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Veröffentlicht am 30.08.2021

zwei "Löwenherzen" unterwegs in Afrika

Löwenherzen
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"Löwenherzen" ist nun Gesa Neitzels drittes Buch und nach wie vor schafft sie es beinahe mühelos ihre Leserinnen für Afrika, die Natur und das Naturbewusstsein zu begeistern. Ich weiß noch wie ich vor ...

"Löwenherzen" ist nun Gesa Neitzels drittes Buch und nach wie vor schafft sie es beinahe mühelos ihre Leserinnen für Afrika, die Natur und das Naturbewusstsein zu begeistern. Ich weiß noch wie ich vor 5 Jahren "Frühstück mit Elefanten" beinahe verschlungen habe und dabei Gesa und ihrem Mut etwas neues zu wagen, die Zelte in Deutschland abzubrechen und sich in so ein Safari-Abenteuer zu stürzen sehr bewunderte. Auch ihr zweites Sachbuch "The wonderful wild" hat mich gerade während in der Zeit der Klimawandeldebatten aufgrund des stets präsenten Wildlife/ Afrikafeelings, aber auch wegen ihrer perspektivenreichen, besonnenen und beinahe schon tröstenden, sowie Mut machenden Worte sehr begeistern können. Dieses Buch ist nun eher so eine Art Fortsetzung, in der sie davon berichtet, wie es ihr und Frank nach dem Kennenlernen erging, was sie bis dato umgetrieben hat und was sie zusammen in Afrika erlebt haben.

"Mir war vorher nie klar gewesen, wie sehr alles miteinander zusammenhing und wie wir Menschen das Gleichgewicht dieser Welt vollkommen durcheinanderbrachten, in dem wir in die Natur eingriffen."

Ich weiß nicht warum, aber mit diesem Buch tat ich mich so ein bisschen schwer. Auch wenn das Gefühl beim Lesen ähnlich war, wie bei ihren anderen Büchern, so konnte mich die Geschichte einfach nicht mehr so mitreißen. Gesa erzählt von ihren Gedanken, Beobachtungen und irgendwie ja auch Abenteuern mit Frank und ihren gemeinsamen Reisen durch Botswana, Namibia und Sambia. Neben tollen Naturbeschreibungen und Begegnungen wird auch auch immer mal wieder deutlich, welches Recht sich der Mensch herausnimmt und wie er Einfluss auf Ökosysteme nimmt, die es eigentlich zu schützen gilt. Gerade das versetzt mich immer so ein bisschen in Staunen und macht mich gleichzeitig sprachlos, allerdings ist es eben auch nichts 'neues' oder emotional aufwühlendes, bei dem man als Leser
in mit fiebert. "Frühstück mit Elefanten" hatte noch dieses Ziel, am Ende die abgeschlossene Ausbildung zur Rangerin, bei dem man bis zum Ende mit ihr gehofft hat, aber dies ist eben mehr eine Geschichte, die weitererzählt wird, ohne dass man auf etwas hinarbeitet. Es ist mehr ein Eindruck, die Anfänge einer gemeinsamen Reise bei der es immer wieder Hürden zu überwinden gilt. Wahrscheinlich würde ich auch noch alle kommenden Bücher von ihr lesen, einfach um mich an diesem Gefühl und der lockeren Reiseberichterstattung zu erfreuen, dennoch habe ich gerade hier so das Gefühl, dass das wichtigste bereits erzählt wurde und alles was kommt nur noch eine Art Add-on ist.

