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Veröffentlicht am 27.09.2019

so verstörend, klaustrophobisch, gewalttätig, anders.

Mein loser Faden
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Dennis Cooper redet nicht lange um den heißen Brei und so ist dann auch der Einstieg von "Mein loser Faden". Er spielt mit der Verwirrung und Zerrissenheit und so wird auch der Leser in eine Situation ...

Dennis Cooper redet nicht lange um den heißen Brei und so ist dann auch der Einstieg von "Mein loser Faden". Er spielt mit der Verwirrung und Zerrissenheit und so wird auch der Leser in eine Situation reingeworfen, die er zwar noch nicht ganz überblicken kann und deren Ursachen, beteiligte Personen und vorangegangene Geschehnisse zunächst fraglich bleiben. Nach den ersten Zeilen ist klar, es ist etwas Schlimmes geschehen und so baut sich ein Gefühl auf, das sagt, dass alles einfach nur noch schlimmer werden kann...

Larry plagen Schuldgefühle. Vor einem Jahr ist ist sein Freund Rand gestorben und er glaubt, dass die Auseinandersetzung mit ihm und ein zu fester Faustschlag ihm das Leben genommen haben. Aber nicht nur das, Larry steckt in etwas viel Größerem fest. Sein Umfeld? Eine Katastrophe. Seine Mutter? Alkoholikerin. Sein Vater? Schwerst krebskrank. Sein Bruder? Ähnlich gestört wie er selbst. Vielleicht ist auch Larry daran schuld, denn er fühlt sich zu seinem Bruder Jim hingezogen. Misshandlungen und Vergewaltigungen sind keine Seltenheit. Als wäre das alles noch nicht schlimm genug, gibt es noch weitere Charaktere, die den Abgrund immer größer werden lassen. Pete bekam von Gilman, dem Anführer einer rechtsextremen Gruppierung, den Auftrag Bill zu töten und diesem ein Notizbuch abzunehmen. Er bittet Larry um Hilfe, doch dieser ist in seiner Abstrusität aus Lügen, Fragen und Gedächtnislücken gefangen. Und gerade dieses Notizbuch wird alles noch einmal in ein anderes Licht rücken. Er versucht einen Ausweg zu finden, zu verstehen, zwischen Lüge und Wirklichkeit zu unterscheiden, doch wenn Gewalt im Spiel ist, kann alles einfach nur noch schlimmer werden.

Puh, was für ein furchtbar aufwühlendes, beklemmendes und zugleich verstörendes Buch. Hier zu sagen, dass es mir sehr gefallen hat, wäre irgendwie fragwürdig, da es schließlich von Gewalt, Missbrauch, Mord, Depression und Liebe handelt, aber genau das hat es letztendlich getan. Diese thematische Wucht in Form eines sehr direkten, kurzen Romans zu verpacken, gleichzeitig die Verwirrung und Zerrissenheit so spürbar zu machen, ist einfach dermaßen erschütternd eindrucksvoll, dass ich Cooper hier hohen Respekt zollen muss. Ich könnte nicht mal genau sagen warum, denn zu sehr fehlen mir hier auch noch Tage nach dem Lesen die Worte. Und ich würde nun lügen, dass mir dieser 'Ausflug' leicht gefallen wäre, denn zu sehr behindern die zahlreichen Charaktere und Dialoge das Verständnis, sodass mir vieles erst im Nachhinein so wirklich klar geworden ist. Es ist schlicht und ergreifend die deprimierende Gewalt in Buchform. Im Buch selbst heißt es: "Mein loser Faden ist eine Reportage über jugendliche Depression, moralische Leere und die Verwirrungen der Liebe, es ist klaustrophobisch und das Erschütterndste daran ist die Erkenntnis, wie nahe Gewalt an Liebe oder besser dem Wunsch danach liegt." Und genau das ist es. Ich kann es nicht besser beschreiben. Und daher spreche hier eine vorsichtige und doch ganz klare Empfehlung aus, allerdings ist diese dann natürlich nur mit Vorsicht zu genießen.

Veröffentlicht am 27.09.2019

ein Generationenroman über das Auseinanderdriften einer ganzen Familie und den Verlust ihrer Heimat

Die Kunst zu verlieren
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Dass verschiedene Generationen kaum noch Berührungspunkte zu haben scheinen, ist heutzutage ja leider schon recht normal geworden. Wie ist es dann allerdings, wenn es nicht nur die fehlenden gemeinsamen ...

