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Veröffentlicht am 05.07.2019

So ein läppischer Windpark

Unterleuten
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„Unterleuten ist ein Gefängnis.“


Inhalt


In Unterleuten, einer kleinen beschaulichen Ortschaft in Brandenburg bricht die Hölle los, nachdem es um die Etablierung eines ökologisch sinnvollen Windparks ...

„Unterleuten ist ein Gefängnis.“


Inhalt


In Unterleuten, einer kleinen beschaulichen Ortschaft in Brandenburg bricht die Hölle los, nachdem es um die Etablierung eines ökologisch sinnvollen Windparks geht, zu dem es mehr als geteilte Meinungen gibt. Für die Effizienz dieser erneuerbaren Energiequelle hat die Firma Vento Direct, die dort bauen möchte, ein Stück Land auserwählt, welches mehrgeteilt ist und insgesamt drei verschiedenen Eigentümern gehört. Und nun ist es nur noch eine Frage der Zeit, ob sich der Bürgermeister oder die Vogelschützer oder der Chef der Agrargenossenschaft durchsetzen werden. Auf dem Weg dorthin jedoch, gerät die läppische Windpark-Frage fast in Vergessenheit, denn sie ist nichts weiter als der Aufhänger für jahrzehntelange Missstände zwischen den alteingesessenen Bewohnern, den Zugezogenen und all jenen, die aus ganz verschiedenen Gründen immer noch oder schon wieder in Unterleuten leben. Und so taucht man immer tiefer in ein weit verzweigtes Netz aus Gefälligkeiten und Feindschaften ein, bei dem deutlich wird, welch massive Probleme im Dunkeln schlummern. Die Parzelle Dorf agiert letztlich als ein Spiegel der Gesellschaft, in dem sich jeder selbst am nächsten steht und keiner bereit ist, ein offenes Gespräch zu führen …


Meinung


Prinzipiell lese ich die Romane der deutschen Autorin Juli Zeh ganz gerne, ihre Art zu erzählen und Geschichten zum Leben zu erwecken gefällt mir. Und so bin ich auch voller Vorfreude an die Lektüre von „Unterleuten“ gegangen. Tatsächlich hat mir der erste Teil des Buches auch wesentlich besser gefallen als der Rest. Zwar wird man zu Beginn mit allerlei Protagonisten konfrontiert, die eine bis dato unbekannte Vorgeschichte haben und deshalb auch nicht so leicht auseinanderzuhalten sind, doch diese Verwirrung gibt sich ziemlich schnell. Der Grund dafür sind die klaren Charakterzeichnungen, die Frau Zeh ihren Personen gibt. Auch die diversen Fallen und Nischen, die eine Dorfgemeinschaft ausmachen trifft sie ungemein gut, so dass ich mich gut unterhalten fühlte.


Ab gut der Hälfte des Buches wird es dann zunehmend uninteressant und leider viel zu langatmig. Die brisante Thematik einer geplanten Windkraftanlage rückt immer weiter in den Hintergrund, dafür geht die Reise in Richtung zwischenmenschliche Unzulänglichkeiten. Nach und nach offenbaren sich die wahren Charaktere, die unschönen Seiten der Dorfgemeinde, ihre nie enden wollenden Zwistigkeiten, die sowohl persönlicher als auch gesellschaftlicher Natur sind. Ab diesem Zeitpunkt verschenkt die im Ansatz gute Geschichte ihr Potential. Es kommen immer neue Zweckverbindungen zwischen den langjährigen Gemeindemitgliedern und den Neuzugängen zu Stande, wer zunächst unvoreingenommen war, bezieht nun Stellung, wer nichts zu sagen hat, spielt sich auf und bei mir verstärkt sich der unschöne Eindruck, dass die Unterleutener wirklich jedes Klischee erfüllen sollen, um der Geschichte die entsprechende Note zu verleihen.


