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Veröffentlicht am 14.01.2022

Familie Bergmüller - gestern und heute

Roman ohne U
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Katharina Bergmüller ist Mutter von vier Kindern und jetzt, nachdem die Kleinen schon groß geworden sind, betätigt sie sich als Biografin. Im Namen der Angehörigen verfasst sie Lebenstexte, die eine bleibende ...

Katharina Bergmüller ist Mutter von vier Kindern und jetzt, nachdem die Kleinen schon groß geworden sind, betätigt sie sich als Biografin. Im Namen der Angehörigen verfasst sie Lebenstexte, die eine bleibende Erinnerung sein werden, an ein gelebtes Leben und einen geliebten Menschen. Besonders das Manuskript eines alten Tagebuchs weckt ihr Interesse, geschrieben von einem Mann, der seine Liebe auf grausame Weise verlor und viele Jahre in einem russischen Gefangenenlager verbrachte. Leider kann Katharina mit dem Verfasser des Textes nicht mehr sprechen, da er bereits hochbetagt ist und mit Demenz in einem Pflegeheim wohnt, er führt schon lange keine Gespräche mehr. Nur seine Nichte Stephanie Mangold, ihre Auftraggeberin ist das Bindeglied zwischen den beiden. Doch je tiefer Katharina in die Vergangenheit abtaucht, desto sichtbarer werden die Verbindungen zur Gegenwart. Ihr Mann Julius hingegen bringt nur mäßiges Verständnis für die Ambitionen seiner Frau auf, fühlt sich aber in der Nähe der neuen Bekanntschaft Stephanie wie neugeboren, ist doch seine Liebe zu Katharina schon längst auf Sparflamme abgekühlt …

Meinung

Dieser Roman aus der Feder der 1970 geborenen Schriftstellerin Judith W. Taschler stand mittlerweile schon sechs Jahre ungelesen im Bücherregal und nun konnte ich ihn endlich im Rahmen einer Challenge vom SUB befreien. Die Story gliedert sich zwei Teile, einer konkreten Gegenwartshandlung, die die in Schieflage geratene Ehe von Julius und Katharina unter die Lupe nimmt und der Vergangenheitshandlung, rund um das Leben und Leiden von Thomas Bergmüller, der schildert, wie seine Tage und Nächte im kalten Sibirien als Zwangsarbeiter in einem Uranbergwerk aussahen.

Die Zusammenhänge zwischen beiden Erzählsträngen kann man erahnen, eine tatsächliche Aufklärung erfolgt aber erst zum Ende hin. Der Schreibstil der Autorin hat mir ausgesprochen gut gefallen, der Roman liest sich leicht, hat aber Tiefe, wird durch das Wirken verschiedener Charaktere und deren Motivation sehr vielseitig und niemals langweilig und schildert generationsübergreifend die verschiedenen Lebensstationen diverser Personen. In gewisser Weise eine allgemeingültige Lebensbetrachtung, die Liebe, Schicksalsschläge und falsche Entscheidungen für alle gleichermaßen aufnimmt und Wert darauf legt, dass der Leser mit den Protagonisten auf einer Stufe steht.

Dennoch konnte ich zum Text keine wirkliche Nähe aufbauen, vieles bleibt mir zu sachlich und unbestimmt, manches wird nur skizziert und man kann es mit eigenen Gedankengängen auffüllen, was mir jedoch schwerfiel. Prinzipiell lag das auch daran, dass ich zu den handelnden Personen keine rechten Sympathien aufbauen konnte, gerade die Interaktion zwischen den Eheleuten Julius und Katharina ging mir zunehmend gegen den Strich. Das Ende des Buches, war in meinen Augen zu theatralisch und wirkte irgendwie konstruiert, es rundet das Gelesene nicht ab und lässt mich eher mit einem Schulterzucken zurück.