Dass verschiedene Generationen kaum noch Berührungspunkte zu haben scheinen, ist heutzutage ja leider schon recht normal geworden. Wie ist es dann allerdings, wenn es nicht nur die fehlenden gemeinsamen Interessen betrifft, sondern schon an der Sprache und Nähe hapert? Alice Zeniters Roman "Die Kunst zu verlieren" setzt genau dort an, bzw. führt uns zunächst nach Algerien zu Naimas Großeltern Ali und Yema.

Nachdem Ali im Sturzbach eine Olivenpresse findet, kommt alles wie von allein und er, seine Brüder, seine Verwandten und Freunde sind angesehene Menschen im Dorf. Doch dieser Erfolg sollte nicht ewig bestehen. Der algerische Unabhängigkeitskrieg macht sich selbst in dem abgelegenen Dorf hinter den Gebirgskämmen bemerkbar. Unruhen, Auseinandersetzungen, einmarschierende Truppen der FLN, der algerischen Unabhängigkeitsbewegung, halten seine Familie und die Bewohner auf Trab. Als Ali dann bei der französischen Armee um Schutz bittet, wird er von den nationalen Befreiern als sogenannter 'Harki' abgestempelt und muss nun nicht nur um seinen Hof, sondern auch um Yema und seine drei Kinder Hamid, Kader und Dalila bangen. Er will sie retten. Er will sich retten und so gibt es auch nur eine Möglichkeit - die Flucht nach Frankreich.

In Frankreich folgen weitere Auseinandersetzungen. Die Familie verbringt gut 2 Jahre in einem Auffanglager in Jouques bis ihnen endlich eine kleine Wohnung zuteil wird. Die Kinder besuchen eine französische Schule und mit der Sprache wächst dann nach und nach auch die Distanz zu ihren Eltern. Hamid wendet sich von allem ab, zieht nach Paris und will auch von der Vergangenheit nichts mehr wissen. "Li fat met" - Die Vergangenheit ist tot. In Paris gründet er dann etwas später mit Clarisse seine eigene Familie, aus der dann seine Tochter Naima hervorgeht und gerade sie ist es dann auch, die Fragen stellt...

Naima möchte mehr über ihre Vergangenheit, ihre Heimat und den familiären Ursprung erfahren. Doch Hamid will ihr dazu keine Auskünfte geben, denn schon alleine das Fluchtjahr bzw. Jahr ihrer Immigration 1962 lässt negative Rückschlüsse zu. Ali hat bereits das Zeitliche gesegnet und mit ihrer Großmutter Yema kann sie sich kaum verständigen. Als sie dann durch einen Zufall mit der Aufgabe betraut wird, die Bilder eines algerischen Künstlers zusammenzutragen, zögert sie. Wird sie die Reise in ihre Vergangenheit auf sich nehmen? Und wie wird man dort auf sie, die Verwandte eines Verräters, reagieren?

Ich glaube, ich habe mit "Die Kunst zu verlieren" bereits mein Jahreshighlight gefunden. Alice Zeniter schafft es, mich für ein Land zu interessieren, dessen Entwicklung ich, ehrlich gesagt, kaum auf dem Schirm hatte. Der Algerienkrieg, ein Krieg um die Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich in der Zeit von 1954 bis 1962 gehörte bei mir nicht so wirklich zum damaligen Geschichtsunterricht (oder ich habe grade da nicht aufgepasst) und gerade in der Romanform beschäftigt man sich nicht einfach nur mit Daten und Zahlen, sondern hauptsächlich mit den Menschen, deren Erlebnissen und Beweggründen. Die Auswirkungen des bewaffneten Konflikts auf die Algerier und die Flucht der "Harkis", deren Aufnahme und Neubeginn in Frankreich und der damit einhergehenden Ungewolltheit, Angst, Verdrängung sowie Neugier und Suche späterer Generationen nach ihrer verlorenen Heimat hat Zeniter wirklich eindrucksvoll in ihrem Generationenroman verwoben. In Hinblick auf die Globalisierung, Migration und vorherrschenden Auseinandersetzungen in vielen südlichen Ländern, ist dieser Roman für mich hochaktuell. Die flüchtenden Menschen verlieren nicht nur ihr zuhause, sondern auch ihre Heimat, ihre Vergangenheit, ihr bisheriges Leben und auch wenn sich die Situation irgendwann wieder beruhigen wird und sie zurückkehren können, so wird es nie wieder das Gleiche sein. Auch zukünftige Generationen der Großfamilien werden nicht einfach so wieder zusammenfinden, zu groß ist die Distanz, sei es kulturell oder sprachlich gesehen. Dieses Auseinanderdriften einer Familie und die Auswirkungen auf die einzelnen Folgegenerationen spielt in diesem Roman eine sehr große Rolle und die Autorin schafft es auf eine sehr empathisch kluge und lebendige Art und Weise eben dieses aus den verschiedenen Perspektiven einzelner Familienmitglieder darzustellen. Vielleicht liegt es daran, dass ihre Großeltern selbst "Harkis" waren und sie mit ihrem Roman somit auch einen Teil über sich erzählt. Vielleicht ist es auch nur Zufall und sie ist einfach eine Meisterin in der Erschaffung charakterstarker Protagonisten. Beinahe jede ihrer Figuren habe ich in gewisser Weise ins Herz geschlossen. Und so fiebert man mit und fragt sich, was alles passieren mag, wenn die Familie bereits auf den ersten Seiten dieses Romans mit den Bedrohungen des Krieges konfrontiert wird. Genauso freut man sich auch über so Kleinigkeiten, sei es, dass Yema in Frankreich ohne jegliche Sprachkenntnisse einkaufen geht und sich einzig an den Bildern der Produkte orientiert und stolz auf sich ist oder als sich Ali überraschender Weise mit Mohand, einem Mann aus seinem Dorf, der Vergangenheit, in Paris trifft und sie somit irgendwie wieder zusammenfinden. Oder man erfährt einfach mehr über das doch so unbekannte Land, den Glauben und die Traditionen...

