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Veröffentlicht am 17.01.2021

Ein heilsamer Roman über "Die Farbe von Glück" und die wirren Wunder des Lebens.

Die Farbe von Glück
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Clara Maria Bagus hat sich in "Die Farbe von Glück" vielen essentiellen Fragen über das Schicksal, das Glück, die Liebe, das große Ganze und das Ankommen gestellt. In ihrem Roman geht es um die Geschichte ...

Clara Maria Bagus hat sich in "Die Farbe von Glück" vielen essentiellen Fragen über das Schicksal, das Glück, die Liebe, das große Ganze und das Ankommen gestellt. In ihrem Roman geht es um die Geschichte dreier Familien und einen 'Eingriff' ins Schicksal, der das Leben aller auf wundersame Bahnen lenkt. Louise und Jules, ein Paar, dem ihr sehnlichster Wunsch nach einem Kind schon mehrfach verwehrt wurde. Eine Erbkrankheit entriss ihnen bereits drei Mal kurz nach der Geburt ihr Kind. Doch dieses Mal muss es einfach gut gehen. Es ist Louises letzte Chance, eine weitere Schwangerschaft würde ihr hagerer Körper nicht mehr überleben. Es muss gut gehen.
Als dann ein weiteres, sterbenskrankes Mädchen das Licht der Welt erblickt, sieht Jules keinen anderen Ausweg und zwingt die Dienst habende Krankenschwester Charlotte dazu, ihr Kind gegen das gesunde Mädchen einer anderen Familie zu tauschen. Als einer der angesehensten Richter der Stadt, droht er ihr damit, ihr sonst ihren Pflegesohn Antoine zu entziehen. Dieser hat bereits in seinem jungen Leben großes Leid erfahren und bedeutet Charlotte einfach zu viel, um ihn jetzt einfach so aufzugeben. Sie kommt der verzweifelten Bitte nach, gibt ihren Job als Krankenschwester auf und begibt sich mit Antoine auf die Reise in ein neues Leben. Doch das vermeintliche Glück ist nur von kurzer Dauer. Bereits kurz nach der Tat bereut Jules was er getan hat und muss nun mit einem Geheimnis leben, das ihn nicht nur quält und förmlich zerreißt, sondern auch seine Beziehung auf eine harte Probe stellen wird.

"Ob es das Leben gut mit uns gemeint hat oder nicht, wissen wir niemals im Moment selbst, sondern erst viele Jahre später. Manchmal kann sich ein Schlag des Schicksals im ersten Moment schlimm anfühlen und sich im Nachhinein als Glücksfall erweisen. Das Leben nimmt die sonderbarsten Wendungen."

