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Veröffentlicht am 17.12.2021

Mein Leben, ein schmaler Tunnel in eine Richtung

Im Wasser sind wir schwerelos
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„Ich war wie ein losgemachtes Schiff, das endlich seinen Hafen verlassen hatte und dann ohne eigene Kontrolle vom Wind herumgeschubst wurde.“

Inhalt

Ludwik wächst im kommunistischen Polen der 1980 er ...

„Ich war wie ein losgemachtes Schiff, das endlich seinen Hafen verlassen hatte und dann ohne eigene Kontrolle vom Wind herumgeschubst wurde.“

Inhalt

Ludwik wächst im kommunistischen Polen der 1980 er Jahre auf und merkt schon früh, dass er homosexuell ist. Für Mädchen kann er nicht mehr als Freundschaft empfinden, ein Umstand, der erst in seinem jungen Erwachsenenleben unhaltbar wird, denn wem soll er davon erzählen und wie kann man eine gleichgeschlechtliche Beziehung überhaupt leben? Als er schließlich Janusz begegnet und endlich all seine Emotionen teilen kann, weil der andere ebenso empfindet, könnte die Welt so schön und erfüllt sein. Aber die beiden Männer haben ganz verschiedene Ansichten, während Ludwik überlegt, wie er dem engen politischen System entfliehen kann, möchte Janusz sich anpassen und einfach nur im Rahmen seiner Möglichkeiten zufrieden sein. Schnell wird klar, dass sich auf diesem Fundament keine langjährige Partnerschaft aufbauen lässt und so geht der Sommer voller Unbeschwertheit dahin und bleibt bald nur noch eine Erinnerung …

Meinung

Der Debütroman des jungen Autors Tomasz Jedrowski, konnte bereits zahlreiche Leser für sich gewinnen und wurde in Großbritannien von der Kritik gefeiert. Ich selbst bin durch zahlreiche positive Rezensionen auf diesen Roman aufmerksam geworden, der sehr melancholisch und nah am Gefühlsleben seiner Protagonisten über eine schwierige, fast irreale Beziehung berichtet. Und da ich genau solche Coming-of-Age Bücher bevorzuge, hat sich die Auswahl definitiv gelohnt.

Das große Plus der Erzählung ist nicht nur ein fließender, ausgewogener Schreibstil, der sich richtig gut lesen lässt und dennoch Ansprüche hegt, sondern die dramatische, bewegende Geschichte, die zwar voller Optimismus beginnt, sich aber bald zwischen den gesellschaftlichen Konventionen und den unterschiedlichen Lebensentwürfen zerreibt. Dadurch wirkt der Text ausgesprochen realistisch, beschönigt nichts, offenbart tiefe Gefühle und zeigt die verschiedenen Facetten einer schwierigen Beziehung, der es in gewisser Weise an Akzeptanz und Möglichkeiten fehlt.

Der Protagonist tritt als Erzähler auf, wodurch jede Szene ungefiltert und empathisch wirkt. Dieser intensive Blickwinkel, die manchmal konfrontativen Gedanken und zwischen den Zeilen eine langjährige Traurigkeit, die sich vielmehr aus der Erinnerung speist, machen es dem Leser leicht, sich zu identifizieren und Partei zu ergreifen, für einen jungen Mann, der ganz klare Werte und Präferenzen hat. Was mir nicht ganz so gut gefallen hat und das eine fehlende Sternchen zur vollen Bewertungsskala ausmacht, ist die indirekte Wahl eines Adressaten. Denn Ludwik wendet sich direkt an seinen Geliebten, schreibt kontinuierlich in der Du-Form und dadurch richtet sich jedes Wort an jenen jungen Mann, der eben nicht so eindeutig und nachhaltig zu der gemeinsamen Liebe stehen kann, wie der Erzähler selbst.

Dadurch habe ich mich trotz der offenen Erzählstruktur mit einer breiten Palette an Gedanken und einer vielschichtigen Beobachtungsgabe immer irgendwie ausgeschlossen gefühlt. Ludwik personalisiert, er sucht weder einen Ausweg noch einen Schuldigen, aber irgendwie sucht er auch nicht das Verständnis des Lesers, sondern vielmehr die Auseinandersetzung mit einer unglücklichen Liebesbeziehung, die zahlreiche Spuren hinterlassen hat.