Fazit

Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen beschreibenden Familienroman mit zwei unterschiedlichen Handlungen, die erst spät gewisse Berührungspunkte haben. Dies ist wieder ein typisches Beispiel für eine Geschichte, die sehr viel Potential hatte und meiner Meinung nach nur unzureichend in Szene gesetzt wurde. Ich habe das Buch im Großen und Ganzen gern gelesen, es wird mir aber nicht in Erinnerung bleiben, dafür war mir die Geschichte einfach zu distanziert und erdacht, zu unrund und lückenhaft.

Von der Autorin allerdings werde ich sicher noch mehr lesen (es warten ja noch drei weitere Romane in den Untiefen meines Bücherregals) – ihre Art zu erzählen entschleunigt und sensibilisiert für viele Gedanken, die sie so nicht zu Papier gebracht hat.

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Veröffentlicht am 16.09.2021

Die Höllenkneipe der verlorenen Seelen

Becks letzter Sommer
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„Er hatte diese Fahrt in die Türkei nur deshalb mitgemacht, weil er dadurch vor seinen Problemen weglaufen konnte. Doch das war ein Irrtum gewesen. Alle seine Probleme hatte er im Gepäck.“

Kurzrezension

Bisher ...

„Er hatte diese Fahrt in die Türkei nur deshalb mitgemacht, weil er dadurch vor seinen Problemen weglaufen konnte. Doch das war ein Irrtum gewesen. Alle seine Probleme hatte er im Gepäck.“

Kurzrezension

Bisher konnten mich alle gelesenen Bücher des jungen deutschen Autors Benedict Wells absolut überzeugen, stets sind es 5 Lesesterne geworden und alle stehen jetzt im Regal derjenigen Bücher, die ich gerne noch ein weiteres Mal lesen würde. Doch nach „Vom Ende der Einsamkeit“, „Hard Land“ und „Fast genial“, kann dieser Debütroman hier leider nicht ganz mithalten, was durchaus an meiner hohen Erwartungshaltung liegen mag.

Dabei hat mich der lockere, humorvolle Schreibstil, der doch immer wieder auf wichtige Lebensfragen zurückfällt auch hier liebevoll durch das Buch geführt. Weshalb man dem Lehrer Beck und seinen Freunden durchaus einen gewissen Unterhaltungswert zuschreiben kann. Der Roman liest sich flüssig, schafft lebhafte Bilder und besticht durch eine angenehme Erzählart. Meine Kritikpunkte beziehen sich bei dieser Lektüre vorwiegend auf die Handlungsebene und die Story an sich.

Tatsächlich habe ich mich viel zu lange gefragt, auf was der Autor eigentlich hinauswill, denn er widmet gerade am Anfang des Textes seinen Charakteren ein regelrecht dominantes Auftreten. Immer wieder kreisen die Gedanken um kleine Momentaufnahmen aus dem Alltag der Protagonisten, von denen man bald ganz genau weiß, was eigentlich alles schief läuft in deren Leben. Nicht nur, dass sie auf den ersten Blick kaum Gemeinsamkeiten aufweisen, nein sie bleiben irgendwie sperrig und sehr speziell. Auf mich wirkte das leider eher abschreckend als aufmunternd, zumal ihre Aktionen so überzeichnet sind, dass sie schon fast ans Klischeehafte grenzen. Ein in die Jahre gekommener Lehrer, ein musikalischer Wunderschüler und ein drogenabhängiger Freund – sie verbindet einerseits kaum etwas andererseits sind sie anscheinend voneinander abhängig. Für mich einfach eine unglückliche Kombination.

Die gleichermaßen alltägliche, wie besondere Handlungsebene, wirkt daher sehr bemüht und konstruiert. Ein Roadtrip, der wenig Bezug liefert und bei dem von Beginn an klar ist, dass sich die Wege der Reisenden wieder trennen werden, und sei es nur, weil sie eben doch nicht ganz zueinander passen. Die tatsächliche Intention schimmert nur hin und wieder zwischen den Zeilen durch und verliert dadurch viel von ihrer Bedeutsamkeit. Möglicherweise konnte mich auch die Thematik der Sinnsuche des Lebens und der Selbstfindung nicht restlos überzeugen, weil sie hier so speziell und wenig universell wirkt, obwohl man rein emotional verstehen kann, was die Akteure so umtreibt, bleibt es doch irgendwie belanglos.

