Profilbild von jenvo82

jenvo82

Lesejury Star
offline

jenvo82 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit jenvo82 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.12.2018

Alte Freundschft strebt nach Gerechtigkeit

Ewige Schuld
0

„Polizisten glauben gern, sie seien frei von all jenen verqueren Gefühlen, mit denen sich die weniger starken Menschen herumschlagen müssen. Sie beharren solange darauf, bis der Arzt kommt. Ich gehöre ...

„Polizisten glauben gern, sie seien frei von all jenen verqueren Gefühlen, mit denen sich die weniger starken Menschen herumschlagen müssen. Sie beharren solange darauf, bis der Arzt kommt. Ich gehöre auch dazu.“


Inhalt


Kate Burkholder, einst selbst Mitglied der amischen Gemeinde, muss in ihrem 9. Fall mit einer Geiselnahme fertig werden, ihr einstiger Jugendfreund Joseph King, hat sie und seine eigenen Kinder als Geiseln genommen, nachdem ihm der Ausbruch aus dem Gefängnis gelungen ist. Seiner Aussage zufolge saß er zwei Jahre unschuldig hinter Gittern, weil er den Mord an seiner Frau Naomi nicht begangen hat. Kate soll ihm aus dem Dilemma heraushelfen, indem sie den alten Fall erneut aufrollt und den wahren Mörder findet. Doch Joseph neigt zur Gewalttätigkeit, es gab mehrere Strafanzeigen wegen Trunkenheit und häuslicher Übergriffe, so dass Kate nicht mehr weiß, ob sie ihrem alten Freund vertrauen kann oder ob er wirklich der skrupellose Mensch geworden ist, der er ganz offensichtlich zu sein scheint. Erst als sie auf Ungereimtheiten in der alten Akte stößt, wird sie wirklich misstrauisch. Es fehlen wichtige Dokumente und die Beweislage ist überhaupt nicht lückenlos dokumentiert. Sie ermittelt auf eigene Faust weiter und nimmt das nachbarschaftliche Polizeirevier genauer unter die Lupe. Doch noch bevor sie auf verwertbare Beweise stößt, wird Joseph vom SEK erschossen, und alle anderen potentiellen Zeugen hüllen sich in Schweigen …


Meinung


Dies ist der mittlerweile neunte und damit auch aktuellste Fall der Kate-Burkholder-Reihe, mit dem die amerikanische Autorin Linda Castillo die Lebensweise der amischen Bevölkerung und ihre religiösen Überzeugungen literarisch mit einem spannenden Kriminalfall verbindet. In allen Büchern geht sie dabei auf die spezifischen Eigenheiten dieser Bevölkerungstruppe ein und zeigt immer wieder, dass es auch unter gottesfürchtigen Menschen viele dunkle Geheimnisse und mörderische Fallstricke gibt.

Da ich im Jahr 2018 die gesamte Buchreihe im Rahmen einer Challenge in chronologischer Reihenfolge gelesen haben, fällt ein Vergleich der Einzelbände möglicherweise anders aus, als wenn zwischen den einzelnen Büchern mehr Zeit vergangen wäre.

Auch in diesem Buch, kommt der erzählerische Charakter mehr zum Ausdruck und die Spannung wird zu Gunsten der Hintergrundgeschichte etwas flach gehalten. Es gelingt der Autorin dennoch, ihre Figuren sehr bildlich und informativ auszuschmücken, selbst wenn sich Vieles wiederholt und man als treuer Leser keine neuen Aspekte mehr entdecken kann. Der Plot ist in sich geschlossen, der Ausgang der Kriminalhandlung absehbar und dennoch unterhaltsam. Ich könnte für fast jeden Aspekt ein Plus und Minus anführen. Generell würde ich den ersten 6 Bänden der Reihe ein weit größeres Spektrum an Inspiration zuschreiben, als den danach folgenden, einfach weil die Gewöhnung einsetzt und damit irgendwo auch die Leseflaute.


