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Veröffentlicht am 16.09.2021

Die Höllenkneipe der verlorenen Seelen

Becks letzter Sommer
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„Er hatte diese Fahrt in die Türkei nur deshalb mitgemacht, weil er dadurch vor seinen Problemen weglaufen konnte. Doch das war ein Irrtum gewesen. Alle seine Probleme hatte er im Gepäck.“

Kurzrezension

Bisher ...

„Er hatte diese Fahrt in die Türkei nur deshalb mitgemacht, weil er dadurch vor seinen Problemen weglaufen konnte. Doch das war ein Irrtum gewesen. Alle seine Probleme hatte er im Gepäck.“

Kurzrezension

Bisher konnten mich alle gelesenen Bücher des jungen deutschen Autors Benedict Wells absolut überzeugen, stets sind es 5 Lesesterne geworden und alle stehen jetzt im Regal derjenigen Bücher, die ich gerne noch ein weiteres Mal lesen würde. Doch nach „Vom Ende der Einsamkeit“, „Hard Land“ und „Fast genial“, kann dieser Debütroman hier leider nicht ganz mithalten, was durchaus an meiner hohen Erwartungshaltung liegen mag.

Dabei hat mich der lockere, humorvolle Schreibstil, der doch immer wieder auf wichtige Lebensfragen zurückfällt auch hier liebevoll durch das Buch geführt. Weshalb man dem Lehrer Beck und seinen Freunden durchaus einen gewissen Unterhaltungswert zuschreiben kann. Der Roman liest sich flüssig, schafft lebhafte Bilder und besticht durch eine angenehme Erzählart. Meine Kritikpunkte beziehen sich bei dieser Lektüre vorwiegend auf die Handlungsebene und die Story an sich.

Tatsächlich habe ich mich viel zu lange gefragt, auf was der Autor eigentlich hinauswill, denn er widmet gerade am Anfang des Textes seinen Charakteren ein regelrecht dominantes Auftreten. Immer wieder kreisen die Gedanken um kleine Momentaufnahmen aus dem Alltag der Protagonisten, von denen man bald ganz genau weiß, was eigentlich alles schief läuft in deren Leben. Nicht nur, dass sie auf den ersten Blick kaum Gemeinsamkeiten aufweisen, nein sie bleiben irgendwie sperrig und sehr speziell. Auf mich wirkte das leider eher abschreckend als aufmunternd, zumal ihre Aktionen so überzeichnet sind, dass sie schon fast ans Klischeehafte grenzen. Ein in die Jahre gekommener Lehrer, ein musikalischer Wunderschüler und ein drogenabhängiger Freund – sie verbindet einerseits kaum etwas andererseits sind sie anscheinend voneinander abhängig. Für mich einfach eine unglückliche Kombination.

Die gleichermaßen alltägliche, wie besondere Handlungsebene, wirkt daher sehr bemüht und konstruiert. Ein Roadtrip, der wenig Bezug liefert und bei dem von Beginn an klar ist, dass sich die Wege der Reisenden wieder trennen werden, und sei es nur, weil sie eben doch nicht ganz zueinander passen. Die tatsächliche Intention schimmert nur hin und wieder zwischen den Zeilen durch und verliert dadurch viel von ihrer Bedeutsamkeit. Möglicherweise konnte mich auch die Thematik der Sinnsuche des Lebens und der Selbstfindung nicht restlos überzeugen, weil sie hier so speziell und wenig universell wirkt, obwohl man rein emotional verstehen kann, was die Akteure so umtreibt, bleibt es doch irgendwie belanglos.

