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Veröffentlicht am 13.09.2018

Die Anziehungskraft der Mächtigen

Der Junge auf dem Berg
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„Aber du bist noch jung, du bist erst sechzehn; du hast noch viele Jahre vor dir, um zu verarbeiten, dass du bei all dem mitgemacht hast. Aber red dir nie ein, du hättest von nichts gewusst.“


Inhalt


Pierrot ...

„Aber du bist noch jung, du bist erst sechzehn; du hast noch viele Jahre vor dir, um zu verarbeiten, dass du bei all dem mitgemacht hast. Aber red dir nie ein, du hättest von nichts gewusst.“


Inhalt


Pierrot Weber wächst in Frankreich auf, als Sohn eines Deutschen und einer Französin. Doch als seine Eltern nur wenige Jahre nacheinander versterben, steht der kleine Junge allein da. Zunächst kommt er in ein Waisenhaus, doch schon wenig später ergibt sich für ihn die Möglichkeit zu seiner leiblichen Tante Beatrix nach Österreich zu ziehen. Diese ist Angestellte im Berghof, einer ganz besonderen Residenz, die Adolf Hitler als Erholungsort nutzt. Pierrot darf sich fortan nur noch Peter nennen, soll seine französische Herkunft um jeden Preis verschweigen und seinen jüdischen Freund aus glücklichen Tagen möglichst bald vergessen. Alles, was dem Führer ein Dorn im Auge sein könnte, muss unbedingt vermieden werden. Und obwohl Peter das nicht versteht und sich keinen Reim darauf machen kann, macht er alles so, wie ihm befohlen wird. Schon bald findet der Junge sogar Gefallen an den schicken Uniformen, den großen Zielen des Führers und dessen engagierter Politik. Peter beobachtet, wie leicht es sich lebt, wenn man Macht ausübt, wie andere zurückweichen, wenn man harte Töne anschlägt und dass er sich doch recht gern an seinem Vorbild Adolf Hitler orientiert. Nur die Schattenseiten dieses Daseins erkennt Pierrot zu spät, die verhängnisvollen Entscheidungen, das Scheitern eines ganzen Systems, von dem der Junge nur wenig selbst erkannt und fast alles nur übernommen hat …


Meinung


Der irische Bestsellerautor John Boyne widmet sich auch in diesem Roman wieder dem Leben während des Nationalsozialismus aus der Sicht eines Kindes. Diesmal legt er Wert darauf zu zeigen, wie sich ein unschuldiges Kind in unmittelbarer Nähe zur Willkürherrschaft verändert und wohin all die Menschlichkeit verschwindet, die doch einst erlernt und gelebt wurde. Dabei setzt er auf die Naivität eines Jungen, auf seinen Wunsch nach Anerkennung und Zuwendung, auf sein Urvertrauen in die Richtigkeit erwachsener Entscheidungen – nur das ebenjener Junge den falschen Leuten vertraut und nicht durchschaut, dass jedes Lob nur auf Gehorsam basiert und jeder Fehltritt hart bestraft wird.


Ganz klar, ich bin ein großer Fan des Autors, vor allem weil seine Geschichten immer mein Herz erreichen, weil er sich grandios in die Gedankenwelt eines Kindes hineinversetzt und den Leser mitnimmt auf eine vereinfachte Form der Welt ringsherum. Der Schreibstil selbst ist denkbar einfach gehalten, in klaren überschaubaren Sätzen mit einem eindeutigen Handlungsverlauf, so dass auch jüngere Leser den Text sehr gut erschließen können.

John Boyne erschafft im ersten Teil eher eine mitleidige Stimmung des Lesers bezüglich des Hauptprotagonisten, welche aber im Folgenden immer mehr verkümmert, weil sich Peter zu einem Abbild des Hausherren entwickelt und damit viele Sympathien verliert. Sehr gelungen fand ich in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, dass sich Peter auf sein Wesen sehr viel einbildet und es partout nicht versteht, warum ihm alle so abweisend und kalt begegnen. Die Schuld sucht er nicht bei sich selbst und Widerworte duldet er nicht.

