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Veröffentlicht am 18.05.2018

Die Mauer des Schweigens

Wenn die Nacht verstummt
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Ich weiß, was es heißt, sich nach einem Leben zu sehnen, das man nicht haben kann. Das man sich aber trotzdem so sehr wünscht, dass es weh tut, und das Schicksal einem die große Enttäuschung im Leben serviert.“ ...

Ich weiß, was es heißt, sich nach einem Leben zu sehnen, das man nicht haben kann. Das man sich aber trotzdem so sehr wünscht, dass es weh tut, und das Schicksal einem die große Enttäuschung im Leben serviert.“



Inhalt


Chief Kate Burkholder wird in ihrem 3. Fall in der Gemeinde Painters Mill in Ohio nicht nur mit einer Reihe Hassdelikten gegen die Minderheitsbevölkerung der Amischen auf Trab gehalten, sondern muss auch noch in einem Mordfall ermitteln. Auf der Farm der rechtschaffenen Familie Slabaugh, hat sich ein Unglück ereignet, bei dem Vater, Mutter und Onkel auf tragische Weise ums Leben kamen. Alle drei sind in die Jauchegrube gefallen und dort ertrunken bzw. erstickt. Doch was zunächst wie ein Unfall aussieht, entwickelt sich nach Bekanntgabe des Autopsieberichtes zum Tötungsdelikt, denn der Familienvater wurde anscheinend erschlagen. Die Waisenkinder sind stark traumatisiert und verkraften den Verlust der Eltern nur schwer, doch sie wollen unbedingt zusammenbleiben und nicht in die Obhut des Jugendamtes fallen. Kate Burkholder versucht ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen und den Täter schnellstmöglich dingfest zu machen. Allerdings kehrt sie immer wieder zum Hof der Slabaughs zurück und entdeckt eines Nachts ein schwerwiegendes Motiv, welches alle Verdächtigungen auf den ältesten Sohn lenkt? Aber hat der 17-jährige, leicht aufbrausende Moses wirklich ein derartiges Verbrechen begangen?


Meinung


Auch im dritten Band dieser Kriminalreihe konzentriert sich die Bestseller Autorin Linda Castillo ganz auf die kleine Gemeinde Painters Mill, und die Bevölkerungsgruppe der Amischen, deren Lebensweise aufs einfachste beschränkt ist und die unter sich bleiben und möglichst wenig Kontakt zu Außenstehenden wünschen. Entsprechend groß ist auch das Spannungsfeld zwischen den amischen Menschen und einer englischen Polizeichefin, die genau jener Gemeinde vor Jahren den Rücken gekehrt hat. Gerade in Band 3 nimmt der persönliche Hintergrund von Chief Burkholder einen größeren Stellenwert ein und greift auf bereits bekannte Sachverhalte aus den Vorgängerbänden zurück. Die Verflechtungen zwischen der Polizistin und ihren Erinnerungen an die eigene, traumatische Jugend kommen hier immer wieder ans Tageslicht, so dass der Mordfall bei den Slabaughs auch ein persönlicher Fall ist.


Für diese nun vermehrt auftretenden Wiederholungen, ziehe ich einen Punkt ab, in Verbindung mit einigen Klischees, die sich bereits im Vorfeld abgezeichnet haben, bringt die Nebenhandlung für mich als Leser doch ziemlich viele, teilweise übertriebene Rückblicke an die Oberfläche. Es stört mich z.B. dass sich Kate immer mehr dem Alkoholkonsum hingibt, dass sie ihrer belasteten Beziehung zu John Tomasetti keine reelle Chance gibt und sobald sie auf sich gestellt ist, in ihrem Selbstmitleid versinkt. Zumal sie wie eine starke Frau wirkt, wird immer wieder auf ihrer Schwäche herumgeritten, die sie einerseits selbst pflegt, die andererseits durch Tomasettis Vorgeschichte nicht unwichtiger wird. Dennoch kann man diesen Punkt verschmerzen, denn der Kriminalfall bleibt trotzdem wahnsinnig spannend und hält unvorhersehbare Wendungen bereit.