Fazit

Für das Erstlingswerk des Autors möchte ich 3,5 Sterne vergeben, die ich tendenziell aber abrunden würde. Sicherlich bleibe ich ihm treu und lese auch noch die fehlenden Bücher meiner Liste, trotzdem bleibt „Becks letzter Sommer“ nicht wesentlich in meiner Erinnerung erhalten. Die Story mag sich für eine Verfilmung eignen, die es seit 2015 tatsächlich auch gibt und die ich zumindest einmal anschauen möchte. Für meine Begriffe haben wir hier einen netten Unterhaltungsroman, mit speziellen Charakteren und einer bunt gemischten Handlung zwischen persönlichen Problemen, den großen Fragen des Lebens und der Aussicht auf Veränderungen aller Art. Wirklich motiviert war ich beim Lesen jedoch nicht, deshalb eine Leseempfehlung mit Abstrichen.

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Veröffentlicht am 04.09.2021

Walters neues Refugium

Barbara stirbt nicht
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„Es war nicht ihre Art, morgens auf dem Badezimmerboden herumzuliegen, aber sie sagte nichts weiter dazu und hielt die Augen geschlossen. Man musste ja auch nicht über alles reden.“

Inhalt

Barbara und ...

„Es war nicht ihre Art, morgens auf dem Badezimmerboden herumzuliegen, aber sie sagte nichts weiter dazu und hielt die Augen geschlossen. Man musste ja auch nicht über alles reden.“

Inhalt

Barbara und Walter Schmidt sind ein eingespieltes Team, nach über 50 Ehejahren nicht verwunderlich, der eine kann nicht ohne den anderen, selbst wenn es eine ganze Litanei an Dingen gibt, die stören, und jeder ein abgestecktes Refugium besitzt, zu dem der andere vielleicht eingeladen ist aber bitte schön niemals mitzuwirken hat. Walter hat den Hund und Barbara die Küche, doch als Barbara eines morgens umfällt und nicht wieder auf die Beine kommt, sieht sich der miesepetrige Walter doch gezwungen, die Küche zu betreten. Nicht weil er ein hungriger Gourmet ist, sondern weil Barbara ja etwas essen muss, um wieder zu Kräften zu kommen. Verbissen und mit allerlei Hürden meistert er den abstrakten neuen Alltag, denn was er am meisten fürchtet sind die Blicke und Handlungen der anderen, wenn die erst mal herausfinden, wie es um seine Frau wirklich steht. Aber auch Walter muss einsehen, dass es ihm weiterhilft, wenn die Bäckereifachverkäuferin ihm erklärt, wie man Kaffee kocht und der Fernsehkoch, wie das Essen zubereitet wird. Zu gern würde er die Küchenarbeit in absehbarer Zeit wieder abgeben, doch er muss einsehen, dass seine Frau nun nicht mehr so schnell einsatzbereit sein wird, wenn sie doch nur wieder gesund werden wird, wenn sie doch nur wieder essen würde …

Meinung

Ich bin ein großer Fan der Autorin und habe ihre beiden Romane „Baba Dunjas letzte Liebe“ und „Der Zopf meiner Großmutter“ sehr genossen, weil sie es vermag ihre eigentlich abschreckenden Charaktere trotz ihrer Widerborstigkeit irgendwie sympathisch erscheinen zu lassen. Und diesem Stil bleibt die in Berlin lebende Autorin auch mit ihrem neuesten Buch treu, denn wenn man sich einen Typ Mann nicht zu Hause wünscht, dann ist es einer wie Walter Schmidt.

Umso begeisterter bin ich dann, wenn mich der Erzählstil schon auf den ersten Seiten so überzeugen kann, dass ich innerhalb weniger Stunden schon fast die Hälfte des Buches gelesen habe.

Der Text lebt von einer gewissen Situationskomik und vom Blick des Walter Schmidt auf die jeweilige Lage. Er ist einer, der sich nicht so leicht geschlagen gibt, der ganz klare Prioritäten pflegt und den seine Kinder irgendwie permanent nerven und nur wenig interessieren, der aber im Kern ein gutes Wesen hat, welches er nur ausgesprochen gut zu verbergen weiß.

Man kann diese kleine Erzählung auch gut für diverse charakterliche Verfehlungen bemühen und sie unter psychologischem Aspekt betrachten, man kann sie aber auch einfach auf die leichte Schulter nehmen und unverbesserlich wie Walter selbst daran glauben, dass sich alles irgendwie fügen wird und das Barbara ganz gewiss nicht sterben wird, wenn er nur weitermacht und ihren Part übernimmt.

