Eine Familie, viel Unausgesprochenes...
Der Gesang des NordlichtsDas Buch zu beschreiben fällt mir nicht leicht, aber ich versuche es in passende Adjektive zu packen: berührend, traurig, ermutigend, echt, normal... Dabei soll "normal" auf keinen Fall Kritik ausdrücken, ...
Das Buch zu beschreiben fällt mir nicht leicht, aber ich versuche es in passende Adjektive zu packen: berührend, traurig, ermutigend, echt, normal... Dabei soll "normal" auf keinen Fall Kritik ausdrücken, im Gegenteil: Was mir an diesem Buch wirklich gefallen hat ist, dass es ganz ohne große aufgebauschte Dramen auskommt. Man hat das Gefühl, es könnte genau so jeden Tag passieren und ich bin mir sicher, dass der ein oder andere auch einen Teil seiner Familie beim Lesen wiedererkennt.
Zu Beginn ist man noch in Deutschland und lernt die Protagonistin Claudia kennen. Sie hat bereits mit ihrem Mann zwei pubertierende Kinder, hat Erfolg im Job und ist auf einmal ungeplant schwanger. Das wirft ihre Pläne über den Haufen, weswegen sie es erstmal für sich behält. Dann lädt ihr Vater nach Schweden in ein Ferienhaus ein, um Weihnachten zu feiern - und irgendwie ergibt sich nicht die Gelegenheit, es irgendjemanden zu sagen...
Das Setting ist dann einfach nur wunderbar: Ein Ferienhaus am See, viel Schnee und absolute Ruhe. Beim Lesen wurde ich von dem Land einfach nur gefangengenommen und wollte sofort auch hinfahren. In Schweden selbst lernt man dann auch den Rest der Familie kennen - und irgendwie scheint jeder etwas auf dem Herzen zu haben, was er aber nicht sagen kann oder will.
Am meisten beeindruckt haben mich aber die Rückblenden in die Vergangenheit, denn Claudias Vater beginnt zu erzählen, wieso genau dieses Ferienhaus so eine wichtige Bedeutung für ihn hat, dass er immer mit seinen Kindern hingefahren ist. Er erzählt vom Zweiten Weltkrieg, in dem er als Jugendlicher gekämpft hat, schließlich Fahnenflucht beging und genau an diesem Ort Unterschlupf gefunden hat.
Diese Rückblenden haben mich emotional sehr berührt, weil es eben die Geschichte eines "normalen" Soldaten ist, der die Schrecken miterleben muss, obwohl er dafür eigentlich noch viel zu jung ist. Ich hatte das Gefühl, es könnte meinem Opa genauso ergangen sein, auch wenn er damals an der Französischen Front gekämpft hat. Gesprochen wurde darüber in meiner Familie aber nie - ähnlich wie in Claudias. Denn auch sie sind überrascht, was ihr Vater alles durchgemacht hat. Denn auch wenn er nach der Flucht ein Heim in genau diesem Haus gefunden hat, lebte er doch mit der ständigen Angst, entdeckt zu werden oder fortgehen zu müssen. Beim Lesen war ich richtig dankbar, dass wir in Frieden leben und so etwas hoffentlich nie fühlen müssen.
Insgesamt ist das Buch sehr ruhig, man hat viel Raum, seinen eigenen Gedanken nachzugehen. Es ist nicht alles Gold was glänzt, auch nicht in Claudias Familie. Da gibt es die pubertierenden Kinder, die sich unverstanden fühlen. Der Großvater, der damit rechnet, das nächste Weihnachten nicht mehr zu erleben, aber es auch niemanden sagen will. Und natürlich die schwangere Claudia, die das Gefühl hat, immer an ihrem Mann vorbeizureden. Herrlich normal und unaufgeregt, aber trotzdem - oder gerade deswegen - unglaublich berührend.
Ich habe das Buch wirklich in kürzester Zeit verschlungen, weil ich es nicht mehr weglegen konnte. Das Setting, die Familie, die Erlebnisse - einfach alles hat gepasst und mir das Gefühl gegeben, dabei zu sein. Trotzdem war die Geschichte nie langweilig, sondern sehr glaubhaft. Und das, obwohl ich eigentlich mehr Thriller lese und bei Romanen schnell gelangweilt bin.
In meinen Augen ist "Der Gesang des Nordlichts" das beste Buch von Heike Frühling - deswegen gibt es 5 Sterne, ohne Diskussion!