Fazit


Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für den aktuellen Band dieser Kriminalreihe. Ein unterhaltsamer, leicht verständlicher Erzählstil, eine ambitionierte Polizistin und ihre eigene Vergangenheit werden hier leserfreundlich aufbereitet. Allerdings darf man nicht den absoluten Nervenkitzel erwarten oder andere innovative Entwicklungen im Rahmen eines Mordfalles. Alles scheint man so ähnlich bereits irgendwo gelesen zu haben, so dass sich diese Geschichte weniger grandios anfühlt und sich auch nicht ins Gedächtnis gräbt. Insgesamt beurteile ich die Reihe dennoch positiv, möglicherweise reizt sie mehr, wenn man zwischen den Einzelbänden einen längeren Zeitraum verstreichen lässt und sie dann wieder neu entdeckt.

Veröffentlicht am 04.12.2018

Die Vergangenheit - konserviert in einer Sammlung

Grabkammer
0

„Was immer in dieser Kammer auf sie wartete, hatte die Männer verstört, und ihr Schweigen ließ sie zögern. Sie konnte nicht hineinsehen, aber sie wusste, dass etwas Abscheuliches dort in der Dunkelheit ...

„Was immer in dieser Kammer auf sie wartete, hatte die Männer verstört, und ihr Schweigen ließ sie zögern. Sie konnte nicht hineinsehen, aber sie wusste, dass etwas Abscheuliches dort in der Dunkelheit lauerte – etwas, das hier so lange eingeschlossen war, dass die Luft drinnen modrig und beklemmend wirkte.“


Inhalt


Josephine Pulcillo arbeitet in einem Museum für Archäologie in Boston in dem durch Zufall eine Mumie entdeckt wird und wenig später der mumifizierte Schädel einer anderen Frau, nachdem die Polizei den Keller des Hauses durchkämmt hat und auf Geheimgänge gestoßen ist. Schon bald steht fest, dass die Leichen längst nicht so alt sind, wie vermutet, sondern maximal seit einem viertel Jahrhundert zu den Toten zählen. Und wenig später erhält auch die junge Museumsmitarbeiterin eine deutliche Botschaft, sie schwebt in Gefahr, denn der gesuchte Mörder nimmt sie als Nächste ins Visier seiner grausigen Sammlung. Allerdings stellt Jane Rizzoli fest, dass es Josephine Pulcillo gar nicht mehr gibt, denn diese ist bereits vor zwanzig Jahren verstorben, und die Frau, die nun ihren Namen trägt scheint ein dunkles Geheimnis zu hüten und selbst auf der Flucht vor der Polizei zu sein? Ist sie Opfer oder Täterin und warum führen alle Spuren an einen Ausgrabungsort in der Wüste Ägyptens? Jane Rizzoli versucht Licht in das Dunkel zu bringen, doch dann findet man schon die nächste Leiche …


Meinung


In ihrem 7. Band der Rizzoli-Isles-Reihe unternimmt die amerikanische Autorin Tess Gerritsen einen Ausflug in die Ägyptologie, hin zu geheimnisvollen Ausgrabungsorten, rituellen Bestattungszeremonien und teuflischen Mördern, die von ihren Opfern regelrecht besessen sind. Prinzipiell gefällt mir dieser Ansatz durchaus, haben doch gerade Mumien und alte Skelette immer einen mystischen Anklang und verbinden historische Taten mit den Möglichkeiten der heutigen Technik. Doch leider empfinde ich den Mix in diesem Roman viel zu spannungsarm und weder sehr okkult noch sonderlich spektakulär.