Zeniter gibt den Verdrängten Algeriens eine Stimme und das so bewegend, dass man diesen Roman und diese Familie einfach nur mögen kann. Ich würde gar sagen, wer "Das achte Leben (für Brilka)" von Nino Haratischwilli gelesen und gemocht hat, wird "Die Kunst zu verlieren" mindestens genauso lieben.

Veröffentlicht am 26.09.2019

"Es gab mal ein Monster, das Menschen getötet hat..."

Monster
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"Monster" ist ein Buch, das an einer komplett anderen Ecke als alle anderen Zeitzeugenberichte, Biografien und Romane ansetzt und doch so viel Intensität und Aussagekraft über die Grausamkeiten des Dritten ...

"Monster" ist ein Buch, das an einer komplett anderen Ecke als alle anderen Zeitzeugenberichte, Biografien und Romane ansetzt und doch so viel Intensität und Aussagekraft über die Grausamkeiten des Dritten Reichs besitzt. Yishai Sarid setzt sich mit einem Stück Geschichte auseinander, das man normalerweise ausblenden, ungeschehen machen möchte. Die letzten KZ-Überlebenden kämpfen mit ihren Erinnerungen und müssen beinahe ständig darauf aufmerksam machen, welches Leid ihnen damals widerfahren ist, damit sich die Geschichte nicht noch einmal wiederholt. Sie werden ständig mit ihren Gedanken und Erinnerungen an ihre schreckliche Kindheit konfrontiert. Aber nicht nur das damalige KZ-Anlagen und eine generelle Erinnerungskultur werden aufrecht erhalten. Was für den einen vielleicht recht spannend erscheinen mag, ist für den anderen eine herbe Herausforderung. In diesem Buch legt ein jüdischer Tourguide einen Bericht über seine Erlebnisse ab. Früher untersuchte er in seiner Doktorarbeit die "Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Arbeitsmethoden deutscher Vernichtungslager im Zweiten Weltkrieg", nun führt er Schulklassen, Minister und andere Menschen durch die NS-Gedenkstätten. Er schildert ihren Umgang mit dem Holocaust, hinterfragt, was die Menschen zu Mördern gemacht hat und bringt weitere persönliche Beispiele in Bezug auf die Stärkere-und-Schwächere- Beziehung und Inszenierung mit ein. Vor allem geht es ihm um den Umgang mit dem Grauen der Geschichte sowie mit der Selbstinszenierung und Wahrnehmung. Wie wollen wir eigentlich mit der Erinnerung umgehen? Welche gedanklichen Ausflüge zulassen und welche Geschehnisse tabuisieren?

Das Ende des Romans ist bereits bekannt: Der sonst so gelassene Tourguide, der andere für die geschichtlichen Handlungen sensibilisieren möchte und stets ergriffen von den Machenschaften berichtet, schlägt einem Regisseur mit der Faust ins Gesicht. Doch die genaue Ursache bleibt nach wie vor ein großes Gedankenspiel voller aufwühlender Fragen.

