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Veröffentlicht am 18.08.2017

Zwischen Kriegen, Gräbern und guten Freunden

Das Ministerium des äußersten Glücks
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„Der Augenblick war so kurz wie ein Herzschlag. Aber das war unwichtig. Wichtig war, dass er existierte. Es war ein himmelweiter Unterschied, ob man in der Geschichte präsent war, oder ob man darin abwesend ...

„Der Augenblick war so kurz wie ein Herzschlag. Aber das war unwichtig. Wichtig war, dass er existierte. Es war ein himmelweiter Unterschied, ob man in der Geschichte präsent war, oder ob man darin abwesend war, völlig aus der Geschichte herausgeschrieben.“

Inhalt

Indien ist ein Land voller Absurditäten, voller Einwohner mit kreativen Ideen, voller Proteste und Konflikte auf den Straßen aber auch ein Land der Besonderheiten, der bescheidenen Ansprüche und der Aufrichtigkeit zwischen Menschen mit reinem Herzen. So beginnt Anjum, ein anfangs recht einsames Leben, aus der Not heraus auf einem Friedhof. Sie schläft zwischen Gräbern, kommuniziert mit den Besuchern des Friedhofs und beginnt, aus ihrer Misere eine stabile Lebenssituation zu schaffen, indem sie ein „Gästehaus“, eine Art Pension aufbaut, in der Fremde willkommen sind und wo es keinen Unterschied macht, woher man kommt, was man ist, wer man sein möchte und wohin einen der Weg führen wird.

Bald ist Anjum bekannt und ihr Freundeskreis wächst. Sie beherbergt Menschen mit einer bewegten Vergangenheit aller Altersgruppen und urteilt nicht über deren Leben. Gemeinsam mit Anjum entdeckt der Leser viele Geschichten über das Leid eines Landes, die Zerbrechlichkeit der Liebe, die Unbeständigkeit der Zeit, die Willkür des Lebens und die Gewaltverbrechen Einzelner an einer scheinbar hilflosen Minderheit. Doch zwischen den Grabsteinen erblüht auch die Hoffnung, die Zuversicht deren, die trotz ihres Schicksals an ein Morgen glauben und die sich einfach nicht unterkriegen lassen.

Meinung

Nach zwanzig Jahren hat die indische Preisträgerin Arundhati Roy ihren zweiten Roman veröffentlicht. Nach ihrem Erfolg mit „Der Gott der kleinen Dinge“ schließt sie nun ein monumentales Zeugnis der inneren Situation ihres Landes an, in dem sie eine Geschichte erzählt, die so besonders und aufwühlend geschrieben ist, dass sie sich ins Gedächtnis einbrennt und Lust darauf macht, sie ein zweites Mal aus einer anderen Perspektive, mit mehr Hintergrundwissen und anderen Vorstellungen zu lesen.

Tatsächlich handelt es sich bei diesem Roman um ein äußerst intensives, komplexes Leseerlebnis mit zahlreichen Namen, diversen Gedichtzeilen, einzelnen Erzählungen und einer Gesamtkomponente, die sich erst nach gut der Hälfte des Werkes erahnen lässt. Es gibt einen roten Faden, an dessen Rändern Menschen mit dramatischen Schicksalen, Ereignisse mit unbeschreiblichen Gewaltszenen und Weisheiten aus einer fremden Kultur stehen. Und erst nachdem man glaubt, diesen Faden fast verloren zu haben, schwingt sich die Erzählung zu Neuem auf und verrät plötzlich das, was man verzweifelt gesucht hat. Erst in der zweiten Buchhälfte wird der Leser mit dieser Geschichte vertraut, die laut Klappentext „in Scherben liegt“.

Dieses Buch prägt sich ein, es hinterlässt Spuren und Fragen, es ist wie ein Vorhang, der sich kurz öffnet um ein Szenario zu zeigen, welches voller Bilder und Emotionen ist und er schließt sich bald schon wieder um die Gedankengänge des Lesers anzuregen. Gerade dieses anspruchsvolle, sprachlich auf hohem Niveau angesiedelte Experiment, bringt den Zusatznutzen für Literaturbegeisterte.