Auf anschauliche Art und Weise wird hier gezeigt, welche Anziehungskraft die Mächtigen haben, wie leicht und beeinflussbar das Wesen eines Kindes ist und wie schnell Bewunderung in fatale Verhaltensweisen umschlagen kann. Ein kleines Manko hat das Buch aber doch: es arbeitet als Zeitraffer, presst die vielen Jahre nachdem der Führer abgesetzt wurde und aus dem jungen Pierrot ein Mann geworden ist auf nur wenige Seiten der Erzählung. Dadurch verliert der Roman in der zweiten Hälfte etwas an Gewichtung, lässt Wichtiges aus, bleiben Lücken bestehen. Selbst das Erwachsenwerden des Protagonisten bleibt blass, er selbst scheint nach wie vor gefangen in seinem kindlichen Leben und damit liegt die Aussagekraft des Buches etwas unter Wert.


Fazit


Ich vergebe 4,5 Lesesterne für diesen besonderen Roman, erzählt aus kindlicher Perspektive, der ein Leben am Rande der Wirklichkeit schildert und die Frage nach Schuld und Unwissenheit aufwirft, sie aber gewissenmaßen unbeantwortet lässt. Empfehlenswert ist der Roman für alle, die sich gerne in Geschichten hineinversetzen, für jüngere Leser, die nicht unbedingt auf Bedeutungsschwere und einen logischen Aufbau Wert legen. Generell würde ich dieses Buch ins Genre Kinder-und Jugendliteratur einsortieren, als Roman hat es wenig Bestand. Dennoch hat mir auch diese Geschichte schöne Lesestunden beschert, die ich selbst meinem 5-jährigen Sohn in Ansätzen erklären konnte.

Veröffentlicht am 11.09.2018

Sind wir mutig oder naiv?

Im Blick
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„Wir könnten uns in den nächsten Wochen entscheiden, uns wieder voneinander zu entfernen. Wir könnten aber auch zusammen sein und einen Alltag miteinander haben. Ich kann mir beides vorstellen.“


Inhalt


Die ...

„Wir könnten uns in den nächsten Wochen entscheiden, uns wieder voneinander zu entfernen. Wir könnten aber auch zusammen sein und einen Alltag miteinander haben. Ich kann mir beides vorstellen.“


Inhalt


Die namenlose Ich-Erzählerin des Buches lässt den Leser teilhaben an ihrem Leben. Zunächst schildert sie eine Freundschaft mit Anja, die genauso alt ist, wie sie selbst und mit der sie sämtliche Erfahrungen ihrer Jugend gemacht hat. Gemeinsam waren sie 11, dann 12, dann 13 Jahre alt…

Und nun ist ebenjene Frau erwachsen, lebt ganz bewusst homosexuell und schildert einprägsam ihre gegenwärtige On-/Off-Beziehung mit ihren Höhen und Tiefen. Die Erzählstränge laufen parallel, wechseln einander ab und skizzieren einen größeren Lebensabschnitt, sodass man das Buch durchaus als Coming-of-Age Roman bezeichnen kann. Besonderes Augenmerk bekommt jedoch nicht die zwischenmenschliche Seite der Einzelbeziehung, sondern die Außenwirkung, die Erlebnisse und Erfahrungen der Frauen, die in immer neuen fast unzähligen Kleinigkeiten aufgearbeitet werden und dem Leser einen sehr aggressiven Feminismus präsentieren. Die Grenzen zwischen dem Du und dem Ich verwischen immer mehr, scheinen auch vollkommen irrelevant zu werden, stattdessen manifestiert sich eine für mich fragwürdige Gesamtaussage, die vor allem das Feindbild Mann im Fokus hat.


Meinung


Die junge österreichische Autorin Marie Luise Lehner schreibt kontroverse, unabhängige Romane, die genau darauf basieren, andere aufzurütteln, ihnen Unglaubliches zu präsentieren und nicht unbedingt Sympathien zu wecken. Ihr Schreibstil wirkt modern, bietet poetische Gedanken und Schimpfwörter in fast einem Atemzug, wirkt flüchtig und intensiv gleichermaßen und scheint ein persönliches Markenzeichen zu sein. Bereits in ihrem Roman „Fliegenpilze aus Kork“ greift die Autorin Begriffe wie Lieben und Geliebtwerden auf, gestaltet sie authentisch, menschlich, manchmal hilflos, dann wieder hoffnungsfroh, doch hier wird dieser Gedankengang nur peripher berührt und zu Gunsten einer radikalen, feministischen Ansicht verdrängt, die im Laufe des Textes immer brisanter wird und mich nach und nach abgeschreckt hat.


