen und fragliche Geschichten mit sich. Abschließend kann man zwar sagen, dass das Ende und die ganze Aufdröselung gut durchdacht sind, doch für einen Thriller reicht es einfach nicht. Es ist ein interessanter Tragödienroman, nicht mehr und nicht weniger... und gerade das macht dieses Buch dann auch recht besonders, anders, aber nicht zu einem wirklich großen Lesehighlight.