Die Bücher von Clara Maria Bagus sind für mich immer wieder etwas ganz besonderes. "Vom Mann, der auszog, um den Frühling zu suchen" habe ich damals schon sehr gerne gelesen und das Buch hat mich durch eine nicht gerade einfache Zeit begleitet. Und ein ähnliches Gefühl hatte ich nun auch mit ihrem neuen Buch. Ihre Romane sind immer so eine Mischung aus einem Lebensratgeber mit zahlreichen Weisheiten und Impulsen, einer begleitenden Geschichte und einem Hauch Spiritualität. Alles was im Leben passiert, auch wenn wir den genauen Grund für unser momentanes Leid oder unsere Zweifel nicht immer erkennen, kann sich positiv auf unser Leben auswirken. Manchmal bedarf es einer anderen Sichtweise oder man benötigt einfach ein bisschen Zeit und Klarheit. Sich im Leben zu finden, mehr zu leben und auch den Tod zu akzeptieren sind die großen Themen in unser aller Leben, mit denen wir uns von Zeit zu Zeit auseinandersetzen (müssen). Und ja, es ist nicht einfach und doch schafft gerade diese Autorin es immer wieder mit ihren Geschichten eine unglaubliche Wärme und irgendwie auch Trost auszustrahlen. In "Die Farbe von Glück - Ein Roman über das Ankommen" dreht sich vieles um das unwiderrufliche Schicksal, die Schuld und das Gewissen. Es geht darum Dinge aus mehreren Perspektiven zu sehen, andere und ihr nicht immer ethisch und moralisch korrektes Verhalten zu verstehen, Geschehnisse anzunehmen, ohne zu bewerten. Verstehen, der wahrscheinlich größte Schlüssel für ein friedvolles Miteinander. Verstehen, um bei sich und im Jetzt anzukommen.
Wolfgang Herles sagte über dieses Buch "So zärtlich hat noch niemand vom Glück erzählt, das aus Unglück wächst. Eine federleicht und doch psychologisch raffinierte Reise ins magische Reich der Seele. Traurig und tröstlich zugleich. Ein großes Geschenk." Und dem hätte ich dann beinahe auch nichts mehr hinzuzufügen. Ich habe mir in diesem Buch viele Stellen und Weisheiten markiert, habe das Gelesene häufig sehr geliebt, gehofft und auf einzelne Situationen meines Lebens übertragen. Clara Maria Bagus hat mich mit ihrer Geschichte bewegt, mit ihren Charakteren sensibilisiert und auf andere Ansichten, Schicksalsfälle, Nöte aufmerksam gemacht - eben jenes, das man aufgrund seines eigenen Denkens und vielleicht auch Leids, häufig aus den Augen verliert.

"Wir sehen nur, was bereits in uns ist. Und das, was unmittelbar vor uns liegt. Auch ich bin ein solcher Blindgänger. Und das Traurige ist, dass wir die richtigen Einsichten meist erst haben, nachdem wir sie gebraucht hätten."

Auch wenn, diese Geschichte so durch und durch stimmig und toll ist, so haben mich gerade die letzten 50 Seiten etwas enttäuscht, wobei selbst das recht hochgegriffen ist. Die Auflösung und das Ende waren für mich zu 'zufällig' gewollt. Obwohl man bereits seit dem Weggang Charlottes und der stets wachsenden Reue von Jules ein erneutes Aufeinandertreffen erwartet, so war es in diesem Moment, mit all seinen Auswirkungen, doch ein Hauch zu viel... aber selbst das, kann man dann am Ende auch irgendwie verzeihen. Begegnungen können so viel auslösen. Manchmal unbedacht, manchmal hinterlassen sie auch etwas in uns, was uns ein Leben lang begleiten wird. Wir alle beeinflussen uns und unsere Leben ständig gegenseitig. Und Clara Maria Bagus Talent ist es eben, gerade im richtigen Moment, die richtigen Worte zu finden. Ihr Roman hat jeden Zweifel und Gedanken, gerade zu dieser sehr komischen Zeit, etwas optimistischer und wärmer gemacht. Ein tolles Buch, für alle Denker, die dem Leben vertrauen, ans Schicksal glauben und mal so etwas wie Trost brauchen.

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Veröffentlicht am 17.12.2020

"Wer auf dich wartet" - ein Videocall mit Folgen

Wer auf dich wartet
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Stell dir vor, du würdest abends vor deinem Rechner sitzen, um mit deinem Freund/deiner Freundin zu skypen. Doch statt einer netten Plauderei erwarten dich die Szenen eines Einbruchs und Gewaltakts. Du ...

Stell dir vor, du würdest abends vor deinem Rechner sitzen, um mit deinem Freund/deiner Freundin zu skypen. Doch statt einer netten Plauderei erwarten dich die Szenen eines Einbruchs und Gewaltakts. Du sitzt hilflos vor deinem Bildschirm, während auf der anderen Seite jemand um sein Leben bangt. Kämpft. Verliert. Krasse Vorstellung? Ja, finde ich auch und dann gar nicht mal so utopisch.

