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Veröffentlicht am 27.08.2018

Der Himmel ist die Grenze

Der Clan der Kinder
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„Wenn du kommandieren willst, ein Capo sein willst, musst du Angst haben, an jedem einzelnen Tag deines Lebens, in jedem Moment. Um sie zu besiegen, um zu erfahren, ob du es kannst. Ob die Angst dich leben ...

„Wenn du kommandieren willst, ein Capo sein willst, musst du Angst haben, an jedem einzelnen Tag deines Lebens, in jedem Moment. Um sie zu besiegen, um zu erfahren, ob du es kannst. Ob die Angst dich leben lässt oder alles vergiftet.“


Inhalt


Nicolas Fiorillo hat große Pläne für sich und seine Freunde. Zwar sind sie alle pubertierende Teenager, die ihre Freizeit mit Ego-Shooter-Spielen und der Entdeckung ihrer ersten Freundin verbringen, doch eines ist klar: sie werden auf den Straßen von Neapel groß, sie wachsen hinein in ein System von Mafiabossen, Lug und Betrug und wenn man es geschickt anstellt, dem großen Geld. Die Karriere der 10 Jungs startet mit Kleinkriminalität, ein paar Überfälle, einige Schlägereien, nichts was sie wirklich weiterbringt. Als ihr Mittelsmann seine Strafe im Gefängnis verbüßt, beschließt Nicolas eine eigene Paranza ins Leben zu rufen, einen Club der Elitären, der schon bald das Sagen im Ganzen Viertel haben soll. Mittels Blutsbrüderschaft wird der Bund besiegelt und fortan ist Verrat tödlicher als jemals zuvor. Die Kinder-Paranza, wie man sie schon bald nennt, besorgt sich Waffen und trainiert das Schießen, nicht nur an Hauswänden und Antennen, sondern bald auch mit lebenden Zielen. Mit Gewalt wollen sie Angst verbreiten, ihre Macht ausbauen und sich einen Ruf erarbeiten. Die bisherigen Mafiabosse nehmen die Jugendlichen lange Zeit nicht ernst, bis Nicolas und seine Jungs beschließen, die antiquierten Machthaber zu entthronen. Denn die Umschlagsplätze sind nur für den Stärksten da und die einzige Grenze, die akzeptiert wird ist der Himmel …


Meinung


Der italienische Autor Roberto Saviano, selbst in Neapel aufgewachsen, beschreibt hier die alles unterwandernde Wirtschaftskriminalität, die dunkeln Machenschaften der großen Bosse und ihre Skrupellosigkeit gegenüber dem Leben. Er selbst und sein Vater bekamen von der Camorra schon offene Morddrohungen und so lebt er verdeckt und recherchiert im Untergrund. Seine Anklage erfolgt in literarischer Form – auch das Leben auf der Überholspur fordert seinen Tribut.


Neugierig geworden auf das Thema des organisierten Verbrechens in Italien bin ich durch die Romane von Elena Ferrante, denn schon dort bekommt man, allerdings nur in Ansätzen das Szenario zu spüren. Bestechung, Verwandtschaft, Gefallen, die man anderen schuldet und eine seltsame Moral aus Brüderlichkeit und Verachtung. Von diesem Buch hier habe ich mir tiefere Einblicke und mehr Aufklärung gewünscht und sie auch bekommen, doch anders als erwartet, hat mich die Gewaltbereitschaft, die Sinnlosigkeit der Verbrechen, diese Scheinheiligkeit gegenüber Geld und Macht ziemlich abgestoßen und schon bald hätte ich mir gewünscht nicht noch mehr, nicht noch Schlimmeres zu erfahren.


