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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.06.2017

Die Flickenpuppe eines Serienmörders gibt Rätsel auf

Ragdoll - Dein letzter Tag (Ein New-Scotland-Yard-Thriller 1)
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„ Es dauerte einen Augenblick, bis sie die Worte vollständig begriffen hatte. Ihr Blick irrte im Raum umher, sie versuchte sich zu orientieren, festzustellen, wo sie genau war, dabei entdeckte sie ihre ...

„ Es dauerte einen Augenblick, bis sie die Worte vollständig begriffen hatte. Ihr Blick irrte im Raum umher, sie versuchte sich zu orientieren, festzustellen, wo sie genau war, dabei entdeckte sie ihre Waffe noch auf dem Boden neben ihrem Kopf.“

Inhalt

Die Londoner Polizeibehörde steht vor einem ihrer schwierigsten Fälle: Ein brutaler Killer hat eine Ragdoll, eine menschliche Puppe aus verschiedenen Körperteilen von diversen Leichen zusammengeflickt und hängt diese den Detectives direkt vor die Nase. Doch nicht nur mit den Identitäten der Leichenteile müssen sie sich auseinandersetzten, sondern auch mit einer Liste, auf der weitere 6 Mordopfer stehen, die binnen einer Frist von zwei Wochen sterben werden. Der letzte auf der Liste ist der leitende Detectiv selbst, der sich nun nicht nur darum bemüht, die zukünftigen Mordfälle zu verhindern, indem er die potentiellen Opfer unter Personenschutz stellt, sondern darüber hinaus noch einen Vorsprung erzielen möchte, der es ihm ermöglicht, dem Täter zuvorzukommen. Aber der Ragdoll-Mörder bleibt eine blasse Erscheinung und die angekündigten Morde passieren trotz diverser Maßnahmen nach genauem Ablaufplan. Während die Polizei fieberhafte Ermittlungen anstellt, um dem Schrecken ein Ende zu bereiten, verhärtet sich immer mehr der Verdacht, dass der Täter Insider-Wissen aus den engsten Kreis besitzt und als ein Kollege einen Zusammenhang zwischen dem Hauptermittler Layton-Fawkes, genannt Wolf und den Opfern aufdeckt, stellt sich die Frage, ob er möglicherweise eine ganz andere Rolle spielt, als bislang vermutet?

Meinung

Mit Ragdoll ist dem jungen britischen Autor Daniel Cole ein hochgelobtes Thrillerdebüt gelungen, welches als Kriminalserie startet und bereits für die Verfilmung vorgesehen ist. Nur leider konnte ich dem angeblich „atemberaubenden Stoff“ fast gar nichts abgewinnen und ich bin mir sicher, hier weder die Bücher noch die folgenden Filme zu konsumieren. Aus einer prinzipiell interessantes Thematik, von der ich mich bereits nach dem Lesen des Klappentextes hinreichend angesprochen fühlte, bleibt leider nach wenigen Seiten nicht mehr viel übrig, was mich zum Weiterlesen animieren konnte.

Zunächst einmal hat es mich sehr gestört, dass der Autor eine große Menge an Protagonisten einführt, diese aber sehr unpersönlich behandelt (es werden nur Nachnamen genannt) und darüber hinaus noch weitere Randfiguren aufstellt, die für das Geschehen eher irrelevant sind. Die beiden Hauptprotagonisten sind zudem sehr eigenwillige, kooperationsfeindliche Gesellen, die sich als Einzelkämpfer behaupten wollen und selbst während der laufenden Ermittlungen ihre Befugnisse weit überschreiten. Jedoch folgt diesem Fehlverhalten nicht etwa eine Suspendierung (auch wenn immer wieder genau diese im Zentrum steht) sondern lange Debatten zwischen den Teammitgliedern der Polizei, wer denn nun Recht und wer Unrecht hat. Die Meinungsvielfalt ist derart groß, dass es mich als Leser letztlich kaum noch interessierte, wer den Fall denn nun lösen wird.

Ein weiterer Knackpunkt dieses Thrillers ist die fehlende Täterperspektive, die Ansichten des Mörders, seine Beweggründe und die Ursachenforschung aus nächster Nähe. Gerade bei den belanglosen, verwirrenden Ermittlungen hätte ich mir wechselnde Kapitel aus verschiedenen Erzählperspektiven gewünscht, um zumindest die Hintergründe zu verstehen.