Gerade in der ersten Hälfte des Buches habe ich mich sehr gelangweilt, selbst wenn man dort schon auf Josephine aufmerksam wird, da sie der Dreh- und Angelpunkt des jüngsten Verbrechens zu sein scheint, doch die diversen Möglichkeiten, gewisse Leichenteile zu konservieren dominieren die eigentliche Kriminalhandlung und lassen wenig Platz für aufschlussreiche Ermittlungen. Zwar gewinnt das Tempo im zweiten Teil des Buches und auch die Figurenzeichnung wird deutlicher, doch mit Herzblut und Nervenkitzel hat der Text immer noch nichts am Hut. Einzig die Protagonistin Josephine bleibt lange das Geheimnis, welches man zu verstehen versucht.


Ebenfalls unglücklich würde ich die Zusammenarbeit zwischen Jane Rizzoli und Maura Isles bezeichnen. Denn Zweitere nimmt hier kaum am Geschehen teil und wenn, dann nur aus der Sicht einer Frau, die den Opfern sehr ähnlich sieht, mit der Ermittlung selbst hat sie keine Berührungspunkte und tritt viel zu weit in den Hintergrund, einmal abgesehen von ihrer unglücklichen Liebe zum Priester Daniel Brophy. Innerhalb einer geschlossenen Reihe würde ich es begrüßen, wenn man auch gleich viel Neues von den Akteuren erfährt.


Fazit


Ich vergebe 3 durchschnittliche Lesesterne für diesen Roman, der mich trotz seiner verheißungsvollen Thematik eher enttäuscht hat. Es ist ein bisschen von allem und dennoch nichts, was mir lange in Erinnerung bleiben wird, insbesondere wegen der unglücklichen Kombination aus persönlichem Schicksal, historischen Hintergründen und organisierten, vertuschten Verbrechen. Eindeutiges Urteil: Kann man lesen (insbesondere, wenn man die Buchreihe verfolgt), muss man aber nicht.

Veröffentlicht am 04.12.2018

Sterben kann ewig dauern

Die Chemie des Todes
0

„Eine solche Sache holt das Schlimmste aus jedem heraus. Manham ist ein kleiner Ort. Und kleine Orte erzeugen kleine Geister. Vielleicht bin ich übermäßig pessimistisch. Aber wenn ich du wäre, wäre ich ...

„Eine solche Sache holt das Schlimmste aus jedem heraus. Manham ist ein kleiner Ort. Und kleine Orte erzeugen kleine Geister. Vielleicht bin ich übermäßig pessimistisch. Aber wenn ich du wäre, wäre ich auf der Hut.“


Inhalt


David Hunter flieht vor seinen schmerzhaften persönlichen Erinnerungen, die ihn immer wieder an den Unfalltod seiner geliebten Frau und der gemeinsamen Tochter erinnern von London in die Kleinstadt Manham. Dort möchte er an der Seite des ansässigen Allgemeinmediziners Henry Maitland Fuß fassen und ein neues Leben beginnen. Doch kurz nach seinem Erscheinen beginnt eine Mordserie, bei der es der Täter auf junge, attraktive Frauen abgesehen hat, die angeblich keine Feinde hatten. Bedächtig wählt er seine Opfer aus, und schickt ihnen kurz vor der Entführung eine kleine Warnung, indem er ihnen geschändete Tiere schenkt. Gegen seinen Willen wird David bald in die Mordermittlung involviert, nicht nur weil er die Opfer kannte, sondern vor allem wegen seiner beruflichen Qualifikation, die im Rahmen der Aufklärungsarbeit von höchster Bedeutung ist. Sein Wissen über die Verwesungsprozesse des menschlichen Körpers führen dazu, dass sich der mögliche Täterkreis weiter eingrenzt, doch von einem durchschlagenden Erfolg ist die Polizei noch weit entfernt. In der Zwischenzeit wird schon die nächste Frau entführt, und mit dieser hatte David gerade die Hoffnung auf eine neue Liebe entdeckt …


