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Veröffentlicht am 11.11.2019

Wir treffen uns im Paradies wieder

Opfer 2117
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„Auch jetzt war diese Ablenkung sein bester Selbstschutz, denn sein momentaner Gemütszustand ließ sich mit diesem giftigen Cocktail aus Verzweiflung und Apathie vergleichen, der Menschen in Schützengräben ...

„Auch jetzt war diese Ablenkung sein bester Selbstschutz, denn sein momentaner Gemütszustand ließ sich mit diesem giftigen Cocktail aus Verzweiflung und Apathie vergleichen, der Menschen in Schützengräben dazu bringt, in einer zerbombten Umgebung aufzustehen und mit offenen Armen die Kugeln des Feindes zu erwarten.“

Inhalt

Assad, der ambitionierte Mitarbeiter vom Sonderdezernat Q, entdeckt in einer Zeitung das Bild einer ihm gut bekannten Frau aus seiner eigenen Heimat, die lapidar als Opfer 2117 bezeichnet wird – sie ist eine der vielen Flüchtlinge, denen ihre Reise übers Mittelmeer nicht geglückt ist, denn sie ist tot. Doch nicht das Meer und die Umstände brachten sie ums Leben, sondern ein Mann, der ihren Tod wollte. Und Assad weiß genau, um wen es sich dabei handelt, denn seine Frau und die geliebten Töchter befinden sich ebenfalls in den Händen dieses Mannes. Assad braucht dringend die Unterstützung seines Chefs Carl Mørck, wenn er Ghaalib, seinen Erzfeind finden und vernichten will, bevor dieser ihm zuvorkommt. Und so erzählt er seinen Kollegen Episoden aus seiner Vergangenheit, die er lieber für sich behalten hätte, doch nur so gelingt es den Ermittlern, die Spur des Terroristen aufzunehmen und ihm nach Deutschland zu folgen. Assad weiß, dass er sich auf ein Spiel um Leben oder Tod einlässt und dass es nur einen Gewinner geben wird – aber viele Verlierer und Menschenopfer, wenn der Falsche siegt.

Meinung

Der dänische Bestsellerautor Jussi Adler Olsen setzt für den 8. Fall des Sonderdezernat Q auf ein hochaktuelles Thema: Die Flüchtlingskrise und die Folgen des Terrorismus, denen nicht nur ein Land, sondern ganz Europa ausgesetzt sind. Gleichzeitig kombiniert er den Fall mit einer ganz persönlichen Hintergrundgeschichte, die den undurchschaubaren Hafez-al-Asadi, besser bekannt unter dem Namen Assad ins Zentrum des Geschehens rücken. Darüber hinaus greift er auch noch einen dritten, jedoch untergeordneten Handlungsstrang auf, in dem die Mitarbeiter des Sonderdezernates gegen die Zeit arbeiten, weil ein Jugendlicher Gamer beschlossen hat, mit dem Erreichen des Levels 2117 in einem Kampfspiel einen geplanten Amoklauf zu starten und mehrere Menschen grausam hinzurichten.

Als Fan dieser Reihe ist der neueste Fall natürlich eine absolute Pflichtlektüre für mich, insbesondere weil es der Autor immer wieder schafft, nicht nur spannende Kriminalfälle zu entwerfen, sondern diese auch auf eine sympathische Art und Weise mit den Protagonisten seiner Arbeitsgruppe zu verbinden. Denn obwohl er schriftstellerisch nicht allzu brutal agiert und sich im Wesentlichen auf die Zusammenhänge zwischen den Opfern und Tätern konzentriert, kommt doch niemals der Humor zu kurz. Sein Schreibstil ist gewissermaßen einmalig und das Team des Sonderdezernats ist mir über die Jahre sehr eng ans Herz gewachsen.

