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Veröffentlicht am 20.10.2021

Das Dunkel ist der Wissenschaft stets vorzuziehen

Die Anomalie
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„Ich rate davon ab, ihnen zu sagen, dass von ihnen allen bereits irgendwo ein Doppel existiert und dass sie auf der Erde nichts zu suchen haben.“

Inhalt

Turbulenzen in schwindelerregender Höhe sorgen ...

„Ich rate davon ab, ihnen zu sagen, dass von ihnen allen bereits irgendwo ein Doppel existiert und dass sie auf der Erde nichts zu suchen haben.“

Inhalt

Turbulenzen in schwindelerregender Höhe sorgen dafür, dass die Passagiere einer Boeing 787 auf dem Flug Paris – New York, wahnsinnig froh sind, diesen Trip überstanden zu haben und sicher landen zu können. Problematisch ist nur die Tatsache, dass ihr Flugzeug, das identische Pendant bereits am 10. März gelandet ist, mit haargenau denselben Menschen, doch nun steht ein Datum Ende Juni im Kalender und die Passagiere aus dem Flug gibt es alle schon, nicht etwas als Doppelgänger, sondern in der Realität. Allerdings hat sich das Leben der März-Passagiere mittlerweile entsprechend verändert und von all dem wissen die Neuankömmlinge noch nichts …

Meinung

Auf diesen Roman bin ich auf Grund mehrerer positiver Leserstimmen aufmerksam geworden und tatsächlich verspricht die Story eine unterhaltsame, vielleicht auch mysteriöse Hintergrundgeschichte, die ich nur zu gern selbst entdecken wollte. Aber von meiner ursprünglichen Erwartungshaltung weicht der Roman schon im ersten Drittel ein ganzes Stück ab. Die drei inhaltlichen Schwerpunkte vermitteln eine sehr interessante Story, der ich rein lesetechnisch gern gefolgt bin, denn geschrieben ist das Buch durchaus unterhaltsam, manchmal gar abenteuerlich. Dafür fehlte mir gänzlich der Bezug zu einer nennenswerten Begebenheit. Denn einerseits wirkt die Erzählung sehr realitätsnah, andererseits irgendwie abgehoben und vollkommen illusionär nur weniger in Richtung Magie, sondern vielmehr durch diverse naturwissenschaftliche Theorien mit aberwitzigen Resultaten.

Hinzu kommt die sehr willkürliche und ausufernde Beschreibung der Protagonisten, die trotz ihrer zahlreichen Eigenheiten seltsam blass bleiben. Das mag daran liegen, dass es einfach zu viele Personen sind, die man hier als Leser vor und nach dem Unglück kennenlernt oder auch an ihren eigenartigen Wesenszügen und ihrer Interaktion. Gerade im zweiten Teil des Buches hat mich die Motivation zum Weiterlesen immer mehr verlassen, denn besagtes Unglück nimmt dann nationale Ausmaße an und wird sowohl als politisches Unding als auch als menschliche Katastrophe gehandhabt. In Regierungskreisen steht die Welt Kopf und sämtliche Wissenschaftler rätseln, was denn nun der tatsächliche Auslöser war und wie man damit umgehen sollte.

Etwas unterhaltsamer dann wieder der dritte Teil, weil man etwas aus dem Leben der nunmehr doppelt vorhandenen Personen erfährt – allerdings kratzt der Autor auch wieder nur an der Oberfläche und einiges aus dem ersten Teil hat sich mir so wenig eingeprägt, dass ich immer kurz nachdenken musste, wer denn nun welches Dasein hatte und mit wem in welcher Beziehung stand. Definitiv ein mühsamer Prozess, der mich mehr und mehr langweilte.