Der Roman an sich wirkt ausgesprochen maskulin, was einerseits natürlich an der Dominanz der männlichen Protagonisten liegt, dann aber auch am Erzählstil an sich. Dieses aggressive, alles vernichtende, auf nichts rücksichtsnehmende Verhalten der Agitatoren, war mir ein Dorn im Auge. Da ist zum einen die vulgäre Sprache, die auf ein geringes Bildungsniveau schließen lässt, zum anderen der gehetzte Ton, die Befehlssprache eines Möchtegern-Gottes, die mich nicht erreichen konnte und nicht zuletzt eine doch sperrige Erzählstruktur, die sich intensiv mit dem Wie beschäftigt und leider weniger mit dem Warum. Frauen werden hier maximal als schmückendes Beiwerk betrachtet oder als die unantastbare Mutterfigur, die es zu verteidigen gilt – was für eine klischeebehaftete Klassifizierung. Selbst wenn der Wahrheitsgehalt des Buches ein hoher ist (was ich leider nicht ausreichend abschätzen kann), fehlt mir bei der Erzählung vor allem der Motivationsfaktor. Mein persönliches Resümee würde jetzt lauten: Für Geld, Macht und Status verkaufe ich mein Leben und mich selbst. Definitiv keine plausible Aussage für mich, irgendetwas fehlt mir da, vielleicht nur ein Denkansatz, aber den bietet der Roman nicht, er ist eine Art Abrechnung mit dem System vor Ort.


Positiv hingegen beurteile ich die persönliche Entwicklung von Nicolas, denn egal wie unsympathisch sein Verhalten auch ist, er durchläuft eine ganz klassische Entwicklung eines Menschen, der sich zielorientiert, fast besessen und absolut konsequent verhält. Selbst nach Rückschlägen lässt er sich nicht entmutigen, er hält seine Jungs zusammen und vereint sie gegen die Kräfte von außen. Er stellt ihre Treue unter Beweis und verbeißt jene, die sich ihm nicht anschließen wollen. Er ist der Chef und gibt den Ton an, er kommandiert und gibt niemals klein bei und er holt sich Tipps von den „Großen“, die er eines Tages vernichten wird, sobald sie ihm im Wege stehen.


Fazit


Ich vergebe 3 Lesesterne für diesen temporeichen, beängstigenden Roman, der inspiriert ist von Begriffen wie Status, Macht, Gewissen und Folgsamkeit. Er bildet das Leben jugendlicher Straftäter in einem vollkommen isolierten Rechtsspektrum ab und offenbart fragwürdige Methoden der Wahrheitsfindung. Die Welt konzentriert auf wenige Plätze, die Verhältnisse zu Gunsten der Stärkeren, die Ohnmacht des öffentlichen Rechtsstaates, die Willkür der vollzogenen Handlungen. All das bleibt mir doch weitestgehend fremd und fesselt mich nicht wirklich. Eigentlich kann ich nur den Kopf schütteln, bezüglich jener Lebensweise. Was man diesem Roman aber zu Gute halten muss, ist eine offene, schockierende Wirkung, die zeigt, wie es sein kann, wenn das Menschsein gegen die Machtbesessenheit verliert. Und das gab es historisch schon viele Male und das gibt es auch heute noch.

Veröffentlicht am 22.08.2018

Ein Doppelgänger auf dem Seziertisch

Schwesternmord
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„In ihrem Gesicht, ihren Augen, trug Maura das Kainsmal ihrer Abstammung. In ihren Adern floss das Blut von Mördern. Doch das Böse war nicht erblich.“


Inhalt


Vor dem Haus der Pathologin Maura Isles ...

„In ihrem Gesicht, ihren Augen, trug Maura das Kainsmal ihrer Abstammung. In ihren Adern floss das Blut von Mördern. Doch das Böse war nicht erblich.“