Tatsächlich existiert die Ragdoll nur am Rande, die Opfer der aktuellen Mordserie füllen die Seiten, bilden aber auch nur ein unlösbares Puzzle, fast ohne Spannungseffekte. Diese können sich ohnehin nur mühsam einschleichen und mich nicht über die Länge des Buches fesseln. Dafür beschreibt der Autor meines Erachtens sehr genau und griffig, wie ermüdend und zermürbend die alltägliche Polizeiarbeit sein kann, noch dazu wenn keine Ergebnisse vorliegen und der Täter ständig weitermordet, während die Anzahl der Opfer kontinuierlich steigt.

Fazit

Ich vergebe aufgerundet 2 Lesesterne für diesen Thriller, der mich leider nur kurzfristig an den Text binden konnte und bei dem ich gerade in der zweiten Buchhälfte kaum noch Interesse an der Auflösung des Falles hatte. Man merkt dem Text deutlich an, dass er für eine Verfilmung vorgesehen ist. Gerade die spontan wechselnden Szenen, die vielen Figuren und kurze, knappe Highlights, die einzelne Situationen hochdramatisch wirken lassen, könnten sehr gute Filmszenen ergeben, die man dann möglicherweise auch besser auseinanderhalten kann. Die Idee hinter der Handlung bewerte ich deutlich besser als ihre Umsetzung, für mich ist „Ragdoll – Dein letzter Tag“ leider eine Enttäuschung gewesen.

Veröffentlicht am 15.06.2017

Überlebenskampf gewonnen, Zuversicht verloren

Herz auf Eis
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„Sie bleiben sitzen, einer vor dem anderen, vollkommen leer. Eine unwirkliche Stille hüllt sie ein. An diesem Abend rührt kein Wind an der Station und dem großen Haus, nur Stille, als wären sie nicht da, ...

„Sie bleiben sitzen, einer vor dem anderen, vollkommen leer. Eine unwirkliche Stille hüllt sie ein. An diesem Abend rührt kein Wind an der Station und dem großen Haus, nur Stille, als wären sie nicht da, als hätte die Insel sie bereits verschlungen.“

Inhalt

Ludovic und Louise wollen sich eine Auszeit gönnen und fahren mit ihrem Boot über die Weltmeere, um die unendliche Freiheit, die Urigkeit des Lebens vollends auszukosten, weitab jeder Zivilisation nur allein mit sich, ihrer Liebe und den Erfahrungen einer Weltreise. Als sie auf der Insel Stormness, die zu den Falklandinseln gehört haltmachen, ignorieren sie die Tatsache, dass es sich um Naturschutzgebiet handelt und ankern in einer Bucht. Eine alte,halbverfallene Beobachtungsstation dient ihnen als Obdach für die Nacht und sie erfreuen sich für wenige Stunden der Einzigartigkeit ihres Erlebnisses. Doch am nächsten Morgen erwartet sie eine bitterböse Überraschung, denn ihr Schiff ist verschwunden und nicht mehr auffindbar. Niemand weiß, wo genau sie sich befinden und die örtliche Witterung lässt es nicht zu, allzu lange dort zu verweilen. Es beginnt ein bitterer Kampf ums Überleben, geprägt von Hunger, Vorwürfen, Resignation aber auch gemeinsamer Hoffnung. Wird es ihnen gelingen, der Naturgewalt zu entkommen oder verlieren sie den ungleichen Kampf und ergeben sich den Weiten des Universums?

Meinung

Die französische Autorin Isabelle Autissier setzt mit ihrem Roman an einer sehr ungewöhnlichen Stelle an, an den Grundfesten des menschlichen Lebens, an primitiven Bedürfnissen und Verhandlungsweisen bar jeder Überlegung. Ihre geschaffene Extremsituation, die ein junges, verliebtes französisches Paar auf eine eisige, menschenlose Insel am Südpol verschlägt, bringt den Leser ebenso wie die Protagonisten mitten in ein menschliches Drama, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gibt, außer dem sicheren Tod.

Besonders nennenswert empfinde ich die sachliche, objektive Erzählweise, die aus der dritten Person Singular ein facettenreiches Bild des Schreckens zeichnet. Die Autorin vermeidet es, eine Wertung zu fällen, sie umschifft die Klippen der Schuldfrage, sie verwischt auch die Konturen, die es normalerweise ermöglichen mit den Protagonisten nachzuempfinden, sich in ihr Schicksal einzuleben. Und doch gefällt mir diese distanzierte Beobachtung wesentlich besser als eine vielleicht vollkommen verzweifelte Ich-Erzählerin, die nur knapp dem Irrsinn Paroli bieten kann. Meine Lesestimmung war irgendwie zwischen immenser Spannung, tatsächlicher Abscheu und kopfschüttelnder Hilflosigkeit anzusiedeln.