Was ich jedoch mitnehme, ist erneut dieses Bild von der unberührten Natur, ihre Gefahren und gerade auch die Herausforderungen für die Menschheit. Ich glaube an dieser Stelle brauche ich nur recht wenig von dem eigentlichen Reisebericht an sich wiedergeben. Einige von euch werden vielleicht schon mal eine Safari in Afrika gemacht haben oder haben diese wahnsinnig beeindruckenden Bilder aus zahlreichen Dokumentationen vor Augen. Und dieses Buch baut nun darauf auf, erweckt Bilder der schützenswerten Natur und gibt den Leser*innen somit etwas an die Hand, für was wir uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten einsetzen und kämpfen müssen. Der Mensch darf in puncto Natur nicht weiter Gott spielen, weiter Ökosysteme, sowie Tiere gefährden, Temperaturerhöhungen einfach so hinnehmen. Gesa zeigt uns, was wir von der Natur lernen können, wie wir im Einklang mit ihr und den anderen Lebewesen leben sollten oder was wir/ wie wir von den Einheimischen lernen können. Dieses Buch ist dabei so von Neugier geprägt und natürlich gibt es auch hin und wieder recht brenzliche Situationen oder Rückschläge für die beiden, aber auch diese haben sie weiter zusammengeschweißt. Dieses Buch ist ein Reisebericht, ein Stück weit Liebesgeschichte, aber vor allem eins: eine große Liebe zur Natur.

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Veröffentlicht am 08.08.2021

Kleines Buch mit großer Wirkung - "Auszeit" von Hannah Lühmann

Auszeit
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Wenn die Gedanken wieder überhand nehmen, das Leben einen fest im Griff hat, teilweise gar überfordert und irgendwie alles festgefahren scheint, wäre eine Auszeit gar nicht mal so verkehrt. Einen kleinen ...

Wenn die Gedanken wieder überhand nehmen, das Leben einen fest im Griff hat, teilweise gar überfordert und irgendwie alles festgefahren scheint, wäre eine Auszeit gar nicht mal so verkehrt. Einen kleinen Urlaub, in dem man endlich wieder abschalten, das Leben genießen und man mal wieder Zeit finden kann um sich zu ordnen, zu reflektieren, um zu gucken wo einen das Leben hintreibt oder wo sich Möglichkeiten auftun.
Auch Henriette braucht in Hannah Lühmanns Roman "Auszeit" eben jene Pause vom Leben. An ihrer Dissertation über den Werwolf und dessen Kulturgeschichte sitzt sie bereits seit Ewigkeiten ohne nennenswerte Fortschritte zu machen. Das Leben hat sie irgendwie fest im Griff. Henriette trauert. Sie trauert um ihr Kind, wahrscheinlich wäre es eine Tochter gewesen, so wie sie es sich wünschen würde, aber bereits der erste Satz dieses Romans lässt schlimmes erwarten. "Der Tag, an dem ich in die Klinik fuhr, um mein Kind abzutreiben, war ein Dienstag, es war noch Frühling." Und dann nimmt alles so seinen Lauf oder eben nicht, bis
Paula die Reißleine zieht und ihre Freundin Henriette zu einer kleinen Auszeit im östlichen Bayern überredet. Ein bisschen meditieren, viel Wald, Luft und vor allem eins, Freiheit, vielleicht auch etwas Klarheit. Endlich Zeit fokussiert an ihrer Arbeit zu schreiben, endlich wieder etwas anderes sehen und auf andere Gedanken kommen, endlich, ja, was eigentlich?

"Es ist, denke ich, als hätte die Stadt meine Seele zerquetscht, als hätte ich einmal zu oft das graue Szenario gesehen, das sich mir jeden Morgen bietet, wenn ich die graffitibesprühte Tür meines Wohnhauses hinter mir schließe. Die Zigarettenpackungen, die Hundescheiße, der Beton. Früher war es mir egal, wo ich lebe, heute sind alle Klischees über das Leben in der Stadt wahr geworden und nehmen mir die Luft zum Atmen. Ich bin nicht alt, ich habe noch Zeit. Ich brauche nur Luft, Luft und Abstand..."