Fazit

Leider nur 2 Lesesterne, für diesen Roman mit guter Grundidee, der leider kaum Sympathiepunkte erhält. Am Ende bin ich irgendwie ratlos, welche Aussage, welchen Mehrwert dieses Buch für mich persönlich haben soll und ich finde leider keinen Ansatzpunkt. Möglicherweise wären all die philosophischen und wissenschaftlichen Bezüge besser vermittelt wurden, wenn ich starke Protagonisten vor Augen gehabt hätte oder irgendein verbindendes Element. Aber in Erinnerung bleibt mir nur ein immenser Medienrummel und die entsprechende Vermarktung von Menschen, die in eine wie auch immer geartete Situation geraten sind und sich mit langfristigen Folgen konfrontiert sehen. Das eine solche Katastrophe zum Politikum wird, kann ich noch nachvollziehen, allerdings erscheint mir diese Wirkung so unbedeutend wie vergänglich. Also hier sollte man weniger Augenmerk auf eine bewegende Story legen und sich vielleicht eher auf das Gedankenexperiment einlassen – meinen Geschmack konnte dieses Buch leider nicht treffen.

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Veröffentlicht am 12.10.2021

Facetten der interfamiliären Entfremdung

Wenn ich wiederkomme
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„So ist es eben: Solange du nicht die Augen öffnest, geht kein Problem, keiner der Schrecken, die sich jeden Tag ereignen, mich etwas an.“

Inhalt

Manuel Matei wird als Kind von der Mutter zurückgelassen, ...

„So ist es eben: Solange du nicht die Augen öffnest, geht kein Problem, keiner der Schrecken, die sich jeden Tag ereignen, mich etwas an.“

Inhalt

Manuel Matei wird als Kind von der Mutter zurückgelassen, bei seiner großen Schwester, dem Vater und den Großeltern, denn Daniela, seine Mutter geht nach Italien, um die Familie in der rumänischen Heimat finanziell über Wasser zu halten. Ihre beiden Kinder sollen es einmal besser haben, sollen die Möglichkeit auf eine höhere Bildung bekommen und damit die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Und während Angelica Matei zu Hause die Stellung hält und in ihrer Jugend bereits die Verantwortlichkeiten einer Erwachsenen übernimmt, zieht sich der Vater immer mehr aus dem Familienalltag zurück, begibt sich schließlich als Kraftfahrer auf die Straße und kehrt seinem Zuhause ebenfalls den Rücken. Als schließlich der Großvater stirbt, sieht sich Manuel in einer ausweglosen Situation – wo nur sind seine Bezugspersonen geblieben, wohin ist seine Familie geflohen, warum sieht keiner die Probleme vor Ort und welche Chancen bleiben ihm, wenn er es nicht schafft, sie alle wieder zu vereinen …

Meinung

Auf den neuen Roman des italienischen Autors Marco Balzano war ich sehr gespannt, nachdem mich seine beiden Bücher „Ich bleibe hier“ und „Das Leben wartet nicht“ nachhaltig beeindrucken konnten. Das Dilemma einer Mutter, die sich gezwungen sieht, ihren Lebensunterhalt außerhalb der Familie zu verdienen und die damit einen schmerzlichen Trennungsprozess auslößt, ihn jeden Tag mit sich herumträgt und zwischen Bangen, Zweifeln und Hoffen auf ein Ende dieses Zustands spekuliert. Eindeutig ein interessantes Thema, mit ganz vielen Facetten, mit der unausgesprochenen Frage nach der Schuld und dem eklatanten Mangel eines direkten Schuldigen.

Und dem Autor ist es durch diesen zeitgenössischen Roman tatsächlich gelungen, mich für die Belange der Familien zu sensibilisieren, mich in ihre Lage zu versetzen und mir ein Bild zu machen über dieses fremdbestimmte, unfreiwillige Lebenskonzept jenseits der Heimat, weit weg von den geliebten Menschen. Allerdings findet dieser Prozess eine sehr sachliche, fast neutrale Umsetzung, so dass ich tatsächlich mehr die Fakten als die Emotionen verstehen konnte.

Positiv bewerten möchte ich die drei gewählten Perspektiven, die es möglich machen einen umfassenden, weil nicht nur einseitigen Blick auf das Geschehen zu erhalten. Es spricht der Sohn, der die Entscheidung seiner Mutter nicht nachvollziehen kann, es spricht die Mutter und erzählt aus ihrem Alltag in der Fremde und dem Gedankenkarussel bezüglich ihrer einsamen Entscheidung und letztlich hört der Leser die Ausführungen der älteren Tochter, die zwar die Notwendigkeit erkennen konnte, der aber nun nur ein Wunsch geblieben ist – es anders zu machen, als ihre Mutter. Die entsprechende Gesellschaftskritik wird umfassend und vielschichtig vermittelt, der Leser erkennt auf der emotionalen Ebene, wie traumatisch eine derartige Lebensweise ist und wie nachhaltig und unwiderruflich sie Familien trennt, weil sie vor allem Mütter und Kinder entfremdet und Ehen zerstört.