Positiv beurteile ich den Umgang mit den diversen Geschlechterrollen, ein Spiel zwischen männlichen und weiblichen Eigenschaften, die nicht zwangsläufig angeboren, vielmehr anerzogen zu sein scheinen – hier horcht man als Leser in sich hinein, ob genau diese Vorurteile nicht ausschlaggebend sind, ob man nicht selbst in Klischees denkt und Frauen immer in die Opferrolle drängt oder Männer als Macher ansieht. Allerdings verliert auch dieser zweite Ansatz des Buches an Potential. Was bleibt nun auf den wenigen 186 Seiten Lesestoff? Eine holprige, anklagende Schrift gegen die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts, ein Aufruf zu mehr Feminismus zwischen den Betroffenen und der Vorschlag sich gegenseitig zu stärken, gegen die schiere Übermacht des männlichen Sexismus.


Fazit


Ich kann hier leider nur 2,5 Lesesterne vergeben (aufgerundet 3, denn es waren gute Ansätze erkennbar). Dem provokanten Text, mit seinen vielseitigen Ansätzen und seinen breit gefächerten Ansichten, fehlt es an Kontinuität, an einer echten, erzählenswerten Geschichte. Und alle Emotionen, die anfangs noch gut spürbar sind, werden von Wut und Unverständnis gegenüber anderen überdeckt. Tatsächlich stört mich nicht einmal der Umstand, dass die Personen so blass und unentschlossen wirken, manchmal naiv, dann wieder risikobereit, immer auf der Suche nach dem noch größeren Hype auch in Form von Drogen und Alkohol, immer an der Grenze zum Anderssein. Damit könnte ich leben, das passt zum Buch. Vielmehr stört mich die zerfaserte Geschichte, der ich außer einer für mich nicht relevanten feministischen Sicht nichts weiter entnehmen kann.

Veröffentlicht am 11.09.2018

Dies ist meine Geschichte

Scheintot
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„Das wird allmählich zu einem Kampf der Giganten zwischen den verschiedenen Behörden. Das Boston PD ist da wie eine Maus, die zuschaut, wie zwei Elefanten aufeinander losgehen.“


Inhalt


Natürlich gibt ...

„Das wird allmählich zu einem Kampf der Giganten zwischen den verschiedenen Behörden. Das Boston PD ist da wie eine Maus, die zuschaut, wie zwei Elefanten aufeinander losgehen.“


Inhalt


Natürlich gibt es auch in der Pathologie immer wieder Überraschungen, doch nicht alle sind harmlos. Angeblich wartet unter dem Leichentuch, welches Maura Isles zurückschlägt eine Wasserleiche, doch diese ist noch gar nicht tot. Vielmehr ist die junge attraktive Frau, die ihr entgegenblickt gefährlich, denn wenig später hat sie sich mit mehreren Geiseln im Krankenhaus verschanzt und fordert gemeinsam mit ihrem Komplizen eine öffentliche Live-Sendung im Fernsehen.

Doch noch viel gravierender als eine Verhandlung mit den Tätern ist die Tatsache, dass sich durch Zufall Detective Jane Rizzoli in der Gewalt der Fremden befindet, weil sie eigentlich nur in diesem Krankenhaus war, um ihr Kind zu entbinden. Gabriel Dean, der Mann der Polizistin setzt alle Hebel in Bewegung, damit die Geiselnahme unblutig endet, begibt sich letztlich selbst in die Höhle des Löwen. Plötzlich schalten sich die obersten Behörden ein und dem Polizeirevier sind die Hände gebunden. Was wollte der Geiselnehmer denn kurz vor seinem Tod publizieren? Und warum glaubt Jane, den Namen einer Frau zu kennen, die für die Wahrheitsfindung sehr wichtig ist, aber sich im Untergrund versteckt hält?


Meinung


Auch im 5. Band der vorliegenden Thriller-Reihe der amerikanischen Bestsellerautorin Tess Gerritsen, findet der Leser einen spannenden, hochexplosiven Plot mit vielen Wendungen und interessanten Schachzügen, auch wenn inhaltlich nicht viel Ungewöhnliches geboten wird. Vielmehr greift die Autorin auf die Klassiker zurück: Eine vermeintliche Leiche, die nicht tot ist und in letzter Minute vom Seziertisch springt, eine spektakuläre Geiselnahme, die alle Medienvertreter aufs Spielfeld ruft und ein ominöser Cold Case, der mehreren Prostituierten das Leben gekostet hat und sehr eng mit den Akteuren des aktuellen Falls verknüpft ist. Und obwohl mich die gewählten Eckpunkte hier nur mäßig angesprochen haben, gelingt es der Autorin dennoch einen für mich absolut lesenswerten Thriller zu konstruieren.