Fazit

Ein sehr gefühlvoller, nachhaltiger Roman über eine tragische Liebesbeziehung, die die spürbare Zerrissenheit der Akteure deutlich macht und unabhängig von der Beschreibung einer homosexuellen Partnerschaft sehr intensiv die Gefühlswelt der Beteiligten beschreibt. Ich vergebe gerne gute 4 Lesesterne und eine Leseempfehlung, für ein besonderes, einprägsames Buch, dem man mit innerer Überzeugung sicher noch mehr entnehmen kann, als auf den ersten Blick erkennbar.

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Veröffentlicht am 17.11.2021

Was bleibt ist die Erinnerung

Was bleibt, wenn wir sterben
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„Man kann nicht um die Trauer herumgehen, man kann nur mit ihr oder durch sie hindurchgehen.“

Inhalt

Louise Brown war Journalistin, bevor sie durch den Tod ihrer Eltern in kurzer Folge zu ihrer Passion ...

„Man kann nicht um die Trauer herumgehen, man kann nur mit ihr oder durch sie hindurchgehen.“

Inhalt

Louise Brown war Journalistin, bevor sie durch den Tod ihrer Eltern in kurzer Folge zu ihrer Passion als Trauerrednerin fand und nun für andere Trauernde die Abschiedsreden schreibt und hält. In diesem Buch verarbeitet sie nun ihre vielfältigen Erfahrungen, die sie durch Gespräche, Gedanken und eigenes Erleben gesammelt hat und teilt sie mit dem geneigten Leser.

Meinung

Die Thematik des Sterbens, Trauerns und Abschiednehmens spricht mich persönlich immer sehr an, ich habe schon zahlreiche Bücher aus dieser Kategorie gelesen, egal ob es sich dabei um Romane handelt oder wie hier, um ein eher objektives Sachbuch. Auf gut 200 Seiten beschreibt die Autorin hier einerseits sehr persönliche Gefühle und Alltäglichkeiten, die sie im Zusammenhang mit ihrer eigenen Trauerbewältigung erlebt hat und gibt andererseits durch kurze Episoden aus dem Leben der Menschen, für die sie die Trauerrede geschrieben hat, einige allgemeingültige Aussagen und Erkenntnisse wieder.

Dieses Buch weckt eher das Verständnis für die Trauernden und deren kleine Wünsche während des schmerzlichen Prozesses der Trauerverarbeitung, welcher mit der Beerdigung längst nicht abgeschlossen ist, selbst wenn dieser Höhepunkt einen ersten Meilenstein auf dem letzten Weg manifestiert. Zwischen den Zeilen überwiegt eindeutig die Zuversicht und das Verständnis dafür, dass jeder Mensch anders trauert und unterschiedlich lange braucht, bis er wieder auf dem eigenen Lebensweg ist und beginnt weiterzuleben, selbst wenn es diesmal kein Neuanfang im herkömmlichen Sinne ist, sondern vielleicht nur eine Lebensbiegung, die man gezwungen ist, zu nehmen.

Dadurch das dieser Ratgeber in viele kleine Kapitel unterteilt ist, kann man ihn auch gut stückchenweise lesen oder in einer beliebigen Reihenfolge. Jeder Abschnitt regt zu eigenen Gedankengängen an und eröffnet die Möglichkeit, sich vielleicht schon zu Lebzeiten mit dem eigenen Lebensende reflektierend auseinanderzusetzen und bestimmte Wünsche oder Abneigungen zu formulieren. Sehr interessant fand ich z.B. den Vergleich mit der Geburt, die oftmals geplant, ja gefeiert wird und bei der die werdenden Eltern nur wenig dem Zufall überlassen möchten, während kaum einer sich bewusst Gedanken darüber macht, welche Worte auf der Beerdigung gesprochen werden sollen und an was sich die Trauergemeinde symbolisch erinnern soll. Louise Brown plädiert dafür, dass man sich mit dem Tod und dem Sterben ebenso offen und frei beschäftigen soll und darf, weil der Gesprächsbedarf unendlich groß ist und nur selten als Thematik unter den Lebenden gepflegt wird.