Vollkommen fesselnd und sehr intensiv gestaltet er auch hier das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Assad und Ghaalib und der unwiderruflichen Tatsache, dass es nur einen geben kann und es den anderen alles kosten wird, was ihm etwas Wert ist. Und obwohl der Leser gerade in diesem Teil der Reihe sehr viel Neues und Interessantes über das Privatleben eines Mitglieds der Sonderermittlungsgruppe erfährt, fügt sich der Fall nicht ganz so geschmeidig und hochbrisant in das Gesamtergebnis ein, weil weniger die Opfer im Zentrum stehen, sondern mehr die Beweggründe der Täter. Auch die Nebenhandlung mit einem Verrückten Amokläufer, der persönliche Rache üben will ist spannend, trifft aber nicht punktgenau ins Schwarze.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen Thriller, der vielleicht nicht ganz so glaubwürdig und erschütternd wirkt, wie so mancher Vorgänger, sich aber dramatisch und aktuell profilieren kann und gerade für Fans der Reihe ein gelungenes Buch darstellt. Zahlreiche Perspektiven und mehrere Handlungsstränge sorgen für Abwechslung und Dynamik. Gespannt warte ich nun auf den 9. Fall der Reihe, auch wenn es mir etwas schwerfällt, mir vorzustellen, wie es Assad und seinen Lieben in der Zukunft ergehen wird.

Veröffentlicht am 11.11.2019

Eine Frau sucht ihren Mann

ATME!
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„Manche denken, dass man Liebe lernen kann. Dass man sie berechnen kann. Oder bestellen. Dass man an sich selber arbeiten muss. Oder an dem anderen. Dass man dafür sehr besonders sein muss. Oder so wie ...

„Manche denken, dass man Liebe lernen kann. Dass man sie berechnen kann. Oder bestellen. Dass man an sich selber arbeiten muss. Oder an dem anderen. Dass man dafür sehr besonders sein muss. Oder so wie alle. All das ist falsch. Das weiß ich. Denn das Einzige, was man wirklich braucht dafür, ist der passende Andere.“

Inhalt

Nile steht kurz vor der Hochzeit mit ihrem geliebten Ben, den sie nun bald heiraten wird. Doch während sie in einer Umkleidekabine ihr zukünftiges Brautkleid anprobiert, verschwindet Ben ohne ein Wort des Abschieds aus dem Geschäft, er geht nicht mehr an sein Handy und kehrt auch nicht am Abend nach Hause zurück. Die Polizei bleibt gelassen, als sie ihn vermisst meldet, ist doch noch kaum ein Tag vergangen, doch ihre Ängste werden immer schlimmer. In ihrer Verzweiflung wendet sie sich an Flo, Bens fast Exfrau, die sie zwar hasst, die allerdings auch die einzige zu sein scheint, der ähnlich viel an Ben liegt, wie ihr selbst. Gemeinsam, wenn auch nicht freiwillig, beschließen sie den Vermissten auf eigene Faust zu suchen und stoßen dabei auf eine heiße Spur in Bens Handykontakten. Er hat mit einem Mann telefoniert, den Nile am liebsten tot wüsste, denn er hat sie einst vergewaltigt und nun ist auch er verschwunden. Klar ist, nur einer der beiden wird wieder auftauchen und Nile hofft, das es der Richtige sein wird …

Meinung

Die Grundstory klingt sehr verlockend und der Klappentext verspricht einen psychologischen Thriller, der wie ein Vexierspiel voller doppelter Böden und verblüffender Wendungen auftritt – doch tatsächlich ist es die eigentliche Geschichte, die mich zunehmend frustriert hat. Nile ist das reinste Nervenbündel, außerdem hat sie eine gar seltsame Vorstellung von Recht und Unrecht und stürzt getrieben durch die Handlung, wüsste man nicht genau, dass sie ihren Mann sucht, könnte man meinen, dass sie selbst die Verfolgte ist. Der Schreibstil hat mir gut gefallen: eine klare, präzise Sprache, viele Cliffhänger, ein hohes Tempo – genau so stellt man sich einen mitreißenden Thriller vor. Leider bleibt dieses Plus so ziemlich das Einzige, was auf der positiven Bilanzseite aufzuführen wäre – danach verliert sich die ganze Handlung in unlogischen, an den Haaren herbeigezogenen Entwicklungen und setzt sich darüber hinaus mit traumatisierenden Erlebnissen auseinander, die ihrerseits leider nicht genügend Licht ins Dunkel bringen und viel zu wenig Aufklärungsarbeit leisten.