Das große Plus dieser Reihe ist einerseits die interessante Lebensweise der Amischen, die geheimnisvoll und düster wirkt und in der es vielleicht noch viel mehr Geheimnisse aufzudecken gibt, als gedacht. Denn irgendwie besteht diese Mauer des Schweigens zwischen allen Mitgliedern und jenen, die keine sind. Und andererseits lassen die grausamen Morddelikte das Herz von Thriller-Liebhabern höherschlagen. Die Handlungsebene und auch die Hintergründe machen hier den Reiz aus, die einzelnen Personen wirken lebensecht, obwohl sie nicht zu stark im Mittelpunkt stehen.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne, für diesen spannenden Thriller mit inspirierender Geschichte. Im Rahmen dieser Reihe ein etwas schwächerer Teil, allerdings nur, was die persönlichen Belange der Ermittler angeht. Ich denke, hier kann man auch gut die Reihenfolge der Bände willkürlich wählen, denn man erfährt in jedem neuen Fall die gleichen Hintergründe, was mir mittlerweile als „Stammleser“ nicht mehr so imponiert, da ich das Gefühl habe, Chief Burkholder mittlerweile so gut zu kennen, wie eine Freundin, die ich lieber mal zurechtweisen würde, als erneut in die Mitleidsschiene zu verfallen - doch zugegeben, dass ist meckern auf hohem Niveau, denn ich bleibe auf jeden Fall an den nächsten Bänden dran, denn erzählen kann Frau Castillo …

Veröffentlicht am 12.05.2018

Kamerad unter Fremden, Fremder unter Kameraden

Ein mögliches Leben
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„Der Blick nach vorn hatte sein Versprechen von der goldenen Zukunft längst verloren. Am Ende lag Schwärze, das Nichts, da waren sie sich einig, sie und ihr Vater.“


Inhalt


Gemeinsam mit seinem Enkel ...

„Der Blick nach vorn hatte sein Versprechen von der goldenen Zukunft längst verloren. Am Ende lag Schwärze, das Nichts, da waren sie sich einig, sie und ihr Vater.“


Inhalt


Gemeinsam mit seinem Enkel Martin unternimmt der betagte Franz Schneider noch einmal eine Reise nach Amerika, besucht die Orte seiner längst vergangenen Kriegsgefangenschaft während des 2. Weltkrieges. Dort wo er einst in Baracken gelebt hat und Baumwolle pflückte, wo er Freunde fand, die ihm wichtig waren und Menschen, die ihre Hitlerliebe mitgebrachten um andere damit zu tyrannisieren. Rückblickend ergibt sich das Bild über die vielen Jahre in der Obhut einer fremden Regierung, mit der Franz durchaus sympathisierte. Es zeigt sich, warum der alte Mann, ein Geheimnis um seinen verlorenen Finger macht und warum er seiner Tochter Barbara die Briefe einer Freundin zukommen lässt, die vielleicht in der Gunst seiner Zuneigung noch weiter ober rangierte als ihre Mutter. Und auch Martin entdeckt Seiten an seinem Großvater, die ihm bisher unbekannt waren und beginnt seine eigenen Beziehungen zu überdenken.


Meinung


Der junge Hamburger Autor Hannes Köhler setzt sich in diesem Roman mit einer eher ungewöhnlichen Problematik der Kriegsjahre auseinander, die in der Literaturlandschaft relativ unbefleckt daherkommt. Denn obwohl in der Gegenwartsliteratur die Thematik des zweiten Weltkrieges und seine Ausuferungen gerne im Mittelpunkt stehen, fand ich diesen Abstecher in ein amerikanisches Kriegsgefangenenlager sehr inspirierend und informativ. Man merkt dem Text die fundierte Recherchearbeit an, obwohl er wie im Nachwort vermerkt, ein fiktives Werk ist, lediglich in Anlehnung an historische Begebenheiten.


