Wenn die Trennlinie nicht überwunden wird
Die Einsamkeit der PrimzahlenErzählt wird die Geschichte von Alice und Mattia, die beide eine schwierige Kindheit erlebten, deren Jugend ganz anders als die „normaler“ Teenager verlief und die sich letztlich zu Erwachsenen entwickelten, ...
Erzählt wird die Geschichte von Alice und Mattia, die beide eine schwierige Kindheit erlebten, deren Jugend ganz anders als die „normaler“ Teenager verlief und die sich letztlich zu Erwachsenen entwickelten, die immer noch und gerade wegen ihrer Vergangenheit Komplexe haben. Das Buch schlägt einen großen Bogen, zeichnet drastische Konturen und entwickelt einen ganz individuellen Charakter, der es zu etwas Besonderem macht. Die teils düstere Stimmung, die vielen unausgesprochenen Gefühle werden zwischen den Zeilen regelrecht greifbar, so dass man als Leser schwankt zwischen entsetztem Kopfschütteln und andächtigem Schweigen.
Kaum vorstellbar sind die vollzogenen Handlungen und doch erschreckend realistisch. Gibt es sie wirklich irgendwo? Menschen, die derart befangen, eigenbrötlerisch und anders sind, dass keine Menschenseele Zugang zu ihnen finden kann? Wie in einer Seifenblase gefangen verrinnen die Jahre, viele bedeutungslose Jahre die keine Entwicklung, Veränderung oder Verbesserung bringen. Zwei einsame Seelen, die nicht genügend Mut aufbringen konnten, einander jenes Vertrauen zu schenken, welches für eine gemeinsame Zukunft unabdingbar ist.
Der Autor wählt hier wechselnde Erzählperspektiven: Zum einen spricht der männliche Part Mattia, der seine geistig behinderte Zwillingsschwester in seiner Kindheit im Park zurück lies und zum anderen die weibliche Protagonistin Alice, die nach einem Skiunfall körperlich behindert ist und ihre Ohnmacht gegenüber dem Vater mittels Magersucht ausdrückt. Beide sind sich ähnlich, verschlossen, korrekt und am liebsten allein mit ihren persönlichen Schuldzuweisungen. In kurzen Momenten, in denen sie sich einander öffnen, entwickelt sich eine Art Freundschaft, ein wertvoller Augenblick für beide, weil sie erkennen, dass sie mit ihren Sorgen und Ängsten nicht allein sind. Doch langfristig betrachtet, können sie die Ansprüche an den anderen und auch an sich selbst nicht erfüllen und gehen getrennter Wege.
Fazit: Dieses Jugendbuch wird mir lange in Erinnerung bleiben, denn es erzeugt einen traurigen, nachdenklich stimmenden Nachklang. Ausgehend von einer stillen, über Jahrzehnte dauernden Erzählung bleibt eine Art Einsamkeit zurück, die bewegt. Ich spreche eine Leseempfehlung aus, für all jene, die sich gern in einem Roman verlieren und mit einem unbestimmten, wenn auch realistischem Ende zufrieden sind. Ein einprägsames Debüt des jungen italienischen Autors, von dem ich schon bald sein aktuelles Buch „Schwarz und Silber“ lesen werde.