Fazit

Für diesen Spannungsroman möchte ich nur 3 Lesesterne vergeben, weil er wirklich nicht über den Durchschnittsroman des Genres hinausreicht. Er liest sich flott und hält den Leser bei der Stange, präsentiert aber eine vollkommen überzogene Handlung mit unsympathischen, nervigen Protagonisten, die ich mir so gar nicht vorstellen kann. Besonders enttäuscht war ich von der psychologischen Komponente, denn die ist wirklich nur stümperhaft ausgearbeitet und wirkt durch die einseitige Erzählperspektive weder fesselnd noch einladend. Abschließendes Urteil: Kann man lesen muss man aber nicht, es bietet zwar Unterhaltungswert bleibt aber dennoch blass.

Veröffentlicht am 24.10.2019

Und wenn sie nicht gestorben sind

Todesmärchen
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„Ich bilde mir sicher nicht zu viel ein, wenn ich behaupte, mich in jedes noch so kranke Gehirn hineinversetzen zu können. Mit der Methode, die ich entwickelt habe, war ich bisher jedem noch so genialen ...

„Ich bilde mir sicher nicht zu viel ein, wenn ich behaupte, mich in jedes noch so kranke Gehirn hineinversetzen zu können. Mit der Methode, die ich entwickelt habe, war ich bisher jedem noch so genialen Mörder überlegen. Bis auf einen.“

Inhalt

Maarten S. Sneijder wird von seinem alten Bekannten und Kollegen Rudolf Horowitz angeheuert, weil dieser zu einem Tatort gerufen wird, der ihn viel zu sehr an eine fünf Jahre vergangene Mordserie erinnert, bei dem er selbst so schwer verletzt wurde, dass er seitdem im Rollstuhl sitzt. Damals haben Horowitz und Sneijder den Serienmörder Piet van Loon zur Strecke gebracht, der nun in einer psychologischen Sicherungshaftanstalt einsitzt und rein logisch betrachtet, nicht wieder der Täter sein kann. Aber wer auch immer, die Mordserie nachahmt, scheint ähnlich genial wie Piet zu agieren oder gar in dessen Auftrag unterwegs zu sein. Doch den Mörder von damals und Maarten S. Sneijder verbindet noch viel mehr als ein Katz-und-Maus-Spiel in der Vergangenheit. Deshalb will der grantige Profiler, die neue Mordserie schnellstmöglich aufklären, zumal die Opfer ihm allesamt persönlich bekannt sind und es sich dabei um Menschen handelt, mit denen er auf Kriegsfuß steht. An seiner Seite ermittelt die junge BKA Angestellte Nemez, die einst Sneijders Studentin war und eine herausragende Größe ihres Jahrgangs. Schon bald entdeckt Sabine Nemez Ungereimtheiten und ahnt, das Sneijder weder die ganze Wahrheit sagt, noch den wahren Hintergrund beleuchtet, in dem er selbst keine unwesentliche Rolle spielt …

Meinung

Der österreichische Bestsellerautor Andreas Gruber thematisiert in seinem 3. Band der Sneijder/ Nemez Reihe die Märchen von Hans Christian Andersen, denn alle Ermordeten fallen einer regelrechten Inszenierung zum Opfer, bei der sich der Bezug zum jeweiligen Märchen problemlos herstellen lässt. Nachdem das Ermittlerduo diesen Knackpunkt gefunden hat, können sie sich bestmöglich auf Mörderjagd begeben, weil sie wissen, nach was sie Ausschau halten müssen. Die grundlegende Idee zu diesem Thriller gefällt mir sehr gut, die Umsetzung jedoch finde ich weniger gelungen. Mein Hauptkritikpunkt an dieser Stelle ist der Gesamtaufbau des Thrillers, denn ich hatte das Gefühl zu Vieles ist nur konstruiert, zu unrelevant sind die einzelnen Verbindungslinien und auch das Spannungsniveau steigt erst nach gut der Hälfte des Buches etwas an, während sich die Ereignisse am Ende regelrecht überschlagen und nicht minder gewollt erscheinen.