Natürlich passieren auch hier nun eher unerwartete Dinge. Dieser Roman ist nämlich nicht nur von ein kleiner Ausflug in Richtung Freundschaft, denn irgendwie bewegt gerade diese gemeinsame Zeit, von der wir lesen können, Henriettes Leben in eine ganz andere Richtung. Henriette muss sich mit den großen Fragen des Lebens, nach der Zukunft und ihrem Jetzt auseinandersetzen, sich neu finden und motivieren und ihre Freundin gibt ihr dabei Raum und fungiert gleichzeitig als eine ungeheure Stütze und Wegbegleiterin. In diesem Buch geht es aber auch um die Fragen nach dem, was einen erfüllt und glücklich macht, ob es richtig ist ein Kind in die Welt zu setzen oder eben nicht, wie es sich anfühlt stets auf der Suche nach dem richtigen Weg zu sein und dabei doch auch vieles falsch zu machen. Es ist aber auch irgendwie eine Geschichte über die verschiedenen Wirkungen des Menschen, dem Gedachten und dem Wirklichen, dem Tröstenden, Ängstlichen und dem Angreifenden. Der Werwolf, eine Art Sinnbild für so vieles. Die Verwandlung, die zwei Seiten des Menschen, die Gefühlswelt, das Ringen und die Auseinandersetzung und vielleicht auch ein Stück weit der Kipppunkt, sowie die Entscheidung.

Gerade nach den letzten Zeilen habe ich mich lange gefragt, was Hannah Lühmann mir mit dieser Geschichte sagen mag. Eine Auszeit. Im östlichen Bayern. Zwei Freundinnen. Zwei ganz unterschiedliche Lebenswelten, von denen die der Henriette stets am präsentesten ist. Ich kann nicht einmal sagen, dass mir diese Protagonistin wirklich sympathisch ist, vielleicht weil sie auch so egoistisch wirkt. Ein Ich-Mensch, der sich immer weiter in sich selbst verzweigt und dadurch nicht vorwärts kommt. Eben das genaue Gegenteil von Paula und irgendwie sind es dann auch ihre Worte und ihre Entscheidung, am Ende, die mich berührten und zum Nachdenken gebracht haben. Eigentlich nicht nur am Ende, immer wieder. Und irgendwie fand ich es dann auch an ihr ganz spannend zu sehen, wie sie mit ihrer Freundin und dem Leben umgeht.

Teilweise sehr schmerzhaft, manchmal auch eher gedankenverloren nähert sich derdie Leserin Henriettes Problemen und Ängste, der Frage nach dem Kind und ihrer Aufgabe. Sehr bemerkenswert finde ich dabei diese Aufbruchsstimmung, in all dieser Ruhe, und den plötzlich neu gefassten Drang etwas im Leben verändern zu wollen, gar zu müssen.


"Ich spüre eine große Aufregung in mir, ich bin, das denke ich ernsthaft, wild entschlossen, mein Leben zu ändern, ein Bild zu werden, etwas zu werden. Irgendetwas. Es ist nicht zu spät, es ist alles eine Frage der Geschwindigkeit, ich muss mich einfach zusammenreißen und beschleunigen, vielleicht muss ich mich wirklich mehr bewegen, mehr erden, mehr Yoga machen,..."

"Auszeit" ist für mich so ein kleiner winkender Zaunpfahl. Eine Geschichte, die davon zeugt, dass es nie zu spät ist, sein Leben neu zu hinterfragen, Sachen anzugehen oder zu ändern, selbst wenn das ganze Leben auf dieser Vorstellung beruht. Es ist aber auch so ein Buch, das während des Lesens so leicht und dünn erscheint, aber im Nachgang wahnsinnig viel Mühe und Gedanken kostet. Schon ewig habe ich nicht mehr so lange über ein Buch, dessen Bedeutung und die einzelnen Funktionen der Protagonisten nachdenken müssen. Und irgendwie bin ich nun auch schon einige Wochen später, nicht wirklich schlauer geworden. Ich reime mir Dinge zusammen, finde Paula nach wie vor großartig und diese akzeptierende Ruhe, sowie das Ungesagte, dieses nicht ganz zu Ende erzählte und doch zu Ende erzählte... Und so wird dann aus diesem gerade einmal 173-seitigen Roman etwas riesiges, was man irgendwie noch sehr lange mit sich rumschleppt und das finde ich wahnsinnig faszinierend. Vielleicht ist es das optimale Geschenk, für jeden, derdie gerade im Leben feststeckt, nach Antworten sucht, sich in Gedanken verrannt hat oder eben auf diesen berüchtigten Wink mit dem Zaunpfahl wartet. Der Mensch ist zu vielem fähig, er muss sich manchmal nur auf etwas neues einlassen um seinen Weg zu erkennen.