Ein weiterer großer Meilenstein der Lektüre ist die unabdingbare Akzeptanz der Endlichkeit des Lebens, die immer dann besonders belastend empfunden wird, wenn man enge Bindungen aufgebaut hat, wenn man geliebt hat und geliebt wurde, denn nur diese Nähe macht auch den Verlust so schwer erträglich. Andererseits sind es aber auch jene Bindungen, die uns menschlich ausmachen und ein Verzicht auf ein Leben in Liebe würde letztlich eher ein Armutszeugnis sein.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für ein gut aufbereitetes Buch, welches man immer mal wieder zur Hand nehmen kann, welches Denkanstöße bietet und im Trauerfall auch Mut zuspricht. Plädiert wird hier für einen ehrlichen, offenen Umgang mit der Trauer, die ganz verschiedene Gesichter haben kann. Etwas gefehlt hat mir nur die Emotionalität, was aber daran liegen mag, dass es sich um ein Sachbuch handelt, welches eher beratende/unterstützende Funktion haben soll. Ein eigenes Erleben ist unabdingbar und soll hier nicht näher besprochen werden. Dennoch spreche ich dem Buch einen gewissen Mehrwert zu, es begegnet dem Leser mit einer entspannten Präsenz, mit kleinen Anekdoten und schönen Worten – also definitiv eine Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 12.10.2021

Facetten der interfamiliären Entfremdung

Wenn ich wiederkomme
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„So ist es eben: Solange du nicht die Augen öffnest, geht kein Problem, keiner der Schrecken, die sich jeden Tag ereignen, mich etwas an.“

Inhalt

Manuel Matei wird als Kind von der Mutter zurückgelassen, ...

„So ist es eben: Solange du nicht die Augen öffnest, geht kein Problem, keiner der Schrecken, die sich jeden Tag ereignen, mich etwas an.“

Inhalt

Manuel Matei wird als Kind von der Mutter zurückgelassen, bei seiner großen Schwester, dem Vater und den Großeltern, denn Daniela, seine Mutter geht nach Italien, um die Familie in der rumänischen Heimat finanziell über Wasser zu halten. Ihre beiden Kinder sollen es einmal besser haben, sollen die Möglichkeit auf eine höhere Bildung bekommen und damit die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Und während Angelica Matei zu Hause die Stellung hält und in ihrer Jugend bereits die Verantwortlichkeiten einer Erwachsenen übernimmt, zieht sich der Vater immer mehr aus dem Familienalltag zurück, begibt sich schließlich als Kraftfahrer auf die Straße und kehrt seinem Zuhause ebenfalls den Rücken. Als schließlich der Großvater stirbt, sieht sich Manuel in einer ausweglosen Situation – wo nur sind seine Bezugspersonen geblieben, wohin ist seine Familie geflohen, warum sieht keiner die Probleme vor Ort und welche Chancen bleiben ihm, wenn er es nicht schafft, sie alle wieder zu vereinen …

Meinung

Auf den neuen Roman des italienischen Autors Marco Balzano war ich sehr gespannt, nachdem mich seine beiden Bücher „Ich bleibe hier“ und „Das Leben wartet nicht“ nachhaltig beeindrucken konnten. Das Dilemma einer Mutter, die sich gezwungen sieht, ihren Lebensunterhalt außerhalb der Familie zu verdienen und die damit einen schmerzlichen Trennungsprozess auslößt, ihn jeden Tag mit sich herumträgt und zwischen Bangen, Zweifeln und Hoffen auf ein Ende dieses Zustands spekuliert. Eindeutig ein interessantes Thema, mit ganz vielen Facetten, mit der unausgesprochenen Frage nach der Schuld und dem eklatanten Mangel eines direkten Schuldigen.

Und dem Autor ist es durch diesen zeitgenössischen Roman tatsächlich gelungen, mich für die Belange der Familien zu sensibilisieren, mich in ihre Lage zu versetzen und mir ein Bild zu machen über dieses fremdbestimmte, unfreiwillige Lebenskonzept jenseits der Heimat, weit weg von den geliebten Menschen. Allerdings findet dieser Prozess eine sehr sachliche, fast neutrale Umsetzung, so dass ich tatsächlich mehr die Fakten als die Emotionen verstehen konnte.