In dem Buch kam einmal der Punkt, da habe ich mich gefragt, ob die Autorin noch die Kurve kriegt, denn so ironisch und humorvoll auch der Schlagabtausch zwischen den Protagonisten von statten geht, so traurig ist doch die Gesamtsituation, wenn man einsehen muss, dass der geliebte Ehepartner nicht mehr lange da sein wird und dass das nächste Weihnachtsfest gewiss schon das letzte gemeinsame ist.

Aber ihr gelingt es wirklich den Leser auch zuletzt noch zu überraschen, ohne dass sich ihre Figuren ändern, ohne das das große Fiasko eintritt und so bleibt das Ende zwar einerseits offen, andererseits ist aber alles gesagt, was es hier anzumerken gibt.

Fazit

Ich vergebe 4,5 Lesesterne, die ich gerne zu 5 Sternen aufrunde. Selten habe ich einen Roman gelesen, der mich trotz dieser traurigen Gesamtsituation so gut unterhalten konnte und geschickt an allen Sentimentalitäten vorbeiführt. Hier kommt weder Mitleid auf, noch übersteigertes Wunschdenken, weil natürlich zwischen den Zeilen alles steht, was eigentlich wichtig ist, dass vordergründig Wichtige aber vielmehr in der korrekten Zubereitung des Leibgerichts liegt .

Es hat mich überzeugt, dass die Autorin ihren eckigen, kratzbürstigen Hauptprotagonisten bis zum Schluss so bleiben lässt, wie er nun mal den Rest seines bisher langen Lebens war. Und dennoch begegnet dem Leser irgendwie ein veränderter Mensch, der sich auf Grund seiner Lage und des verschobenen Gleichgewichts, auf andere Pfeiler stützen muss. Ich bin jedenfalls froh, dass der Walter Schmidt hier zwischen den Buchdeckeln bleibt, kann aber auch nachvollziehen, warum Barbara 50 Jahre plus mit diesem sehr speziellen Herrn verbracht hat und nun ebenfalls auf ein zufriedenes Leben zurückblicken kann.

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Veröffentlicht am 31.08.2021

Aufstehen und der Welt entgegen treten

Shuggie Bain
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„In diesem Moment wusste er, dass er sein Versprechen nicht halten konnte. Er hatte Agnes angelogen, genauso wie sie ihn angelogen hatte, als sie sagte, sie würde mit dem Trinken aufhören. Sie würde nie ...

„In diesem Moment wusste er, dass er sein Versprechen nicht halten konnte. Er hatte Agnes angelogen, genauso wie sie ihn angelogen hatte, als sie sagte, sie würde mit dem Trinken aufhören. Sie würde nie trocken werden, und er wusste, dass er nie so sein würde wie normale Jungen.“

Inhalt

Shuggie Bain wächst in einem ärmlichen, von häuslicher Gewalt und labilen Beziehungen geprägten Elternhaus in den 80er Jahren in einer Arbeitersiedlung in Glasgow auf. Die Eltern trennen sich schon, da ist er noch klein und während seine Mutter als Alleinerziehende mit drei Kindern auf Sozialhilfe angewiesen ist, und keiner Beschäftigung nachgeht, kümmert sich der Vater längst nicht mehr, hat er doch schon neue Kinder und eine andere Frau. Shuggies Mutter Agnes, die er bewundert und abgöttisch liebt, verlangt ihren Kindern immer mehr Verantwortung ab, denn bis auf ihr hübsches Äußeres bleibt nicht viel und sie gibt sich immer exzessiver dem Alkohol hin. Die täglichen Belastungsproben dieser Familie stehen hier im Zentrum der Erzählung, sie bieten kaum Hoffnungsschimmer und zeigen detailliert, wie zerrüttet das Leben in Armut, Missgunst und Einsamkeit aussieht. Und während die beiden älteren Geschwister emotionalen Abstand halten oder gar physische Distanz suchen, um der häuslichen Umgebung zu entkommen, ist Shuggie dafür zu jung und emotional, möchte er doch so gerne daran glauben, dass seine Mutter endlich dem Alkohol abschwört und ein halbwegs normales Leben mit ihm führt, doch er kämpft auf verlorenem Posten, denn jeder kleine Lichtblick scheint nur von kurzer Dauer …