Genau dieses Szenario ist Adain Poole in Gytha Lodges Roman "Wer auf dich wartet" passiert. Er wollte mit seiner Freundin Zoe skypen, doch dann ein Schatten, Kampfgeräusche, plötzliche Stille. Anonym wendet er sich an die Polizei in Southampton und versucht ihnen vom vermeidlichen Verbrechen zu erzählen, doch wo genau sich das Gesehene zugetragen hat, weiß er nicht. Und die ganze Wahrheit sagen? Puh… Als die Polizei dann etwas später über einige Umwege Zoes Wohnung betritt, finden sie nur noch ihre Leiche. Fragen und Ungereimtheiten tauchen auf. Warum wollte Adain Poole der Polizei seinen Namen verheimlichen? Wieso wusste er nicht wo seine Freundin wohnt? War er es vielleicht selbst und versucht nun seine Tat zu vertuschen? Wie sieht es mit Zoes Freunden aus? An sich war sie sehr beliebt, aber irgendwas scheint faul zu sein. Wieso hat Felix, ihr Vermieter und irgendwie auch Freund, einen Schlüssel für Zoes Wohnung und kennt bereits im Vorfeld jeden Ermittlungsschritt? Auch Victor empfindet etwas für Zoe und kann sich nicht immer zurückhalten. Und ihre recht labile Freundin Angeline? Oder Maeve, ihre ehemalige Mitbewohnerin, die auf Aidan ein Auge geworfen hat? Und was ist mit… Warum war … Wieso … Ach, lest es einfach selbst.

"Sie hatten es also mit drei ungelösten Fragen zu tun: drei Stunden nicht belegter Zeit, einer unbekannten Person, die vor Zoes Haustür gewartet hatte, sowie einer zweiten (oder möglicherweise derselben) unbekannten Person, die zwei Stunden vor dem Mord einen Streit mit Zoe gehabt hatte."

Ich muss nun zugeben ich habe mich sehr auf dieses Buch gefreut. Bereits im letzten Jahr habe ich Gytha Lodges Krimi "Bis ihr sie findet" mehr als gern gelesen und dieses Verwirrungsspiel zwischen den sechs ehemaligen Freunden und dem großen Rätsel, wer von ihnen nun verantwortlich für den Tod Auroras war, geliebt. Gerade durch das ständige Hin und Her, die Befragungen, die zwei Zeitebenen und die vielen Möglichkeiten konnte Lodge die Spannung bis zum Ende hin aufrecht erhalten und sie kam dabei so ganz ohne blutiges Gemetzel aus. (Falls jemand mehr wissen mag, hier geht's zur Rezension). So etwas ähnliches habe ich nun auch bei "Wer auf dich wartet", dem zweiten Fall für Detective Chief Inspector Jonah Sheens und sein Team erwartet. Und ja, es ist auch eine Art Fortsetzung, doch über die Ermittler und ihre angedeuteten Probleme aus dem ersten Band und das Privatleben erfährt man in diesem Teil nur sehr wenig. So betrachte ich dieses Buch nun eher losgelöst und fokussiere mich mehr auf den Fall. Zunächst fand ich die Idee hinter den über Skype beobachteten Einbruch und Mord an Adians Freundin sehr spannend und klug gemacht. Ähnlich das erneute Spiel mit den Möglichkeiten, die doch recht zahlreichen Tatverdächtigen und ihre Probleme scheinen Lodges Krimis auszuzeichnen. Doch dann machte sie einen kleinen Fehler oder ich konnte einfach eins und eins zusammenzählen und habe den Fall auf den ersten einhundert Seiten gelöst. Zumindest hatte ich recht schnell einen Verdacht und als dann ein gewisses Stichwort fiel war es für mich eindeutig. Lodge versucht zwar im weiteren Verlauf mehrere Möglichkeiten anzudeuten, Finten zu legen, das Geschehene etwas zu vertuschen und die Ermittler in verschiedene Richtungen zu schieben, aber es nutzte nichts. Ich kann nun sagen, ich habe dieses Buch gern gelesen und es hat vom Aufbau und Ermittlungsstil sehr viel Ähnlichkeit mit ersten Teil. Ihre Krimis sind toll und ich würde nun jedem, der mal etwas spannenderes ohne Gemetzel, blutrünstige Mordfälle, aber dafür mit vielen privaten Geschichten und Verstrickungen zwischen Freunden lesen möchte, diese Krimireihe in die Hand drücken. Ich hoffe jetzt nur, dass nicht jeder gleich auf Anhieb den Verdacht hat den Täter/die Täterin enttarnen zu können, aber selbst dann ist es wirklich noch sehr gut gemacht.