Eingebettet in eine Familiengeschichte erzählt der Autor aus dem Leben eines Mannes, der zwar dem Krieg in der Heimat entkam, nicht aber den Schrecken und Ängsten seiner fatalistischen Auswirkungen. Im Zentrum der Erzählung findet man eine besondere Spezies Mensch, ich würde sie als „Die Aufgelesenen“ bezeichnen, Menschen die in der Fremde für den offiziell politischen Gegner Strafarbeit leisten müssen. Doch die Lebensbedingungen sind nicht schlecht und die Arbeit zwar schwer aber auch gerecht. So dass es den Soldaten, die allesamt an der Front und im Hinterland gekämpft haben, gar nicht so schlecht geht wie anzunehmen. Vielmehr sind es ihre Einstellungen zum Leben, zum Krieg, ja auch zum Führer, die für Reibereien sorgen. Eine Art Gruppendynamik in den Lägern entsteht, zwischen denen, die auf den Endsieg Hitlers hoffen, anderen die sich klar auf die Seite der Amerikaner stellen und jenen, die sich schweigend zurückziehen oder ihr Fähnchen einfach in den Wind halten. Schon bald steuert der Leser auf den Kern der Geschichte zu, der sich zwischen Kameradschaft, Hass und Ausgrenzung befindet und der zeigt, welche Ausmaße das nationalsozialistische Gedankengut in den Köpfen der Menschen hinterlassen hat.


Doch das ist nicht alles, die Erzählung streift sehr viele zwischenmenschliche Belange, nicht nur die Gefühle der Soldaten, den Zwiespalt, in dem sich die Verantwortlichen befinden, sondern eben auch die langfristigen Auswirkungen auf das normale Leben nach dem Krieg, auf Familienbande, die zwar entsteht aber längst nicht so unbelastet ist, wie gewünscht. Das Buch ist sehr vielschichtig, in leiser eindringlicher Erzählsprache gehalten, so dass man sehr gut in die Geschichte hineinfinden kann. Doch bis zur Hälfte des Textes konnte der Funke nicht so richtig überspringen, vielleicht weil mir persönlich zu Vieles angesprochen wurde. Einerseits ist es nämlich die persönliche Sicht, die Erlebnisse des Kriegsbetroffenen, die besprochen werden, andererseits die gegenwärtige Handlung einer eher schweigsamen, durchaus belasteten Familiengeschichte zwischen Vater, Tochter und Enkelsohn. Der Wechsel der beiden Handlungsstränge konnte mich nicht immer fesseln, erschwerte mir in gewisser Weise die Nähe zum Text.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen alternativen Kriegsroman, der in weiten Teilen auch eine Familiengeschichte ist. Mit einer großen Portion Einfühlungsvermögen, interessanten Fakten und ansprechender Schreibweise kann das Buch absolut punkten. Gefühle werden hier sehr sachlich, äußerst präzise und passend zu den geschaffenen Charakteren transferiert, was für eine hohe Glaubwürdigkeit sorgt. Manchmal muss man Schlucken, ob der Dramatik im Stillen, manchmal kann man lächeln über den sorgsamen Umgang mit lebenslangen Freundschaften und an anderen Stellen driftet man etwas ab, hinein ins Leben, so wie es ist, nur mit den tiefen Spuren seelischer Verletzungen im Gepäck.

Veröffentlicht am 07.05.2018

Die Tragikomödie eines Lebens

Wie man die Zeit anhält
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„Der Schlüssel zum Glück ist nicht, man selbst zu sein, denn was heißt das überhaupt? Jeder Mensch hat so viele Ichs. Nein. Der Schlüssel zum Glück ist, die Lüge zu finden, die am besten zu einem passt.“


Inhalt


Tom ...