Fazit

Für das Erstlingswerk des Autors möchte ich 3,5 Sterne vergeben, die ich tendenziell aber abrunden würde. Sicherlich bleibe ich ihm treu und lese auch noch die fehlenden Bücher meiner Liste, trotzdem bleibt „Becks letzter Sommer“ nicht wesentlich in meiner Erinnerung erhalten. Die Story mag sich für eine Verfilmung eignen, die es seit 2015 tatsächlich auch gibt und die ich zumindest einmal anschauen möchte. Für meine Begriffe haben wir hier einen netten Unterhaltungsroman, mit speziellen Charakteren und einer bunt gemischten Handlung zwischen persönlichen Problemen, den großen Fragen des Lebens und der Aussicht auf Veränderungen aller Art. Wirklich motiviert war ich beim Lesen jedoch nicht, deshalb eine Leseempfehlung mit Abstrichen.

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Veröffentlicht am 23.04.2021

Der Raum zwischen Schwarz und Weiß

Die siebte Zeugin
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„Das Einzige, was er jetzt noch tun konnte, war, so gut es ihm eben möglich war zu plädieren. Und zu hoffen. Zu hoffen, dass am Ende gegen die eindeutigen Normen des Strafgesetzbuches die Gerechtigkeit ...


„Das Einzige, was er jetzt noch tun konnte, war, so gut es ihm eben möglich war zu plädieren. Und zu hoffen. Zu hoffen, dass am Ende gegen die eindeutigen Normen des Strafgesetzbuches die Gerechtigkeit siegte. Für einen Vater, der sich in seinen Handlungen verrannt hatte. Und für dessen Tochter, die von all den Geschehnissen um sie herum nicht die geringste Ahnung hatte.“

Inhalt

Der Strafverteidiger Rocco Eberhardt hat schon einige Jahre Berufserfahrung und dabei gelernt, dass er sich besser nicht zu persönlich auf die Fälle seiner Mandanten einlassen sollte, weil er sie zwar bestmöglich vor dem Strafgericht verteidigen muss, sie aber dennoch alle irgendeine Form des Verbrechens begangen haben und dadurch Schuld auf sich geladen haben, die selbst das beste Plädoyer nicht ungeschehen machen kann.

Sein aktueller Fall beschäftigt ihn dennoch mehr als beabsichtigt, denn der Täter, von der Presse als „Killer-Beamter“ tituliert, ist ein stiller, unauffälliger Familienvater, der zu allen Vorwürfen schweigt und um keinen Preis sein Motiv offenbaren möchte. Eberhardt bleibt eigentlich nur an dem Fall dran, weil sein Interesse geweckt ist, was Nikolas Nölting tatsächlich zu verbergen hat und warum er mitten am Tag in einer Bäckerei das Feuer eröffnete und zum Mörder wurde. Dank seiner Hartnäckigkeit gelingt es dem Anwalt, die Hintergründe aufzudecken, die weit in das organisierte Verbrechen der Hauptstadt hineinreichen und dennoch ganz gelagert sind, als ursprünglich vermutet …

Meinung

Die beiden Autoren Florian Schwiecker und Michael Tsokos starten mit diesem Justiz-Krimi eine neue Reihe, um den Strafverteidiger Rocco Eberhardt und den Rechtsmediziner Dr. Justus Jarmer. Das ist mein erstes Buch des Autorengespanns und ich bin eher zufällig und ohne große Erwartungshaltung in die Lektüre gestartet. Insgesamt handelt es sich bei diesem Kriminalroman um gute, solide Handwerkskunst, die vor allem durch ihre Realitätsnähe besticht und dadurch interessante Einblicke in das System der Deutschen Rechtssprechung und Gerichtsbarkeit liefert.