Nach dem eigentlichen Showdown, war erst die Hälfte des Buches geschrieben und dann wechselt die Autorin in die Gegenwart, in eine Zeit, in der nichts mehr so ist, wie es war. In ein Szenario, geprägt von sensationssüchtigen Journalisten, vermarktungsfähigen Strategien – ganz so, wie man es auch im echten Leben erwarten würde. Aus der Stille wird nun ein Blitzlichtgewitter und die Medien stürzen sich wie die Aasgeier auf die Menschen hinter dem Drama. Schnell kommt es zu Fragen über Schuld, Reue und Verantwortung, noch schneller wird geurteilt und dennoch bleibt das Interesse an der Person nicht länger als ein Wimpernschlag erhalten. Was gestern die Massen bewegt hat, gerät heute schon in Vergessenheit. Auch diese Richtung der Geschichte hat mich sehr fasziniert, weil sie schonungslos ehrlich ist und den Bogen zwischen Unterlassung, Zweifeln und Aufbegehren spannt.

Fazit
Ich vergebe 5 Lesesterne für diesen bewegenden, ungewöhnlichen Erfahrungsroman, der bröckelnde Werte ebenso wie menschliches Versagen in das Zentrum der Geschichte bringt und den Leser sehr dankbar werden lässt für die Normalität seines alltäglichen Daseins. Eine Erzählung über Mut, Verlust, barbarisches Verhalten und das Zerbrechen einer intakten Liebesbeziehung, deren Existenz sich in den eisigen Wellen des Meeres verliert. Empfehlenswert für alle, die gerne anspruchsvolle Romane mit Tiefgang lesen und auch nach der Lektüre noch das Bedürfnis haben sich über das geschriebene Wort auszutauschen.



Veröffentlicht am 07.06.2017

Das Privileg der Schmetterlinge

Der Club
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„An diesem Morgen gab ich mir ein Versprechen, es schien mir wichtig, und eigentlich war es einfach: Ich werde nie wieder lügen.“

Inhalt

Nach dem Tod seiner Eltern wechselt Hans auf die Universität in ...

„An diesem Morgen gab ich mir ein Versprechen, es schien mir wichtig, und eigentlich war es einfach: Ich werde nie wieder lügen.“

Inhalt

Nach dem Tod seiner Eltern wechselt Hans auf die Universität in Cambridge und folgt damit einer Einladung seiner einzig verbleibenden Angehörigen, seiner Tante Alexandra. Ihr Verhältnis ist zwar leicht unterkühlt, doch die Ausbildung in altehrwürdigen Mauern erscheint dem jungen Mann durchaus reizvoll. Hinzu kommt die Möglichkeit den Boxclub der Schule aufzusuchen, sofern Hans zu dieser eingeschworenen Gemeinschaft Zutritt bekommt. Tante Alex gelingt es, mit Hilfe ihrer Studentin Charlotte, deren Vater ein alteingesessenes Mitglied ist, ihren Neffen in den legendären „Pitt Club“ unterzubringen. Schon bald erweist sich Hans als sehr guter Boxer und ebenbürdiges Mitglied der Gemeinschaft, findet Gleichgesinnte und feiert mondäne Partys. Doch bei all diesen gesellschaftlichen Verführungen vergisst er nicht, was sein eigentlicher Auftrag ist: Er soll ein Verbrechen aufdecken, welches schon einige Zeit zurückliegt und den Schuldigen wird er in den Reihen seiner neuen Freunde finden …

Meinung

Der 1985 geborene Autor Takis Würger ist selbst Boxer und Mitglied diverser Clubs an der Universität Cambridge, wie das Nachwort des Buches verrät. Und tatsächlich merkt man dem Roman eine gewisse Innerlichkeit und Kenntnis der örtlichen Rahmenbedingungen an. Gerade die Atmosphäre in den Clubs, die hippen Dinnerpartys, die vielen Drinks und die von Rauchschwaden geschwängerte Luft, Frauen die sich erfolgreichen Männern an den Hals werfen und Hinweise auf Intrigen und Absprachen die möglicherweise knapp an der Legalität vorbeischrammen, findet der Leser hier eindrucksvoll in Wort und Tat umgesetzt. Gerade dieser Aspekt konnte mich von dem Roman überzeugen, der sich auch gründlich und interessant mit der Boxermentalität, mit Begriffen wie Ehre, Freundschaft und Rückhalt beschäftigt. Insgesamt ein richtig gutes, rundes Buch, welches nicht nur eine Geschichte erzählt, sondern auch Kopfkino bietet.