Dennoch erfordert das Lesen höchste Konzentration und in gewisser Weise auch die Bereitschaft, sich auf vollkommen fremde Situationen und Menschen einzulassen, die so rein gar nichts mit dem eigenen Leben gemeinsam haben. Das fiel mir besonders schwer, weil es keinen Protagonisten gab, mit dem ich mich hätte identifizieren können und weil das Denken hier so universell ist wie der Glaube, die Politik und die Gesamtheit der Welt. Eine Beurteilung kann man nur in Ansätzen schreiben, jeder wird hier etwas anderes finden aber jeder kommt auf seine Kosten.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne, für diesen Roman, der auf mich wie ein Manifest wirkt, den ich nicht wirklich ins Herz geschlossen habe, der mich aber zutiefst bewegt hat und in seiner schriftstellerischen Form absolut überzeugen konnte. Dieses Buch trifft man irgendwann wieder, in einer anderen Situation, vielleicht mit anderen Ansichten und tieferen Bezügen zum Land selbst. Ein Buch zu dem man auch sagen könnte: „Man sieht sich immer zweimal im Leben.“ Und dessen Nutzwert, jedes Mal auf einer anderen Schwelle stehen wird. Hier hilft nur eins – selberlesen!

Veröffentlicht am 07.08.2017

Schöne Schwestern in der Hand eines Psychopathen

Pretty Girls
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„Vielleicht war es deshalb kein Schock für sie. Oder vielleicht war sie inzwischen nicht mehr fähig, mit einem Schock zu reagieren, denn immer wenn sie dachte, sie hätte nun das Schlimmste von Paul gesehen, ...

„Vielleicht war es deshalb kein Schock für sie. Oder vielleicht war sie inzwischen nicht mehr fähig, mit einem Schock zu reagieren, denn immer wenn sie dachte, sie hätte nun das Schlimmste von Paul gesehen, tauchte eine entsetzliche neue Tat von ihm auf und mit ihr die Erkenntnis ihrer eigenen bewussten Blindheit.“

Inhalt

Eines Nachts endet die harmonische Ehe zwischen Claire und Paul Scott ebenso brutal wie abrupt, denn während sie sich in einer dunklen Gasse lieben wollten, wird Paul bei einem tätlichen Raubüberfall mit einem Messer getötet. Als trauernde Witwe bleibt die nun vollkommen entwurzelte Claire zurück, die den tragischen Tod ihres Mannes kaum verwinden kann. Erst als sie in einer Computerdatei von Paul belastendes Videomaterial entdeckt, regen sich erste Zweifel bei ihr. Wurde Paul tatsächlich nur als willkürliches Opfer erwählt oder steckt Berechnung dahinter? Warum besitzt er grausame Pornodarstellungen, die er akribisch archiviert hat? Und aus welchem Grund ähneln die Frauen aus den Filmen ihr so sehr? Claire kommen ernste Zweifel an ihrer Menschenkenntnis und sie beschließt der Sache nachzugehen, um wieder ruhig schlafen zu können. Doch je tiefer sie gräbt, desto düsterer wird der Sumpf an Menschenverachtung, der sich vor ihr auftut. Und je näher sie der Wahrheit kommt, desto unwahrscheinlicher wird es, dass sie ungeschoren aus ihrem persönlichen Alptraum entfliehen könnte …

Meinung

Die amerikanische Bestsellerautorin, die zu den weltweit populärsten Schriftstellerinnen auf dem Sektor des Spannungsromans gehört, widmet sich auch in diesem psychologischen Thriller den düsteren Gedanken eines Sadisten, der seine kranke Erfüllung im Leid unschuldiger Frauen findet. Äußerst facettenreich und wahnsinnig nervenaufreibend gestaltet die Autorin den temporeichen Handlungsverlauf, der nach und nach sämtliche Gräueltaten offenbart. Gemeinsam mit einer ambitionierten, wenn auch geschockten Hauptprotagonistin gerät der Leser immer tiefer in ein dunkles Kellerverlies menschlicher Abgründe und trifft dort auf ein wahres Paradies der sadistischen Auswüchse, dem man teilweise nur ungern bis in den letzten Winkel folgen möchte. Stellenweise sehr brutal und detailliert werden Foltermethoden beschrieben, so dass man an harten Worten und echten Grausamkeiten nicht ganz vorbeikommt.