Meinung

Auf dieses Buch war ich sehr gespannt, nicht nur weil die Story ganz gut in mein Beuteschema passt, sondern natürlich auch wegen der Auszeichnung mit dem Booker Preis 2020 und einer Erzählung, die stellenweise biografische Züge aufweist und dadurch bestenfalls an Wert gewinnt. Selbst die Leseprobe mochte ich noch ganz gerne, trotz der derben Sprache und dem damit erwarteten Fortgang einer traurigen, vielleicht auch zermürbenden Geschichte.

Doch irgendwie haben sich beim Lesen all meine Ansprüche verflüchtigt und schon nach dem ersten Drittel war mir klar, dass dieses Buch keins meiner persönlichen Kriterien an eine derartige Geschichte erfüllen wird. Meine Kritikpunkte sind vielfältig und lassen sich nur schwer auf einen gemeinsamen Nenner bringen, denn prinzipiell hat die Thematik ein absolut tolles Potential, welches hier meines Erachtens überhaupt nicht ausgeschöpft wird. Ganz genau kann ich hingegen sagen, was an dieser Story anders hätte sein müssen, damit sie irgendwie in die Nähe eines Lieblingsbuches gerückt wäre.

Mein erster Kritikpunkt: Warum vermischt der Autor eine Familiengeschichte so knäuelartig mit einer Milieustudie? Selbst, wenn die Familie Bain dadurch nachhaltig geprägt wird, so ist es doch eine persönliche Sicht, bei der ich dann nicht wissen muss, dass es der Nachbarin mit ähnlichen sozialen Hintergründen auch nicht besser geht. Und wenn ich zeigen möchte, wie es damals zuging, für die Menschen, die dort unter diesen Umständen lebten, dann muss der Fokus anders gesetzt werden und nicht in die Hände eines Jungen gelegt werden, der um seine Mutter bangt.

Mein zweiter Kritikpunkt: Warum wählt der Autor diese unpersönliche Erzählperspektive? Denn dieses Buch hätte aus meiner Sicht entweder von der Mutter selbst oder dem Sohn erzählt werden müssen, aber ganz unbedingt aus der Ich-Perspektive, damit man als Leser irgendwie Zugang findet, wenn man weder die Umstände noch die Personen kennt. Letztlich hätte das eine x-beliebige Geschichte über eine alkoholkranke Frau und ihre armen Kinder sein können, da bleibt dann vielleicht noch ein Körnchen Mitleid beim Leser übrig, mehr aber auch nicht. Von Betroffenheit und emotionaler Nähe war ich jedenfalls ganz weit entfernt.

Mein dritter Kritikpunkt: Wieso gestaltet der Autor den Text so langatmig und detailliert auf der Handlungsebene, während die Emotionen so außen vor bleiben? Tatsächlich interessiert es mich wenig, wie genau der Absturz von Agnes Bain nach dem sechsten Bier und der zweiten Flasche Wodka aussieht, dass sie sich im Suff mit anderen Männer einlässt und mehr Hure als Mutter ist, nur um danach immer wieder zu bereuen und erneut der Welt entgegen zu treten, ebenfalls nur mit mäßigem Erfolg.

Kurzum, für mich war dieses Buch ein Flop, vor allem, weil diese triste Geschichte mit ihren labilen Charakteren und den doch dramatischen Auswirkungen auf die Individuen selbst, so wenig Spuren hinterlässt. Die meiste Zeit habe ich mich gelangweilt und die wenigen Spannungsmomente gipfeln dann auch nur in einer schier endlosen Verzweiflung. Gerne hätte dieser Roman eine Biografie sein dürfen oder lieber noch eine ganz fiktive Erzählung. Auch als Gesellschaftroman mit dem Augenmerk auf den Umständen und dem Leben in Armut und Arbeitslosigkeit hätte dieses Buch für mich funktionieren können. So wie es aber ist, trifft es einfach nicht meinen Geschmack.