Meinung


Der britische Bestsellerautor Simon Beckett startet seine David-Hunter-Reihe mit einem bedrückenden, eher stillen und dennoch grausigen Geschehen, welches stellenweise sehr detailliert die Verwesungsvorgänge im Inneren eines menschlichen Körpers schildert, wenn dieser der Natur anheimfällt, nachdem ihm tödliche Verletzungen zugefügt wurden. Sehr umfassend und eindringlich beschreibt Beckett aber nicht nur den Tod, sondern auch die lebendigen Akteure seiner Geschichte. Der Schauplatz einer Kleinstadt bietet sich dafür hervorragend an, wachsen dort das Misstrauen und die latenten Feindschaften doch viel schneller als in großen Gemeinden, weil jeder jeden kennt und Fremde ganz genau unter die Lupe genommen werden.


Für Abwechslung sorgt die gewählte Erzählperspektive, denn obwohl David Hunter direkt an der Mordserie beteiligt ist, nimmt er weder die Rolle des Opfers, noch die des Täters ein und er ist auch nicht der leitende Polizist. Dieser Blickwinkel erlaubt ein gleichermaßen nahes, wie differenziertes Modell bezüglich der Mordserie und ihres Verlaufes. Als Leser ist man weder zu nah dran, um direkt zu erahnen, was der Täter möchte, noch sind einem die Hände gebunden, wie es manchmal aus Sicht der Beamten geschehen kann. Dadurch ergibt sich natürlich auch ein hoch dramatischer Handlungsverlauf, denn Zivilisten treffen nicht immer gute und sichere Entscheidungen, ganz besonders dann nicht, wenn die Opfer ihre besondere Aufmerksamkeit haben.


Dennoch gelingt es dem Autor alle Positionen deutlich zu charakterisieren, er fühlt sich in die aussichtlose Lage des Opfers ein, beleuchtet aber auch die verstörenden Gedankengänge des Täters und nimmt Teil am auseinanderbrechenden Gemeindeleben, bei dem der Pfarrer plötzlich zum Richter wird und die unscheinbare Hausfrau dunkle Vorahnungen hat.


Fazit


Ich vergebe 4,5 Lesesterne (aufgerundet 5) für diesen sehr stimmungsvollen, effektiven Thriller, der auf positive Art und Weise eine intensive, dunkle Geschichte erzählt, die sich immer nah an der Realität bewegt. Eine gut nachvollziehbare ausgereifte Handlung, die gleichermaßen Spannungs- wie Aufklärungsmomente hat und einen objektiven, ehrlichen Hauptprotagonisten, dem man seine Entscheidungen abkauft. Empfehlenswert für alle Leser, die gerne das Subtile mögen und fehlende Action nicht mit Spannungsarmut gleichsetzen, denn sowohl Menschen als auch ihre Interaktionen bilden den Kern der Geschichte und so sind es auch ihre Verfehlungen, die als Motivator für mörderische Aktivitäten dienen – keine Hetzjagd, keine Polizeigewalt, nur das langsame, stetige Voranschreiten einer ablaufenden Zeit …

Veröffentlicht am 26.11.2018

NSA - Niemand sieht alles

NSA - Nationales Sicherheits-Amt
0

„So also war es, wenn etwas ungeheuer Großes geschah, wenn etwas ungeheuer Bedeutsames sich vollzog. Man erhob sich aus seinem Bett wie an jedem gewöhnlichen Tag seines bisherigen Lebens, und auf einmal ...

„So also war es, wenn etwas ungeheuer Großes geschah, wenn etwas ungeheuer Bedeutsames sich vollzog. Man erhob sich aus seinem Bett wie an jedem gewöhnlichen Tag seines bisherigen Lebens, und auf einmal änderte sich alles, und man wusste, man würde in einer gänzlich veränderten Welt wieder zu Bett gehen.“


Inhalt


Im Nationalen Sicherheitsamt, kurz NSA in Weimar arbeiten Menschen, die mittels Datenüberprüfung all jene aufspüren, die sich in irgendeiner Weise den Anweisungen des Regimes unter Adolf Hitler widersetzen. Engagierten Programmstrickerinnen, wie der jungen Helene Bodenkamp, gelingt es durch die sinnvolle Abfrage von bedeutsamen Parametern, Anschläge zu vereiteln, Judenverstecke aufzuspüren und antifaschistische Propaganda zu unterbinden.