Karin Slaughter wählt eine sehr interessante Erzählperspektive, indem sie ein dramatisches Puzzle aus diversen Blickrichtungen schildert. Zunächst aus der Sicht eines verzweifelten Vaters, der seine älteste Tochter an die Ungewissheit ihres plötzlichen Verschwindens verloren hat und später aus Sicht seiner beiden jüngeren Töchter, die dem Teufel in Menschgestalt viel näherstehen, als sie lange Zeit ahnen. Und trotz der Tatsache, dass bereits nach den ersten Seiten die Opfer- und Täterrollen klar verteilt sind und auch im Verlauf der Geschichte keine unspektakulären Wendungen vollzogen werden, blickt man bald auf ein grausames Schlachtfeld, das ebenso anzieht wie abschreckt.

Wie man es von einer amerikanischen Autorin erwartet, fehlt es auch nicht an gruseligem Actionpotential und Gänsehautstimmung, so dass man beim Lesen lieber nicht allein in der düsteren Kammer sitzt.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen psychologischen Thriller mit dem Fokus auf desolaten menschlichen Beziehungen, in denen die Unschuld kilometerweit entfernt scheint. Generell ein guter Mix aus Drama, Grauen und unerbittlichen Rachegedanken, voller Nervenkitzel und Spannung bis zum finalen Countdown. Ein klassischer Vertreter des Genres, den ich Freunden guter Plots empfehlen kann und der mich trotz einiger echter Schockmomente in seinen Bann gezogen hat.

Veröffentlicht am 07.08.2017

Eine Odyssee in Richtung Zukunft

Gott ist nicht schüchtern
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„Er weiß, dass er genau in diesem Moment zu einem Sohn seiner Stadt werden könnte. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. Seine Stadt steht vor einem Wendepunkt, und alle wissen, dass es kein Zurück ...

„Er weiß, dass er genau in diesem Moment zu einem Sohn seiner Stadt werden könnte. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. Seine Stadt steht vor einem Wendepunkt, und alle wissen, dass es kein Zurück mehr gibt.“

Inhalt

Während der junge Arzt Hammoudi nur noch einmal in seine syrische Heimat zurückkehren muss, um sich eine Verlängerung für seine auslaufende französische Aufenthaltsgenehmigung zu holen, möchte die Syrerin Amal ein freies Leben in ihrer Heimatstadt Deir az-Zour und schließt sich dem Widerstand an. Sie wünscht sich ein schönes Zuhause, einen freien, intakten Freundeskreis und ein echtes berufliches Auskommen ohne Bestechung und ohne ständige Beschattung durch den Staat. Doch die politischen Unruhen greifen bereits drastisch um sich und verändern den Lebensalltag der Bevölkerung sehr nachhaltig und rivalisierende Untergrundbewegungen bringen weiteres Unheil über unschuldige Menschen.

Für Hammoudi bleibt die Rückkehr ins friedliche Europa verwehrt, so dass er beschließt, den Menschen in seinem Land zu helfen – Menschen, die keine medizinische Versorgung bekommen, weil sie ins Kreuzfeuer der feindlichen Armeen geraten sind. Und erst als ihm bewusst wird, dass sein eigenes Leben in Syrien überhaupt keinen Wert mehr besitzt, schlägt er den Weg vieler anderer Flüchtlinge über das Mittelmeer ein. Und auch Amal muss erkennen, dass sie in ihrer Heimat keine Zukunftsperspektive haben wird und nimmt die Anstrengungen einer Flucht auf sich, selbst wenn das bedeutet, die eigene Identität aufgeben zu müssen …