Ich glaube der Reiz des Buches liegt einfach darin, dem Geschehen hautnah zu folgen. Denn das ist das Große Plus dieser Reihe, immer fühlt man sich mittendrin, nah bei den Protagonisten, involviert in die Handlung und inspiriert von den diversen Entwicklungen. Wäre dieser Thriller mehr ins politische abgedriftet und hätte die Ränkespiele zwischen den großen Polizei- und Sicherheitsbehörden der USA aufgegriffen, dann wäre ich bestimmt enttäuscht gewesen, doch die Autorin bleibt einer engen, privaten Erzählung um die beiden Hauptprotagonistinnen Rizzoli und Isles treu und führt auch kleine Dinge auf, wie z.B. das problembehaftete Erschließen einer plötzlichen Mutterrolle und die Schwierigkeiten, die sich für eine Paarbeziehung ergeben, wenn der Nachwuchs da ist.


Fazit


Insgesamt vergebe ich 4 Lesesterne für diesen Thriller, der sich nahtlos an die Vorgänger anschließt und auch das Privatleben der Protagonisten beleuchtet. Diesmal ist es doch eher der Klassiker, mit einer guten Portion Drama zwischendurch. Spannend und unterhaltsam erzählt mit vielen abwechslungsreichen Schauplätzen und einer intensiven Hintergrundstory, die mich ebenfalls überzeugt hat. Nicht das beste Buch der Reihe aber für Fans absolut lesenswert.

Veröffentlicht am 09.09.2018

Unsere Flügel und unsere Fesseln

Loyalitäten
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„Übrigens seltsam, dieses Gefühl einer Besänftigung, wenn schließlich das hervorkommt, was man nie sehen wollte, obwohl man wusste, dass es ganz in der Nähe vergraben war, dieses Gefühl von Erleichterung, ...

„Übrigens seltsam, dieses Gefühl einer Besänftigung, wenn schließlich das hervorkommt, was man nie sehen wollte, obwohl man wusste, dass es ganz in der Nähe vergraben war, dieses Gefühl von Erleichterung, wenn sich das Schlimmste bestätigt.“


Inhalt


Ausgehend von der Erzählung der Lehrerin Hélène lernen wir den 12-jährigen Theo Lubin kennen, er lebt jeweils eine Woche beim Vater und die andere bei seiner Mutter. In der Schule ist er ein stiller Junge, der nur einen einzigen Freund hat und mit dem all seine Zeit verbringt. Hélène beobachtet ihre Schüler sehr genau und entdeckt an Theo Veränderungen, die niemand sonst sehen will. Der Junge scheint ein echtes Problem zu haben, und sie möchte ihm gerne helfen, doch Theo lässt sich darauf nicht ein, immer wieder beteuert er Erwachsenen gegenüber einfach nur müde zu sein und unter Schlafstörungen zu leiden. Körperliche Verletzungen kann nicht einmal die Schulschwester entdecken und der Lehrerin sind gewissermaßen die Hände gebunden. Es bleibt ihr nicht viel mehr, als den Jungen weiter zu beobachten und das Gespräch mit den Eltern zu suchen.

Mathis, Theos Freund weiß, was ihn wirklich bedrückt, doch er möchte ihn nicht verraten, will nicht erzählen, dass Theos Vater immer mehr abrutscht und der Sohn alles vertuschen muss, damit sein imaginäres Familienmodell nicht einstürzt. Im Alkohol versucht Theo all sein Leid zu vergessen, er möchte nur einmal die Schwelle zum Koma überschreiten, abtauchen und von jeder Last befreit sein. Die einzige die den Alkoholmissbrauch der Jungen bemerkt ist die Mutter von Mathis, doch diese hadert mit dem eigenen Leben und bringt nicht die Kraft auf, auch noch den Freund des Sohnes aus dem Sumpf zu holen. Und so nimmt ein gefährliches Spiel seinen Lauf …


Meinung


Die preisgekrönte französische Autorin Delphine de Vigan greift in ihrem aktuellen Roman ein Tabuthema auf, ohne jedoch weiter auf das Phänomen des Alkoholmissbrauchs unter Jugendlichen einzugehen.