Es missfällt mir zum Beispiel, dass die Vergangenheitsgeschichte immer wieder eingeflochten wird, ohne dass man die direkte Verbindung erkennt. Ebenso fragwürdig empfand ich die inhaltlichen Ausflüge in den Hochsicherheitstrakt der psychiatrischen Einrichtung für Schwerverbrecher, denn nur ein Bruchteil der Ereignisse dort spielen für die Geschichte eine wichtige Rolle.

Und auch das Ermittlerduo Sneijder/ Nemez erfüllt nicht wirklich meine Ansprüche, denn die Hauptprotagonisten sind nicht nur eigenwillige Charaktere, die man nur schwer mögen kann, ihre Zusammenarbeit ist auch aufgezwungen und nicht frei von Lügen und Halbwahrheiten. Doch das Geflecht insgesamt hat mich stellenweise ziemlich gelangweilt und es ist müßig, nicht nur die Delikte zu hinterfragen, sondern auch noch die Menschen, die eine zentrale Rolle spielen.

Fazit

Ich vergebe gut gemeinte 3 Lesesterne, die inhaltlich eher abzurunden sind, während mir der Schreibstil doch ganz gut gefällt. Da ich dieses Jahr bereits einige Bücher aus der Feder des Autors gelesen habe, möchte ich behaupten, dies ist eines seiner schlechteren Werke, denn es fehlt mir der Bezug zum Hauptgeschehen. Trotz der Tatsache, dass es sich hier um einen äußerst persönlichen Fall handelt, der noch dazu extreme Konsequenzen nach sich zieht, bin ich am überlegen, ob ich diese Reihe weiterverfolge oder eher nicht. Für einen Spannungsroman bleibt er definitiv hinter meinen Erwartungen zurück, ein Pluspunkt ist vielleicht noch die psychologische Komponente im Mittelteil, bei dem der Leser einige Einblicke in den Kopf eines Serienmörders bekommt. Für echte Fans sicherlich lesenswert, andernfalls kann man darauf verzichten.

Veröffentlicht am 14.10.2019

Mädchen sind so

Der Sommer meiner Mutter
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„Natürlich wollte ich, dass sich die Wünsche meiner Mutter erfüllten, aber nicht, dass sich etwas an meinem Leben änderte. Und ich ahnte, dass beides zusammen vielleicht nicht möglich sein würde.“

Inhalt

Tobias ...

„Natürlich wollte ich, dass sich die Wünsche meiner Mutter erfüllten, aber nicht, dass sich etwas an meinem Leben änderte. Und ich ahnte, dass beides zusammen vielleicht nicht möglich sein würde.“

Inhalt

Tobias Ahrens ist im Sommer 1969 fast 12 Jahre alt und ein großer Fan der bemannten Raumfahrt. Für ihn gibt es nichts Schöneres als gebannt die Fernsehbilder zu verfolgen, die sich rund um den Start der Raumfähre Apollo 10 drehen. Die neuen Nachbarn, Familie Leinhardt, haben eine Tochter die nur ein Jahr älter als Tobias ist und nach und nach freunden sich die Heranwachsenden an. Ebenso wie ihre Eltern, die sich nun öfters zu Grillabenden treffen. Während Uschi und Wolf Leinhardt bekennende Kommunisten sind und großes politisches Interesse zeigen, geht es bei Familie Ahrens eher gutbürgerlich zu. Egal ob es das Essen, die Kleidung oder der Musikgeschmack sind, die Leinhards sind eben ein bisschen verrückt und definitiv ganz anders. Für Tobias eine aufregende Zeit, denn er entdeckt nicht nur sein Interesse fürs weibliche Geschlecht, nein, er nimmt plötzlich auch wahr, wie sich sein konservatives Elternhaus öffnet und vor allem seine Mutter immer mehr in den Bann der neuen Nachbarn gerät. Doch der Streit in den eigenen vier Wänden bleibt nicht aus und der Junge muss sich damit auseinandersetzen, dass sich seine Eltern immer öfter streiten und mehr aus dem Weg gehen. Er ahnt, dass sein harmonisches Familienidyll immer weiter ins Hintertreffen gerät und viele Neuerungen anstehen, doch damit möchte Tobi eigentlich gar nichts zu tun haben …

Meinung

Der freie Schriftsteller Ulrich Woelk wurde mit diesem Roman für die Longlist des deutschen Buchpreises 2019 nominiert und widmet sich dem Thema Erwachsenwerden, in Hinblick auf vielerlei emotionale Veränderungen, nicht nur im Bereich der Identitätsfindung sondern auch im Zusammenspiel und dem Funktionieren einer Familieneinheit, deren Weltbild durch äußere Einflüsse dramatisch verändert wird.