Erzählt wird aus diversen Perspektiven, die gerade für den Leser einen Wissensvorsprung darstellen und ein sehr umfassendes Porträt liefern, welches durch die Erlebnisse der einzelnen Charaktere beschrieben wird. Opfer und Täter treffen sich auf der Bühne des Pitt Clubs oder an dessen verborgenen Hintertüren. Man spürt Wut, ebenso wie Rachgelüste, wie Gönnerhaftigkeit und Unschuldsbekundungen – Gewalt gibt es kaum und wenn, dann nur sehr endgültig und als scheinbar logische Folge eines geplanten Vorgangs.

Außerdem ist es dem Autor gelungen einen Roman zu schreiben, der kein klassischer Krimi ist und doch viele Parallelen aufweist. Gekonnt entsteht eine subtile Spannung hinter der man diverse Verbrechen vermutet, die man so genau gar nicht festmachen kann. Die Männer in sündhaft teuren Smokings verbergen mehr, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Und unter ihnen ein unbescholtener Hauptprotagonist, der ganz im Gegensatz zu anderen ehrenhafte Absichten hegt und nur im Sinne seines eigenen Gewissens handelt. Dadurch wird die Figur von Hans Stichler noch greifbarer und seine Position als Spion schwelt unter der Oberfläche. Werden die anderen entdecken, was er zu verbergen versucht?

Fazit

Ich vergebe 5 Lesesterne für diesen facettenreichen, anschaulichen Roman über einen Boxer und seine Rolle in einem Spiel, bei dem es um Gerechtigkeit, Aufklärung und Wiedergutmachung geht. Diese Lektüre präsentiert eine dichte Story auf relativ engem Raum und wirkt wunderbar ausgleichend, so dass man sich als Leser freuen kann, dem Schauspiel beizuwohnen und eigene Rückschlüsse auf menschliche Verhaltensweisen und unentschuldbare Fehler zu ziehen. Ein richtig kleines Juwel.

Veröffentlicht am 06.06.2017

Die Kollision zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Als wir unbesiegbar waren
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„Das war das Ethos unserer Generation? Statt aufzustehen und für etwas zu kämpfen, an das wir geglaubt haben, sind wir einfach abgedackelt und haben uns um unser eigenes kleines Stückchen Welt gekümmert?

Inhalt

Eva, ...

„Das war das Ethos unserer Generation? Statt aufzustehen und für etwas zu kämpfen, an das wir geglaubt haben, sind wir einfach abgedackelt und haben uns um unser eigenes kleines Stückchen Welt gekümmert?

Inhalt

Eva, Benedict, Sylvie und Lucien kennen sich seit dem Studium und sind beste Freunde. Sie alle haben Träume, Hoffnungen und Wünsche für ihre Zukunft und malen sich ihr Leben in bunten Farben aus. Fest steht allerdings, dass sich nach ihrer Studienzeit vieles verändern wird, dass jeder irgendwo sein Glück versucht und es an ihnen selbst liegt, ihre Freundschaft aufrechtzuerhalten oder die gemeinsam verbrachte Zeit so weit zu dezimieren, dass sie sich schließlich nichts mehr zu sagen haben.

Schon bald schleicht sich der Teufel mit dem Namen „echtes Leben“ in den Umgang miteinander ein und sie sehen sich nur noch sporadisch oder ohne große Emotionen, was in erster Linie daran liegt, dass ihre Lebenswege weit auseinanderdriften. Denn während Eva Karriere macht und das große Geld scheffelt, Benedict als junger Familienvater in den Hafen der Ehe schippert, Sylvie sich mit schlecht bezahlten Aushilfsjobs über Wasser hält und Lucien immer weiter ins Drogenmilieu eintaucht, vergehen die Jahre, viele einsame Jahre. Doch es kommt auch eine Zeit, in der sie neu entdecken, was echte Freundschaft ausmacht, warum die Menschen, die man in der Jugend mochte, auch noch Jahre später interessante Persönlichkeiten sind und warum es sich lohnt, Kontakte aufrecht zu erhalten und Menschen nicht danach zu beurteilen, was sie aus ihrem Leben gemacht haben, sondern danach, welche Bereicherung sie für den Einzelnen ausmachen.