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Veröffentlicht am 16.11.2020

Fabio Geda über das Leben, das Schicksal und seine Möglichkeiten

Ein Sonntag mit Elena
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Ich glaube wir alle kennen das Gefühl, dass die Zeit rast, wir einfach immer älter werden, weiter kommen wollen und dabei irgendwie den Sinn und die tägliche Chance auf einen Neuanfang aus den Augen verlieren. ...

Ich glaube wir alle kennen das Gefühl, dass die Zeit rast, wir einfach immer älter werden, weiter kommen wollen und dabei irgendwie den Sinn und die tägliche Chance auf einen Neuanfang aus den Augen verlieren. Irgendwann ist alles festgefahren, wir haben unsere Strukturen gefunden und folgen unserem täglichen Trott und dann? Dann gerät alles so ein bisschen aus den Fugen, für viele ist es der Eintritt in das Rentenalter und der damit verbundenen Aufgabe des Alltags oder es ist der Verlust des Partners/der Partnerin und die Abnabelung der Familie. Alles passiert schrittweise im Leben und dann prasselt irgendwann die Einsamkeit auf uns herab.

“Es stimmt schon, die Zeit tut das ihre. Man könnte es Evolution nennen. Wir mutieren, ohne es zu merken, jeden Tag ein bisschen, derweil wir damit beschäftigt sind, zu leben, Rechnungen zu bezahlen oder Urlaube zu buchen.”

Ähnlich ergeht es dem siebenundsechzig jährigen Witwer in Fabio Gedas Roman Ein Sonntag mit Elena. Früher reiste er als Ingenieur durch die Welt, baute Brücken und Überführungen, lebte, liebte und jetzt? Jetzt sitzt er allein in seiner Turiner Wohnung. Seine Frau starb vor gerade einmal acht Monaten bei einem tragischen Unfall und seine Familie hat sich in alle Richtungen verteilt. Sein Sohn Alessandro lebt im Ausland, die jüngste Tochter Gulia spricht nicht mehr mit ihm und auch seine älteste Tochter Sonia hat kaum noch Zeit für ihn. Als sie ihn nun mit ihrer Familie besuchen will , bereitet “Papa” zum ersten Mal gefüllte Zwiebeln zu. Doch zu dem geplanten, gemeinsamen Mahl soll es gar nicht erst kommen, denn Sonias Tochter stürzt von einem Kaki-Baum, als sie ihrem Opa einige Früchte pflücken wollte und muss nun im Krankenhaus untersucht werden. Da sein Auto leider in der Werkstatt ist, er nun das Mahl für fünf Personen völlig umsonst gekocht hat, entschließt er sich kurzerhand spazieren zu gehen. Langsam wird ihm dabei bewusst, dass er vieles falsch gemacht und sich nur selten mit dem wirklich Wichtigen auseinandergesetzt hat. In der Nähe des Skateparks trifft er dann zufällig auf Elena und ihren Sohn Gaston, und ohne dass er es ahnt, ist es eine Schicksalsbegegnung, die einfach alles verändern soll und damit ist ausnahmsweise mal nicht der Anfang einer neuen Liebe gemeint.