Zugegeben, die letzten 100 Seiten habe ich mehr quergelesen, da ich mir fast sicher war, welches Ende es mit den Menschen und Ereignissen dort haben wird. Auch der anfängliche Humor hat für mich in der Folge sehr eingebüßt, weil er nicht mehr spontan wirkte, sondern aufgesetzt witzig. Vielleicht wäre der Roman besser gewesen, wenn man die Handlung auf die Hälfte der Seitenzahl gekürzt hätte, sich weniger auf die detaillierte Zersetzung einer kleinen Gemeinschaft konzentriert hätte und wenigstens einen Sympathieträger eingebaut hätte. Es fällt mir schwer, eine weitreichende Aussage aus der Thematik zu ziehen. Einerseits habe ich das Gefühl einen Unterhaltungsroman gelesen zu haben, andererseits hätte ich mir eine ganz andere Art von Geschichte gewünscht – keine entführten Kinder, keine Rauchschwaden auf dem Nachbargrundstück, keine internen Absprachen, die es angeblich jedem ermöglichen sollen, seine Ziele zu erreichen sondern einfach Menschen, die vorbehaltlos die Kommunikation suchen und sich weniger um ihr eigenes Miniterritorium kümmern.


Fazit


Ich vergebe 3 Lesesterne für diesen Dorfroman mit gesellschaftskritischer Note, der in seinem Verlauf leider viel Potential eingebüßt hat. Natürlich liest sich auch dieser Text sehr flüssig und gut. Die schriftstellerische Feinarbeit ist durchaus spürbar, die Gedankengänge greifbar. Nur die sich immer weiter zuspitzende Gesamtsituation lässt mich ratlos zurück. Ganz klar, dieses Buch hätte für mich einen höheren Wert gehabt, wenn der Schwenk in eine andere Richtung verlaufen wäre. So empfand ich die Auswahl an Menschen, ihre gutgemeinten oder rigorosen Vorhaben und deren Umsetzung einfach nur bitter und stellenweise so egozentrisch, wie dumm. Und zu allem Überfluss tritt man dadurch auf der Stelle und selbst die positiven Seiten des Romans verblassen hinter all den bunt gestreuten Klischees.

Veröffentlicht am 27.06.2019

Ein nicht verschmerzbarer Verlust

Sag den Wölfen, ich bin zu Hause
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„Toby hatte recht. Finn war meine erste Liebe. Aber Toby – Toby war meine zweite. Und die Traurigkeit, die in dieser Erkenntnis lag, ergoss sich wie ein schmaler kalter Fluss durch mein ganzes Leben.“


Inhalt


Für ...

„Toby hatte recht. Finn war meine erste Liebe. Aber Toby – Toby war meine zweite. Und die Traurigkeit, die in dieser Erkenntnis lag, ergoss sich wie ein schmaler kalter Fluss durch mein ganzes Leben.“


Inhalt


Für June Elbus bricht eine Welt zusammen, als ihr geliebter Onkel Finn stirbt, an einer Krankheit, die förmlich durch ein Fremdverschulden ausgelöst wurde. Er hatte Aids und sein langjähriger Lebensgefährte Toby soll der Schuldige sein, wenn es nach der Meinung von Junes Familie geht. Doch June ist unvoreingenommen, sie kennt diesen Toby nicht, wusste überhaupt nichts von seiner Existenz – all das haben ihr sowohl Finn als auch ihre Familie vorenthalten. Heimlich beginnt sie sich mit dem Freund ihres Onkels zu treffen und fühlt sich erstmals in ihrer Liebe zu Finn bestätigt, sie erkennt aber auch, das Dinge, die sie für selbstverständlich hielt, ganz andere Ursachen haben. Schon bald merkt sie, dass Toby nicht derjenige ist, den man zum Schuldigen degradieren kann, vielmehr bestärkt sie die neue Freundschaft darin, ihren eigenen Weg zu gehen. Doch während June sich bemüht über den nicht verschmerzbaren Verlust ihres Onkels hinwegzukommen, gestaltet sich ihr familiäres Umfeld immer schwieriger und sie muss einsehen, dass auch die Gegenwart ihre Aufmerksamkeit fordert.