Tobias, der Ich-Erzähler ist wunderbar getroffen, ein Junge, der sich auf der Schwelle zum Mann-Sein befindet und der normalerweise in einer intakten Welt lebt und dort gerne noch ein bisschen geblieben wäre. Doch die „Mädchen“ machen es ihm unmöglich, so isoliert weiterzuleben, wie bisher. Nicht nur die ersten kleinen Liebeserlebnisse zwischen ihm und Rosa, der Tochter der Nachbarsfamilie bringen sein Gefühlsleben durcheinander, sondern auch das Zerbrechen der Elternbilder, die er bisher kannte. Plötzlich kauft seine Mutter Jeans und besucht Demonstrationen, während sein Vater gezwungen ist, das Abendessen zuzubereiten. Auch die politischen Impressionen, die er zwar nicht versteht, aber doch sehr genau wahrnimmt, lassen ihn zweifeln. Doch noch bevor er alles in eine gewisse Ordnung bringen kann, schlägt das Schicksal zu und er muss damit leben, dass seine Kindheit nun endgültig vorbei ist und seine Erfahrungen ganz andere Dimensionen erreichen.

Sprachlich fällt dieser Roman eher in die Kategorie leichte Lektüre, wobei die kindliche Erzählperspektive sehr gut getroffen wurde. Der Geschichte fehlt es nicht an Unterhaltungswert und sie entwirft ein stimmiges Bild ihrer Zeit und ebenso das der Adoleszenz, doch mangelt es ihr an etwas Besonderem, etwas was sich nachhaltig einprägt und zum Nachdenken anregt. Emotional trifft sie nicht ganz meinen Nerv, vor allem der letzte Teil der Erzählung, hätte gerne eine höhere Gefühlsdichte haben dürfen. Denn wenn Tobias als Erwachsener immer noch so sachlich und einfach gestrickt ist, wie als Teenager, dann muss seine Entwicklung irgendwo stagniert haben und leider, kann man das nur bedingt auf den Schicksalsschlag zurückführen, den er erlebt hat.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für einen entspannten Wohlfühlroman, der einfach ein stimmiges Bild in der Gesamtheit bietet. Wenn man nicht zu anspruchsvolle Lektüre erwartet, sondern einfach eine interessante Story sucht, passt dieser Roman wunderbar. Sein großes Plus: Wie denkt ein Jugendlicher, der fast noch ein Kind ist, wenn sich sein Umfeld grundlegend verändert. Und welchen Einfluss die Eltern mit ihren Handlungen tatsächlich auf ihr Kind haben, bzw. welchen nicht. Etwas mehr Tiefgang und Gefühlsdichte hätte ich mir dennoch gewünscht, denn so blieb gerade das Schicksal von Tobias Mutter, die dem Roman seinen Titel gab, etwas unbedeutend und fragwürdig.

Veröffentlicht am 14.10.2019

Alle Straßen gehörten ihm, doch er ging nirgendwo hin

Das Haus aus Stein
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„Ich war in ein endloses, einziges Jetzt gepfercht, sein Stundenzeiger war abgefallen und sein Minutenzeiger drehte sich sinnlos im Kreis. Die Stunden waren blutig gepeitscht worden und vermochten ihre ...