Und Fragen brachte dieses Buch wirklich zahlreich mit sich... Wie würden wir mit der Erinnerung umgehen, wenn die Nazis gewonnen hätten? Würden wir sie als Helden und Befreier feiern? Würden wir eine komplett andere und anders fürchterliche Erinnerungs- und Gedenkkultur haben? Würden wir noch so sein, wie wir sind? Wie würden wir handeln? Und wäre die Welt so, wie wir sie heute erleben? Und was ist generell mit den durch die Medien breit gelatschten 'feierlichen' Gedenkminuten und Kranzniederlegungen zahlreicher Politiker? Ist alles nur ein Schauspiel, welches nur an der Oberfläche des Geschehenen kratzen will und ein Protokoll befolgt, das alles andere möglichst vergessen lassen will? Und wie würde alles aussehen, wenn man die KZs nicht 'weit weg' in Polen, sondern mitten in Deutschland gebaut hätte? Beruhigte die Landesgrenze die Menschen? Geben wir nun wirklich den Polen Schuld an den Vernichtungen? Wie ...
Und gerade diese Gedanken machen dann dieses Buch auch so unwahrscheinlich wertvoll. In der Form eines fiktiven Berichts, eines Beteiligten, der sich tagtäglich mit der Erinnerungskultur auseinandersetzt und persönlich, interessant über das Erlebte aus verschiedensten Perspektiven berichtet. So hat Yishai Sarid mich mit seinen Worten und Gedanken getroffen, mir selbst einen Faustschlag verpasst und mich sehr intensiv mit dem "Monster" verstrickt. Ein jeder könnte, wenn er wollte ein Monster sein. Navit Barel sagte über "Monster", dass es "Das wichtigste Buch, das je hierzulande über Moral und Opferrollen geschrieben wurde." ist. Und ich ergänze, dass es die persönlich fordernste Auseinandersetzung mit dem Geschehenen verursacht und ich dieses dünne Buch daher beinahe schon als Pflichtlektüre erachte.

Veröffentlicht am 26.09.2019

Wenn Menschlichkeit Hürden überwindet

Lied der Weite
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"Lied der Weite" ist ein Buch, dass mich gerade aufgrund seiner ruhigen Art sehr begeistert hat. Kent Haruf versteht es ohne viel Tamtam eine Geschichte zu inszenieren, die einen einfach mitnimmt. Für ...

"Lied der Weite" ist ein Buch, dass mich gerade aufgrund seiner ruhigen Art sehr begeistert hat. Kent Haruf versteht es ohne viel Tamtam eine Geschichte zu inszenieren, die einen einfach mitnimmt. Für mich ist sie eine Beschreibung des Lebens mitsamt Hindernissen, die umgangen und beseitigt werden müssen. Und auf dem Weg begleiten einen immer wieder Menschen, die einem helfen und nur das Beste wollen und andere, die alles ins Wanken bringen, obwohl man ihnen vertraut und ihre Unterstützung gebraucht hätte. Es ist eine Geschichte vom Geben und Nehmen. Von flüchtenden Zuständen, dem nie wirklich ankommen und der eigentlichen Herausforderungen - dem Leben, der Liebe und der Menschlichkeit.

In diesem Fall dreht sich vieles um das Mädchen Victoria Roubideaux. Sie ist schwanger, wird daraufhin von ihrer Mutter verstoßen und versucht nun ihr Leben zu meistern. Sie ist erst 17 Jahre alt und geht eigentlich noch zur Schule. Victoria vertraut sich der Lehrerin Maggie an, die versucht ihr zu helfen und ihr eine Unterkunft zu besorgen. Abseits von allem, kommt sie dann in der ruhigen Einöde bei den Brüdern McPheron unter. Gerade für die beiden ist dies eine sehr gewöhnungsbedürftige Situation, denn die Viehzüchter haben ihr ganzes Leben noch nie wiklich mit einer Frau zutun gehabt, geschweige denn mit einem Kind. Sich versuchen sich anzunähern und Victoria während der Schwangerschaft zu unterstützen. Doch eines Tages führt sie der Vater des Kindes, kurz vor der Geburt, erneut auf Abwege.

Auch wenn es jetzt nicht das handlungsstärkste Buch ist, finde ich es beinahe großartig und nahezu für jeden passend - Das mag mitunter auch Kent Harufs Stärke sein. Man liest ihn/es gern und hat eigentlich kaum bis keine Kritikpunkte zu äußern. Es ist ein Blick in die Weite, in die Zukunft. Ein Blick aufs Land. Ein Blick zum Leben selbst. Für mich ist es auch noch nachhallend ein sehr eindrucksvoller Roman. Der einzige Nachteil: man kein einfach gar nicht so viel zu diesem Buch sagen. Es ist wie es ist, ruhig und toll.