Meinung

In ihrem Debütroman beschäftigt sich die junge Autorin Alice Adams mit den elementaren Fragen der Freundschaft und mit dem Erwachsenwerden ganz allgemein. Sie entwirft einen viele Jahrzehnte umfassenden Roman, der sich detailliert mit dem Leben von vier Menschen auseinandersetzt, insbesondere mit ihren Lebensentscheidungen, ihren Ansichten und Hoffnungen, ihren alltäglichen Kämpfen und der Bürde des persönlichen Scheiterns. Jeder der Protagonisten vollzieht eine Wandlung, muss sich mit den Umständen arrangieren und aus Schicksalsschlägen eigene Erfahrungen schöpfen. Dazu nimmt sie den Leser an die Hand und führt ihn durch die Jahre, durch verschiedene Orte, zu diversen Ereignissen und zeigt, wie wandelbar Jugendfreunde sind und wie statisch ihr Charakter dennoch bleibt.

Gerade dieses Beleuchten zwischenmenschlicher Beziehungen, aber auch die Spiegelung der eigenen Emotionen im Umgang miteinander kombiniert Frau Adams sehr anschaulich, realistisch und absolut nachvollziehbar. Trotz der individuellen Geschichte entsteht eine generalistische Lektüre, deren Grundaussagen sich problemlos auf viele Freundschaften übertragen lassen und die zeigt, wie vielfältig Freundschaften sein können, selbst wenn sie zeitweise fast eingefroren die Jahre überstehen müssen. Damit schlägt sie auch den Bogen zu ganz persönlichen Ansichten und lässt den Leser immer wieder Parallelen zum eigenen Leben ziehen. Ich habe mich hier in einigen Überlegungen wiedererkannt und kann ebenso wie die Protagonisten auf Freundschaften zurückblicken, die einem ständigen Wandel unterworfen waren und trotzdem bestehen, selbst wenn sie nicht mehr den gleichen Stellenwert besitzen, wie in jungen Jahren.

Als kleines Manko dieses ansonsten sehr guten Romans sehe ich den Hang zur Sentimentalität, dadurch erahnt man schon früh, wie sich die Geschichte entwickeln wird und diese Vorhersehbarkeit tritt dann auch tatsächlich ein. Es gibt keine wirklichen Überraschungen, dafür aber eine Menge Herzschmerz, viele Tränen, tiefgreifende Reue und große Emotionen. All das finde ich normalerweise ansprechend, jedoch hätte ich mir bei diesem Roman etwas mehr Unabänderlichkeit gewünscht, etwas mehr Schwere und ein Ende welches nicht so glücklich und zufrieden den Text beschließt.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen ansprechenden, umfassenden Roman über Freundschaft, Liebe, Schicksal und dem beschreiten verschiedener Lebenswege. Aufgehübscht durch eine tiefgründige Sprache mit vielen Lebensweisheiten gespickt und voller ausgeschöpfter oder verstrichener Möglichkeiten. Eine lesenswerte Sommerlektüre, die ebenso unbeschwert wie aussagekräftig daherkommt und den Leser mitnimmt auf eine Art Resümee über die persönlichen Prämissen im Leben.

Veröffentlicht am 01.06.2017

Das Periodensystem des Jenseits

Das Leben nach Boo
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„Wären wir beide schon dort Freunde gewesen, hätte Johnny sich vielleicht nicht die Pulsadern aufgeschnitten, und ich hätte vielleicht nicht Onkel Seymours Revolver gestohlen. Wir hätten uns in Amerika ...