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Veröffentlicht am 08.08.2021

der spannende Reihenauftakt Becketts neuer Thrillerreihe um Jonah Colley

Die Verlorenen
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Normalerweise starten Thrillerreihen immer etwas gemütlicher, erklären erst das Setting und alle Gegebenheiten, bevor es wirklich zur Sache geht, aber in Simon Becketts "Die Verlorenen" stürzt sich derdie ...

Normalerweise starten Thrillerreihen immer etwas gemütlicher, erklären erst das Setting und alle Gegebenheiten, bevor es wirklich zur Sache geht, aber in Simon Becketts "Die Verlorenen" stürzt sich derdie Leserin mit dem Protagonisten Jonah Colley gleich in den Nervenkitzel.

Vor ungefähr zehn Jahren verschwand Jonahs vierjähriger Sohn Theo spurlos vom Spielplatz. Sein Leben liegt seit dem in Scherben, seine Frau trennte sich, sein bester Freund Gavin wandte sich von ihm ab und von seiner jetzigen Wohnsituation braucht man gar nicht erst zu reden. Er macht sich immer noch Vorwürfe für das, was damals geschah und ausgerechnet jetzt, als er mit seinen Kollegen von der bewaffneten Spezialeinheit der Londoner Polizei einen angenehmen Abend verbringen mag, erreicht ihn ein überraschender Anruf. Gavin braucht seine Hilfe und bittet ihn um ein Treffen im alten Slaughter Quay. Schlachterkai. Kurz bevor das Gespräch abbricht, erklärt er ihm, dass Jonah der einzige sei, dem man noch vertrauen könnte… Was soll das bedeutet? Nach anfänglicher Skepsis macht Jonah sich auf den Weg, doch als er am alten, abgelegenen Lagerhaus ankommt, ist es bereits zu spät und er findet nur noch Gavins Leiche in mitten eines Plastikberges. Als er sich weiter umschaut, entdeckt er am Rand drei weitere in Folie und Brandkalk verpackte Opfer. Eines bewegt sich, ringt um sein Leben, doch als Jonah die junge Frau retten will, bezahlt auch er beinahe mit seinem Leben.
Als er etwas später mit zahlreichen Blessuren im Krankenhaus erwacht, beginnt ein heimtückisches Spiel. Jonah steht plötzlich nicht nur bei DI Fletcher im Zentrum aller Ermittlungen, sondern auch im Fokus des Täters. Die Vergangenheit holt ihn erneut ein, alte Wunden platzen auf, Jonah begibt sich eigenmächtig auf die Suche, begeht Fehler. Ein Wechselbad der Gefühle und Verstrickungen. Doch schafft er es am Ende wirklich den Täter zu stellen, bevor dieser ihn in den Knast bringt oder eher noch tötet?