Veröffentlicht am 26.09.2019

Zeit für Helden. Zeit für Erinnerungen und Menschlichkeit.

Am Seil
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Spannende Geschichten und Fälle über die dunkle Zeit des Naziterrors gibt es viele, dennoch ist es nach wie vor wichtig, dass gerade diese sehr persönlichen Schicksalsfälle in Erinnerung gerufen werden ...

Spannende Geschichten und Fälle über die dunkle Zeit des Naziterrors gibt es viele, dennoch ist es nach wie vor wichtig, dass gerade diese sehr persönlichen Schicksalsfälle in Erinnerung gerufen werden und auf die großen Bedrohungen des Nationalismus aufmerksam machen.
Nun hat der Diogenes Verlag noch einmal eine ganz andere Sicht veröffentlicht. Es geht nämlich in "Am Seil" von Erich Hackl um den österreichischen Kunstschmied Reinhold Duschka, der während des Terrors die jüdische Chemikerin Regina Hilde Kraus sowie ihre Tochter Lucia von 1939 bis April 1945 versteckt hielt. Sie wird als Heldengeschichte deklariert, doch eigentlich geht es ihm ganz und gar nicht darum ein Held zu sein. Es ist eine noch größere Geste - die, der Menschlichkeit. Als die Tumulte im Land langsam größer werden, der Machtkampf um sich greift, Juden zum Tragen des Judensterns verpflichtet, etwas später zusammengedrängt und ausradiert werden, begibt sich Reinhold Duschka selbst in Gefahr. Er bietet Mutter und Tochter Unterschlupf in seiner kleinen Werkstatt. Natürlich dürfen die beiden nie auffallen, weder vor Fremden noch vor Freunden und weiteren Mietern innerhalb des Werkstättenhofs. Und obwohl in dieser Zeit alles strengstens zugewiesen wird, beschafft er ihnen Kleidung und Nahrung sowie Bücher für die kleine Lucia. Er bringt ihnen sein Handwerk bei und so bearbeiten sie täglich gemeinsam Metalle zu kleinen Kunstwerken und Nutzgegenständen, deren Erlös wiederum auf dem Schwarzmarkt in Lebensmittel investiert wird.

Als die Auswirkungen des Krieges über Wien hereinbrechen und erste Bomben fallen, können sie nicht wie alle anderen einfach so in einen Bunker Schutz suchen. Es ist zu gefährlich, denn jedes noch so kleine Misstrauen anderer, jede Ausweiskontrolle, jeder Verdacht, dass sie Juden sind, kann sie der Gestapo, dem Tod oder der Gaskammer selbst ausliefern. Als der Hof bei einem Bombenangriff schwer beschädigt wird, überleben Regina und Lucia nur knapp und stehen erneut vor dem Nichts ...



Erich Hackl beschreibt auf gerade einmal 117 Seiten eine sehr bewegende Geschichte und Erinnerung. Der Klappentext fast es so schön zusammen: Es ist die Geschichte "Wie sie zu dritt, an ein unsichtbares Seil gebunden, mit Glück und dank gegenseitigem Vertrauen überlebten." Sie zeigt, die stets lauernde Bedrohung, ihre Ängste, Hoffnungen und Trauer. Es ist dieser Kampf ums Überleben, der eigentlich stets still und heimlich geschehen muss. Das Ziel nicht aufzufallen, egal was passiert und doch entscheidet am Ende die Menschlichkeit und Güte. In dieser Geschichte endet es positiv. Sie haben ihren Kampf überlebt. Nicht jeder hatte dieses Glück, wenn man hier überhaupt im Ansatz von Glück sprechen darf. Es ist das überlebte Grauen. Das, was heutzutage in vielen Nationen und rechten Gruppen neu entfacht. Dieser Hass und diese Aggressionen und gesuchte Andersartigkeit, die zu Ausgrenzung von vermeintlichen Minderheiten führt. Doch wir sind alle eins. Wir sind Menschen. Und auch, wenn alle einem Verrückten blind hinterherlaufen, gibt es stets auch Menschen, die sich für andere opfern. Menschen, so wie Reinhold Duschka.

Was soll man sagen? Denn so ein Buch als toll oder großartig zu betiteln, wirkt mir irgendwie befremdlich. Es ist ein wahrer Tatsachenbericht in Form einer Geschichte, die eben auch das Gute im Menschen verdeutlicht. Ich wünschte mir, dass dieses Leid, diese Erfahrungen einen Jeden erreichen, bewegen und zu mehr Offenheit führen.