“Wissen Sie […] wenn die Menschen sich aus anderer Leute Angelegenheiten raushalten, dann tun sie das meist nicht, weil sie gut erzogen sind oder ihrem Gegenüber nicht zu nahe treten wollen, sondern um sich selbst einen Gefallen zu tun […] denn sobald man eine Frage gestellt und eine Antwort bekommen hat, kann man nicht mehr so tun, als wäre nichts. […] Dann hängt man mit drin.”

Diese Geschichte war für mich etwas ganz besonderes. Ich habe dieses Buch zu einer Zeit gelesen, als ich mich oft gefragt habe und das eigentlich immer noch tue, wie alles weitergehen soll und ob der jetzige Weg, der richtige für mich ist. Und irgendwie hat mir Gedas unaufgeregte und ruhigere Geschichte da sehr gut getan. Es ist oder eigentlich könnte man es auch einfach einen einfühlsamen Lebensratgeber nennen, denn Fabio Geda erzählt hier von einer zufälligen Begegnung, die beinahe alles wieder ins Rollen bringt und zeitgleich viele verschiedene Themen, wie verschiedene Blickwinkel einer Situation, andere Kulturen, Vorurteile, Herzensbildung, Leben, Sorgen, Abhängigkeiten, Einsamkeit, Erinnerung… streift. Ohne nun zu viel erzählen zu wollen, ist dieser Roman ein Zeuge einer schicksalhaften Begegnung an einem Tag, an dem sich mehrere Menschen einsam gefühlt haben und das Leben ihnen einen kleinen Schubs in die richtige Richtung gibt. Man muss dem Leben mehr Vertrauen schenken und jeden Moment und Hinweis nutzen, ohne stets das große Ganze verstehen zu wollen. Jeder Rückschlag ist gleichzeitig die Chance einen Neuanfang zu wagen, zu verzeihen oder einfach das Leben so zu leben, wie man es wirklich möchte.

Mit dieser kleinen, feinen Geschichte hat Fabio Geda mich sehr bewegt und zum Nachdenken gebracht und darüber bin ich sehr froh, zumal ich seinen letzten Roman nicht ganz so begeistert beendet habe. Dieses Buch ist wieder so ganz versöhnlich, anders und bereichernd. Und ich glaube, es ist eins dieser locker, leichten Bücher, die man einfach immer mal wieder lesen kann und beinahe in jeder Lebenssituation eine Stütze sind. Es ist nie zu spät, Hauptsache du fängst einfach irgendwann damit an.

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Veröffentlicht am 16.11.2020

Eine sehr spezielle, tabulose Erinnerung an die Nachkriegszeit

Omama
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Wenn es um die Zeit nach dem Krieg geht, erinnere ich mich an Erzählungen meiner Großeltern, die damals geflüchtet sind, sich vor den Russen versteckt haben und sich auch heute noch über jeden Kriegsfilm ...

Wenn es um die Zeit nach dem Krieg geht, erinnere ich mich an Erzählungen meiner Großeltern, die damals geflüchtet sind, sich vor den Russen versteckt haben und sich auch heute noch über jeden Kriegsfilm aufregen können. Erinnerungen sind da sehr individuell und speziell, manchmal etwas schärfer, gewaltiger, trauriger oder auch traumatischer.
In "Omama" erzählt die Kabarettistin Lisa Eckhart nun leicht biografisch, ganz schön überspitzt von ihrer Großmutter Helga und eben solchen Erinnerungen. Dieser Roman ist dabei so eine Aneinanderreihung verschiedener Anekdoten und Lebensabschnitte, die von ihrer Großmutter und deren Schwester erzählen. Teils moralisch hinterfragend, schmunzelnd, ungläubig oder einfach nur kopfschüttelnd begibt sich der Leser auf einen wahrlichen Ritt durch alle Bereiche, in denen Eckharts Protagonisten von Angst und Russen getrieben, aufreizend um Anerkennung buhlen oder eben auch skurrilen Ideen Folge leisten. In wie weit das nun alles der Wahrheit entspricht oder im Stile Eckharts bewusst polarisierend aufgearbeitet wurde, sei mal dahingestellt. Das was jedoch sicher ist, ihre Omama hatte ein sehr, sehr aufregendes Leben.