Was für ein Ritt und was für ein unglaublich makabreres Spiel. Aber das Ende, so muss man das dann leider sagen, ist losgelöst betrachtet echt ein wenig enttäuschend, der Fall überhaupt nicht abgeschlossen und mehrere Fragen, sowie offene Enden warten auf eine Fortsetzung. Warum oder was hat zu dem vernarbten Gesicht des DI Fletcher geführt? Was genau ist mit dem Täter/der Täterin passiert? Was hat es mit … auf sich? Was wird aus Jonah? Wird er wirklich Ruhe finden? Wann mag es wieder weitergehen? Wird er wieder mit all den anderen Ermittlern zutun haben? Was ist mit der Tochter? Dem Sohn? Den anderen Kindern? Was …? Wie…? Ich mag ja nun noch nicht zu viel verraten, aber irgendwie merkt man total, dass in diesem Auftakt wahnsinnig viele Möglichkeiten und Geschichten für nachfolgende Teile vorbereitet werden. Und obwohl man sich ständig mit irgendwelchen Fragen konfrontiert sieht oder vielleicht auch gerade deswegen, hat "Die Verlorenen" eine enorme Sogwirkung. Bereits nach dem Anlesen wollte ich diesen Thriller nicht mehr aus der Hand legen und später hatte ich dann eher damit ein Problem, dass dieses Buch bald zu Ende ist und musste mich sehr zurückhalten. Beckett gelingt es scheinbar spielend immer wieder neue Spuren, Mordfälle und Ereignisse in den fortschreitenden Ermittlungsstrang einfließen zu lassen und dass der Protagonist Jonah Colley, zwar zur bewaffneten Spezialeinheit der Londoner Polizei gehört, aber nicht direkt an der Ermittlung beteiligt, sondern auf der anderen Seite der Anklagebank sitzt und zeitgleich Zielperson ist, kommt diesem Spiel unglaublich zu Gute. Jeder Leserin, Protagonistin (bis auf der Mörder/die Mörderin) und die Detectives tappen quasi durchgehend im Dunkeln, sieht sich mit Vertuschungen und verheerenden Hinweisen konfrontiert, bis es zur Auflösung kommt, man erneut um Jonah und andere Beteiligte bangt und dann auch eigentlich schon auf die Fortsetzung und weitere Auflösung wartet. Sicherlich sind dabei einige Handlungen und Taten ein wenig überzeichnet und drüber, vielleicht ist auch nicht immer alles hundertprozentig logisch, aber der Mensch ist ein unverständliches Wesen und eine ständig tickende Zeitbombe und was da dann alles möglich ist… ach, wir wollen es lieber nicht wissen. Mir hat dieses Buch zumindest sehr viel Freude bereitet, Nerven abverlangt und gut bis schrecklich gut unterhalten, allerdings und das wäre dann für mich wahrlich auch der einzig mögliche Kritik- und Knackpunkt, es ist etwas schade, dass dieses Buch bzw. dieser Fall nicht ganz für sich abgeschlossen ist und sehr viel offen bleibt. Daher kann ich es dann auch verstehen, wenn Leserinnen hier etwas enttäuscht sein werden, aber im Hinblick auf das was da noch alles kommen könnte, ist es eben auch eine unglaubliche Chance auf eine großartige Reihe. Für Krimi- und Thrillerfans, auch jene, die diese Form der spannenden Unterhaltung nur sehr selten aufsuchen, ist es jedenfalls ein tolles Buch, bei dem man garantiert nichts falsch machen kann. Mehr darf und kann ich an dieser Stelle dann auch schon nicht mehr sagen, denn jedes weitere Wort wäre gefühlt ein Spoiler und könnte den Überraschungseffekt an der ein oder anderen Stelle kosten. Also viel Spaß beim Selbstlesen!

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Veröffentlicht am 08.07.2021

Carolina Setterwalls zutiefst bewegende Auseinandersetzung mit dem Glück des Lebens und dem plötzlichen Ende

Betreff: Falls ich sterbe
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Das Leben schreibt die emotionalsten Geschichten, so oder so ähnlich könnte man dieses Buch kurz zusammenfassen, denn was Carolina Setterwall (in der Übersetzung von Susanne Dahmann) mit ihrem autofiktionalen ...