Man merkt der Lektüre an, dass die Verfasser selbst über die entsprechende Berufserfahrung verfügen und diese allgemeingültig und plausibel auch an Laien vermitteln können. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass sich gerade diese Abläufe in den Büchern wiederholen werden, wenn Eberhardt und Jarmer zu ihrem nächsten Fall aufbrechen und das, was hier in Band eins noch neu und interessant erschien, im Verlauf der Reihe weniger Interesse wecken könnte.

Der Fall selbst ist eher mäßig spannend und dadurch schwankt auch das Spannungsniveau der gesamten Erzählung. Zum Glück legen die Autoren neben der reinen Verhandlung auch ein Augenmerk auf die persönlichen Hintergründe der Protagonisten, die natürlich selbst nicht immer unfehlbar sind und auch die ein oder andere dringende Klärung in familiärer Angelegenheit wahrnehmen müssen. Insgesamt ist es ein gelungener Ausgleich zwischen Fakten, Erlebnissen und persönlichen Erfahrungswerten, der mich größtenteils gut unterhalten konnte.

Der Schreibstil an sich ist klar, sachlich und strukturiert. Dazu tragen auch die kurzen Kapitel und die Übersichtliche Gestaltung des Textes bei, so dass der Leser sowohl der gegenwärtigen Gerichtsverhandlung als auch den Tathintergründen und diversen Nebenhandlungen gut folgen kann. Sowohl zu den Figuren als auch zur Sache an sich bleibt eine gewisse Distanz gewahrt, die Emotionalität gar nicht erst aufkommen lässt. Dieser Tatbestand würde mich normalerweise zu einer schlechteren Bewertung kommen lassen, passt aber hier hervorragend zur erzählten Story, die wesentlich zerfaserter wirken würde, wenn sie nicht so zielgerichtet und neutral geschrieben wäre.

Fazit

Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen Reihenauftakt, der ein scheinbar zielgerichtetes Attentat ohne erkennbares Motiv zur Sprache bringt und dessen Wahrheiten sich erst im Laufe der Erzählung gekonnt entfalten.

Man sollte Interesse an Gerichtsverhandlungen mitbringen, sich mit dem Zusammentragen diverser Fakten arrangieren und keinen atemberaubenden Spannungsbogen erwarten. Manchmal gewinnt die Handlung stark an Tempo und man möchte unbedingt weiterlesen, dann stagniert das Ganze wieder und die Energie ist verpufft. An dieser Stelle hätte ich mir persönlich weniger die berichtende Erzählperspektive gewünscht als vielmehr eine Beteiligung mehrerer Personen, vor allem in Hinblick auf ihre inneren Gewissheiten.

Im Zentrum steht hier weniger der Attentäter selbst als die Arbeit des Strafverteidigers, der sich - aus Mangel an Kooperationsbereitschaft seines Mandanten - allein durch die Unwegbarkeiten der Tatumstände kämpfen muss. Prinzipiell habe ich Interesse am Folgeband und würde dann entscheiden, ob ich die Reihe fortsetzen werde oder nicht.
„Das Einzige, was er jetzt noch tun konnte, war, so gut es ihm eben möglich war zu plädieren. Und zu hoffen. Zu hoffen, dass am Ende gegen die eindeutigen Normen des Strafgesetzbuches die Gerechtigkeit siegte. Für einen Vater, der sich in seinen Handlungen verrannt hatte. Und für dessen Tochter, die von all den Geschehnissen um sie herum nicht die geringste Ahnung hatte.“

Inhalt

Der Strafverteidiger Rocco Eberhardt hat schon einige Jahre Berufserfahrung und dabei gelernt, dass er sich besser nicht zu persönlich auf die Fälle seiner Mandanten einlassen sollte, weil er sie zwar bestmöglich vor dem Strafgericht verteidigen muss, sie aber dennoch alle irgendeine Form des Verbrechens begangen haben und dadurch Schuld auf sich geladen haben, die selbst das beste Plädoyer nicht ungeschehen machen kann.