„Der Schlüssel zum Glück ist nicht, man selbst zu sein, denn was heißt das überhaupt? Jeder Mensch hat so viele Ichs. Nein. Der Schlüssel zum Glück ist, die Lüge zu finden, die am besten zu einem passt.“


Inhalt


Tom Hazard hat viele Namen, spielt zahlreiche Rollen und ist immer wieder auf der Flucht vor seinem ganz alltäglichen Leben, denn anders als die normalen Menschen ist er mittlerweile 439 Jahre auf der Erde und sieht jetzt gerade mal wie Anfang vierzig aus. Die Erfahrung hat ihn gelehrt, dass es verdammt schwer ist, sich dauerhaft irgendwo niederzulassen, denn die Menschen werden misstrauisch, wenn man einfach nicht älter wird. Doch er ist nicht allein - ein gewisser Hendrich Pietersen hat eine Gesellschaft gegründet, die sich „Die Albatrosse“ nennt. Mitglied wird derjenige, der von einem anderen eingeladen wird und sich auf die Suche nach weiteren „Zeitlosen“ macht, die irgendwo auf der Erde leben, solange bis sie entdeckt werden. Hendrich verspricht dem zermürbten Tom, der sich derzeit als Geschichtslehrer in London verdingt, seine Tochter Marion zu finden, die das Krankheitsbild ihrer Vaters geerbt hat und demnach in echter Gefahr schwebt – doch den Preis, den Tom zahlt ist kein geringer, aller acht Jahre muss er weiterziehen, einen neuen Auftrag annehmen und sich von sämtlichen Menschen, die ihm etwas bedeuten fernhalten. Als er die warmherzige Französischlehrerin Camille trifft, wird ihm bewusst, dass er zu alt ist, um wieder in eine neue Rolle zu schlüpfen …


Meinung


Der britische Bestsellerautor Matt Haig, der mich schon mit seinem Roman „Ich und die Menschen“ überzeugen konnte, hat abermals ein sehr ansprechendes Gedankenkonstrukt erschaffen, welches sich explizit mit der Bedeutsamkeit der verrinnenden Zeit beschäftigt, mit dem verlangsamten Lauf des Lebens und einer Krankheit, die fast an Unsterblichkeit erinnert. So oder zumindest ähnlich könnte es sein, wenn man selbst 700 Jahre leben würde und genau diese Frage wirft diese unterhaltsame Geschichte auf. Wäre es wirklich so erstrebenswert sich dem ewigen Leben anzunähern? Oder würde man das Menschsein nicht einfach in die Dauerschleife legen und keinerlei Wertsteigerung mehr erleben.


Die Geschichte selbst fliegt nur so durch die Jahrhunderte, denn in klar umrissenen Kapiteln erfährt der Leser etwas über die Hexenverfolgung, über das Theater des William Shakespeare und das harte Leben als Seefahrer auf dem Höhepunkt der Piraterie – Tom war nämlich immer dabei, als Zeitzeuge sozusagen. Wechselnd erzählt zwischen damals und heute, nähert man sich dem leicht desillusionierten, melancholischen Helden an, der schon öfter den Wunsch verspürte, seinem Leben ein unnatürliches Ende zu setzen. Doch mit Eintritt in die Gesellschaft der „Albatrosse“ bekommt sein Dasein erstmals eine neue Dimension und diese Aufgabe hält ihn zumindest bei der Stange.