Das Leben schreibt die emotionalsten Geschichten, so oder so ähnlich könnte man dieses Buch kurz zusammenfassen, denn was Carolina Setterwall (in der Übersetzung von Susanne Dahmann) mit ihrem autofiktionalen Roman „Betreff: Falls ich sterbe“ ist nichts anderes als das harte, schicksalhafte Leben, ihr Leben und bittere Realität. Ihr Freund Aksel stirbt in der Nacht, während sich Carolina um ihren gemeinsamen Sohn Ivan kümmert, an einem Herzanfall. Er war gerade einmal Mitte dreißig, sie wollten sich eine Familie aufbauen, ihr Sohn erblickte vor wenigen Monaten die Welt und nun ist... ist alles schwarz. Im Schock bewegt Carolina sich durch die nächsten Tage, Wochen, Monate und wird eigentlich nur noch von ihren Freunden und der Familie gehalten.
Sie muss wieder lernen mit dem Leben und ihrem neuen Alltag klar zu kommen, erneut Fuß zu fassen und mit ihrem Schmerz umzugehen. Sehr nahbar, bewegend und intensiv lässt Carolina uns an den Gedanken, dem Leben und der Trauer an dem Leben ihrer Protagonistin teilhaben. In zwei parallel verlaufenden Erzählsträngen berichtet sie von der schlimmsten Zeit ihres Lebens und dem Kennenlernen ihres Freundes, ihrer Beziehung, sowie alltäglichen Momenten, Gedanken, Diskussionen. Sehr aufwühlend, persönlich und nahbarer erzählt sie von dem, was in ihr vorgeht und wie sie sich langsam ihren Weg zurück ins Leben kämpft und dabei stets diese schmerzvolle Erfahrung erinnert wird. Bereits die ersten 50 Seiten haben mich wahnsinnig mitgenommen und es wird auch nur minimal besser. Ich war schockiert, aufgelöst, bewegt von Carolinas Schicksal, konnte sie zwar nicht immer verstehen, noch fand sie wahnsinnig sympathisch, aber puh... das macht was mit einem. Dieses Buch hat es einfach in sich, berichtet sehr offen, reflektiert und ehrlich von gedanklichen Abgründen, von den schwierigen, verzweifelten Phasen der Mutterschaft, der Partnerschaft und Elternschaft, gibt Einblicke wie es ist mit Ängsten und Therapien umzugehen, beweist was Familie heißt, was Selbstbestimmung bedeutet und macht und was eben auch das Schicksal für einen gewaltigen Einfluss hat.
Das Leben ist kostbarer und fragiler Schatz und ja, ich glaube das muss einem irgendwie viel häufiger bewusst werden. Bewusst sein.
Am liebsten würde ich nun sowas sagen wie: das müsst ihr einfach lesen, aber dieser Roman ist wahrscheinlich nichts für sehr nah am Wasser gebaute Menschen. Dieses Buch trifft tief ins Herz und das auf eine wahnsinnig ergreifende, bewundernde und schonungslose Art und Weise. Unvergleichbar toll.

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Veröffentlicht am 17.06.2021

eine Krise, eine weitere Herausforderung und der Blick in das Leben des Pianisten Igor Levit

Hauskonzert
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Die Corona-Krise hat uns allen so einiges abverlangt. Die alten Gewohnheiten wurden von jetzt auf gleich über Bord geworfen, viele haben sich neben dem Job von zuhause aus intensiv um ihre Kinder kümmern ...