Meinung


Mit ihrem Debütroman konnte die New Yorkerin große Erfolge erzielen und schaffte es auf die Liste der „besten Bücher des Jahres“. Ihre Auseinandersetzung mit der Thematik Verlust, Freundschaft und Familienzusammenhalt konnte eine große Leserschaft erreichen, die sich mit ihr auf die Reise macht, wie man trotz einer großen Traurigkeit, neue Menschen für sich gewinnt und das Leben von einer hoffnungsvollen Seite anpackt. Aber für mich steht leider fest: Dieser Roman erfüllt keinen der Ansprüche, die ich an ihn gestellt habe und nur mit Mühe habe ich ihn beendet.


Dabei ist es nicht einmal die Thematik selbst, die mir so missfallen hat, nein es ist die Ausarbeitung der gesamten Handlung, die dermaßen viele Baustellen hat, dass man das Gefühl bekommt, nichts klärt sich wirklich, nirgends erzielt man Ergebnisse und eine klare Ausrichtung sucht man vergebens. Für einen anspruchsvollen Roman ist das Buch viel zu seicht, zu unbedeutend und wenig emotional, auch die Sprache besticht durch keinerlei Finessen. Für einen Jugendroman wiederrum fehlt der Handlung die Dynamik, die Spannung, die vorwärtstreibende Kraft, die das Leben manchmal erzeugt, wenn die Protagonisten stark und jung sind. Was bleibt ist ein fragwürdiger Mix aus Familiengeschichte, Trauerverarbeitung und Geschwisterrivalität, an dessen Ende sich nicht einmal ein abschließendes Wort finden lässt, außer vielleicht der Tatsache, das Verstorbene so lange weiterleben, wie man sie in Erinnerung behält.


Fazit


Hier werden es mit Mühe und Augen zudrücken nur zwei Sternchen, die ich ausschließlich deswegen vergebe, weil man die Bemühungen der Autorin erkennt, eine erzählenswerte Geschichte in Worte zu fassen. Das sie so gar nicht meine Kriterien erfüllt, steht auf einem anderen Blatt. Normalerweise hätte ich nicht zu diesem Roman gegriffen, wenn ich mich allein auf den Klappentext und die prognostizierte Geschichte verlassen hätte, doch die vielen begeisterten Lesermeinungen haben mich dazu verleitet, es doch zu tun. Ganz klar ein Fehlgriff, denn aus den gut 400 Seiten konnte ich keine wichtige Aussage entnehmen und habe mich streckenweise sehr gelangweilt. Empfehlen möchte ich dieses Buch jedenfalls nicht, denn es gibt keinen Punkt, auf der Positivskala, den ich nennenswert finde.

Veröffentlicht am 25.06.2019

Die Maschinerie des permanenten Elends

Die Nickel Boys
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„Und wenn die Welt ein einziger Mob wäre – Elwood würde sie durchmessen. Er würde auf die andere Seite gelangen, selbst wenn man ihn beschimpfte und anspuckte und verprügelte. Er wäre erschöpft und würde ...

„Und wenn die Welt ein einziger Mob wäre – Elwood würde sie durchmessen. Er würde auf die andere Seite gelangen, selbst wenn man ihn beschimpfte und anspuckte und verprügelte. Er wäre erschöpft und würde bluten wie ein Schwein, doch er würde es schaffen.“