Inhalt


Vor dem Haus der Pathologin Maura Isles wird eine Frau gefunden, erschossen sitzt sie in ihrem Wagen und ein Nachbar verwechselt sie mit Maura. Aber auch Detective Rizzoli fällt die optische Ähnlichkeit sofort ins Auge. Als Maura von einer Dienstreise zurückkehrt und die Fremde sieht, wird ihr selbst Himmelangst, denn nicht nur äußerlich gleichen sich die Frauen aufs Haar, sondern auch die Obduktion der Leiche zeigt, dass es sich um mehr handeln muss als nur eine Laune der Natur. Wenig später wird klar, dass Maura und die Ermordete Anna tatsächlich Schwestern waren, die jedoch als Adoptivkinder in verschiedenen Familien großgeworden sind. Endlich bekommt die Pathologin Isles die Chance, ihre leibliche Mutter kennenzulernen, auch wenn diese angeblich zwei Frauen ermordet haben soll und mit der Diagnose Schizophrenie hinter Gittern sitzt. Beängstigend ist nur die Tatsache, dass Detective Rizzoli noch weitere Morde der Inhaftierten aufdeckt und ein prägnantes Muster im Vorgehen der Täter entdeckt. Doch wer ist der zweite Mann an der Seite der Serienmörderin, die schon einige Jahre hinter Schloss und Riegel sitzt? Und warum fühlt sich Maura Isles plötzlich so bedroht und ständig im Visier eines Unbekannten?


Meinung


Auch im 4. Band der Rizzoli-Isles-Reihe überzeugt die amerikanische Autorin Tess Gerritsen mit einem enorm spannenden, sehr persönlichen Fall, der nicht nur der Ausgangspunkt eines weitreichenden Familiendramas ist, sondern auch die Auseinandersetzung mit einem mörderischen Täterpaar. Nach und nach erkennt der Leser die vielen Parallelen zwischen den aufgegriffenen Handlungssträngen und fühlt sich mit den Protagonisten und ihren Befindlichkeiten im Einklang. Wie schon in den Vorgängerromanen ist es nicht nur die bloße Kriminalhandlung, die den Reiz des Buches ausmacht, vielmehr die Verflechtung zwischen dem Privatleben der handelnden Personen und ihrem jeweils aktuellen Fall. Immer wieder kann man hier an ein ganzes Geflecht an Ereignissen und Geheimnissen anknüpfen und einem weiteren Gedankengang folgen. Auffallend ist demnach für mich der Schmökerstatus der Einzelbände. Die Mordfälle selbst bilden eher den Rahmen, während das Herzstück des Romans auf der Offenbarung persönlicher Geheimnisse und unentdeckter Schlaglöcher der Vergangenheit beruht. Also durchaus ein Buch für diejenigen Leser, die es eher subtil und weniger brutal mögen.


Der Schreibstil der Autorin ist sehr leicht und angenehm lesbar, eindeutig erzählender Natur und wenig auf Effekthascherei basierend. Die jeweiligen Cliffhänger am Ende der übersichtlichen Kapiteleinteilung sind gut gewählt und werden auch im Folgenden aufgegriffen, denn nichts ist frustrierender als dann keine Neuigkeiten zu erfahren. Für einen Thriller liest sich das Buch etwas behäbig, da man das Gefühl hat, eher einen Roman vor sich zu haben (da ich aber Romane liebe, stört mich dieser Umstand herzlich wenig).


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen raffinierten Thriller, der auch eine psychologische Abrechnung mit dem Bösen ist. Der Gedanke erbliche Verhaltensweisen aufzugreifen und zu zeigen, welchen Stellenwert die Biologie bekommt und welches Verhalten der Erziehung zuzusprechen ist, fasziniert mich. Auch die gute Kombination zwischen Mordfall und Familientragödie konnte mich für dieses Buch einnehmen. Einzig die Tatsache, dass es wenig Einprägsames gibt, stört mich ein wenig. Auch bei dieser Reihe verschmelzen die Details mit der Gesamterzählung und rückblickend ist es nicht das einzelne Buch, der spezielle Fall, welcher einprägsam erscheint, sondern das komplette Werk. Deshalb habe ich beschlossen auch bei dieser Kriminalreihe am Ball und damit auf dem Laufenden zu bleiben.