Die Corona-Krise hat uns allen so einiges abverlangt. Die alten Gewohnheiten wurden von jetzt auf gleich über Bord geworfen, viele haben sich neben dem Job von zuhause aus intensiv um ihre Kinder kümmern müssen, hatten plötzlich gar keine Anstellung mehr oder saßen in ihren vier Wänden fest. Andere verloren sich aufgrund der vielen Einschränkungen in Hoffnungslosigkeit und Angst. Und wieder andere sahen diese Zeit der Ruhe als eine Art Neustart und Raum der Möglichkeiten. Es kam vieles zusammen und gerade die Veranstaltungs- und Kulturbranche hat sehr unter den Einschnitten gelitten. Künstlerinnen, die normalerweise tagtäglich vor gefüllten Hallen spielen, tausende Menschen Abend für Abend mit ihrer Musik oder Show beglückten, sahen sich plötzlich mit der Stille konfrontiert. Doch wie ergeht es Künstlerinnen, die von heute auf morgen nicht mehr im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, in ihre Wohnung zurückgedrängt werden und dabei nicht nur unter den normalen Kontaktbeschränkungen, sondern auch unter der Trennung von ihren Fans und dem direkten Feedback, ja mehr oder weniger, leiden?! Künstlerinnen, Musikerinnen und Artistinnen leben (neben den Einnahmen) vom Applaus und von der Begeisterung ihrer Fans und den Kulturinteressierten. Für den Pianisten Igor Levit blieb mit Beginn der Pandemie förmlich die Welt stehen. Sein ständiges Verlangen zu spielen und seine innere Unruhe ließen ihn in dieser Zeit neue Wege beschreiten, denn nichts ist für ihn und für andere Künstlerinnen so fatal und belastend wie Stillstand, Ruhe und Isolation. Und so spielte er dann auch weiterhin, versuchte über die Socialmedia Plattform Twitter auch weiterhin sein Publikum zu erreichen und mit ihnen die Musik zu teilen. Was zunächst noch recht einfach und aus einem Impuls heraus begann, wurde binnen kürzester Zeit zu einer festen Größe und Igor Levits Hauskonzerte zum Tageshöhepunkt für hunderttausende Zuschauerinnen.

In dem Buch "Hauskonzert" von Igor Levit und Florian Zinnecker geht es nun um genau diese für ihn sehr bewegende Zeit. In einer Mischung aus Interview und Bericht schildert Zinnecker sehr eindrucksvoll was in den Gedanken des Jahrhundertpianisten Levit vorgeht, wie er sich ständig neu (er)findet, positioniert und von welcher Unruhe er getrieben wird. "Was bliebe, wenn man jemandem, der so Klavier spielt, das Klavierspielen nimmt? Ginge das überhaupt? Wie hält es jemand, der so spielt, mit sich selbst aus?" sind dabei die Kern- und Ausgangsfragen dieses Buchs und wie man es sich bereits vorstellen kann... nein, das ginge nicht so einfach. Levit, der sich immer wieder neu herausfordert, eine ständig (neue) Auseinandersetzung mit der Musik fordert, schuf für sich mit den Hauskonzerten ein Ventil, das ihn am Leben hält und seinem Tag einen Sinn verleiht. Und das eben so ganz privat, losgelöst und von zuhause aus. So entstehen dann auch ganz intime Momente, die nicht nur ihm in dieser schwierigen Zeit halfen und einen Grund lieferten zu spielen, sondern auch Tausenden, die weltweit zeitgleich mit seinem Klavierspiel in Kontakt traten, ein Stück weit die Welt der klassischen Musik entdeckten und dabei noch Trost, sowie Halt fanden. Dieses unabhängige Gemeinschaftsgefühl und die tägliche Verbindung zwischen dem Musiker, seinen Gedanken, der Musik und den Zuhörer
innen war gerade in dieser Zeit etwas ganz besonderes.

"Ich weiß, das Leben ist kein Konzertsaal. Aber Musik ist Leben, wir alle hier zusammen, Sie hören mir zu, ich höre Ihnen zu. Einander zuhören - das ist Zivilisation. Die große Musik, die wir teilen, erschafft ein Band zwischen uns und erinnert uns an das Beste, das menschliches Leben erschaffen und miteinander teilen kann."