Inhalt


Eigentlich hat Elwood Curtis das Glück, eine Großmutter zu haben, die ihn unterstützt und nur das Beste für ihn möchte. Sein angestrebter Studienbeginn steht bevor und er ist ein intelligenter, rechtschaffener junger Mann, der große Zukunftspläne hegt. Gerade weil er aus einem bildungsarmen Umfeld stammt und immer nur dafür belächelt wird, wie strebsam er durchs Leben geht, sieht er nun seine Chance gekommen, dem vorgezeichneten Weg zu entkommen. Doch als er ohne sein Verschulden in einem gestohlenen Auto aufgegriffen wird, bestätigt sich das Vorurteil, dem nicht nur er, sondern fast jeder schwarze Junge der Gegend ausgesetzt ist – er gehört zu den Kriminellen und muss in eine Besserungsanstalt für Jugendliche. Im Nickel spielt Bildung keine Rolle, dort zählt nur das Überleben, jede Prügelstrafe muss erduldet werden, jede Isolationshaft überstanden und bei guter Führung gelangt man vielleicht eines Tages wieder an die Freiheit. Elwood nimmt sich vor das Nickel zu überstehen und gibt insgeheim nie seine Pläne für eine Zeit danach auf. Gemeinsam mit Turner, seinem Freund plant er von langer Hand eine mögliche Flucht, während er sich ganz normal in den Alltag einbringt, vielleicht bekommt er eines Tages die Möglichkeit dazu, seine Hoffnungen zu verwirklichen …


Meinung


Dies ist bereits mein zweiter Roman aus der Feder des amerikanischen Autors Colson Whitehead, der mich bereits mit seinem Werk „Underground Railroad“, für welches er den National Book Award erhielt, überzeugen konnte. Erneut widmet er seine Erzählstimme den dunkelhäutigen Menschen, die von den Weißen als Menschen zweiter Klasse behandelt werden und sich tagtäglich mit Gewalt, Vorurteilen und Schuldzuweisungen konfrontiert sehen. Das allein ist nur nichts Neues und ich habe schon zu viel und zu ausführlich davon gelesen, als das mich die Thematik ohne eine dramatische Geschichte drumherum ausreichend fesseln könnte. Und genau diese Story möchte der Autor hier liefern, nur konnte mich die Ausführung über die Maschinerie des permanenten Elends in einer amerikanischen Besserungsanstalt für jugendliche Straftäter nicht wirklich erreichen.

Er bemüht sich um eine objektive Erzählung, in Anlehnung an Tatsachenberichte, er beschönigt nichts, geht aber auch nicht ins Detail. Er berichtet über Dinge, die man nicht bis ins Letzte durchdringen möchte, aber er reißt sie nur an, wechselt dann abrupt die Zeitform von der Vergangenheit in die Gegenwart und schafft Charaktere, die nicht griffig sind, die leider blass bleiben und deren Namen schnell in Vergessenheit geraten. Selbst sein Hauptprotagonist Elwood scheint nur einer von vielen armen Seelen zu sein, die vollkommen unverschuldet im Sumpf gelandet sind, weil es Menschen gibt, die sie dort gerne sehen möchten und ihnen jedwede Selbstbestimmung absprechen.

Eigentlich habe ich mir von diesem zeitgenössischen Roman etwas anderes versprochen, ich habe sehr auf die psychologische Komponente gehofft, doch der widmet sich der Autor nicht. Er hinterfragt nicht, er zeigt weder Verzweiflung noch Hass noch Rachsucht oder irgendeine andere emotionale Seite des Ganzen, nein er beschränkt sich aufs Wesentliche und fordert den Leser auf, sich selbst in diese Vorgänge hineinzuversetzen. Leider ist dieses Konzept bei mir nicht aufgegangen, denn ich empfand die Erzählung zwar literarisch ansprechend aber ansonsten ungemein zäh und langatmig.