Doch während der Chef des Amtes immer mehr unter Druck gerät, weil dem Amt einschlägige Erfolge fehlen, die er nach Berlin melden kann, machen seine Mitarbeiter interessante Entdeckungen in Richtung Amerika, in dem sie sich Zugang zu den dortigen Komputern verschaffen, und auf Pläne zum Bau der Atombombe stoßen. Doch in erster Linie nutzen sowohl die versierte Angestellte Helene, als auch der erfolgreiche Analyst Eugen Lettke das Datennetz für private Zwecke.

Beide verschleiern ihre Anfragen, manipulieren Datensätze und verfolgen längst nicht die absolute Aufopferung für das Deutsche Volk, welche vom Führer verlangt wird. Und dadurch gefährden sie bald schon den Gesamterfolg ihres Arbeitgebers, doch wo kein Kläger, da kein Richter …


Meinung


Zunächst einmal bin ich auf diesen Roman durch einige sehr positive Rezensionen aufmerksam geworden, die Lust auf die Geschichte gemacht haben. Auch der Klappentext hat mich sofort angesprochen, denn die Idee, das digitale Zeitalter in die historische Epoche des Nationalsozialismus vorzuverlegen, hat schon was. Das klassische „Was-wäre-wenn“ Szenario wird förmlich impliziert und so konnte ich mich dazu motivieren, zu diesem Buch zu greifen, selbst wenn es dem Genre Science-Fiction zuzuordnen ist, welches ich normalerweise nicht konsumiere. Und dann noch geschrieben von einem erfolgreichen deutschen Autor, von dem ich immer mal wieder Bücher wahrgenommen habe, und bisher dennoch keines gelesen habe.


Und doch ist mir bei der Lektüre recht schnell die Lesefreude abhandengekommen, so dass ich mich stellenweise sehr motivieren musste, weiter zu lesen, um die Gedankengänge zu verfolgen.

Das größte Manko des Buches ist meines Erachtens eine viel zu persönliche, unrelevante Geschichte, die ausgehend von den beiden Hauptprotagonisten regelrecht ausgewälzt wird. Immer wieder taucht der Leser tief in die Gedanken des Eugen Lettke ein, der sich auf einem persönlichen Rachefeldzug gegen empfange Schmach als Jugendlicher befindet und nun seine Peiniger verfolgt, um es ihnen heimzuzahlen und der doch sehr nervigen Helene Bodenkamp, die ihren fahnenflüchtigen Liebhaber versteckt, und von einer gemeinsamen Zukunft in Brasilien träumt. Leider, leider bleibt dabei die von mir erhoffte Geschichte gänzlich auf der Strecke.

In nur spärlichen Ansätzen geht der Autor auf die Arbeitsweise und die Hintergründe des NSA ein, er streift auch nur die historischen Geschehnisse, verändert sie fiktional, damit habe ich zwar gerechnet, nur passiert selbst das ausgesprochen oberflächlich. Dafür erfährt der Leser detailliert, warum Helene Kondome klaut und Eugen eine ganz spezielle Vorliebe für Nobelhotels und Fesselspiele hat.

Für die knapp 800 Seiten habe ich fast 3 Wochen Lesezeit benötigt und bin nur deshalb an der Lektüre drangeblieben, weil es ein Leserundenbuch war. Der etwas spannendere Mittelteil wird von einem allzu uninteressanten Start und einem wirklich an den Haaren herbeigezogenen Ende überdeckt, so das ich ziemlich froh bin, es geschafft zu haben.