Sein aktueller Fall beschäftigt ihn dennoch mehr als beabsichtigt, denn der Täter, von der Presse als „Killer-Beamter“ tituliert, ist ein stiller, unauffälliger Familienvater, der zu allen Vorwürfen schweigt und um keinen Preis sein Motiv offenbaren möchte. Eberhardt bleibt eigentlich nur an dem Fall dran, weil sein Interesse geweckt ist, was Nikolas Nölting tatsächlich zu verbergen hat und warum er mitten am Tag in einer Bäckerei das Feuer eröffnete und zum Mörder wurde. Dank seiner Hartnäckigkeit gelingt es dem Anwalt, die Hintergründe aufzudecken, die weit in das organisierte Verbrechen der Hauptstadt hineinreichen und dennoch ganz gelagert sind, als ursprünglich vermutet …

Meinung

Die beiden Autoren Florian Schwiecker und Michael Tsokos starten mit diesem Justiz-Krimi eine neue Reihe, um den Strafverteidiger Rocco Eberhardt und den Rechtsmediziner Dr. Justus Jarmer. Das ist mein erstes Buch des Autorengespanns und ich bin eher zufällig und ohne große Erwartungshaltung in die Lektüre gestartet. Insgesamt handelt es sich bei diesem Kriminalroman um gute, solide Handwerkskunst, die vor allem durch ihre Realitätsnähe besticht und dadurch interessante Einblicke in das System der Deutschen Rechtssprechung und Gerichtsbarkeit liefert.

Man merkt der Lektüre an, dass die Verfasser selbst über die entsprechende Berufserfahrung verfügen und diese allgemeingültig und plausibel auch an Laien vermitteln können. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass sich gerade diese Abläufe in den Büchern wiederholen werden, wenn Eberhardt und Jarmer zu ihrem nächsten Fall aufbrechen und das, was hier in Band eins noch neu und interessant erschien, im Verlauf der Reihe weniger Interesse wecken könnte.

Der Fall selbst ist eher mäßig spannend und dadurch schwankt auch das Spannungsniveau der gesamten Erzählung. Zum Glück legen die Autoren neben der reinen Verhandlung auch ein Augenmerk auf die persönlichen Hintergründe der Protagonisten, die natürlich selbst nicht immer unfehlbar sind und auch die ein oder andere dringende Klärung in familiärer Angelegenheit wahrnehmen müssen. Insgesamt ist es ein gelungener Ausgleich zwischen Fakten, Erlebnissen und persönlichen Erfahrungswerten, der mich größtenteils gut unterhalten konnte.

Der Schreibstil an sich ist klar, sachlich und strukturiert. Dazu tragen auch die kurzen Kapitel und die Übersichtliche Gestaltung des Textes bei, so dass der Leser sowohl der gegenwärtigen Gerichtsverhandlung als auch den Tathintergründen und diversen Nebenhandlungen gut folgen kann. Sowohl zu den Figuren als auch zur Sache an sich bleibt eine gewisse Distanz gewahrt, die Emotionalität gar nicht erst aufkommen lässt. Dieser Tatbestand würde mich normalerweise zu einer schlechteren Bewertung kommen lassen, passt aber hier hervorragend zur erzählten Story, die wesentlich zerfaserter wirken würde, wenn sie nicht so zielgerichtet und neutral geschrieben wäre.

Fazit

Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen Reihenauftakt, der ein scheinbar zielgerichtetes Attentat ohne erkennbares Motiv zur Sprache bringt und dessen Wahrheiten sich erst im Laufe der Erzählung gekonnt entfalten.

Man sollte Interesse an Gerichtsverhandlungen mitbringen, sich mit dem Zusammentragen diverser Fakten arrangieren und keinen atemberaubenden Spannungsbogen erwarten. Manchmal gewinnt die Handlung stark an Tempo und man möchte unbedingt weiterlesen, dann stagniert das Ganze wieder und die Energie ist verpufft. An dieser Stelle hätte ich mir persönlich weniger die berichtende Erzählperspektive gewünscht als vielmehr eine Beteiligung mehrerer Personen, vor allem in Hinblick auf ihre inneren Gewissheiten.