Fazit


Ich vergebe 3 Lesesterne für diese Auseinandersetzung des nicht enden wollenden Traumas der amerikanischen Geschichte, deren tief verwurzelter Rassismus den Stoff für derartige Geschichten liefert. Whitehead nutzt sein schriftstellerisches Werk, um Erinnerungen wach zu rufen, um vergangenes Leid greifbar zu machen und sich auch in der heutigen Zeit mit Verbrechen zu beschäftigen, die andernfalls immer mehr in Vergessenheit geraten würden. Demnach hat diese Geschichte sehr wohl gesellschaftspolitisches Potential, nur schafft sie es einfach nicht in mein Herz und das finde ich gerade bei solch menschlichen Themen immer wieder schade, denn wenn ich zu einem Roman greife erhoffe ich mir keinen sachlichen Bericht, sondern ein anderes Format.

Veröffentlicht am 16.06.2019

Grausamkeit verjährt nie

Rachesommer
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„Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie es diesmal nicht auf die übliche Tour hinbekommen würde. Nicht bei ihm. Ihr Plan würde nicht funktionieren.“


Inhalt


Walter Pulaski untersucht diverse Todesfälle, die ...

„Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie es diesmal nicht auf die übliche Tour hinbekommen würde. Nicht bei ihm. Ihr Plan würde nicht funktionieren.“


Inhalt


Walter Pulaski untersucht diverse Todesfälle, die als Selbstmord getarnt sind. Dabei handelt es sich um junge, psychisch gestörte Menschen, die oft schon jahrelang Patienten in Spezialklinken sind und denen man die Neigung zu einem Freitod durchaus zutrauen würde. Doch die aktuellen Fälle sind anders, denn eben jene Opfer, kannten sich alle und haben trotz ihrer geistigen Störung ein gemeinsames Kapitel in der Vergangenheit, welches sie nun mit mörderischer Konsequenz einzuholen droht. Und auch die Wiener Anwältin Evelyn Meyers ermittelt inkognito an einer seltsamen Serien von Unfällen, bei der gut situierte Männer um die 60 Jahre auf rätselhafte Art und Weise verunglücken. Als Evelyn Parallelen zwischen den Opfern entdeckt, die sie auf ein Kreuzfahrtschiff führen, welches vor 10 Jahren exklusive Törns entlang der Küsten unternommen hat, ahnt sie, dass diese Luxusreisen der Grund für die Todesfälle sind. Sie macht sich auf den Weg nach Norddeutschland um ihrer Spur nachzugehen und trifft dort auf Walter Pulaski, der anscheinend den selben Fall aus der anderen Richtung aufrollt …


Meinung


Schon lange wollte ich ein Buch des deutschen Krimiautors Andreas Gruber kennenlernen, denn die Klappentexte seiner Thriller klingen äußerst vielversprechend und lassen auf spannende Lesestunden hoffen.

Begonnen habe ich nun mit dem ersten Band aus der Walter-Pulaski-Reihe, der mich auf Anhieb überzeugen konnte, weil er ein kurzweiliges, gut durchdachtes Szenario aufzeigt, bei dem es nicht bloß um Mord und Totschlag geht sondern auch um die engagierte Ermittlungsarbeit zweier nicht ganz regelkonformer Ermittler, die sich hier in ihrem Privatleben für Fälle einsetzten, die offiziell gar nicht auf dem Tisch liegen.

Die Kombination zwischen einem Polizisten, der sich mit einer Anwältin auf eine mysteriöse Mordreihe einlässt, um längst vergangene Verbrechen aufzuklären ist mir sehr sympathisch. Beide Hauptprotagonisten treten als starke Charaktere auf, die selbst keine leichte Vergangenheit hatten und nun umso verbissener an der Aufklärung anderer Fälle dran sind. Gerade durch die wechselnden Erzählperspektiven, die ich um den gleichen Hintergrund drehen, konzentriert sich die Geschichte auf einen klaren Punkt - denn einer endgültigen Aufklärung kommen die beiden erst näher, nachdem sie sich getroffen haben und ihre Karten offen auf den Tisch legen.