„Ich war in ein endloses, einziges Jetzt gepfercht, sein Stundenzeiger war abgefallen und sein Minutenzeiger drehte sich sinnlos im Kreis. Die Stunden waren blutig gepeitscht worden und vermochten ihre schwere Last nicht mehr zu tragen, keinen Schritt mehr vor und zurück zu tun, die Zeit nicht mehr von der Stelle zu bewegen.“

Inhalt

Wen es einmal in das Haus aus Stein verschlägt, der kommt nicht mehr zurück in die Welt der Unbedarften, der Optimisten, der Menschen, die nach jedem schlechten Tag einen neuen, besseren erwarten. Denn sämtliche Vorstellungen von einer Sinnhaftigkeit und einer tieferen Bedeutung des eigenen Lebens werden nach und nach ausgelöscht. Bei jedem, der die Mauern des Gefängnisses von innen gesehen hat und irgendwann die Mauern desselben Gebäudes von außen, gibt es keine Hoffnung mehr. Der Körper, die Hülle ist noch da, der Inhalt aber unwiederbringlich zerstört. Alles wird seltsam unbedeutend, Neuanfänge scheinen sinnlos und auch die Hoffnung wieder so zu werden, wie man einmal war, ist zwischen den grauen Mauern versickert …

Meinung

So klein und unscheinbar dieser Roman aus der Feder der türkischen Autorin Asli Erdoğan auch ist, so zentnerschwer und bedrückend wirkt sein Inhalt. Es ist ein tiefsinniger, umwälzender Roman, der weder gefallen möchte, noch restloses Verständnis erzwingt, vielmehr initiiert er weitreichende Gedankengänge des Lesers, der hier einen wunderbar anspruchsvollen, literarischen Text in den Händen hält, dem man sich aus diversen Perspektiven nähern kann.

Die Bewältigung eines Gefängnisaufenthalts ist einerseits sehr generalistisch und nachvollziehbar beschrieben und greift doch, sobald man die Vorgeschichte der Autorin kennt und das Nachwort gelesen hat, ganz persönlich in das Leben der Beteiligten ein. Interessant auch der Aspekt der Schuld bzw. Nichtschuld der Gefangenen. Denn seltsamerweise kommt diese Erzählung ganz ohne die Begriffe des Rechts oder Unrechts aus.

Es geht auch nicht darum, etwas zu erklären und es schönzureden, nein vielmehr konzentriert sich der Inhalt auf die Zersetzung des menschlichen Glaubens an irgendetwas, an einen Gott, an einen Menschen oder auch an das System – nur durch die Schilderung einer unbestimmten Abfolge der stets gleichen Sinnlosigkeit und Lethargie – begrenzt durch Mauern aus Stein.

Dennoch wird deutlich, wie die Gefangenen behandelt werden, das Folter als eine der vielen grausamen menschlichen Methoden angewandt wird, um die Insassen zu brechen. Und letztlich zielt der Inhalt vor allem auf den Schaden ab, den die Seele erleidet, ganz egal, was der Körper aushalten kann oder nicht.

Für diesen Roman muss man sich Zeit nehmen, er zwingt dazu aufmerksam zu lesen, gerade weil er kein klassischer Unterhaltungsroman ist, sondern eher eine philosophische Auseinandersetzung mit der Thematik und außerdem entwirft er so zahlreiche sprachliche Bilder, dass man geradezu aufgefordert wird, den Text reflektierend zu betrachten. Auch ein mündlicher Austausch über das Gelesene bietet sich hier an und ich könnte mir gut vorstellen, eine derartige Lektüre in einem Lesekreis aufzugreifen und sie in der Gruppe zu besprechen.

Fazit

Ich vergebe hochachtungsvolle 4 Lesesterne, für diesen weder leichten noch herkömmlichen Text, der intensiv und reflektierend das Unausgesprochene benennt und die Emotionen des Lesers wachrüttelt. Der ungewöhnliche Aufbau und die Fähigkeit sowohl distanziert als auch betroffen zu wirken und dem Text durch Wiederholungen, Metaphern und Leerstellen eine derartige erzählerische Dichte zukommen zu lassen, hat mir ausgesprochen gut gefallen. Sicherlich kein Buch für jedermann und irgendwie auch sehr speziell. Doch wenn man etwas sucht, was so direkt nicht zu beschreiben ist, wenn man auf die Grundsätze des menschlichen Daseins zurückgeführt werden möchte, dann sollte man unbedingt zu diesem Buch greifen. Ein Roman, der nachhallt und das Prädikat „besonders“ verdient.