Positiv möchte ich dennoch die Idee bewerten und auch die Umsetzung der vielen kleinen Parameter, die gut durchdacht in den Text integriert wurden. Im Ansatz kann ich auch Leser verstehen, die hier ein neues Lieblingsbuch finden, nur das man dazu etwas komplett anderes erwarten muss, als ich es getan habe. Der Schreibstil ist einfach aber prägnant, der Handlungsverlauf konstant und die Wendungen dazwischen manchmal sogar faszinierend, wenn man zum Beispiel erfährt, was es mit der Weiterentwicklung des NSA auf sich hat und wie vielschichtig und lückenlos die Betrachtungsweise der unpersönlichen Maschinen namens Komputern geworden ist.


Fazit


Ich vergebe nur 2,5 Lesesterne, die ich nach Empfinden eher zu zwei Sternen abrunden möchte. Die Ansprüche, die dieser Roman deckt, harmonieren nicht mit meiner persönlichen Vorstellung, die sich wesentlich mehr Geschichte, mehr Auseinandersetzung mit den Hintergründen und den technischen Dingen erhofft hat. Selbst das Faktum, das Maschinen den Menschen beherrschen kam nur unzureichend zur Sprache, denn Helene wiederrum gelingt es mühelos, das unerschöpfliche Überwachungsorgan auszutricksen. Der Autor macht mir mit diesem Buch nicht wirklich Lust, auf ein weiteres aus seiner Feder. Vermutlich habe ich ein Problem mit dieser Art der fiktionalen Literatur, denn er verbindet zu viel Wahres mit zu viel Erfundenem, eine striktere Trennung und eine weniger romanhafte Ausführungen, hätten mein eher negatives Urteil vielleicht abgemildert, so bleibt es als eines der schlechteren Bücher in Erinnerung.

Veröffentlicht am 15.11.2018

Die unsichtbare Ehe auf dem grünen Sessel

Liebe ist die beste Therapie
0

„Sie haben gemeinsam etwas geschaffen, und es ist ihnen sicher nicht in den Schoß gefallen. Sie haben eine Ehe aufgebaut. Und auf deren Seite bin ich, für sie spreche ich, weil von Ihnen niemand für dieses ...

„Sie haben gemeinsam etwas geschaffen, und es ist ihnen sicher nicht in den Schoß gefallen. Sie haben eine Ehe aufgebaut. Und auf deren Seite bin ich, für sie spreche ich, weil von Ihnen niemand für dieses unsichtbare Gebilde einsteht, das Sie gemeinsam gebaut haben.“


Inhalt


Sandy ist Paartherapeutin und ihre derzeitigen Klienten sind die Mittdreißiger Charlotte und Steve. Deren Ehe steht kurz vor dem Aus, nachdem beide Affären hatten und sich offiziell getrennt haben, nur schade, dass sie jetzt um die Betreuung ihrer gemeinsamen Kinder streiten und um den Wert ihrer Beziehung überhaupt. Eine Scheidung möchten sie vorerst nicht, doch der Scherbenhaufen, vor dem sie stehen, lässt sie nicht mehr schlafen, lachen und leben. Die beiden begeben sich in die Hände der Therapeutin und erhoffen sich eine Einigung, wie auch immer diese aussehen mag.

Und Sandy bringt sie wöchentlich an einen Tisch, um gemeinsam mit ihnen über Bedürfnisse, Wünsche aber auch Ängste und Perspektiven zu sprechen. Denn als erfahrene Eheberaterin weiß sie, dass nur die wenigsten Ehen wieder zu dem werden, was sie einst waren – funktionierende Beziehungen. Doch während Charlotte einsieht, dass der neue, verheiratete Mann in der Fremde, nicht ihr nächster Partner werden wird, erkennt Steve, dass sein aufgesetztes, schönes Image nicht reicht, um seine Frau dauerhaft glücklich zu machen. Nach und nach arbeiten die drei die bestehende Situation auf und es stellt sich heraus, dass der unbesetzte grüne Sessel im Zimmer der Therapeutin sehr wohl eine Aufgabe erfüllt …