Schade finde ich nur, dass der Plot sehr oberflächlich ausgearbeitet wurde, weniger die wichtigen Fragen stehen im Zentrum, sondern eher die Akzeptanz einer Unmöglichkeit. Der Text bleibt weitgehend locker, die Sprache sehr modern, was nicht immer zum historischen Hintergrund passt und mich eher an eine zeitgenössische Erzählung mit fantastischen Elementen erinnert. Mein Anspruch an die Geschichte war auch ein anderer, habe ich mir doch erhofft, zu erfahren, was wirklich wichtig ist, welche Möglichkeiten in der Vorstellung an sich liegen und wo genau sich die Schnittstellen zwischen der Endlichkeit und der Unsterblichkeit befinden – selbst wenn es nur ein imaginärer Ansatz hätte werden können – gefunden habe ich ihn hier leider nicht.


Fazit


Ich vergebe durchschnittliche 3 Lesesterne für einen sehr lockeren, unterhaltsamen Roman. Man findet hier eine inspirierende Geschichte mit hinreichend interessanter Handlung und gut dargestellten Figuren. Dieses Buch ist auch schon für jüngere Leser geeignet, weil es die Phantasie anregt, ohne vorgefertigte Denkweisen zu präsentieren. Für ein kurzes, abenteuerliches Lesevergnügen ist es bestens geeignet, nur die Bedeutsamkeit, die Intensität des Gelesenen hat mir gefehlt und lässt das Buch auch schnell wieder in Vergessenheit geraten. Für eine Verfilmung jedoch würde ich mich aussprechen, dieser Stoff ist geradezu ideal für die Kinoleinwand.

Veröffentlicht am 07.05.2018

Kreuzfahrt ins Verderben

Woman in Cabin 10
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„In meinem Traum trieb die Frau in den kalten, lichtlosen Tiefen der Nordsee, weit unter den peitschenden Wellen und den Schreien der Möwen.“


Inhalt


Lo Blacklock reist als Vertreterin ihrer kurzfristig ...

„In meinem Traum trieb die Frau in den kalten, lichtlosen Tiefen der Nordsee, weit unter den peitschenden Wellen und den Schreien der Möwen.“


Inhalt


Lo Blacklock reist als Vertreterin ihrer kurzfristig erkrankten Chefin auf der Jungfernfahrt des exklusiven Kreuzfahrtschiffes „Aurora Borealis“ nach Norwegen. Mit der Journalistin an Bord sind nur noch 9 weitere Passagiere und das Bordpersonal, denn das neue Schiff soll sich als Luxusliner der ganz besonderen Art in der Tourismusbranche etablieren. Deshalb sind beim ersten Turn über die Nordsee ausschließlich Reporter und Sternchen der Fernsehbranche an Bord, denn der Schiffseigner Richard Bullmer erwartet sich entsprechende Publicity. Doch schon am ersten Abend wird Lo unfreiwillige Zeugin eines Verbrechens, als sie ihre Zimmernachbarin aus Kabine 10 in den Fluten versinken sieht. Vollkommen verzweifelt wendet sie sich an den Sicherheitschef des Schiffes und schildert das Vorkommnis, doch sie muss erfahren, dass Kabine 10 überhaupt nicht belegt ist. Und da auch kein Bordmitglied verschwunden ist, schenkt ihr niemand Glauben. Nur der Mörder weiß jetzt, dass er Lo schnellstmöglich zum Schweigen bringen muss …


Meinung


Die englische Thrillerautorin Ruth Ware, die bereits mit ihrem Debütroman „Im dunklen, dunklen Wald“ internationalen Erfolg hatte, greift hier eine sehr exklusive, wenn auch altbewährte Szenerie für ihren Spannungsroman auf. Den Klassiker mit dem Mord auf dem Kreuzfahrtschiff haben bereits renommierte Kriminalautoren wie Agatha Christie und Sebastian Fitzek aufgegriffen und so erwartet der Leser den erfolgversprechenden Mix aus einer handvoll Protagonisten, die auf engstem Raum, abgeschottet von der Außenwelt dem Bösen ausgeliefert sind.