Im Zentrum steht hier weniger der Attentäter selbst als die Arbeit des Strafverteidigers, der sich - aus Mangel an Kooperationsbereitschaft seines Mandanten - allein durch die Unwegbarkeiten der Tatumstände kämpfen muss. Prinzipiell habe ich Interesse am Folgeband und würde dann entscheiden, ob ich die Reihe fortsetzen werde oder nicht.

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Veröffentlicht am 04.12.2020

Kriegsverbrecher und ihre Rückkehr in ein anderes Leben

Der rote Judas
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Inhalt

Der Krieg ist vorbei, die Morde gehen weiter. Diesmal nicht auf dem Schlachtfeld im Getümmel sondern so wie eh und je aus niederen Motiven und mörderischen Gelüsten. Paul Stainer wird nach seiner ...

Inhalt

Der Krieg ist vorbei, die Morde gehen weiter. Diesmal nicht auf dem Schlachtfeld im Getümmel sondern so wie eh und je aus niederen Motiven und mörderischen Gelüsten. Paul Stainer wird nach seiner Rückkehr aus dem Kriegsdienst sogar befördert und soll fortan in der Wächterburg, dem Leipziger Polizeiamt, seinen Dienst als Kriminalinspektor antreten. Obwohl ihm seine alte Arbeit immer Spaß gemacht hat und er vor dem Krieg sehr motiviert war, belasten ihn nun seine Erinnerungen an jene Erfahrungen: schon beim geringsten Geräusch zuckt er zusammen und seinen temporären Gedächtnisverlust versucht er zu verschleiern, damit ihn niemand als Invaliden ansehen muss.

Doch gerade in der neuen Zeit spaltet sich die Bevölkerung in zwei Lager und auch die Beschäftigten bei der Polizei sind längst nicht so integer, wie Paul sie sich wünschen würde. Als er eine Mordserie aufklären soll, die anfangs wie ein Einbruch mit Diebstahl und Todesfolge aussah, wird ihm bewusst, dass er keinem mehr vertrauen kann. Denn er begegnet jenem Kommandanten aus Kriegszeiten wieder, der ihm einst im Schützengraben das Leben gerettet hat, doch nun scheint dieser in eine undurchsichtige politische Operation unter dem Decknamen „Judas“ verwickelt zu sein. Und Paul Stainer steht eindeutig auf der falschen Seite der Gesinnung, so dass es nur eine Frage der Zeit sein wird, bis er ins Fadenkreuz der Mörder gerät – aber wer steckt hinter dem mörderischen Komplott, dem auch Stainers Ehefrau zum Opfer fällt?

Meinung

Die bisherigen Bewertungen dieses Kriminalromans waren durchweg positiv und ich habe mich auf spannende Lesestunden gefreut, bei dem historische Hintergründe und politische Ereignisse zumindest indirekt einen Handlungsschwerpunkt darstellen. Allerdings gestaltet sich der Text gerade zu Beginn sehr müßig und erinnert nur am Rand an einen Kriminalfall, liegt doch das Augenmerk vor allem an persönlichen Ereignissen, die Paul Stainer plagen.

Seine Erlebnisse im Krieg, seine Ängste bezüglich der neuen Zeit, die Hintergründe – alles wird intensiv und glaubwürdig aufgearbeitet. Doch erst in der zweiten Hälfte des Buches rückt der aktuelle Fall in den Mittelpunkt, dann nimmt die Spannung zwar merklich zu und dennoch beginnt auch die Endlosschleife, die erneut auf traumatisierte Menschen und ehemalige Kriegsverbrecher abzielt. Allein das ständige Gequalme auf den gut 400 Seiten hat mich maßlos gestört, weil jede ausgedrückte Zigarette, jedes Feuer anzünden, jede Rauchschwade derart zelebriert wird, dass es mich nur nervte.