Meinung

Dieser zeitgenössische Roman greift den aktuellen Anlass einer zerrütteten, desolaten Nahostpolitik auf und setzt ihn in Verbindung mit scheinbar willkürlichen Menschenschicksalen, die erst durch die Dramatik der Kriegshandlungen einen unausweichlichen Charakter annehmen. Der Fokus der aus Ascherbaidschan stammenden Autorin Olga Grjasnowa liegt auf der Machtlosigkeit des Einzelnen, der zu Gunsten einer militanten Politik immer weiter ins Hintertreffen gerät. Dabei schont sie den Leser in keiner Weise, sie beschreibt vielmehr sachlich und ausreichend distanziert die Gräuel und Schandtaten im Alltag eines vernichtenden Bürgerkrieges. Terroristen und Selbstmörder treffen auf Unschuldige und jeden Tag, immer wieder aufs Neue entscheidet sich, ob es ein „morgen“ geben wird und wie es denn aussehen mag.

Gerade diese Erzählweise, die Abstand zu Emotionen und Menschen hält, hat mir in diesem Kontext besonders gut gefallen, weil dadurch die Protagonisten fast austauschbar erscheinen, ihre Namen ebenso verblassen, wie die bittere Realität tausender Betroffener. Es sind weniger die starken Charaktere mit ihren persönlichen Entscheidungen, die diesem Roman ein Gesicht verleihen, als vielmehr die gnadenlose, sinnlos erscheinende Notwendigkeit kriegerischer Handlungen, die so viele Menschen mit Unbarmherzigkeit in die heimatlose Ungewissheit treibt.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen hochaktuellen, zeitgenössischen Roman über die vielfältigen Ursachen der Flüchtlingswelle, der mich auf ungewöhnliche Blickwinkel aufmerksam machen konnte und viel Inhalt mit schierem Entsetzen koppelt. Ein Buch, welches Perspektiven zeigt aber auch deutliche Grenzen sichtbar macht – Grenzen, die Menschen geschaffen haben um sie auf Leben und Tod zu verteidigen unter dem Schutzmantel einer fragwürdigen Ideologie. Zeitlos und bewegend zugleich kann der Leser eintauchen in eine Welt, die er eigentlich nicht kennen möchte.

Veröffentlicht am 01.08.2017

Die Könige von Loosewood Island

Die Hummerkönige
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„Was ich ihn hätte fragen sollen, war dieses: Wenn er das Rad zurückdrehen und einen Handel mit dem Ozean machen könnte, würde er dann mein Leben gegen das seines Sohnes eintauschen?“

Inhalt

Cordelia ...

„Was ich ihn hätte fragen sollen, war dieses: Wenn er das Rad zurückdrehen und einen Handel mit dem Ozean machen könnte, würde er dann mein Leben gegen das seines Sohnes eintauschen?“

Inhalt

Cordelia Kings lebt seit ihrer Geburt auf der malerischen, wenn auch rauen Insel Loosewood Insland zwischen Neuschottland und Maine und erlebt als Tochter eines alteingesessenen Hummerfischers tagtäglich die Anforderungen, die das Meer an sie stellt. Angefangen bei einer jahrhundertealten Familientradition, die sich auf die Mythologie der Meereswesen stützt bis hin zu den körperlichen Anstrengungen, die sie im Erwachsenenalter als Fischerin und Kapitän eines eigenen Bootes aufbringen muss. Sie hat in der eingeschworenen Gemeinschaft und der Einsamkeit des Meeres ihre Passion gefunden und blickt voller Stolz auf die Geschichte und Vergangenheit ihrer Vorfahren zurück. Gemeinsam mit ihrem Vater hält sie die Tradition aufrecht und kümmert sich ambitioniert um das Fortbestehen der Hummerfischerei in ihrer Heimat. Doch nicht nur eine dunkle Prophezeiung aus grauer Vorzeit trübt ihr persönliches Glück, sondern auch die kriminellen Machenschaften der Konkurrenz, die weder vor Plünderei noch Mord zurückschrecken. Cordelia muss beweisen, dass sie tatsächlich zur Königsfamilie auf Loosewood Island gehört …