"Es mangelt weiß Gott nicht an Autoren, die sich an der eigenen Familie vergehen. Das Leben schreibt nämlich die besten Geschichten, sagen die heillosen Naturalisten, wann immer es ihnen an Einfällen fehlt. Besonders die Kaste der Großeltern ist ein beliebtes Sujet vieler schriftelnder Enkel. Und ganz gleichgültig, welche Epoche - jede Erzählung von Großeltern hebt stets mit einer schweren Zeit an. Eine Zeit der Entbehrung, des Hungers, der Not, welche zu lichten Horizont blickt, dem Horizont des Enkelglücks."

Wer mit Lisa Eckharts Art des Erzählens klar kommt und mal nach etwas anderem sucht wird mit diesem Roman sicherlich ganz gut bedient. Für mich selbst war das Lesen recht schnell sehr anstrengend. Ich habe ständig Frau Eckhart im Ohr gehabt und dachte immer häufiger daran, dass in diesem Fall ein Hörbuch vielleicht sogar die bessere Wahl gewesen wäre. Sie ist speziell und auch ihr Roman ist sehr eigen. Sie verwendet hier und da recht hochgestochene Worte oder haut bitterböse, sarkastische, platte Aussagen heraus. Sie spielt mit den Vorurteilen der Menschen, mit der Geschichte und eigentlich auch dem, was jahrelang im deutschen Raum gang und gebe war. Da brauchen wir jetzt auch Jahre später nicht so tun, als wäre es nicht so gewesen oder wirklich weit hergeholt. Es war so. Und ja, der Ton ist rau, sehr direkt und manchmal auch so ein bisschen drüber. In ihrem Kabarett spielt sie genau mit diesen Archetypen, den überzogenen, diffamierenden und zum Teil auch verachtenden Aussagen, die einen als Zuhörer verstören, im Halse stecken bleiben und eben auch zum Nachdenken bringen. Lisa Eckhart nähert sich auf ihre bekannte polarisierende, überzogene Art in ihrem Roman der Nachkriegsgeschichte an und entweder mag man es dann oder man will sich gerade über ihre gemeine Rotzigkeit, die eben nicht alles schön redet oder abschwächt, aufregen. Die aufgekochte Diskussion und die Reaktionen rund um das Hamburger Harbourfront, über ihr Bühnenprogramm und sie als Person, der Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie ... unterstellt wird, kann ich daher auch nur zum Teil nachvollziehen. Aber irgendwie ist es auch ein Teil der deutschen Verdrängungskultur geworden, gerade gegen solche Überspitzungen vorzugehen. Als Kunst, so wie Satire, Kabarett, Film und Co auch eine Form der geduldeten Kunst ist, finde ich diesen Roman insgesamt recht klug, aufreibend und sehr, sehr böse, aber eben auch sehr direkt. Und gerade durch diese überspitzte Darstellung, von der sie sich im Prolog mit den Worten "Es bleibt dem Leser überlassen, ob er diese Biografie als Hommage oder als Rufmord erachtet. Ich vermag darüber nicht zu urteilen. Wenn ich von meiner Großmutter erzähle, so zeichne ich in jedem Falle keinen von Krieg und Besatzung geprägten, von Ehen enttäuschten, vom Alter gerächten, tätschelnden, verhätschelnden Archetyp des weisen Ahnen." begründet und distanziert, macht diesen Roman aus, lässt den Leser manchmal schlucken, erneut an die damalige Zeit denken oder auch, ich gebe es zu, über einige Äußerungen herzhaft lachen und das zeichnet (auch wenn man nicht immer mit allem einverstanden ist) für mich dann irgendwie auch gute Literatur aus.