Veröffentlicht am 17.08.2018

Die Kuckucksuhr und der Hungerengel

Atemschaukel
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„Das Lager ist eine praktische Welt. Die Scham und das Gruseln kann man sich nicht leisten. Man handelt in stabiler Gleichgültigkeit, vielleicht in mutloser Zufriedenheit. Sie hat mit Schadenfreude nichts ...

„Das Lager ist eine praktische Welt. Die Scham und das Gruseln kann man sich nicht leisten. Man handelt in stabiler Gleichgültigkeit, vielleicht in mutloser Zufriedenheit. Sie hat mit Schadenfreude nichts zu tun. Ich glaube, je kleiner die Scheu vor den Toten wird, umso mehr hängt man am Leben.“


Inhalt


Der 17-jährige Leopold Auberg wird nach Ende des Krieges in ein russisches Arbeitslager deportiert, in dem er fortan für 5 endlos lange Jahre, körperliche Schwerstarbeit zu menschenunwürdigen Lebensbedingungen verrichten muss. In dieser Zeit sieht er viele Sterben, erlebt er eine brutale Gleichgültigkeit, gegenüber Befindlichkeiten jeder Art. Das einzige was zählt, ist das Überleben, das Nicht-Verhungern, das Abschalten, die Anpassung. Begriffe wie Demütigung, Scham, Gerechtigkeit und Toleranz kommen ihm schnell abhanden, ebenso wie seinen Leidensgenossen. Manch einer zerbricht, viele verlieren den Kampf und deshalb beschließt Leopold, einen inneren Frieden mit seinem Schicksal zu schließen. Er wird nicht aufbegehren, nicht flüchten, nicht hadern, er schenkt sein junges Leben dem Lager selbst, kämpft den Kampf mit dem allseits aktiven Hungerengel und übt sich in stoischer Haltung. Heimweh lässt er nicht zu, doch die Worte seiner Großmutter bei der Verschleppung durch die Patrouille bewahrt er im Herzen, um sie eines Tages wahrwerden zu lassen: „Ich weiss du kommst wieder.“


Meinung


Der auf Tatsachen beruhende Roman der deutschen Autorin Herta Müller, war 2009 für die Shortlist des Deutschen Buchpreises nominiert und basiert auf Gesprächen mit Überlebenden der russischen Kriegsgefangenenlager. Allein die gewählte Thematik lässt auf einen bitteren, schwermütigen Roman schließen, der Menschen in den Mittelpunkt rückt, die nichts mehr hatten, niemand mehr waren und doch ein Leben besaßen, in das sie vielleicht eines Tages zurückkehren könnten. Einige haben es geschafft und diese dürfen nun erzählen, was sie verloren haben, was sie besiegen konnten und was ihnen letztlich bleibt. Die Autorin bemüht sich, ihre Stoffsammlung über die Grausamkeiten in Form einer Geschichte zu formulieren, dennoch bleibt das Buch für mich ein Bericht, eine sehr sachliche, nüchterne Abhandlung mit wenig Romancharakter. Natürlich ist es kein Sachbuch, doch vermittelt es mehr Wissen als Gefühl und lässt mich so zwar teilhaben am Lagerleben und der endlosen Eintönigkeit in der Steppe, doch es findet keinen Weg in mein Herz. Vielleicht auch, weil ich persönlich keinerlei Bezug zu Gefangenenlagern habe und sich für mich nur ein Bild der Menschenunwürdigkeit zu einem unheimlich hohen Preis aufdrängt. Doch das habe ich anderen Büchern auch schon gelesen.


Die Charaktere selbst bleiben etwas blass, ihr Leid wird jedoch in zahlreichen Facetten aufgegriffen. Leopold war erst 17 Jahre als er interniert wurde, immer wieder musste ich mir das vor Augen halten, denn gefühlt war der schon viele Jahre älter, im letzten Drittel des Buches dann die Rückkehr nach Hause, ein Leben jenseits der abgeschnittenen Freiheit und doch nichts anderes als ein seelisches Gefängnis. Nie mehr ist er der Mann geworden, der er hätte sein können, wenn es dieses Kapitel nicht gegeben hätte.