Allerdings berührt mich der Text längst nicht so sehr wie erhofft, weil eben so viel Wert auf eine verständnisvolle Schilderung der Umstände gelegt wird. Dieses Buch besitzt viel Allgemeingültigkeit und verzichtet dafür auf eine kleine Geschichte, die tatsächlich in die Tiefe geht und intensive Emotionen auslöst. Die Charaktere bleiben mir etwas zu blass, sie scheinen eher sinnbildlich für gewisse Rollenbilder zu stehen, denen sie wiederrum gerecht werden. Das Nachwort finde ich sehr aufschlussreich, weil darin deutlich wird, welchen Fokus der Autor gewählt hat. Dieser Roman soll der Versuch einer Wiedergutmachung sein – Marco Balzano hat den tatsächlichen Menschen hinter den hier gewählten Protagonisten zugehört, hat sich die Stimmen der Frauen und Kinder angehört, die das gleiche Schicksal teilen wie die Familie Matei und daraus seine Story geschmiedet.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Sterne für ein wichtiges Buch, welches von zahlreichen Eindrücken und Gedanken lebt. Es ist eine hervorragende Grundlage für diverse Diskussionen bezüglich gesellschaftlich relevanter Themen, die direkte Auswirkungen auf das Familienleben Einzelner haben. Mir hätte die Geschichte aber besser gefallen, wenn sie persönlicher, trauriger und emotionaler geworden wäre, meinetwegen auch etwas entfremdet zu den realen Begebenheiten, dafür mit Menschen, die ich nicht nur kennenlerne über ihre Handlungen, sondern in erster Linie über meine Identifikationsmöglichkeiten mit ihnen. Dem Autor bleibe ich treu, er wählt für mich sehr lesenswerte Geschichten, die er literarisch ansprechend umsetzt.

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Veröffentlicht am 21.09.2021

Claras unbekannte Vergangenheit

Tiefer Fjord
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„Ich dachte, ich bekäme genügend Zeit, etwas zu bewirken, aber jetzt könnte es vorbei sein, nachdem es noch gar nicht richtig angefangen hat.“

Kurzrezension

Die Pressestimmen, die der Auftakt aus der ...

„Ich dachte, ich bekäme genügend Zeit, etwas zu bewirken, aber jetzt könnte es vorbei sein, nachdem es noch gar nicht richtig angefangen hat.“

Kurzrezension

Die Pressestimmen, die der Auftakt aus der Trilogie um Clara Lofthus ausgelöst hat, führen diesmal nicht in die Irre sondern beschreiben ganz gut die Wirkung, die dieser Spannungsroman auch bei mir ausgelöst hat. Maja Lunde empfiehlt einen erfrischend anderen Thriller, der eine fesselnde Geschichte kunstvoll erzählt. Und genau dieses Resümee ziehe ich ebenfalls aus der Lektüre.

Wer einen nervenaufreibenden Thriller mit viel Blut und perfiden Mördern sucht, ist hier leider an der falschen Adresse, denn sowohl die norwegische Kulisse, die Einsamkeit, Stille und Entschleunigung vermittelt als auch die unaufgeregte Erzählweise tragen dazu bei, dass dieses Buch viel mehr auf der psychologischen Ebene punkten kann als mit reinem Actionpotential. Selbst die reine Handlungsebene erscheint eher unspektakulär, denn beim Ehepaar Haavard und Clara hat sich die große Liebe längst verflüchtigt. Zwar halten die beiden gemeinsamen Söhne das Familienleben aufrecht, doch prinzipiell geht jeder seinen Weg, nicht zuletzt gelingt ihnen die Distanz deshalb so problemlos, weil beide Partner schon fast mit ihrer Arbeit verheiratet sind. Haavard ist Arzt und Clara eine sehr engagierte Politikerin, die gerade die Chance ihres Lebens erhält, auf der Karriereleiter noch weiter nach oben zu klettern.