Meinung

Der kanadische Autor Alexi Zentner, der bereits für seinen Debütroman „Das Flüstern des Schnees“ für renommierte Literaturpreise nominiert wurde, erzählt in dieser dichten, abwechslungsreichen Geschichte von der Schönheit und Veränderlichkeit des Meeres ebenso wie vom Freud und Leid einer ortsansässigen Familie, die für ihr Auskommen einen profitablen Fischereibetrieb aufrechterhalten muss. Besonders intensiv und anschaulich gestaltet der Autor die Atmosphäre auf den Booten, die Schönheit aber auch Unberechenbarkeit der Natur, die Verlässlichkeit der Menschen aufeinander in ihrem Schaffensprozess und darüber hinaus die Vielfalt menschlicher Beziehungen innerhalb eines Familienverbandes. Gerade dieser Schwerpunkt bringt wundervolle Gedankengänge und echte Emotionen rüber, die von einer intensiven Vater-Tochterbeziehung getragen werden. Aber auch die Liebe der Hauptprotagonistin zu ihrem verheirateten Steuermann, die Zuneigung aber auch Rivalität zu ihren Geschwistern und der Schatten eines tödlichen Dramas aus Kindertagen bereichern den Text und differenzieren die Ursachen für ein Leben in der Gegenwart.

Lediglich die eingeflochtene Erzählung über die bösartige Konkurrenz, die dem Hummerfang eigentlich längst abgeschworen hat und stattdessen nun den Drogenhandel favorisiert, erscheint mir etwas unpassend und bringt zwar einige zusätzliche Spannungsmomente in das Geschehen ein, wirkt auf mich aber aufgesetzt und sehr erzwungen. So wandelt sich eine ansonsten sehr verlässliche, besonnene Cordelia in Anbetracht der Umstände zur Brandstifterin, die ihre Rivalen förmlich ausräuchert. Auch die Grenze zwischen Gewaltbereitschaft und Rechtssprechung der Massen missfällt mir in diesem Zusammenhang sehr und lässt mich hier einige Minuspunkte verteilen. Der Roman wäre auch ohne diese Zwischenpunkte hervorragend ausgekommen und hätte schon allein auf Grund der Naturgewalten eine ganz spezifische Anziehungskraft.

Fazit

Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen naturverbundenen Familienroman, der mich durch seine differenzierte Betrachtung menschlicher Verhaltensweisen innerhalb eines kleinen Familienkreises einnehmen konnte. Erzählt wird eine Geschichte mit viel Liebe zu den Menschen, mit einer ausgeprägt innigen Vater-Tochter-Beziehung und der Möglichkeit, andere in die Mitte einer Gruppe mit aufzunehmen. Dieser Gedanke konnte mich sehr erwärmen und absolut überzeugen, nur die Umsetzung der tatsächlichen Geschehnisse, der Einsatz der Waffen und die dadurch erzwungene Dramatik geben den Ausschlag für meine Bewertung.

Veröffentlicht am 26.07.2017

Ein kleines Stück Lebensfreude

Swing Time
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„Vielleicht habe ich es auch falsch erklärt, ich bin kein Philosoph. Für mich heißt das etwas ganz Einfaches, als würde man sagen, die Zukunft ist immer schon da, sie wartet auf uns. Warum warten wir nicht ...