Eigentlich hat mich der Fall erst im letzten Drittel wirklich gut unterhalten, gerade weil hier deutlich wird, wie zerrüttet das Land wirklich ist, wie unterschiedlich die Kriegsverlierer mit dieser Tatsache umgehen. Dabei zeigt sich auch, dass es vollkommen egal ist, welcher politischen Gruppe man sich zugehörig fühlt – die Gegner sind nicht weit und jeder Bürger, der sich irgendetwas zu Schulde kommen lässt oder auch nur mit den falschen Personen Kontakte pflegt, steht bereits auf der Abschussliste diverser Gruppierungen.

Positiv beurteile ich die verschiedenen Perspektiven, die gewählt wurden. Dadurch bekommt die Erzählung viel Tiefe und lässt auch jene Personen glaubhaft erscheinen, die sich nach außen eher verschlossen geben. Tagebucheinträge ergänzen die Handlung und generell gestaltet sich der Verlauf äußerst spannend und vielschichtig. Dennoch konnte mich dieser Kriminalroman insgesamt nicht recht überzeugen, gerade weil dem Privatleben so viel Platz eingeräumt wird. Meine Bindung an die Protagonisten ist nur mäßig ausgeprägt und die Bösewichte konnten mich auch nicht wirklich schrecken.

Fazit

Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen historisch inspirierten Kriminalroman mit viel Lokalkolorit, der dem Leser interessante Einblicke in das Leben der bürgerlichen Schicht nach Ende des 1. Weltkrieges gewährt. Die Begriffe gut und böse sind hier mehrdimensional und nicht so leicht festzumachen zwischen den Opfern und Schuldigen, die vielleicht nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort waren. Im Januar 2021 soll der zweite Band dieser Reihe veröffentlicht werden, ich bin allerdings unschlüssig, ob ich sie weiterverfolge.

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Veröffentlicht am 08.10.2020

Rückblick auf viele schöne Jahre

Genau richtig
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„Ich sitze dem allen jetzt ganz allein gegenüber. Das ist jedoch irgendwie auch ein gutes Gefühl. Es bedeutet eine gewisse Freiheit. Ich muss ganz für mich selbst eine Entscheidung treffen. Aber wenn ich ...

„Ich sitze dem allen jetzt ganz allein gegenüber. Das ist jedoch irgendwie auch ein gutes Gefühl. Es bedeutet eine gewisse Freiheit. Ich muss ganz für mich selbst eine Entscheidung treffen. Aber wenn ich das tue, dann wird es für uns beide sein, ich meine, für uns alle fünf.“

Inhalt

Albert und Eirin haben fast ihr ganzes Leben gemeinsam verbracht, sie sind durch viele Höhen und Tiefen gegangen, haben aber letztlich aneinander festgehalten und ihren Lebensweg gemeinsam bestritten. Und während Eirin auf einem Kongress weit weg von ihrem Mann ist, erhält dieser von seiner Ärztin, die ehemals auch seine Geliebte war, die vernichtende Diagnose über eine Krankheit, die ihn binnen kurzer Zeit zum Pflegefall machen wird und ihn letztlich das Leben kosten wird. Er fährt noch einmal hinaus an das gemeinsame Haus am See, füllt dort die Seiten des Hüttenbuchs mit seinen Erinnerungen an ein gelebtes Leben und muss sich allein darüber im Klaren werden, ob er die wenige Zeit, die ihm noch bleibt, mit seiner Familie verbringen möchte, oder ob er dem unaufhaltsamen Prozess des Sterben entgegeneilt, um ohne unvermeidliche Verluste einen Schlussstrich zu ziehen.