Es gibt zwei Punkte, die mich dazu bewogen haben, das Buch besser zu bewerten, als ich es tatsächlich empfunden habe. Zum einen ist es die Tatsache, dass Herta Müller hier einen Roman gegen das Vergessen geschrieben hat, mit Hilfe jener Zeitzeugen die mittlerweile nicht mehr leben. Sie hat ihnen eine Stimme gegeben, die auch Generationen später noch wirkt– ein wichtiger, sehr elementarer Faktor der zeitgenössischen Literatur.

Und zum anderen ist es die Kraft ihrer Sprache, die Wortwahl, die bedeutungsschwangeren Sätze, die mich immer wieder haben innehalten lassen und die für mich das Glanzstück dieses Werkes sind. Ganz philosophische Betrachtungen, schön formuliert, teilweise in selbstgewählten, abstrakten Begriffen wie „Atemschaukel“, „Hungerengel“, „Herzschaufel“ oder „Wangenbrot“. Dieser nicht ganz alltägliche Schreibstil, bleibt mir in Erinnerung und ich könnte mir dieses Stück Literatur auch sehr gut im Unterricht vorstellen, weniger wegen der Einprägsamkeit, vielmehr, um zu zeigen, wie es war, zum Gedenken und Erörtern. Denn all das verspürt man beim Lesen: den Wunsch sich auszutauschen über die Inhalte und Erkenntnisse.


Fazit



Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen klaren, aussagekräftigen, sachlichen Roman über ein Leben in der Einöde, immer an der Grenze zwischen Sterben und Überleben, fernab der Menschlichkeit, fernab der emotionalen Zuwendung, beschränkt auf die nächsten 24 Stunden, die überlebt werden müssen. Erschreckend und bewegend ist das Gesamtszenario, die Gründe für diese verachtende Lebensweise, die Sinnlosigkeit des Menschseins im Angesicht der Willkür anderer. Gerechtigkeit kann man nicht erfahren, sich nicht auf Glück und Zufälle berufen, noch nicht einmal begreifen, welche seelischen Verwundungen entstanden sind und doch setzt sich ganz zum Schluss ein überwältigender Gedanke fest: es wird immer, irgendwie weitergehen. Nicht unbedingt hoffnungsfroh aber zumindest überlebensfähig. Ein Roman, bei dem man das Gefühl verspürt, sich mit der Gemeinschaft darüber auszutauschen, selbst wenn er es nicht in die Riege der persönlichen Favoriten schafft.

Veröffentlicht am 14.08.2018

Ich sterbe nicht!

Mercy Seat
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„Es ist wie die Erinnerung an Schmerz, nachdem der Schmerz abgeklungen ist. Es ist eine Erinnerung. Der Schmerz hat aufgehört.“


Inhalt


Will Jones wartet geduldig auf seine Hinrichtung, denn ihm bleibt ...

„Es ist wie die Erinnerung an Schmerz, nachdem der Schmerz abgeklungen ist. Es ist eine Erinnerung. Der Schmerz hat aufgehört.“


Inhalt


Will Jones wartet geduldig auf seine Hinrichtung, denn ihm bleibt nichts anderes übrig, nachdem er an der Vergewaltigung einer jungen weißen Frau angeklagt wird, die in Wahrheit seine große Liebe war. Zu diesem Zweck wird extra der elektrische Stuhl in die kleine Ortschaft St. Martinsville in den Bundesstaat Louisiana transportiert. Seine letzten Tage erträgt er still, in Erinnerung an eine Zeit, jenseits all seiner Sorgen. Er hat sein Urteil akzeptiert, möchte es nur noch schnell vollstreckt wissen und erfasst den unmenschlichen Sinn des Vorhabens dennoch nicht. Wäre er kein Mensch mit schwarzer Hautfarbe, so hätte es sich möglicherweise zu kämpfen gelohnt, doch so freut sich der Mob bereits auf ein grausiges Spektakel und wartet mit Spannung auf den letzten Atemzug des jungen Mannes. Und selbst die berechtigten Zweifel einzelner Beteiligter werden beiseite geschoben, um ein weiteres Beispiel zu demonstrieren, zu welch grausamen Strafen, die Spezies Mensch im Namen der Gerechtigkeit bereit ist …