Die klare Rahmenhandlung lässt der Autorin viel Freiraum bei der Gestaltung ihrer eigenen Hauptpersonen, die hier nun gerade etwas übertrieben und aufgesetzt wirkt. Lo selbst, die Einzige, die wirklich in Gefahr zu schweben scheint, trägt eine Menge persönlichen Ballast mit sich herum. Sei es die traumatische Kindheit oder der erst kürzlich erlebte Einbruch in der eigenen Wohnung - sie ist das reinste Nervenbündel. Darüber hinaus versucht sie ihr Unvermögen über die eigene Arbeit zu kaschieren, indem sie Unmengen an Alkohol konsumiert und sich mit Psychopharmaka über Wasser hält. Leider wirkt gerade sie als leicht neurotische, unglaubwürdige Protagonistin, der man nur ein labiles Seelenkostüm zusprechen konnte etwas fehl am Platze. Deshalb fragt man sich als Leser, warum die Autorin hier so dick auftragen musste – weniger wäre vielleicht mehr gewesen.


Dafür entschädigt die Handlung wieder um einiges. Der Autorin gelingt es, den Spannungsaufbau konstant hoch zu halten und damit ein fesselndes Intermezzo zu gestalten. Die gewählte Erzählperspektive macht es unmöglich, die Beweggründe der Verantwortlichen vorzeitig zu erkunden, schlüpft man doch gemeinsam mit Lo in die Rolle der verzweifelten Unschuldigen. Das Rahmenprogramm mit den oberflächlichen, doch durchaus korrupten Mitreisenden, in Kombination mit der unabdingbaren Vertrauensfrage macht diesen Thriller zu einem Page-Turner.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen atmosphärischen Thriller, der die Unausweichlichkeit, die Enge und Bedrängnis einer verzweifelten Frau sehr gut einfängt und ihre Handlungen gekonnt reflektiert. Das Geschehen selbst fesselt den Leser und nimmt ihn mit an Bord des Luxusliners. Dort kann man erleben, wie es sich anfühlt, kein Vertrauen, keine Hilfe und keine realistische Überlebenschance zu haben. Kleine Abstriche in der Ausarbeitung der Protagonisten kann man da verschmerzen. Insgesamt ein solider, gut lesbarer Kriminalroman.

Veröffentlicht am 29.04.2018

Unglückliche Bilanz eines ach so normalen Lebens

Die Lichter unter uns
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„Anna wollte protestieren. Wollte ihm erklären, dass es kein Glücksrezept gab, nicht seine, nicht ihre Art von Familie und auch nicht das Alleinsein. Dass kein Mensch es aushielt, wenn alle Hoffnungen ...