Fazit

Ich vergebe hier leider nur 2,5 Sterne, die ich tendenziell abrunden würde. Dieser Roman bietet für mich keinen Mehrwert, er ist mir stets fremd geblieben und erzählt eine Story, die mich weder schockieren noch packen konnte. Traurigkeit fließt hier aus jedem Satz, aber sie ist zu allumfassend, um tatsächlich greifbar zu sein. Skizziert wird hier das Leben verschiedener Menschen, die sich irgendwie durchs Leben hangeln, immer nah am Abgrund, immer bemüht das Gleichgewicht zu halten und doch unheimlich schwach auf Grund der Umstände und ihrer eigenen Herkunft. Die immer gleiche, zermürbende Erzählung, gefangen zwischen Gewalt, Häme, Momenten des kleinen Glücks und dann wieder den Sorgen des ganz normalen Alltags, der sich nicht ändern wird, weil es sich um eine Endlosschleife handelt.

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Veröffentlicht am 24.08.2021

Im Visier der Ermittler

Die Verlorenen
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„Ich habe nie viel von Selbstgeißelung gehalten. Etwas akzeptieren ist nicht das Gleiche wie verdrängen. Oder vergessen.“

Inhalt

Innerhalb weniger Stunden zerbricht das ohnehin fragile Leben von Jonah ...

„Ich habe nie viel von Selbstgeißelung gehalten. Etwas akzeptieren ist nicht das Gleiche wie verdrängen. Oder vergessen.“

Inhalt

Innerhalb weniger Stunden zerbricht das ohnehin fragile Leben von Jonah Colley, der seinem Freund, mit dem er seit Jahren keinen Kontakt mehr pflegt, mitten in der Nacht zu Hilfe eilt, nachdem ihm dieser, besorgt und aufgeregt seinen Standort verraten hat.

In einem verlassenen Gebäude einer Schiffswerft, erwartet Jonah nicht nur ein grausiger Fund, mit drei in Plastik verpackten Leichen, sondern auch sein toter Freund Gavin und der vermeintliche Täter, der kurzentschlossen Jonahs Kniescheibe zertrümmert, um seine Spuren zu verwischen. Bald ist für Jonah, der selbst bei einer Spezialeinheit der Londoner Polizei arbeitet klar, dass sie jüngsten Ereignisse mit seiner persönlichen Vergangenheit in Verbindung stehen. Denn anscheinend hat Gavin zehn Jahre nach dem Verschwinden von Jonahs Sohn Theo eine heiße Spur aufgetan und ist dieser nun zum Opfer gefallen.

Trotz seines schlechten Gesundheitszustands macht sich Jonah auf die Suche nach der Wahrheit, selbst wenn er währenddessen immer mehr ins Visier der ermittelnden Polizeibeamten gerät und sein Auftauchen an diversen Tatorten bald nicht mehr erklären kann …

Meinung

Der englische Thrillerautor Simon Beckett gehört zu meinen Favoriten, habe ich doch die David-Hunter-Reihe mit vielen Spannungsmomenten sehr genossen und mich über komplexe Handlungen und schlüssige Aufklärungen gefreut. Umso interessierter war ich nun an der mit diesem Band beginnenden Reihe um Jonah Colley. Leider war meine Erwartungshaltung wohl etwas zu hoch.

Zwar gelingt es Beckett auch hier, durch einen ansprechenden Schreibstil, diverse Cliffhänger und eine hinreichend spannende Handlung den Leser bei der Stange zu halten, so dass man die Lektüre schnell und unkompliziert konsumieren kann, aber darüber hinaus bleibt wenig Nennenswertes bestehen.