Sie setzt ihr Augenmerk vielmehr auf die zwischenmenschliche Komponente, die zeigt, wie dicht und komplex das Beziehungsgeflecht diverser Personengruppen ist und wie schwierig es für den Einzelnen ist, eine falsche Entwicklung nicht nur zu erkennen, sondern vor allem aufzuhalten. Der Titel des Buches ist sehr treffend gewählt, denn Loyalitäten können zwar einerseits Flügel verleihen, weil sie Kräfte entfalten, die nur mit Treue und Hingabe erreichbar sind, doch sie können ebenso vernichtend wirken, wenn man in schwierigen Situationen derart an seine Versprechungen gebunden ist, dass es schier unmöglich wird, einen Schlussstrich zu ziehen.


Dieser Roman hat mich irgendwie geplättet, nicht nur auf Grund der bemerkenswerten, durchaus ungewöhnlichen Thematik, die hier sehr einprägsam beschrieben wird, sondern vielmehr wegen seiner Perspektivenvielfalt und der Verflechtung einzelner Lebenswege. Manchmal sind es eher die Banalitäten, die so immense Bedrückung auslösen. Ein Trennungskind zu sein, ist keine Schande, doch zum Spielball zwischen den zerstrittenen Elternteilen zu werden eine echte Last. Noch schlimmer, wenn die Eltern nicht mehr in der Lage sind, ihr Kind als das wahrzunehmen, was es ist, wenn sie selbst in einem Sumpf aus Vorwürfen und Abgründen versinken.


Und dann natürlich das Unvermögen, sich als Kind aus dieser Situation zu befreien, ohne andere Menschen mit hineinzuziehen, ohne jemanden zu verletzen, ohne Hilfe für sich selbst beanspruchen zu wollen. Der Leser entdeckt Theo immer wieder neu, in jedem Satz und sieht ihn doch nach und nach Verschwinden, sieht seinen persönlichen Weg des Abschiednehmens von der Normalität. Gleichzeitig wird auch die Berührungsachse mit seinen Mitmenschen sichtbar, die eben jene Entwicklung immer wieder verdrängen, ihr kaum Bedeutung beimessen und sie schönreden. Ganz nach dem Motto: „Ein Junge, der keine Probleme macht, kann auch keine haben.“ Der fatale Verlauf des Geschehens macht wiederrum deutlich, welch Trugschluss sich dahinter verbirgt.


Auf erschreckend ehrliche Art und Weise vermag es die Autorin, den Leser in eine sehr alltägliche Situation hineinzumanövrieren, die sich fast nebenbei ergibt. Kleinere Unstimmigkeiten bringen doch keine Welt zu Fall! Nur gelingt es ihr ganz hervorragend, diese einfache Sicht auf die Dinge zu widerlegen, ihr eine Dominanz zu verleihen, die danach schreit, Gehör zu finden, ohne jemals laut zu werden. Der Roman sensibilisiert, bereitet Bauchschmerzen, lässt Mitleid wachsen und Verständnis keimen, weckt Hoffnungen und rüttelt wach. Sehr faszinierend, ausgesprochen einprägsam und vernichtend in der Gesamtaussage: „Was macht das Menschsein aus, wenn jeder nur wegschaut und die Schwachen aus dem eigenen Gedankengut verbannt, wenn Kinder keine Kraft mehr haben, wenn niemand mehr zuhört und keiner nachfragt?“


Fazit


Von mir gibt es eindeutig 5 begeisterte Lesesterne für diesen wachrüttelnden, sozialkritischen Roman, der Realitäten einfängt und Missstände aufdeckt. Ein nahezu perfektes Buch, bei dem jeder Satz wirkt und jede Handlung eine Lawine an Reaktionen auslöst. Die Kommunikation oder auch ihr Fehlen ist neben vielen persönlichen Verfehlungen die Spitze des Eisberges, bei dem es allerdings existentiell erscheint, ihn in all seinen Schichten abzutragen, wenn man jemals zum Kern gelangen möchte. Mein Tipp: Lest dieses Buch und geht aufmerksamer durch die Welt!

Veröffentlicht am 04.09.2018

Doch weil sie so unsterblich sich liebten

Königskinder
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„Ach so, ein Mädchen!, ruft Prinzessin Elisabeth. Na, wenn´s weiter nichts ist. Die Alpen hätte ich ihn nicht herbeischaffen können, aber ein Mädchen – das kriegen wir hin.“


Inhalt


Während Max und ...