Meinung

Vor vielen Jahren habe ich vom norwegischen Bestsellerautor Jostein Gaarder sein Buch „Sophies Welt“ gelesen und vor nicht allzu langer Zeit seinen Roman „Ein treuer Freund“. Beide Bücher beschäftigen sich mit einem Themenkomplex, den ich wahnsinnig gern in literarischen Texten wahrnehme, weil es dabei um viel mehr geht, als um ein Leben und das individuelle Schicksal, vielmehr sind es die großen Zusammenhänge der Welt, die Menschlichkeit und die Ängste Einzelner, die durch Interaktion mit anderen gemildert werden. Und so geht es auch hier um einen sterbenskranken Mann, dem es in Anbetracht seiner ihm noch verbleibenden Lebenszeit zwar gut geht, dessen Stunden aber gezählt sind.

Mit dem Untertitel „Die kurze Geschichte einer langen Nacht“, trifft es den Inhalt des Buches schon sehr genau, denn Albert macht nichts weiter, als sich an sein Leben zu erinnern. Im Rückblick beschreibt er seine Liebesbeziehung zu Eirin und sein Verhältnis zu Marianne, er lässt Augenblicke des Glücks und der Freude Revue passieren und versetzt sich in Vergangenes hinein, um möglicherweise eine Frage zu finden, die ihm mit dem, was kommen wird, versöhnen könnte. Was passiert mit dem Mensch, wenn er nicht mehr da ist? Was geschieht der Menschheit, wenn alles so schrecklich vergänglich ist und nichts von Bestand? Wer wird sich an ihn erinnern, wenn er gestorben ist und welche Spuren konnte er überhaupt hinterlassen?

Diese philosophischen Ansätze haben mir, wie immer sehr gut gefallen. Sie äußern sich in schönen Sätzen, über die man gerne nachdenkt. Es geht um das Leben, die Verluste, die Wünsche, die Rückschläge und die tiefe innere Überzeugung, das jedes Individuum, wie klein es auch sein mag und wie kurz es auch auf Erden existierte, immer irgendwo eine Entwicklung voranbringt, die in ihrer Summe einzigartig und wunderschön ist. Dadurch das dieser kurze Roman aber nur 125 Seiten umfasst und stellenweise sehr profane Dinge schildert, fehlt ihm eine gewisse Präsenz. Manchmal versteigt sich Albert regelrecht in seine Erörterungen, er fabuliert und denkt, ohne sich der tatsächlichen Auswirkungen seiner Selbst bewusst zu werden. Dadurch bleibt die emotionale Ebene, die dieses Buch direkt ansprechen könnte, seltsam leer. Es missfällt mir wirklich, wenn die an sich schon traurige Botschaft, das alles endlich ist, so nachhaltig vergeistigt wird und es nicht mehr um den Menschen geht, sondern nur noch um das Universum. Ich denke, diese distanzierte Schreibweise hätte sich auch nicht geändert, wenn der Roman den doppelten Umfang gehabt hätte. Deshalb war er so, wie er ist genau richtig.

Fazit

Ich vergebe 3,5 Lesesterne, die ich zu 4 aufrunde. Leider erfüllt das Buch nicht den Anspruch, den ich ursprünglich an es hatte, obwohl fast alle Gedankengänge, die aufgegriffen werden, plausibel erscheinen, konnte es mein Leserherz nicht erreichen. Vieles bleibt im Verborgenen, die Protagonisten sind eher willkürlich und ersetzbar, die endgültige Entscheidung für oder gegen einen Sachverhalt wird zwar gefällt, nicht aber ausreichend begründet. Manches scheint Zufall, vieles scheint Schicksal, alles scheint einen bestimmten Zweck zu erfüllen. Dennoch hat mir die Geschichte an sich gut gefallen, vielleicht muss man auch ein Auge zudrücken und nicht so viel Vergleiche mit anderen Texten ziehen, um diesen hier wirklich genießen zu können. Als Einstieg in die Materie der philosophischen Gedankenwelt ist es ein gutes Buch, wer bereits andere Bücher mit ähnlichen Strukturen kennt, wird möglicherweise enttäuscht sein.

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