Meinung


Basierend auf einer wahren Begebenheit schildert die junge amerikanische Autorin Elizabeth H. Winthorp das besondere Schicksal eines Mannes, vor dem Hintergrund eines sehr fragwürdigen Rechtssystems, geprägt von korrupten Mitbürgern, abhängigen Staatsanwälten und sensationslüsternen Bewohnern einer Kleinstadt, denen zwar allerlei Gedanken bezüglich menschlichen Versagens durch den Kopf gehen, die aber eine anscheinend unumkehrbare Entscheidung getroffen haben, die sie nun um jeden Preis vollziehen werden. Gleich zu Beginn des Buches wird der Leser mit einer Vielzahl von Akteuren konfrontiert, die alle ein winziges Puzzleteilchen im Getriebe der angesetzten Vollstreckung sind und aus ihrer jeweiligen Perspektive heraus schildern, was sie antreibt, was sie bewegt und welche Dinge chronologisch passieren. Doch gerade diese Vielfalt der Erzählstimmen hat mir den Roman etwas vergällt, weil den Mensch Will Jones dadurch nicht die für mich erhoffte Präsenz hatte und alles sehr distanziert und objektiv beschrieben wurde.


Jeder Charakter im Buch hat sein eigenes Päckchen zu tragen und eine mitunter für den Fall unerhebliche Sichtweise auf die Dinge. Hätte sich die Autorin auf weniger Protagonisten berufen und diese mehr von ihrem Innenleben erzählen lassen, wäre mir die an sich bedrückende Geschichte einer geplanten Hinrichtung sicherlich näher gegangen.


Etwas schade empfand ich auch die Tatsache, dass man als Leser schnell erahnt, auf was diese Geschichte hinausläuft, dass nimmt der Sache die Spannung, die Unvorstellbarkeit des Ganzen und versetzt die Leserschaft in die Rolle des stillen Beobachters. Und obwohl sich die Autorin große Mühe gibt, ihre Wahrheiten und Einsichten in schöner Sprache zu vermitteln, konnte ich mich in keinem, vor allem nicht in den unrechtmäßig Verurteilten Will hineinversetzten – sehr schade. Mag sein, dass sie keinen fiktiven Roman über eine historische Begebenheit schreiben wollte, dass sie sich lieber an die Tatsachen gehalten hat und ihre zur Verfügung stehende literarische Freiheit ganz bewusst nicht nutzen wollte, doch mich hat das etwas enttäuscht.


Fazit


Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen historisch inspirierten Roman, der ein dunkles Kapitel der amerikanischen Geschichte aufarbeitet, der sich mit Themen wie Schuld und Reue, Angst und Akzeptanz, Glauben und Wundern beschäftigt und dennoch sachlich bleibt. Echte Nähe und Emotionalität habe ich vermisst, dafür aber ein unterhaltsames, kurzweiliges Buch gefunden, in dem Einige über sich selbst hinauswachsen, andere trotz ihres Unverständnisses auf der Strecke bleiben und die Hoffnung auf ein Morgen durchaus spürbar wird.

Veröffentlicht am 14.08.2018

Die Menschenmördermaschine

Invisible
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„Du bist so wütend auf ihn. Du hasst diesen Menschen mehr als alles auf der Welt – obwohl du ihn gar nicht kennst. Und dann schlägst du zu …“


Inhalt


Kaum zu glauben, dass in Hamburg ein angesehener ...

