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Veröffentlicht am 29.07.2022

Beklemmend, verstörend, enervierend

Die Arena
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Paris ist nicht so schön, wie es scheint. Vielmehr ist es eine zerrissene Stadt, voller Hoffnungslosigkeit, Elend und verpfuschter Träume. Das wird spätestens mit dem Buch „Die Arena“ von Négar Djavidi ...

Paris ist nicht so schön, wie es scheint. Vielmehr ist es eine zerrissene Stadt, voller Hoffnungslosigkeit, Elend und verpfuschter Träume. Das wird spätestens mit dem Buch „Die Arena“ von Négar Djavidi deutlich. Da ist Benjamin, der es geschafft hat, der seinem Viertel entkommen ist, aber einen hohen Preis dafür zahlt, dass er die Karriereleiter eines beliebten Streamingdienstes weit nach oben geklettert ist. Von seiner Mutter, die ihn allein aufgezogen hat, hat er sich entfremdet. Beide sind unfähig, sich gegenseitig zu zeigen, wie viel sie sich immer noch bedeuten. Da ist so viel Stille, so viel Ungesagtes, so viel Missverstandenes, dass es einen schon beim Lesen traurig macht.
Ständig steht Benjamin unter Strom, beobachtet sich, seine Wirkung auf die Chefetage, will gefallen, funktionieren, hat Angst davor, eher heute als morgen ersetzt zu werden. Das ist kein Leben, auch wenn es besser ist als das der Migranten, die in Zelten an der Seine vor sich dahinvegetieren, wenn ihre Lager nicht während einer Razzia von der Polizei aufgelöst werden, sodass sie auch noch das Letzte verlieren. Da ist Asya Badar, eine türkischstämmige Polizistin, die sich jeden Tag aufs Neue in einer rauen Männerwelt behaupten muss. Sie hat viel geschafft, ist den Zwängen ihrer Familie entflohen, steht aber plötzlich im Zentrum der viralen Aufmerksamkeit, als ein Fußtritt per Video um die Welt geht, mit dem sie einen Toten aufwecken wollte. Gedreht hat es ein junges Mädchen, das für kurze Zeit im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, deren zweifelhafter Ruhm aber schnell wieder verpufft. Alle Protagonisten jagen ihren Träumen hinterher, sind miteinander verbunden. Für den einen oder anderen enden sie schneller als gedacht, beispielsweise für einen 16-jährigen Jungen, den seine Mutter aus dem Haus scheucht, weil er sich seit Tagen dort verkrochen hat.
Négar Djavadi nimmt den Leser mit in ein Paris des Entsetzens, der Hoffnungslosigkeit, weitab der Touristenströme und kitschiger Postkarten. Es ist kein Buch, das sich Seite für Seite einfach so weglesen lässt. Dafür steckt zu viel zwischen den Zeilen, den Botschaften, die Négar Djavidi immer wieder einstreut. Atmosphärisch dicht, sprachlich elegant, schildert sie verschiedene Milieus und zeigt die Unzufriedenheit der Menschen, die auch vor gutsituierten Parisern keinen Halt macht. Zwangsläufig vergleicht man die verschiedenen Charaktere, ihre Schicksale und erkennt, wie profan die eigenen kleinen Probleme doch sind.

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Veröffentlicht am 04.01.2017

Das Lazarus-Syndrom – Spannend, beklemmend und verwirrend

Das Lazarus-Syndrom
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Das Lazarus-Syndrom beginnt vielversprechend. Hauptfigur ist Joe – The Butcher. Den grausigen Spitznamen hat er seinem Job zu verdanken: Er entnimmt Sterbenden Organe, damit andere Schwerkranke weiterleben ...

Das Lazarus-Syndrom beginnt vielversprechend. Hauptfigur ist Joe – The Butcher. Den grausigen Spitznamen hat er seinem Job zu verdanken: Er entnimmt Sterbenden Organe, damit andere Schwerkranke weiterleben können. Er ist hochprofessionell, brillant und ein ständig besoffenes Ekelpaket. Einer der Gründe, warum seine glänzende Mediziner-Karriere den Bach runterging. Ohne viel Federlesens nimmt Guido M. Breuer den Leser mit in die Welt der Organtransplantationen, mit der man sich – ist man nicht betroffen - nur ungern intensiv auseinandersetzt.
Schon auf den ersten Seiten entsteht eine Betroffenheit, die ihres gleichen sucht. Schonungslos und ganz ohne Weichzeichner schildert der Autor die Organentnahme an einer jungen Frau. Er nimmt den Leser mit in eine Welt des Schmerzes und der Verzweiflung, eine schockierende Welt, in der der Tod des Einen das Weiterleben eines anderen bedeutet.
Detailliert beschreibt Guido M. Breuer den blutigen Ablauf: Man ist förmlich dabei und steht mit dem Operator im OP, steht im Blut der Sterbenden. Als könnte es nicht noch schlimmer werden, bekommt die hirntote Frau Zuckungen, schlägt wie wild um sich. Wie kann das sein, fragt man sich als unwissender Leser. Und doch ist es ein bekanntes Phänomen: das Lazarussyndrom. Schockierend und doch keine Seltenheit, wie es scheint, wenn die Anästhesie versagt. Angeblich hat der Sterbende nach dem Hirntod keine Schmerzen mehr. Ist das wirklich so?, fragt man sich unweigerlich.
Das Thema ist packend beschrieben, der Schreibstil flüssig, man kann einfach nicht aufhören zu lesen. Und wer besonders gefesselt ist, fängt an, zu recherchieren. Stellungnahmen des Ethikrates, Abhandlungen zum Hirntod. Material gibt es ohne Ende.
So weit so gut. Irgendwann aber wird klar, dass bei den Organentnahmen nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Da ist der Fall eines kleinen Jungen und seiner verzweifelten Eltern. Das Entnahmeteam steigt schon aus dem Hubschrauber und ist auf dem Weg zum OP, kurz nachdem der Hirntod des Kindes festgestellt wurde. Seltsam! Aber auch der Tod eines alten Studienfreundes, der in Asien an einer 3D-Technik für künstliche Organe arbeitet und sich während einer Vortragsreise mit ihm treffen wollte, wirft Fragen auf. Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu, das wird auch Joe sehr schnell klar, der seine Tage nach dem Tod seiner schwangeren Frau vor einigen Jahren nur mit großen Mengen Whisky, Weinbrand und Wodka übersteht – Hauptsache hochprozentig.
Was steckt dahinter? Joe beginnt zu recherchieren und gerät in das Fadenkreuz eines lustlos erscheinenden Kriminalkommissars, für den er sofort ein Verdächtiger ist. Aber auch die Organmafia hat ihn zunehmend im Blick und jeder Tag wird gefährlicher, nicht nur für ihn, sondern auch für die Menschen, die ihm wichtig sind.
Ein spannendes Buch, das man nicht aus der Hand legen kann. Auch als die Handlungsstränge zunehmend verwirrender werden und unlogisch erscheinen. Dennoch bleibt am Ende ein leicht enttäuschtes Kopfschütteln, immerhin hat das Buch so gut begonnen, dass man sich wünscht, es würde auch auf ähnlich hohem Niveau enden. Das tut es leider nicht. Dennoch habe ich es sehr gern gelesen, es greift viele Fragen rund um die Transplantationsmedizin auf und bringt den Leser dazu, sich intensiver mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen. Guido M. Breuer setzt wichtige Impulse – das sollte man bei aller Kritik nicht vergessen.

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