Meinung


Der US-amerikanische Schriftsteller John Jay Osborn greift in diesem Roman eine durchaus bekannte, nachvollziehbare Situation auf und bringt die Thematik einer verletzten Ehe, einer beinahe gescheiterten Beziehung auf einen neutralen Boden. Durch die Interaktion dreier Menschen, deren Verhältnis zueinander nur partiell belastet ist, kommt viel Licht in das Dunkel der Paarbeziehung.

Erzählt wird die Geschichte aus Sicht der neutralen Therapeutin Sandy, die sich bemüht, beide Seiten anzuhören und sich die gegenseitigen Vorwürfe zu Herzen nimmt, ohne sie menschlich zu bewerten. Der resultierende Text ist ein intensiver Abriss, eine gewollt spezielle Auseinandersetzung mit einer anscheinend fast verlorenen Liebe. Der Wechsel zwischen rein erzählenden Passagen und der wörtlichen Rede, bringt Abwechslung und Unterhaltungswert in die Geschichte. Als Leser könnte man eigentlich auf dem leeren grünen Sessel im Zimmer Platz nehmen und der Situation direkt beiwohnen.

Sehr interessant finde ich den Gedankenansatz des Autors, der ganz bewusst keine Schuldigen sucht, sondern sich mehr auf die kleinen, unbewussten Verletzungen stützt, die in ihrer Summe dennoch so großen Schaden anrichten können. Diese Art der Argumentation setzt eine gewisse emotionale Intelligenz voraus, oder auch Empathie für diverse menschliche Verhaltensweisen. Das empfinde ich als das große Plus dieser Lektüre: Menschen, die nicht frei von Fehlern sind und dennoch bereit, füreinander sich selbst und ihre bisherigen Verhaltensweisen grundlegend zu überdenken. Und es gelingt dem Autor auch, seine Protagonisten irgendwie unverbindlich wirken zu lassen, was in diesem Falle gar nicht einmal schlecht ist, weil man sich dadurch mehr auf die Fakten und weniger auf Sympathien stützt.

Manchmal dreht sich die Geschichte aber etwas im Kreis. Zum Beispiel wenn Charlotte an ihren Abmachungen und Prinzipien festhält, die sie jedoch keinen Millimeter weiterbringen oder wenn Steve einfach nicht verstehen mag, dass Charlotte die Trotzreaktion als einzigen Lösungsweg sieht. Dann hadert Sandy mit beiden und das ermüdet in der Wiederholungsschleife den Leser, obwohl ich mir fast sicher bin, dass das so gewollt ist. Denn welche Veränderung wird schon freudejubelnd begrüßt, wenn sie doch bedeutet, sich von den Verhaltensmustern der Gegenwart zu distanzieren?


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für einen ungewöhnlichen Roman, der viele Facetten hat. Manchmal sind es Wiedererkennungswerte, dann wieder möchte man sich die Haare raufen, ob der Uneinsichtigkeit der Protagonisten. Aber immer bleibt die Objektivität erhalten, die Einsicht, dass es Gefühle geben muss, wenn man sich die Mühe macht, eine Paartherapie zu beginnen. Das Thema ist wunderbar unverbraucht und die Klischees zeigen sich deutlich, ohne überhaupt als solche zu gelten – die Lektüre arbeitet nicht mit Vorwürfen sondern mit Vorschlägen und positiven Lösungsansätzen. Ein unterhaltsamer, abwechslungsreicher Roman mit vielen Denkansätzen und der nötigen Abstraktheit gleichermaßen. Mir hat die Lektüre sehr gut gefallen, vor allem, weil ein Körnchen Wahrheit in ihrer Wirkung steckt.