„Ach so, ein Mädchen!, ruft Prinzessin Elisabeth. Na, wenn´s weiter nichts ist. Die Alpen hätte ich ihn nicht herbeischaffen können, aber ein Mädchen – das kriegen wir hin.“


Inhalt


Während Max und Tina, ein langverheiratetes Ehepaar eine Nacht im eingeschneiten Wagen verbringen müssen, erzählt Max seiner Frau eine Geschichte vom Kuhhirten Jakob, der eigentlich einsam und allein in seiner Almhütte in den Bergen von Greyerz lebte und dessen großer Liebe Marie, die als die Tochter des wohlhabendsten Bauern, lange Zeit unerreichbar für ihn blieb. Und so vertreiben sich die beiden Eingeschneiten die Zeit und fiebern mit dem Liebespaar von einst mit, ob es diesem nicht vielleicht doch gelingt, zueinander zu finden.


Meinung


Endlich habe ich es auch einmal geschafft, ein Buch des prämierten Schweizer Autors Alex Capus zu lesen, auf dessen Bücher ich schon mehrfach aufmerksam geworden bin. Inhaltlich gesehen widmet sich der Autor in seinem aktuellen Roman der Liebe, die auch die Jahre überdauert, die bleibt und wächst trotz zahlreicher Entbehrungen und die sich auch von außen nur schwer lenken lässt. Eingebaut in eine sehr unterhaltsame, humorvolle Rahmengeschichte, in der ein Paar sich unterhält, welches zwar 26 Jahre glücklich verheiratet ist, aber sich nach wie vor über die Kleinigkeiten des Alltags in die Haare bekommt, entwirft er das Bild einer nicht erwünschten Beziehung in der Vergangenheit.


Das Buch ist mit seinen 185 Seiten eher schmal und erzählt doch gleich zwei Geschichten, auch wenn es von beiden natürlich nur Lebensausschnitte sind. Tatsächlich konnte ich der Rahmenhandlung mit Max und Tina im Auto nicht immer etwas abgewinnen, waren mir ihre Dialoge doch manchmal zu überspitzt, fast schon nervig, selbst wenn sie an das normale Leben anknüpfen und einige Parallelen zu langjährigen Partnerschaften erkennbar sind.

Vielmehr ansprechen konnte mich die Liebesgeschichte aus der Vergangenheit. Der Autor setzt ganz bewusst Grenzen, und zeigt, dass zum Beispiel die Allmacht des Elternhauses damals eine sehr entscheidende Komponente war, warum Liebende nicht ohne weiteres zueinander finden konnten. Doch er baut in seine fiktive, wenn auch auf einigen wahren Begebenheiten basierende Geschichte, das Glück, die Zufälle und die Kraft der Liebe, ihre Geduld und Unbeirrbarkeit ein. Ganz nebenbei führt er den Leser an den französischen Hof, zeigt ein verkommenes Schloss Versailles, einen beinahe entmachteten Adel und gleichzeitig die Bemühungen des Volkes, ihr Land zu revolutionieren. Historische Hintergründe findet man also auch noch.


Das Besondere an dem Buch ist einfach nur eine liebenswerte, äußerst humorvolle Schreibweise, die Aussagekräftiges ausschmückt oder Unwichtiges retuschiert. Im besten Sinne des Wortes ein Roman, mit lebhafter Erzählung, interessanten Aspekten, vertrauensvollen Protagonisten und einer wichtigen Botschaft, auch wenn diese leider nicht so ganz klar zu Tage tritt.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen Unterhaltungsroman, der nicht den Anspruch stellt Neues zu offenbaren, sondern sich auf das Erzählen, das Ausdenken von Zusammenhängen, die kleinen liebenswerten Widersprüche und die zwischenmenschlichen Töne beruft. Ich habe ihn gerne gelesen, auch wenn mir manchmal die Handlung zu seicht war, das Aufbegehren zu vorhersehbar, das Positive zu dominant. Gerade am Ende des Buches habe ich mir doch mehr Drama, mehr Tiefgang erhofft – doch der Autor überlässt es dem Leser, seine persönlichen Schlüsse zu ziehen. Ich empfehle das Buch denjenigen Lesern, die sich einfach in eine andere Zeit, mit andern Menschen hineindenken möchten und Unterhaltung suchen, all das wurde hier hervorragend umgesetzt. Mir hat es etwas an Schwere und Innerlichkeit gefehlt, beides meine Präferenzen bei Liebesgeschichten und diese hier ist einfach nur … schön.