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Veröffentlicht am 11.08.2020

Die letzte Reise eines wahren Künstlers

Der letzte Satz
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Für mich ist es sehr schwierig für Robert Seethalers Roman "Der letzte Satz", in dem es um die letzte große Reise und das Leben des Dirigenten Gustav Mahlers geht, Worte zu finden. Es ist ein sehr dünnes ...

Für mich ist es sehr schwierig für Robert Seethalers Roman "Der letzte Satz", in dem es um die letzte große Reise und das Leben des Dirigenten Gustav Mahlers geht, Worte zu finden. Es ist ein sehr dünnes und recht luftig gesetztes Buch. Es sind die Gedanken und der Rückblick auf das Leben eines der berühmtesten jüdischen Komponisten, Dirigenten und Wegweisers des musikalischen Theaters der Spätromantik. Gustav Mahler lebte von 1860 bis 1911 und gehörte womöglich zu den bekanntesten österreichischen Künstlern seiner Zeit. Robert Seethaler hat sich nun an sein Leben herangewagt und einen sehr melancholischen letzten Blick gewährt.

"Es fühlt sich an, als hätte ich gerade erst angefangen, dabei ist es schon wieder zu Ende. So ist es also mit dem Sterben, dachte er. Stillhalten und warten."

"Der letzte Satz" erzählt von Malers Schiffsreise von New York nach Europa. Sein Körper schmerzt, seit jeher wurde sein Leben von Krankheiten geprägt, doch nun scheint es dem Ende entgegen zu gehen. An Deck des Schiffes erinnert er sich an die Höhepunkte seines Lebens, sinniert über die letzten Jahre, den Tod seiner Tochter Maria, die Schwierigkeiten mit seiner Frau Alma und denkt an seine Tochter Anna, die gerade ein Deck unter ihm beim Frühstück sitzt.

"... ich kann es nicht mehr hören. Ich habe es satt. Deine Launen. Deine Krankheiten. Dein Benehmen in Gesellschaft. Deine Wutausbrüche, deine Eifersucht, deinen grenzenlosen Egoismus. Ich habe mich in ein Kind verliebt, aber eine Frau braucht mehr als ein Kind an ihrer Seite!"

Für mich ist es sicherlich nicht das beste Buch Seethalers. Ich hatte bereits bei dem Vorgänger "Das Feld" so einige Bedenken und irgendwie setzte sich das mit seinem neuen Roman fort. Es ist ein wie gewohnt recht ruhiges Buch. Klare, direkte Worte umsäumt von sehr poetischen Gedanken. Das Leben, der Tod, die Trauer, ja, auch die Melancholie spielen bei Seethaler immer eine große Rolle und nachdem er bei "Das Feld" den Toten Gehör verschaffte und sie damit quasi wieder ein Stück weit zurückholte, geht es gerade hier um das nahende Ende. Doch was aus dieser Idee entstand ist dann irgendwie eher mau. Die Schiffsfahrt eines alten, an einer Herzmuskelentzündung leidenden Mannes, der punktuell auf sein Leben, die Liebe und sein Wirken zurückblickt und doch irgendwie schon längst aufgegeben hat. Und natürlich (wie sollte es auch anders sein) hat er auch Freud getroffen und versucht bei ihm Lösungen zu finden. Man hätte aus der Biografie Mahlers so viel herausholen, sich der Bedeutung der Musik nähern und den Herausforderungen seines Lebens stellen können, doch irgendwie bleibt für mich am Ende gerade mal das Bild eines ehemals aufgeregt zappelnden Künstlers und seinem wackeligen Holzgestell, der mit dem Alter zwar ruhiger, aber auch ungeduldiger und leidgeprägter wurde, und die Aussage: „Man kann über Musik nicht reden, es gibt keine Sprache dafür. Sobald Musik sich beschreiben lässt, ist sie schlecht.“

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