Sein Werdegang ist dabei jedoch nicht ganz zu vernachlässigen. Dieses Buch zeigt nicht nur wie üblich die Höhen und Resultate seines Werdegangs, es eröffnet auch einen Blick auf die Herausforderungen und Tiefpunkte in Levits Leben. Auch wenn man nun meinen könnte ein Jahrhundertpianist und der gefragteste Beethoven-Interpret, der mit dem besten Studienabschluss an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover und seit dem die verschiedensten Preise und Auszeichnungen für einzelne Variationen, sein politisches Engagement und Wirken erhielt, hat unwahrscheinliches Talent bewiesen und Glück gehabt. Ja, sicherlich, aber dahinter stehen eben auch sehr viele Tiefpunkte, Lehrerwechsel, (Selbst-)Zweifel, Anfeindungen und Hasstiraden. Sein Weg dahin verlief bisher alles andere als gradlinig. Und gerade durch seine Herkunft und seinen Glauben sieht er sich häufig mit Antisemitismus, Hass und Wut konfrontiert. Das geht sogar soweit, dass Levits Management nach einem Talkshow-Auftritt Morddrohungen erhielt. Aber Levit lässt sich dadurch nicht einschüchtern und erhebt auch weiterhin an der Seite der Demokratie seine Stimme gegen Unrecht, Antisemitismus, Rassismus, Menschenhass in jeglicher Form und setzt sich für eine gerechtere, klimafreundlichere Welt ein.

"DAS ALSO IST die Geschichte, Igor Levit, 32, nicht ausgelastet damit, Jahrhundertpianist zu sein, und zugleich völlig erschöpft davon. Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, und über Monate auch erst einmal auf der Suche nach der Frage selbst: Wer bin ich, und was soll ich tun."

Was ich an diesem Buch so liebe und zeitgleich so faszinierend finde, ist der ungeschönte Einblick in das Leben dieses Supertalents. Auf der einen Seite begleitet man Igor Levit auf Konzerte oder seinen 33. Geburtstag, auf der anderen beschreibt er seine Empfindungen über die ersten Anzeichen der Pandemie, seine Zweifel und Überforderung mit dieser für ihn sehr schwierigen Zeit, es folgen politische Anmerkungen, kleinere und größere Aufreger, tiefgründige Gedanken, Ausschnitte aus seiner Vergangenheit, die Bedeutung der Musik... Ich hatte mit jeder Seite das Gefühl ihm als Person näher zu kommen, ihn zu verstehen und eben das auch zu fühlen. Den Menschen hinter der Musik kennenzulernen. Ich fand es großartig, wie reflektiert Levit mit sich selbst ins Gericht geht, sich selbst aber auch häufig einfach so impulsiv neu herausfordert und vieles einfach nur geschieht, weil er gerade Bock darauf hat. Worte wie "Ich habe in dieser Zeit - vielleicht zum ersten Mail überhaupt - gespürt, dass ich kein Fake bin. Dass ich nicht nur so tue, als ob. Ich habe mir zum ersten Mal selbst geglaubt, dass ich Pianist bin." oder "Es gibt aber kein >Koste es, was es wolle<. Es gibt Kosten, die sich mit Geld nicht decken lassen. Ich will auch keinen Trost - es gibt nichts zu trösten. Wir alle, die wir von der Musik leben, wurden unserer Existenz beraubt. Und nochmal: Daran ist kein Politiker schuld, daran ist niemand schuld, nur die Zeit selbst." haben mich z.B. sehr beeindruckt. Levit ist so herrlich bodenständig und bricht doch hier und da häufig einfach mal aus, mal mehr trotzig und kindlich, mal mehr aus Lust sich herauszufordern oder eben seine Meinung kundzutun. Und so ganz nebenbei lernt man die Musik einfach mehr zu schätzen. Durch ihn habe ich nun begonnen klassische Stücke zu hören und auf mich wirken zu lassen. Und wenn man dann immer an seine Worte denkt, ergibt es so ein herrlich bewegendes Gesamtbild, das mich emotional zwar hin und wieder auch überfordert, aber auch neugierig macht. Ich kann dieses Buch so auch in keine Schublade packen, es ist mehr ein verbindendes Element zwischen der Musik, der Emotion, unterschiedlichsten Gedanken und den Herausforderungen der heutigen Zeit. Und dann ist da eben noch Levit, der einem fast freundschaftlich aus seinem Leben erzählt, von Höhen und Tiefen berichtet, teilweise gar eine Vorbild- und Mut-mach-Funktion einnimmt.

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