„Vielleicht habe ich es auch falsch erklärt, ich bin kein Philosoph. Für mich heißt das etwas ganz Einfaches, als würde man sagen, die Zukunft ist immer schon da, sie wartet auf uns. Warum warten wir nicht auch und schauen, was sie bringt?“

Inhalt

Die Ich-Erzählerin des Buches, die keinen Namen bekommt und dadurch immer etwas fremd und unpersönlich bleibt, entführt den Leser in die bunte, teilweise schillernde Welt des Showbusiness, des Tanzes und eines Lebens auf den großen Bühnen. Geprägt von anmutigen Tänzerinnen, erfolgreichen Entertainern und ambitionierten Mitarbeitern im Hintergrund, weitherzigen Entscheidungen und einer Menge Geld, welches für wohltätige Zwecke im Sinne der Entwicklungshilfe eingesetzt wird, entfaltet sich eine ganz eigene Welt. Im Zentrum des Romans steht die persönliche Lebensgeschichte der Protagonistin, die Einblicke in eine Kindheit voller Hoffnungen schenkt, die später jedoch unerfüllt bleiben und gleichermaßen in ein Erwachsenenleben voller Bemühungen und Selbstansprüche, denen sie nicht genügen kann. Ein ständiges Auf-und-Ab der Gefühle gut verborgen hinter den großen ethischen Fragen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Hautfarbe und der damit verbundenen Rolle in der Gesellschaft prägen den Inhalt über zahlreiche Seiten hinweg.

Meinung

Die erfolgreiche Autorin Zadie Smith, die Trägerin des Welt-Literaturpreises ist, entwirft in ihrem neuesten belletristischen Werk das Porträt einer Frau, die sich selbst zwischen den erfolgreichen Personen ihres Umfeldes sucht und einfach kein passendes Lebensmodell für sich selbst findet, nichts scheint wirklich zu ihr zu passen und immer bleiben Punkte offen, die sie eigentlich nicht verhandeln möchte. Was zunächst wie ein Ausflug in die Kindheit einer Person wirkt, die im Schatten ihrer Freundin steht und immer zwischen allen Stühlen sitzt, manifestiert sich schließlich in einem angepassten aber unerfüllten Leben. Eigene Träume und Hoffnungen werden nicht weiterverfolgt, weil der Alltag sich ausschließlich auf die Wünsche anderer konzentriert.

Die angerissene Freundschaftsbeziehung, die auf mich sehr ambivalent wirkt, nimmt einen eher kleineren Teil der Erzählung ein, während das Bild der Hauptprotagonistin um sie selbst rotiert und ihre persönlichen Handlungen aus allerlei Perspektiven betrachtet. Dabei entsteht im Lauf des Romans schon eine fast drückende Stimmung, weil der Leser unterschwellig die enttäuschte, verpasste und ungelebte Sicht auf all die verstrichenen Chancen erhält.

Der Schreibstil an sich ist tatsächlich das große Plus dieser Erzählung, denn darin erkennt man als ambitionierter Leser sehr viel Schönheit und Liebe zum geschriebenen Wort. Zwar erschweren diverse Zeitsprünge den Lesefluss, doch man findet sich erstaunlich gut in den jeweiligen Aussagen zurecht. Klar definierte Kapitel gepaart mit größeren Erzählabschnitten schaffen eine gängige Struktur, die zum Lesen ebenso animiert wie die Wortwahl selbst.

Fazit

Ich vergebe 2,5 Lesesterne, die ich gerne zu 3 Sternen aufrunde, für diesen Roman, der mich leider auf Grund seiner etwas ermüdenden Handlung nicht fesseln konnte. Zu langatmig und ausufernd waren die Passagen, zu wenig Dramatik und keinerlei positives Entwicklungspotential der Protagonistin haben mir die Freude am Buch leider kontinuierlich genommen. Immer habe ich darauf gehofft, der Funke würde noch überspringen, doch dem war leider nicht so. Die guten Ansätze der Handlung wirken teilweise so langweilig, dass ich einige Seiten nur noch quergelesen habe, während mich andere Passagen wieder ganz gut unterhalten haben. Auf die Autorin bin ich aufmerksam geworden und möchte gerne noch ein anderes Werk von ihr lesen, bei diesem hier fehlte mir einfach die innere Beteiligung, das Herzblut und die Kraft, die ich mir im Vorfeld erhofft hatte.