Meine Kritikpunkte liegen im Wesentlichen an der stark konstruierten Story, die deshalb so gewollt und unrealistisch erscheint. Mir hat es weder gefallen, dass ein über zehn Jahre alter Vermisstenfall so dramatische Auswirkungen haben soll, noch wie der Protagonist sein Leben anpackt und mit den aktuellen Entwicklungen umgeht. Besonders die einseitige Erzählperspektive, des fast schon heldenhaften Jonah Colleys, hat mich zunehmend frustriert. Dadurch gerät der Leser schnell in ein Schwarz-Weiß-Denken und verliert die wichtigen Dinge aus den Augen. Außerdem wirkt es für mich absolut aufgesetzt, wie Jonah, die Ermittlungen seiner Polizeikollegen behindert, anstatt mit offenen Karten zu spielen.

Spätestens ab der Hälfte des Buches, war ich nicht mehr richtig in der Story drin und das Interesse für Jonah und sein wahrhaft deprimierendes Schicksal, hat merklich nachgelassen. Das konnte dann auch der Showdown nicht mehr retten, der mir wiederrum zu überfrachtet und fatal erschien, wenn man bedenkt, wie mühselig die Seiten davor waren. Aus dieser Geschichte hätte man viel mehr machen können, insbesondere durch mehr involvierte Erzählstimmen, denn ein paar hysterische Frauen, grüblerische, misstrauische Polizisten und ein Superheld sind für mich keine gelungene Kombination und bieten irgendwie nicht das gewünschte Unterhaltungsniveau.

Fazit

Hier vergebe ich jetzt leicht enttäuschte 3 Lesesterne und eine eingeschränkte Empfehlung. Denn als Fan des Autors kann man das durchaus verkraften, während ein Neuling besser zur David-Hunter-Reihe greifen sollte. Zu vieles erscheint hier konstruiert und wirkt nur mäßig inspirierend. Ich bin selbst noch unsicher, ob ich diese Reihe weiterverfolgen werde oder nicht, vielleicht gebe ich dem zweiten Band noch eine Chance und sehe dann weiter. Zum Glück kann Simon Beckett sehr gut schreiben, so dass selbst eine durchschnittliche Story mit Längen und Ungereimtheiten, zwar nicht sonderlich glänzt aber doch bis zum Ende gelesen wird.

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Veröffentlicht am 06.08.2021

Ein Freund, der dich zu deiner Bestimmung führt

Junge mit schwarzem Hahn
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„Und in Martin schwingt wie ein Lied die ganze Erlösung. Sie haben vom Leid getrunken und vom Hunger gegessen. Aus Kälte haben sie ihr Lager gestellt, mit Tränen haben sie einander zugedeckt und Schreie ...

„Und in Martin schwingt wie ein Lied die ganze Erlösung. Sie haben vom Leid getrunken und vom Hunger gegessen. Aus Kälte haben sie ihr Lager gestellt, mit Tränen haben sie einander zugedeckt und Schreie waren ihre Abendlieder. Aber jetzt träumen sie, als wäre es ein Leben.“

Inhalt

Martin lebt nicht nur ganz allein in einer düsteren, vom Aberglauben durchwirkten Zeit, in der jede Menschenseele dazu verdammt ist, ein Leben voller Entbehrungen zu führen, sondern gleichermaßen an einem Ort, der ihm weder Heimat ist noch Trost spendet. Nachdem sein Vater die gesamte Familie im Wahn ermordete, schlägt sich Martin, der einzige Überlebende des Massakers, alleine durch. Immer an seiner Seite ein altersloser schwarzer Hahn, der ihm entweder auf der Schulter sitzt oder unter seinem Hemd steckt. Die Dorfbewohner schreiben dem Jungen mit seinem Federvieh allerlei Unheil zu, dichten ihm ein Bündnis mit dem Teufel an und meiden ihn so gut es geht. Besonders erschreckend ist für sie die Tatsache, dass Martin wesentlich schlauer ist, als sie selbst und darüber hinaus über eine unbesiegbare Güte zu verfügen scheint, ganz egal, wie viel ihm zustößt. Der 11-Jährige nutzt die Gunst der Stunde und schließt sich einem Maler an, der gerade das Altarbild in der Kirche vollendet hat, um endlich seiner trostlosen Umgebung zu entkommen. Doch bald muss er feststellen, dass die große weite Welt ebenso viele Schrecken und bösartige Menschen bereithält, wie jene, denen er zu entkommen versuchte. Ihm wird klar, dass er sein Schicksal selbst in die Hand nehmen muss und setzt sich für die Träume und Hoffnungen anderer ein, ebenso wie für das Gute im Leben …