Das besondere Augenmerk der Erzählung liegt in Claras Vergangenheit verborgen, die zwar längst nicht so außergewöhnlich ist, wie erwartet aber durch die geschickt eingefädelte Erzählperspektive umso nachhaltiger wirkt. Der Leser bekommt nämlich in eher kurzen Kapiteln aus der jeweiligen Innensicht die Überlegungen von Haavard und Clara geboten, ergänzt durch weitere Nebenprotagonisten, die die ein oder andere Lücke füllen und die beiden Hauptakteure nochmals in ein anderes Licht tauchen. Deshalb erreicht dieser Thriller schon nach wenigen Seiten eine enorme psychologische Komponente, die weit über die tatsächlichen Verfehlungen hinausgeht und unterschwellig viel mehr vermittelt.

Auch die Thematik der Kindesmisshandlung, die eher den Hintergrund bildet als die Kernaussage, bleibt angenehm offen und geht nie zu sehr ins Detail, so dass auch zart besaitete Leser gut damit klarkommen werden. Der für mich am besten gelöste Aspekt, dieser intensiven Geschichte, der auch besonders lange im Gedächtnis bleiben wird, ist die höchst interessante Betrachtung des Opfer-Täter-Gefälles. Denn im Gegensatz zu den meisten Thrillern, schlüpft hier jede Figur in jede Rolle und füllt sie noch dazu aus, ohne tatsächlich Spuren zu hinterlassen. Demnach spielen auch das Ermittlungsteam und die tatsächliche Aufklärung der Morde eine untergeordnete Rolle, die auf Grund der fesselnden Betrachtung auch gar nicht vermisst wird.

Fazit

Hier vergebe ich gerne 5 Lesesterne und eine uneingeschränkte Leseempfehlung, sofern man sich gern mit Motiven und Gedanken der unblutigen Kategorie beschäftigt. Ich freue mich schon sehr auf die Fortsetzung und verspreche mir dort eine klare Entwicklung, die sich hier zwar schon abzeichnet, aber noch in alle Richtungen offenbleibt, zumal die Hauptakteurin des Buches nun am Ziel ihrer Träume angelangt zu sein scheint, fraglich nur, welchen Preis sie dafür bezahlen muss. Eines der Bücher, die ich ohne besondere Erwartungshaltung begonnen habe und mit einem richtig guten Gefühl zuklappen kann.

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Veröffentlicht am 16.09.2021

Die Höllenkneipe der verlorenen Seelen

Becks letzter Sommer
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„Er hatte diese Fahrt in die Türkei nur deshalb mitgemacht, weil er dadurch vor seinen Problemen weglaufen konnte. Doch das war ein Irrtum gewesen. Alle seine Probleme hatte er im Gepäck.“

Kurzrezension

Bisher ...

„Er hatte diese Fahrt in die Türkei nur deshalb mitgemacht, weil er dadurch vor seinen Problemen weglaufen konnte. Doch das war ein Irrtum gewesen. Alle seine Probleme hatte er im Gepäck.“

Kurzrezension

Bisher konnten mich alle gelesenen Bücher des jungen deutschen Autors Benedict Wells absolut überzeugen, stets sind es 5 Lesesterne geworden und alle stehen jetzt im Regal derjenigen Bücher, die ich gerne noch ein weiteres Mal lesen würde. Doch nach „Vom Ende der Einsamkeit“, „Hard Land“ und „Fast genial“, kann dieser Debütroman hier leider nicht ganz mithalten, was durchaus an meiner hohen Erwartungshaltung liegen mag.

Dabei hat mich der lockere, humorvolle Schreibstil, der doch immer wieder auf wichtige Lebensfragen zurückfällt auch hier liebevoll durch das Buch geführt. Weshalb man dem Lehrer Beck und seinen Freunden durchaus einen gewissen Unterhaltungswert zuschreiben kann. Der Roman liest sich flüssig, schafft lebhafte Bilder und besticht durch eine angenehme Erzählart. Meine Kritikpunkte beziehen sich bei dieser Lektüre vorwiegend auf die Handlungsebene und die Story an sich.