Positiv bewerten möchte ich die drei gewählten Perspektiven, die es möglich machen einen umfassenden, weil nicht nur einseitigen Blick auf das Geschehen zu erhalten. Es spricht der Sohn, der die Entscheidung seiner Mutter nicht nachvollziehen kann, es spricht die Mutter und erzählt aus ihrem Alltag in der Fremde und dem Gedankenkarussel bezüglich ihrer einsamen Entscheidung und letztlich hört der Leser die Ausführungen der älteren Tochter, die zwar die Notwendigkeit erkennen konnte, der aber nun nur ein Wunsch geblieben ist – es anders zu machen, als ihre Mutter. Die entsprechende Gesellschaftskritik wird umfassend und vielschichtig vermittelt, der Leser erkennt auf der emotionalen Ebene, wie traumatisch eine derartige Lebensweise ist und wie nachhaltig und unwiderruflich sie Familien trennt, weil sie vor allem Mütter und Kinder entfremdet und Ehen zerstört.

Allerdings berührt mich der Text längst nicht so sehr wie erhofft, weil eben so viel Wert auf eine verständnisvolle Schilderung der Umstände gelegt wird. Dieses Buch besitzt viel Allgemeingültigkeit und verzichtet dafür auf eine kleine Geschichte, die tatsächlich in die Tiefe geht und intensive Emotionen auslöst. Die Charaktere bleiben mir etwas zu blass, sie scheinen eher sinnbildlich für gewisse Rollenbilder zu stehen, denen sie wiederrum gerecht werden. Das Nachwort finde ich sehr aufschlussreich, weil darin deutlich wird, welchen Fokus der Autor gewählt hat. Dieser Roman soll der Versuch einer Wiedergutmachung sein – Marco Balzano hat den tatsächlichen Menschen hinter den hier gewählten Protagonisten zugehört, hat sich die Stimmen der Frauen und Kinder angehört, die das gleiche Schicksal teilen wie die Familie Matei und daraus seine Story geschmiedet.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Sterne für ein wichtiges Buch, welches von zahlreichen Eindrücken und Gedanken lebt. Es ist eine hervorragende Grundlage für diverse Diskussionen bezüglich gesellschaftlich relevanter Themen, die direkte Auswirkungen auf das Familienleben Einzelner haben. Mir hätte die Geschichte aber besser gefallen, wenn sie persönlicher, trauriger und emotionaler geworden wäre, meinetwegen auch etwas entfremdet zu den realen Begebenheiten, dafür mit Menschen, die ich nicht nur kennenlerne über ihre Handlungen, sondern in erster Linie über meine Identifikationsmöglichkeiten mit ihnen. Dem Autor bleibe ich treu, er wählt für mich sehr lesenswerte Geschichten, die er literarisch ansprechend umsetzt.

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Veröffentlicht am 05.08.2021

Alte Freundschaft auf der Probe

Dein ist die Lüge
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„Wir beide wissen, dass es keinerlei Garantien gibt. Sie hat sich mehrerer schwerer Vergehen schuldig gemacht und könnte jahrelang hinter Gitter kommen. Ihre Karriere bei der Polizei ist ganz sicher zu ...

„Wir beide wissen, dass es keinerlei Garantien gibt. Sie hat sich mehrerer schwerer Vergehen schuldig gemacht und könnte jahrelang hinter Gitter kommen. Ihre Karriere bei der Polizei ist ganz sicher zu Ende und ihr Ruf für immer geschädigt.“