Meinung

Der Klappentext verspricht ein außergewöhnliches Debüt der deutschen Autorin Stefanie vor Schulte, welches ein literarischer Geniestreich zu sein scheint. Und tatsächlich liegt die Handlung dieses kleinen Buches weitab von meiner literarischen Komfortzone, gerade weil nichts wirklich Greifbares darin zu finden ist und die Erzählung eher ein Mix aus Fabel, Märchen und historischem Szenario ist.

Und dennoch bin ich gerade deshalb sehr begeistert von der erdachten Geschichte um einen Jungen, fernab unserer Zeit, gefangen in gleich mehreren Notlagen und trotzdem voller Tatendrang und Mut.

Wer märchenhafte Erzählungen mit einer Portion Mystik und düsterer Stimmung mag, ist hier genau richtig, denn diese Facetten spiegeln sich auf jeder Seite des Buches wider. Der Leser taucht in eine längst vergangene dunkle Epoche ein, in der Armut, Grausamkeit und Krieg an der Tagesordnung waren. Trotzdem bleibt die Story universell, denn dieser Ort könnte überall sein und die rachsüchtigen Menschen von damals, sehen heute vielleicht nur schöner aus und verbergen ihren schlechten Charakter hinter einer entsprechenden Fassade.

Sprachlich überzeugt der Text einerseits durch eine fast profane, im Präsens geschriebene Handlung, der man mühelos folgen kann und andererseits vermag die Autorin mittels sprachlicher Bilder, weit umfassendere Dinge zu schildern, die man erst nach und nach wahrnimmt. Gerade die Figur des Hahns, scheint gleichermaßen für den besten Freund zu stehen und dann wieder für die Gefahr, die andere darin sehen. Die Thematik der Vorurteile und des Schubladendenkens wird hier sehr subtil aufgegriffen und durchaus intensiv beleuchtet. Auch die Frage danach, ob man sich immer absolute Ehrlichkeit wünscht, die mit bitteren Wahrheiten verbunden ist oder lieber den Schein wahrt, schwingt immer wieder durch die vordergründige Handlung. Kurzum, die Story bietet trotz ihrer geringen Seitenzahl genügend Stoff für Diskussionen und regt zum Nachdenken an.

Fazit

Ich bin sehr positiv überrascht und vergebe gerne 5 Lesesterne für einen unterhaltsam-düsteren Roman mit zahlreichen Ansätzen, einer in sich runden Geschichte und möglichem Interpretationsspielraum.

So etwas fasziniert mich immer wieder, selbst wenn ich ansonsten zu den Liebhabern realistischer Romane zähle. Die psychologische Komponente kommt hier trotz der gewählten Hintergründe und einer ungenauen Orts- und Zeitangabe nicht zu kurz.

Ganz im Gegenteil, die Balance zwischen Glauben und Aberglauben, zwischen dem Guten und dem Bösen, zwischen Mächtigen und Abhängigen wird immer wieder verdeutlicht und macht für mich den eigentlichen Wert dieses Romans aus: Welcher Bestimmung soll der Einzelne folgen? Welchen Stellenwert bekommen dabei seine Freunde und Feinde? Und gibt es ihn tatsächlich, den vorgeschriebenen Lebensweg, dessen Möglichkeiten alle längst vorgezeichnet sind? Eine sehr interessante Frage für jegliche Literatur.

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