„Anna wollte protestieren. Wollte ihm erklären, dass es kein Glücksrezept gab, nicht seine, nicht ihre Art von Familie und auch nicht das Alleinsein. Dass kein Mensch es aushielt, wenn alle Hoffnungen eines anderen auf ihm lasteten.“
Anna und Jo verbringen ihren Urlaub auf Taormina, einer sizilianischen Insel, auf der sie einst auch ihren Honeymoon gefeiert haben. Diesmal jedoch ist die Beziehung nicht mehr so jung, frisch und unbelastet, denn die beiden Kinder Bruno und Judith nehmen einen Großteil ihrer Freizeit in Anspruch und ein finanzieller Engpass zwingt sie dazu, von allem die Billigvariante zu ergreifen, statt das erhoffte Luxusmodell. Frust, Unzufriedenheit und erkaltete Gefühle prägen den Alltag der beiden. Da kommt Anna der attraktive Schwimmer Alexander, der mit seinem Sohn und seiner blutjungen, schwangeren Freundin Zoe ebenfalls auf Taormina Urlaub macht, wie gerufen. Endlich ein Lichtblick in ihrem Leben, ein Fremder, der ihr Beachtung schenkt und doch so distanziert bleibt. Denn anders als Anna vermutet, hat auch Alexander ein schweres Päckchen zu tragen und längst ist nicht alles so perfekt, wie es scheint …
Von diesem Roman habe ich mir eine tiefgreifende, emotionale Geschichte über den Verlust der Träume erwartet, eine potentielle Antwort auf den Sinn des Lebens, eine Reflexion über innere Gedanken, vermeintliche Fehler und die ehrliche Antwort auf die Frage, ob andere glücklicher sind, als man selbst und warum überhaupt dieser Gedankengang so existentiell, so notwendig erscheint. Doch zu meiner Enttäuschung, vermag es die junge deutsche Autorin Verena Carl, die bereits mit dem Hamburger Förderpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, nicht meine Empathie zu gewinnen. Das große Manko dieses Romans ist meiner Meinung nach sein Triviallität, das ständige Verfallen der Personen in allzu vorhersehbare Muster und ihr dramatisches Auftreten auf der eigentlich entspannten Urlaubsbühne.
Zunächst einmal mangelt es dem Text schon deshalb an Dichte und Innerlichkeit, weil er statt einer Hauptprotagonistin (so wie ich erwartet habe) gleich mehrere Personen ins Zentrum rückt. Dadurch bekommt man als Leser einerseits den Überblick über zahlreiche zwischenmenschliche Befindlichkeiten, verliert aber andererseits den Bezug zu einer speziellen Person. Erschwerend empfinde ich dann die klischeehafte Ausarbeitung der Darsteller, die ich hier bewusst so nennen mochte, da mich die Szenen des Buches vielmehr an einen Film erinnert haben, als mir lieb gewesen wäre. Da findet man die enttäuschte Mittvierzigerin, die sich Abwechslung und Abenteuer wünscht und stattdessen von den anstrengenden Kindern genervt wird. Den schweigsamen Ehepartner, der sich in seiner Jugend auch zu Männern hingezogen fühlte. Die quirlige Vorpubertierende, die an jeder Ecke ein neues Drama in Gang setzt und auf der anderen Seite eine Familie, die alles andere sind als eine Gemeinschaft, sondern in erster Linie Einzelkämpfer mit fragwürdigen Wertvorstellungen.
Und obwohl die Personen sehr bildlich und umfassend gezeichnet werden, bleiben sie mir allesamt fremd, ja schlimmer noch, sie erfüllen mich mit Abscheu und Schrecken und einem zunehmenden Unverständnis für die Realität des Lebens. Das Unglück, die Melancholie, die die Stimmung des Textes mit sich bringt, führe ich im Wesentlichen auf das Unvermögen der Personen zurück, die verlernt haben, miteinander zu kommunizieren, die sich auf fragwürdige Experimente einlassen und denen es an Schaffenskraft und Mut fehlt. Nicht nur, um sich die selbstgelegten Fesseln abzunehmen, sondern auch, um einen generellen, geglückten Neuanfang in die Wege zu leiten.
Einzig der Schreibstil, die Wortwahl und die stilistisch schönen Sätze konnten mich hier ein wenig von der oberflächlichen Handlung ablenken und mich beim Roman halten, den ich ansonsten auf Grund seiner Handlung spätestens ab der Hälfte des Buches wohl abgebrochen hätte.
Fazit: Ich vergebe 2 Lesesterne für einen Roman, der ganz und gar nicht meiner Erwartungshaltung entsprach. Gefunden habe ich anstrengende Menschen, in alltäglichen Handlungen, mit einem kalkulierbaren Vorleben und keinerlei Entwicklungspotential. Viele Klischees, viel Drama um Nichts, wenig Handlungsanreize aber leider auch kein Gedankenkonstrukt der philosophischen Natur. Sacht und leise, plätschert das Geschehen vor sich hin und verliert sich im Nirgendwo, genau wie die Aufräumarbeiten zum Ende der Urlaubssaison, werden die Stühle gestapelt, die Böden gekehrt und die Türen verschlossen – bis irgendwann ein neues, allzu gleiches Intermezzo beginnt.