Aber auch die Frage nach dem Täter und den Opfern ist geschickt gelöst, denn so einfach wie man zunächst denkt, ist es wirklich nicht. Auch die Rache als alleiniges Motiv funktioniert nicht auf die herkömmliche Art, vor allem wenn man bedenkt, dass es sich um schwer gestörte, psychisch kranke Menschen handelt, die unter Persönlichkeitsstörungen leiden und nie ein „normales“ Leben geführt haben.


Fazit


Ich vergebe sehr gute 4 Lesesterne für diesen abwechslungsreichen, spannenden Thriller, der mittels vieler kleiner Ermittlungserfolge einen dramatischen Höhepunkt erreicht, dem man regelrecht entgegenfiebert. Besonders gelungen empfinde ich die Charakterisierung der Protagonisten, aus deren Privatleben man genau die richtige Menge an Informationen erhält, um sich ein Bild zu machen, aber nie zu viel, um das Interesse an den Morden zu verlieren. Vom Aufbau und dem Plot der Geschichte bin ich überzeugt, ebenso wie von der Glaubwürdigkeit der Ereignisse. Sehr gern lese ich weitere Kriminalromane aus der Feder des Autors, um noch mehr zu erfahren – zum Glück gibt es da schon einiges Lesefutter, was auf mich wartet. Ich empfehle die Reihe all denjenigen, die gerne deutsche Thriller konsumieren und sich mit den Hintergründen einer laufenden Ermittlung beschäftigen.

Veröffentlicht am 10.06.2019

Ein Leben am Abgrund, an dessen Ende nichts wartet

All das zu verlieren
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„Wen kümmern im Grunde die Fundamente, für die er sich so abgerackert hat. Wen kümmern die Stabilität, die sakrosante Aufrichtigkeit und abscheuliche Offenheit. Vielleicht, wenn er schwieg, würde es trotz ...

„Wen kümmern im Grunde die Fundamente, für die er sich so abgerackert hat. Wen kümmern die Stabilität, die sakrosante Aufrichtigkeit und abscheuliche Offenheit. Vielleicht, wenn er schwieg, würde es trotz allem halten. Sicher genügte es, die Augen zu verschließen.“


Inhalt


Für Adéle ist jeder Tag ein Spießrutenlauf, sie funktioniert mehr schlecht als recht in ihrem ganz normalen Alltag, zwischen ihrer Arbeit als Journalistin und der Rolle als Frau und Mutter. Doch insgeheim sehnt sie sich nach Extremerfahrungen, sie möchte körperliche Grenzen spüren, sich verlieren und ihr Dasein als Spießbürgerin abstreifen, ohne Rücksicht auf Verluste. Über die Jahre hinweg hat sie sich ein gut funktionierendes Doppelleben aufgebaut: sie trifft sich mit wildfremden Männern zum Sex, baggert ihre Kollegen an, findet ständig Möglichkeiten für ein schnelles sexuelles Abenteuer und kehrt im Anschluss wieder zurück in ihren routinierten Tagesablauf. Immer wieder möchte sie mit dieser Zwangshandlung aufhören, weil sie sich sehr bewusst ist, was sie dafür aufs Spiel setzt, doch sie ist eine Getriebene, ihren Obsessionen ausgeliefert und unfähig einen Schlussstrich zu ziehen. Erst als ihr Mann Richard durch bloßen Zufall das Ausmaß ihres Betruges aufdeckt und sie damit konfrontiert, gelingt es Adéle eine kurzfristige Entscheidung zu Gunsten der Familie zu treffen. Trotzdem steht sie kurze Zeit später erneut vor diesem Abgrund, an dessen Ende nichts wartet.