Tatsächlich habe ich mich viel zu lange gefragt, auf was der Autor eigentlich hinauswill, denn er widmet gerade am Anfang des Textes seinen Charakteren ein regelrecht dominantes Auftreten. Immer wieder kreisen die Gedanken um kleine Momentaufnahmen aus dem Alltag der Protagonisten, von denen man bald ganz genau weiß, was eigentlich alles schief läuft in deren Leben. Nicht nur, dass sie auf den ersten Blick kaum Gemeinsamkeiten aufweisen, nein sie bleiben irgendwie sperrig und sehr speziell. Auf mich wirkte das leider eher abschreckend als aufmunternd, zumal ihre Aktionen so überzeichnet sind, dass sie schon fast ans Klischeehafte grenzen. Ein in die Jahre gekommener Lehrer, ein musikalischer Wunderschüler und ein drogenabhängiger Freund – sie verbindet einerseits kaum etwas andererseits sind sie anscheinend voneinander abhängig. Für mich einfach eine unglückliche Kombination.

Die gleichermaßen alltägliche, wie besondere Handlungsebene, wirkt daher sehr bemüht und konstruiert. Ein Roadtrip, der wenig Bezug liefert und bei dem von Beginn an klar ist, dass sich die Wege der Reisenden wieder trennen werden, und sei es nur, weil sie eben doch nicht ganz zueinander passen. Die tatsächliche Intention schimmert nur hin und wieder zwischen den Zeilen durch und verliert dadurch viel von ihrer Bedeutsamkeit. Möglicherweise konnte mich auch die Thematik der Sinnsuche des Lebens und der Selbstfindung nicht restlos überzeugen, weil sie hier so speziell und wenig universell wirkt, obwohl man rein emotional verstehen kann, was die Akteure so umtreibt, bleibt es doch irgendwie belanglos.

Fazit

Für das Erstlingswerk des Autors möchte ich 3,5 Sterne vergeben, die ich tendenziell aber abrunden würde. Sicherlich bleibe ich ihm treu und lese auch noch die fehlenden Bücher meiner Liste, trotzdem bleibt „Becks letzter Sommer“ nicht wesentlich in meiner Erinnerung erhalten. Die Story mag sich für eine Verfilmung eignen, die es seit 2015 tatsächlich auch gibt und die ich zumindest einmal anschauen möchte. Für meine Begriffe haben wir hier einen netten Unterhaltungsroman, mit speziellen Charakteren und einer bunt gemischten Handlung zwischen persönlichen Problemen, den großen Fragen des Lebens und der Aussicht auf Veränderungen aller Art. Wirklich motiviert war ich beim Lesen jedoch nicht, deshalb eine Leseempfehlung mit Abstrichen.

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Veröffentlicht am 04.09.2021

Walters neues Refugium

Barbara stirbt nicht
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„Es war nicht ihre Art, morgens auf dem Badezimmerboden herumzuliegen, aber sie sagte nichts weiter dazu und hielt die Augen geschlossen. Man musste ja auch nicht über alles reden.“

Inhalt

Barbara und ...

„Es war nicht ihre Art, morgens auf dem Badezimmerboden herumzuliegen, aber sie sagte nichts weiter dazu und hielt die Augen geschlossen. Man musste ja auch nicht über alles reden.“

Inhalt

Barbara und Walter Schmidt sind ein eingespieltes Team, nach über 50 Ehejahren nicht verwunderlich, der eine kann nicht ohne den anderen, selbst wenn es eine ganze Litanei an Dingen gibt, die stören, und jeder ein abgestecktes Refugium besitzt, zu dem der andere vielleicht eingeladen ist aber bitte schön niemals mitzuwirken hat. Walter hat den Hund und Barbara die Küche, doch als Barbara eines morgens umfällt und nicht wieder auf die Beine kommt, sieht sich der miesepetrige Walter doch gezwungen, die Küche zu betreten. Nicht weil er ein hungriger Gourmet ist, sondern weil Barbara ja etwas essen muss, um wieder zu Kräften zu kommen. Verbissen und mit allerlei Hürden meistert er den abstrakten neuen Alltag, denn was er am meisten fürchtet sind die Blicke und Handlungen der anderen, wenn die erst mal herausfinden, wie es um seine Frau wirklich steht. Aber auch Walter muss einsehen, dass es ihm weiterhilft, wenn die Bäckereifachverkäuferin ihm erklärt, wie man Kaffee kocht und der Fernsehkoch, wie das Essen zubereitet wird. Zu gern würde er die Küchenarbeit in absehbarer Zeit wieder abgeben, doch er muss einsehen, dass seine Frau nun nicht mehr so schnell einsatzbereit sein wird, wenn sie doch nur wieder gesund werden wird, wenn sie doch nur wieder essen würde …