Inhalt

Während in Ohio ein eisiger Winter die Wetterlage bestimmt und neben Kälte auch enorme Mengen an Schnee bringt, bleiben die Menschen bestenfalls in ihren Häusern und meiden jeden Gang nach draußen. So hat die Polizistin Gina Colorosa großes Glück, dass sie von einem amischen Familienvater gefunden wird, der sie trotz ihrer Schussverletzung und ominöser Umstände mit zu sich auf seinen Hof nimmt. Adam Lengacher, sucht sich Unterstützung bei Kate Burkholder, die es gerade noch so durch Eis und Schnee zu der Verletzten und ihrem Retter schafft. Kate und Gina kennen sich, waren einst gute Freundinnen und sind beide Polizistinnen, deren Lebenswege sich in den letzten Jahren allerdings gänzlich anders entwickelt haben, denn während Kate zu einer angesehenen Polizistin in der Kleinstadt Painters Mill geworden ist, befindet sich Gina mittlerweile auf der Flucht vor ihren Kollegen, die ihr angeblich nach dem Leben trachten. Sie erzählt Kate eine haarsträubende Geschichte um diverse Machenschaften und schwere Korruption innerhalb ihrer Dienststelle und nennt mehrere Beteiligte. Die Ausmaße der ganzen Geschichte, sind so weitreichend, dass Kate sie kaum glauben kann, denn das würde bedeuten, dass Polizisten ihre Machtbefugnisse missbrauchen und Unschuldige töten, nur um ihre Spuren zu verwischen. Allerdings ist sie sich nicht sicher, ob ihr Gina überhaupt die Wahrheit erzählt oder ihr nur wilde Lügen auftischt, um ihren eigenen Hals zu retten …

Meinung

Die Krimireihe um die einst amische Polizeikommissarin Kate Burkholder zählt zu den wenigen Fortsetzungsromanen des Genres, die ich schon von Anfang an begleite und komplett gelesen habe. Deshalb musste es natürlich auch der neue Fall sein, der sich diesmal ganz anders als die restlichen Bände nicht mit den Verfehlungen innerhalb der Glaubensgemeinschaft beschäftigt, sondern mit Ungereimtheiten des Polizeiapparates.

Das bescheidene Leben der Amischen bildet hier eher den Hintergrund zu einer Geschichte, die sich zwischen Lügen, Korruption und einem Netz falscher Anschuldigungen bewegt. Auch der Radius der Handlung ist sehr begrenzt und konzentriert sich auf ein paar Tage und Nächte auf dem Hof von Adam Lengacher und den zahlreichen Gesprächen zwischen Kate und Gina, die nach wie vor zwischen Sympathie und alter Freundschaft oder Misstrauen und Verrat gefangen sind.

Der Mittelteil des Buches lässt etwas nach und schenkt dem Leser wieder zahlreiche Einblicke in das Leben der amischen Gemeinschaft, was als Neuleser höchst interessant ist, mir aber durch den Regelmäßigen Konsum dieser Reihe schon hinreichend bekannt ist. Das Ende dann gewohnt spannend und mit wechselnden Einblicken in die Überlegungen der Täter und Opfer.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen interessanten, eher stillen Roman, der sich auch auf Zwischenmenschliches konzentriert. Als Fan der ersten Stunde kann ich diese Kriminalreihe uneingeschränkt weiterempfehlen, denn nicht nur das Setting ist äußerst ansprechend, sondern auch die Gestaltung der Handlungsebene und des Personals. Zwar kann man die Bände isoliert lesen, da die Fälle in sich abgeschlossen sind, dennoch empfehle ich die chronologische Reihenfolge, die die Komplexität des Ganzen erst richtig zur Geltung bringt. Ich habe wieder unterhaltsame Lesestunden genossen und freue mich schon jetzt auf den nächsten Band, der dann wieder ganz oben auf meiner Wunschliste stehen wird und hoffentlich nicht allzu lange auf sich warten lässt.

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Veröffentlicht am 20.07.2021

Die Zuflucht des Gefängnisses

Raum
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„Ich glaube, in der Welt verteilt sich die Zeit ganz dünn überall hin, über die ganzen Straßen und die Häuser und die Spielplätze und die Geschäfte, deshalb gibt es an jedem Ort nur einen kleinen Klecks ...

„Ich glaube, in der Welt verteilt sich die Zeit ganz dünn überall hin, über die ganzen Straßen und die Häuser und die Spielplätze und die Geschäfte, deshalb gibt es an jedem Ort nur einen kleinen Klecks davon, und alle müssen schnell weiter zum nächsten.“