„Du bist so wütend auf ihn. Du hasst diesen Menschen mehr als alles auf der Welt – obwohl du ihn gar nicht kennst. Und dann schlägst du zu …“


Inhalt


Kaum zu glauben, dass in Hamburg ein angesehener Chirurg einen Patienten während dessen Herzoperation brutal getötet hat, mit einem gezielten Stich in sein Herz. Noch dazu, weil sich Täter und Opfer anscheinend überhaupt nicht kannten. Auch als sich wenig später das gleiche Muster eines tödlichen Streits wiederholt, fragen sich die Ermittler Salomon und Buchholz, was es nun diesmal sein könnte. Doch bis auf die Tatsache, dass die Täter sich von ihren Opfern in die Enge getrieben fühlten, in der Öffentlichkeit dem Spott preisgegeben sahen und ominöse Beleidigungsschreiben erhielten, gibt es keinerlei Überschneidungspunkte zwischen den grausamen Taten. Mit Hilfe eines Mentalisten bemühen sich die Ermittler ein Tatmotiv herauszufinden und versuchen auf gut Glück eine Verbindung zwischen den Tätern herzustellen, da es anscheinend keine Überschneidungspunkte bei den Opfern gibt. Und noch während sie weiter mühsam im Dunkeln tappen, geschieht das nächste Verbrechen. Eines ist klar, die Zeit arbeitet gegen sie und wenn nicht bald dass fehlende Puzzleteil gefunden wird, stirbt der nächste Unschuldige.


Meinung


Zu einem Thriller aus Deutschland greife ich besonders gerne, wenn er gleich von einem Autorenduo verfasst wurde, bei dem ich von beiden Akteuren überzeugt bin. Und so konnte mich auch dieser Spannungsroman begeistern, der gekonnt aus zwei Erzählperspektiven schildert, wie sich mehrere unbegreifliche Mordfälle griffig zusammenfügen. Nina Salomon und ihr Partner Daniel Buchholz schildern jeweils abwechselnd das aktuelle Szenario und fügen ihre eigenen Bedenken oder Erkenntnisse ein. Dadurch bekommt man zusätzlich zum Fall auch noch die persönliche Komponente geliefert, die einen interessanten Einblick in den Alltag deutscher Kriminalbeamter liefert. Ähnlich wie in anderen Berufen, erkennt man auch hier eine klare Hierarchie mit Aufgabengebieten und Verantwortlichkeiten, Eifersüchteleien zwischen Kollegen und den schlechten Leumund. Dieser Aspekt ergänzt sich gut mit dem Fall an sich.


Die Handlung selbst besticht durch ein flottes Tempo, mehr Action als Blut und mehr Intelligenz als Gemetzel. Lange Zeit weiß niemand, auch nicht der Leser, wer der Drahtzieher hinter dem Offensichtlichen ist und man vermutet von Intrigen bis hin zu Rache oder bloßer Mordlust eine ganze Palette an Motiven. Das Rätselraten um den Täter zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch und bleibt doch lange unvorstellbar. Umso beängstigender ist die Auflösung des Falls, auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen werde. Doch frage ich mich schon, ob das Setting und die Handlungsabfolge nicht doch ein Quäntchen Wahrheitspotential in sich trägt und gar nicht so weit weg von unserem unbescholtenen Leben ist.


Fazit


Ich vergebe 4,5 Sterne (aufgerundet 5) für diesen temporeichen, spannenden Thriller der nicht nur ein sympathisches Ermittlerteam vorstellt, sondern auch einen haarsträubenden Mordfall, der gleich mehrere Opfer fordert und extreme Methoden nicht verachtet. Ein gelungenes Buch, um sich mit den Protagonisten anzufreunden und auch gut isoliert lesbar, obwohl es bereits das zweite Buch mit den Kriminalbeamten Salomon/ Buchholz ist (Teil 1 „Anonym“ muss ich unbedingt nachholen). Ich empfehle die Lektüre allen, die einen abwechslungsreichen, aktiven Handlungsverlauf mögen und auf blutige Details verzichten können. Dafür bietet der Thriller viel Aktualität und manch grausige Zukunftsvision.