Meinung

Ich bin ein großer Fan der Autorin und habe ihre beiden Romane „Baba Dunjas letzte Liebe“ und „Der Zopf meiner Großmutter“ sehr genossen, weil sie es vermag ihre eigentlich abschreckenden Charaktere trotz ihrer Widerborstigkeit irgendwie sympathisch erscheinen zu lassen. Und diesem Stil bleibt die in Berlin lebende Autorin auch mit ihrem neuesten Buch treu, denn wenn man sich einen Typ Mann nicht zu Hause wünscht, dann ist es einer wie Walter Schmidt.

Umso begeisterter bin ich dann, wenn mich der Erzählstil schon auf den ersten Seiten so überzeugen kann, dass ich innerhalb weniger Stunden schon fast die Hälfte des Buches gelesen habe.

Der Text lebt von einer gewissen Situationskomik und vom Blick des Walter Schmidt auf die jeweilige Lage. Er ist einer, der sich nicht so leicht geschlagen gibt, der ganz klare Prioritäten pflegt und den seine Kinder irgendwie permanent nerven und nur wenig interessieren, der aber im Kern ein gutes Wesen hat, welches er nur ausgesprochen gut zu verbergen weiß.

Man kann diese kleine Erzählung auch gut für diverse charakterliche Verfehlungen bemühen und sie unter psychologischem Aspekt betrachten, man kann sie aber auch einfach auf die leichte Schulter nehmen und unverbesserlich wie Walter selbst daran glauben, dass sich alles irgendwie fügen wird und das Barbara ganz gewiss nicht sterben wird, wenn er nur weitermacht und ihren Part übernimmt.

In dem Buch kam einmal der Punkt, da habe ich mich gefragt, ob die Autorin noch die Kurve kriegt, denn so ironisch und humorvoll auch der Schlagabtausch zwischen den Protagonisten von statten geht, so traurig ist doch die Gesamtsituation, wenn man einsehen muss, dass der geliebte Ehepartner nicht mehr lange da sein wird und dass das nächste Weihnachtsfest gewiss schon das letzte gemeinsame ist.

Aber ihr gelingt es wirklich den Leser auch zuletzt noch zu überraschen, ohne dass sich ihre Figuren ändern, ohne das das große Fiasko eintritt und so bleibt das Ende zwar einerseits offen, andererseits ist aber alles gesagt, was es hier anzumerken gibt.

Fazit

Ich vergebe 4,5 Lesesterne, die ich gerne zu 5 Sternen aufrunde. Selten habe ich einen Roman gelesen, der mich trotz dieser traurigen Gesamtsituation so gut unterhalten konnte und geschickt an allen Sentimentalitäten vorbeiführt. Hier kommt weder Mitleid auf, noch übersteigertes Wunschdenken, weil natürlich zwischen den Zeilen alles steht, was eigentlich wichtig ist, dass vordergründig Wichtige aber vielmehr in der korrekten Zubereitung des Leibgerichts liegt .

Es hat mich überzeugt, dass die Autorin ihren eckigen, kratzbürstigen Hauptprotagonisten bis zum Schluss so bleiben lässt, wie er nun mal den Rest seines bisher langen Lebens war. Und dennoch begegnet dem Leser irgendwie ein veränderter Mensch, der sich auf Grund seiner Lage und des verschobenen Gleichgewichts, auf andere Pfeiler stützen muss. Ich bin jedenfalls froh, dass der Walter Schmidt hier zwischen den Buchdeckeln bleibt, kann aber auch nachvollziehen, warum Barbara 50 Jahre plus mit diesem sehr speziellen Herrn verbracht hat und nun ebenfalls auf ein zufriedenes Leben zurückblicken kann.

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