Inhalt

Jack ist 5 Jahre alt geworden, als seine Mutter ihm klar macht, dass die Welt, die er bis dato kennt, gar nicht die richtige ist, sondern nur ein Gefängnis. Ein Bunker, in dem „Old Nick“ ihr Versorger und Peiniger gleichermaßen, sie eingesperrt hält und ihnen damit das Recht auf Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben nimmt. Jacks Mutter ist dort schon viele Jahre, nachdem sie mit 19 entführt wurde und an diesen dunklen, traurigen Ort gebracht wurde. Jack mag es gar nicht glauben, dass es außerhalb von „RAUM“ noch etwas anderes geben soll und warum seine Mutter dort unbedingt hinwill und sich nicht länger mit dem gemeinsamen Alltag begnügen möchte. Jack wird zur Schlüsselfigur in einer sorgsam geplanten Flucht aus der Entführungshölle, nur bleibt er auch ein Risikofaktor, denn er kennt überhaupt nichts anderes als seine Mutter, die karge Einrichtung in RAUM und „Old Nick“, doch wenn es ihm nicht gelingt, den Plan nach den genauen Vorgaben einzuhalten, steht ihr Leben auf dem Spiel.

Meinung

Zunächst verfügt dieses Buch natürlich über eine absolut fesselnde Ausgangssituation, die nicht nur den Alltag eines Missbrauchsopfers abzubilden versucht, sondern auch die Schäden, die lebenslange Isolationshaft, ohne Kenntnisse einer normalen Welt nach sich zieht. Umso beängstigender wird das Szenario, weil die irische Autorin Emma Donoghue die Erzählperspektive in die Hände eines Kindes legt, dessen Welt nicht nur winzig klein ist, sondern auch kreuzgefährlich und lebensbedrohlich, sobald eine falsche Entscheidung getroffen wird. Doch gerade diese Sicht auf die Dinge, hat mir zunächst einige Probleme bereitet, denn Jack erzählt mit seinen Worten von einem Alltag, der sich dem Leser erst nach und nach erschließt und oftmals die Schrecken umschreibt, die andernfalls ganz ungefiltert ankommen würden. So versteckt sich der Junge zum Beispiel im Schrank, wenn „Old Nick“ mal wieder Bett quietscht und zählt die Quietscher, bis ein seltsames Stöhnen die Geräuschkulisse unterbricht.

Im ersten Drittel des Buches bin ich gar nicht so richtig damit warmgeworden, doch nachdem es dem Jungen und seiner Mutter tatsächlich gelungen ist, aus „RAUM“ zu fliehen, beginnt für mich der Teil, der einen regelrechten Lesesog verursacht hat, denn plötzlich steht man genauso wie Jack mitten in einer Welt, die so anders und gefährlich ist, dass man sich sehr gut vorstellen kann, warum sich das Kind zunächst in die Sicherheit und Zuflucht seiner bekannten Umgebung zurücksehnt. Gerade der psychologische Aspekt hat mich sehr inspiriert, denn was ist, wenn es nicht nur die vor Angst gepeinigte Mutter gibt, sondern plötzlich andere Kinder, Menschen, Verwandte, Ärzte und eine Welt, die unermesslich groß ist und doch so wenig Anteil nimmt am Leben des Einzelnen.

In nur wenigen Tagen wird Jack mit all dem konfrontiert und versucht, wenigstens ein paar gute Dinge zu finden, die es ihm möglich machen das „draußen“ ebenso zu mögen, wie das „drinnen“, selbst wenn es voller Entbehrungen und Belastungen war.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für eine krasse, beängstigende Story, die gerade auf Grund der Erzählperspektive so verstörend wirkt. Und obwohl das Buch keine sensationellen Überraschungen bereithält und trotz der bedrückenden Lage glaubwürdig erscheint, kann man sich der Geschichte bald nicht mehr entziehen und fiebert dem weiteren Geschehen entgegen. Möglicherweise hätte mich das ganze auch auf der Ebene eines Thrillers angesprochen, dann aber aus Sicht der Mutter, die mir hier doch etwas zu blass geblieben ist, was aber nicht an ihrer Persönlichkeit liegt, sondern schlicht und einfach an der Fokussierung des Kindes auf die Umstände.

Auf jeden Fall möchte ich mir hier jetzt die Verfilmung anschauen, denn möglicherweise füllen sich dort die Lücken, die der Text trotz seiner thematischen Dichte hatte. Ich empfehle diese Lektüre gerne weiter, sie vermittelt einen komplett anderen Blick auf die Schrecken einer Entführung und einer langen, ungewollten Haft in den Fängen des Bösen.

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