Fulminanter, historischer Roman mit charakterstarker Protagonistin
Fräulein Gold: ScheunenkinderHulda Gold bzw. Fräulein Gold ist eine selbstbewusste junge Frau mitten in den Geschehnissen der 20er Jahre. Sie übt mit Leidenschaft ihren Beruf aus, denn sie ist Hebamme. So hilft sie zu Zeiten der Inflation ...
Hulda Gold bzw. Fräulein Gold ist eine selbstbewusste junge Frau mitten in den Geschehnissen der 20er Jahre. Sie übt mit Leidenschaft ihren Beruf aus, denn sie ist Hebamme. So hilft sie zu Zeiten der Inflation 1923 inmitten Berlins, Kinder auf die Welt zu bringen. Dabei trifft sie in dieser Geschichte auf die Ärmsten der Armen im sogenannten Scheunenviertel, wo sie die Geburt eines jüdischen Kindes betreut. Doch 2 Tage nach der Geburt, als sie die junge Mutter Tamar und ihren Sohn wieder besuchen möchte, muss sie leider feststellen, dass das Kind verschwunden ist. Hulda gerät aufgrund ihrer Hartnäckigkeit und Neugier zunehmend hinter den Fall und versucht die Mauer des Schweigens in der jüdischen Familie zu durchbrechen. Durch ihre Verbindung zum Kriminalkommissar North erfährt sie außerdem von grausamen „Kindermaklern“ und gerät durch ihre unerschöpfliche Suche nach dem kleinen Jungen schlussendlich auch wieder selbst in Gefahr.
Anne Stern hat nun das zweite Buch zur Fräulein Gold- Reihe veröffentlicht. Die Autorin war mir bereits durch die Lektüre des ersten Bandes bekannt und ich habe mich auf dessen Fortsetzung sehr gefreut. Wieder ist das Cover des Buches und auch die gesamte Buchaufmachung (dieses Mal mit rosé-goldener Farbe) sehr edel gewählt und das Buch fällt direkt auf. Die auf dem Cover abgebildete junge Frau im Kleidungsstil der 20er Jahre mag man sich gerne wieder als Hulda Gold vorstellen. Neben diesen reinen Äußerlichkeiten gelingt es Anne Stern sprachlich erneut vortrefflich Hulda Gold darzustellen. Vor dem geistigen Auge entsteht unweigerlich erneut das Berlin der 20er Jahre und sofort fühlt man sich wieder zurückversetzt und erinnert sich an den ersten Teil der Trilogie. Bemerkenswert ist wieder die historische Einbettung aller Ereignisse in die fiktive Geschichte der Hulda Gold. Man riecht förmlich den Gestank im Scheunenviertel, man sieht zerlumpte Gestalten, die sich um Essen streiten. Man sieht Leute mit Säcken voller entwerteter Geldscheine. Man sieht Armut, Hunger und Not. All dies wird äußerst prägnant beschrieben. Sehr lehrreich waren für mich zudem die ersten Entwicklungen hinsichtlich des Judenhasses von den sogenannten „Völkischen“, sowie deren Aufbau zu einer Vereinigung und der Unterwanderung der Polizei sowie der Umstand, dass es bereits 1923 ein Pogrom in Berlin gegeben hat. Dies war mir vorher nicht bekannt. Mittlerweile wissen wir, dass es bis zur eigentlichen Machtergreifung der „Braunen“ nur noch 10 Jahre sind bzw. es im schlimmsten Fall bereits 1923 durch den Putsch Hitlers funktioniert haben könnte mit deren Machtübernahme. Ich finde diese Tatsachen erstaunlich und verstörend zugleich.
Weiterhin hat mir sehr gut gefallen, dass es dieses Mal mehr Einblicke in die Arbeit der Hebamme gegeben hat, auch in puncto Fehlgeburten und Geburtsschwierigkeiten. Das fand ich genial beschrieben; auch der Umstand, dass bereits damals die Ärzte darauf drängten, die Frauen zur Entbindung in ein Klinikum zu schicken, da das viel sicherer sei. Mittlerweile wissen wir auch da, dass es im Klinikum oft so unnötigen Interaktionen und Problemen gekommen ist und dass die Arbeit einer Hebamme einfach unersetzlich bleibt, vor allem auch hinsichtlich der Vor- und Nachsorge. Solch eine unersetzliche Frau ist eben Fräulein Gold. Sie ist eine hervorragende Persönlichkeit und sie kümmert sich selbstlos um „ihre“ Frauen.
Mein Fazit:
Auch der zweite Teil der Fräulein Gold-Reihe verspricht beste Unterhaltung und es ist wieder ein Buch, welches man nur schwer aus der Hand legen kann. Es macht sehr viel Freude, Hulda Gold durch Freud und Leid in den äußerst schwierigen Zeiten zu begleiten. Ich freue mich auf Band 3!