„Wären wir beide schon dort Freunde gewesen, hätte Johnny sich vielleicht nicht die Pulsadern aufgeschnitten, und ich hätte vielleicht nicht Onkel Seymours Revolver gestohlen. Wir hätten uns in Amerika so helfen können, wie wir uns im herrlichen Jenseits halfen.“

Inhalt

Oliver Dalrymple, der wegen seiner Blässe und seines geisterhaften Wesens von allen nur „Boo“ gerufen wird, ist in seiner Schule ein absoluter Außenseiter. Seine Mitschüler hänseln und drangsalieren ihn, wo sie nur können und der Junge mit dem Loch im Herzen, zieht sich immer mehr in sein Schneckenhaus zurück. Hochintelligent aber einsam verbringt er seine Schultage mit wissenschaftlichen Projekten und dem Auswendiglernen des Periodensystems der Elemente. Eines Tages jedoch erwacht er im Himmel der 13-Jährigen Amerikaner und erfährt, dass er dort nun für weitere 50 Jahre sein Alter halten wird, bevor er wirklich stirbt. Als kurz nach seiner Ankunft ein ehemaliger Mitschüler im Himmel aufkreuzt, erfährt er, dass er keines natürlichen Todes gestorben ist, sondern ermordet wurde, von einem Täter, den die beiden Jungen fortan „Gunboy“ nennen. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach ihrem Mörder und hoffen ihn, in ihrem Jenseits anzutreffen. Doch bald schon stellt sich heraus, dass es nur zwei Opfer gab und einer davon war der Mörder. Für Boo jedoch wird es nebensächlich Rache zu üben und Gerechtigkeit zu erlangen. Er möchte einzig die Freundschaft mit Johnny bewahren, eine Kameradschaft, die er sich zu Lebzeiten immer wünschte und nie bekam. Doch sein neuer Freund wird zum „Wiedertod“ verurteilt und kann nicht mehr lange im Himmel bleiben, es sei denn sie finden ein Portal zur Diesseitigen Welt …

Meinung

Auf diesen innovativen, andersartigen Roman war ich sehr gespannt, weil er ausgesprochen gute Kritiken bekommen hat und als ein gelungener Debütroman ins Auge fiel. Die Geschichte selbst klingt auch wirklich toll und interessant, denn der Mix aus Jugendroman und phantastischer Geschichte, die im Jenseits spielt, weckte mein Interesse ungemein. Tatsächlich hat mir der Beginn des Buches auch sehr gut gefallen, weil allein die Idee einer Welt nach unserem Tod, selbst so wie sie der Autor beschreibt einen großen Reiz auf mich hat. Zu schön wäre doch die Vorstellung, dass es so etwas tatsächlich geben könnte …

Trotzdem ist es Neil Smith nicht gelungen, mich so richtig in den Bann der Geschichte zu ziehen. Einige Textstellen haben ungewöhnliche Längen, während andere mir viel zu kurz erschienen. Auch die Suche nach dem potenziellen Mörder konnte mich nicht überzeugen und mich hat die Erzählung teilweise sogar gelangweilt. Der Autor setzt den Fokus ganz zielstrebig auf die persönliche Entwicklung des Hauptprotagonisten, dem es im Jenseits tatsächlich gelingt, sein Leben in den Griff zu bekommen, der endlich all das erreicht, was er sich im Diesseits bereits wünschte. Eine gewisse Trauer schleicht sich aber auch dazwischen. Trauer darüber, die Chancen verpasst zu haben, Trauer darüber sich nicht verabschieden zu können und nun für weitere 50 Jahre in einer Welt zu leben, in der es normalerweise nur begrenztes Entwicklungspotential gibt.

Der Schreibstil ist jugendlich frisch und gut zu lesen, die gewählte Erzählperspektive in der Ich-Form bringt dem Leser einen gewissen Mehrwert, denn so kann man die Empfindungen von Boo besser teilen und seine Ansichten verstehen. Boo wird mit fortschreitender Lektüre zu einem immer liebenswerteren Menschen, den man von Herzen endlich mal etwas Glück und Erfolg wünscht.

Fazit

Ich vergebe 3 Lesesterne für diesen warmherzigen Roman mit sehr alternativer, erfrischender Handlung, der mich zwar nicht ganz begeistern konnte, aber sicherlich eine lesenswerte Geschichte erzählt. Meine Erwartungshaltung war wohl schlicht eine andere, die sich hier nicht ganz erfüllen ließ, weil mir der emotionale Bezug gefehlt hat. Ich habe mich weder köstlich amüsiert, was für eine humorvolle Variante gesprochen hätte, noch konnte ich Tränen vergießen, was ich mir vielleicht sogar gewünscht hätte. Das Buch und ich sprechen wohl einfach nicht die gleiche Sprache. Die Variante, einen Roman im Jenseits spielen zu lassen fand ich trotzdem top und sehr ansprechend – gern würde ich die Thematik weiterverfolgen und auch der Autor wäre noch ein zweites Buch wert.