Meinung


Dieses Buch wollte ich unbedingt lesen, zum einen weil die Handlung sehr ungewöhnlich klingt, zum anderen weil mich die Autorin mit ihrem Werk „Dann schlaf auch du“ bereits von ihrer schriftstellerischen Arbeit überzeugen konnte. Und auch „All das zu verlieren“ hat sich definitiv gelohnt, denn obwohl es die Thematik Betrug innerhalb einer Partnerschaft anschneidet, ist es doch in erster Linie das Porträt einer gestörten Seele, ein Hilfeschrei, eine Auseinandersetzung mit Ängsten und Zwängen und sehr bald taucht man als Leser tief in das Seelenleben der Protagonistin ein.


Sprachlich trifft dieser Roman genau meinen Geschmack, es ist eine gelungene Mischung zwischen Erzählung, Selbstbildnis und objektiver Betrachtung. Gerade der leicht distanzierte Schreibstil aus der dritten Person Singular heraus, macht es mir sehr einfach, eine Grenze zwischen der Adéle im Buch und persönlichen Erfahrungen zu ziehen. Denn obwohl die Protagonistin äußert unangenehm auftritt, ich keinerlei gemeinsame Schnittpunkte oder Denkweisen ermitteln konnte, war es mir ein echtes Bedürfnis, diese Frau über die gut 200 Seiten der Geschichte zu ergründen und ihren Kern ausfindig zu machen. Gerade ihr innerer Zwiespalt zwischen der Sicherheit eines geregelten Lebens an der Seite von Mann und Kind und ihre geheimen Wünsche, die ihr trotz kurzer Erquickung keinerlei Halt schenken, haben mich sehr in ihren Bann gezogen.


Auch die Gliederung der Lektüre, die sich temporär auf eine Zeit vor der Entdeckung konzentriert, in der Adéle die Erzählrolle einnimmt und einer Zeit nach der Entdeckung, in der Richard, der gehörnte Ehemann zu Wort kommt, empfand ich sehr passend. Was zunächst wie eine große Paarkatastrophe anmutet entwickelt sich im Folgenden zum wahren Fiasko gleich mehrerer Leben. Denn das Wissen um die Obsessionen seiner Frau, höhlt Richard innerlich vollkommen aus, lässt ihn einen Ekel gegenüber der geliebten Person entwickeln und einen Kontrollzwang über all ihre Handlungen. Tatsächlich bringt ihm weder ein Umzug, noch ein Neuanfang jene Frau zurück, in die er all seine Liebe gesetzt hat, mit der er alt werden wollte und die er mehr schätzt als alles andere. Und so beginnt der Schrecken ohne Ende, nachdem es einfach nicht gelingen will, ein Ende mit Schrecken zu akzeptieren.


Fazit


Dieser Roman ist ganz nah dran an einem Lieblingsbuch, deshalb vergebe ich 4,5 Lesesterne. Er wirkt auf mich faszinierend, lädt mich ein, eigene Gedankengänge aufzunehmen in der Hoffnung, dem Wesen der Adéle näher zu kommen. Gleichzeitig ist es eine unbequeme, fordernde Lektüre, die sich wunderbar mit inneren Zwängen und dramatischen Abhängigkeiten auseinandersetzt. Trotz der Melancholie und Traurigkeit, die jenem Paar widerfährt, die viele Seiten des Buches regelrecht durchströmt, konnte ich nicht umhin ein eigenes Urteil über die beiden zu fällen und dieses ist jenseits jeder depressiven Phase angesiedelt.

Nur der Ausgang der Geschichte konnte mich nicht ganz überzeugen, da hätte ich mir wiederrum mehr Dramatik gewünscht, gerne auch einen großen Knall, der in allerlei Richtungen hätte gehen können. Leider verläuft diese spektakuläre Erzählung irgendwie im Nichts und mit ihr verblassen die Menschen, die so unfähig sind Entscheidungen zu treffen und Konsequenzen zu tragen. Die nächsten Bücher der Autorin kommen ganz gewiss auf meine Wunschliste, denn sie vermag es ausgezeichnet, die menschliche Natur und diverse Seelenqualen einzufangen und in lesenswerte Texte zu verpacken.