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Veröffentlicht am 15.09.2016

Der 2. Fall für Pieter Posthumus

Das Haus der verlorenen Seelen
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Pieter Posthumus ist weder Polizist noch Privatdetektiv, dafür aber ein engagierter Bürger, der in seiner Heimatstadt Amsterdam dafür sorgt, dass Verstorbene ohne Hinterbliebene eine würdige Bestattung ...

Pieter Posthumus ist weder Polizist noch Privatdetektiv, dafür aber ein engagierter Bürger, der in seiner Heimatstadt Amsterdam dafür sorgt, dass Verstorbene ohne Hinterbliebene eine würdige Bestattung bekommen und er verfügt über ein untrügliches Gespür für Unstimmigkeiten bei einem Todesfall. Als er durch Zufall Zeuge eines Tötungsdeliktes direkt neben seiner Stammkneipe wird, schrillen bei ihm alle Alarmglocken. Doch die Polizei macht kurzen Prozess und stellt die Inhaberin des Gästehauses unter Anklage und nur eine Hand voll Leute glauben an ihre Unschuld. Um Licht ins Dunkel zu bringen, begibt sich Posthumus ins angrenzende Rotlichtviertel und stellt unbequeme Fragen. Wird es ihm gelingen den wahren Täter zu stellen?

Dieser Kriminalroman aus der Feder des Autorenduos Britta Böhler und Rodney Bolt konnte mich auf ganzer Linie überzeugen. Zunächst ist es eine ganz andere Herangehensweise als in vielen Büchern dieses Genres. Diesmal steht weder die polizeiliche Ermittlung noch die gepeinigte Seele des Mörders im Zentrum des Geschehens, sondern einfach ein sympathischer, engagierter Mann, der als aufmerksamer Beobachter seine Studien macht. Mit dem Hauptprotagonisten lebt und atmet dieses Buch regelrecht, denn seine Unternehmungen und Schlussfolgerungen begleiten des Leser auf den gut 300 Seiten des Romans und machen die Lektüre zu einem echten Leseerlebnis.

Das Besondere an diesem Krimi ist seine Authentizität, die Realitätsnähe und in gewisser Weise auch eine bestechende Ehrlichkeit. Die auftretenden Personen werden intensiv, menschlich und markant beschrieben und beleben dadurch den Handlungsfluss. In der Kneipe könnte man sich glatt heimisch fühlen, auch wenn man viele Kilometer davon entfernt ist. Ebenfalls ein gelungener Schachzug ist die Wahl des Schauplatzes. Denn zugegebenermaßen kenne ich nur sehr wenige Bücher mit diesem Handlungsort. Doch nach dem Lesen, verspüre ich ein gewisses Kribbeln und die Vorfreude darauf, die Stadt selbst einmal kennenzulernen.

Fazit: Ich vergebe 5 Sterne für einen sehr interessanten, andersartigen Kriminalroman, der mit einer tollen Story und einem schlüssigen Konzept aufwartet. Es gibt tatsächlich kaum Kritikpunkte und ich habe mich bestens unterhalten gefühlt. Eine ganz klare Leseempfehlung für alle Krimifans, die gerne über den Tellerrand hinausschauen und sich von einer Geschichte gefangen nehmen lassen. Besonders schön: auf mich wartet noch der 1. Band der Reihe um Pieter Posthumus und es wird auch noch einen dritten Teil geben. Beide wandern ganz weit nach oben auf meine Wunschliste.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Denn wir können nur hassen, was wir lieben

Der letzte Pilger
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In seinem ersten Fall ermittelt der Kommissar Tommy Bergmann gleich in mehreren Mordfällen, die allerdings einen Zusammenhang haben. Ein Leichenfund in der Nordmarka, mit drei ehemals Vermissten und die ...

In seinem ersten Fall ermittelt der Kommissar Tommy Bergmann gleich in mehreren Mordfällen, die allerdings einen Zusammenhang haben. Ein Leichenfund in der Nordmarka, mit drei ehemals Vermissten und die brutale Ermordung der politischen Größe Carl Oscar Krogh scheinen einen gemeinsamen Schnittpunkt zu haben. Bergmann verbeißt sich regelrecht in den Fall und ermittelt in alle Richtungen und manchmal auch gegen die Zeit, denn viele Zeugen von damals sind mittlerweile verstorben und nehmen ihre Geheimnisse mit ins Grab. Als er im Zuge seiner Recherchearbeit auf den Namen der ehemaligen Widerstandskämpferin Agnes Gerner stößt, offenbart sich ihm ein gruseliges Szenario, in dessen Zentrum nicht nur die damals junge, mutige Frau steht, sondern auch Krogh, dessen Lebenslauf plötzlich durch dunkle Geheimnisse überschattet wird. Und die verjährten Mordfälle häufen sich, denn die mächtigen Auftraggeber verfolgten ein ehrgeiziges Ziel …

Dieser spannende Debütroman, der sich ganz klassisch in die typische Erzählweise skandinavischer Kriminalromane einreiht, konnte mich fesseln und begeistern. Besonders interessant ist der hier gewählte Schreibstil, der sich auf zwei Erzählebenen konzentriert. Zum einen den Handlungsstrang in der Vergangenheit, der den Leser in die Ereignisse des Jahres 1942 eintauchen lässt, zum anderen die aktuellen Entwicklungen in der Gegenwart, samt polizeilicher Ermittlungen im Mordfall Krogh. In sehr kurzen Leseabschnitten wechselt immer wieder die Zeitebene, so dass man unweigerlich weiterlesen muss, um den Fortgang der Geschichte aufzunehmen.

Der Autor vermag es dabei sowohl eine düstere Stimmung zu erzeugen als auch ein intensives Geflecht persönlicher Verkettungen, welches nicht auf Anhieb zu durchschauen ist. Man muss also etwas rätseln und sehr konzentriert lesen, um die vielen historischen Berührungspunkte wahrzunehmen und die Zusammenhänge zwischen den genannten Personen herzustellen. Diese erzählerische Tiefe hat mir persönlich sehr gut gefallen, weil dadurch die historische Komponente immer wieder in den Vordergrund rückte und damit auch sehr wichtige Themen der nationalsozialistischen Kriegsbelange wie die Organisation der Widerstandskämpfer oder auch die Durchführung von geplanten Liquidierungen. Allerdings immer mittels einer sehr neutralen, distanzierten Schreibweise – absolut wertungsfrei.

Fazit: Ich vergebe 4,5 Lesesterne (aufgerundet 5) für einen komplexen, szenisch dichten Kriminalroman mit einer brisanten historischen Geschichte, verpackt in einem spannenden Mordfall mit zahlreichen Beteiligten. Eine klare Leseempfehlung für Liebhaber skandinavischer Literatur, die gerne intensive Romane lesen, bei denen nicht zwangsläufig die Sympathie für die Protagonisten im Mittelpunkt stehen muss, sondern die kriminalistische Handlung. Ich freue mich bereits auf den Nachfolgeroman.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Allein unter Fremden

Das Mädchen mit dem Fingerhut
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Drei Kinder – mittellos, auf sich allein gestellt und ohne Obdach versuchen sich in einer Stadt durchzuschlagen. Sie stehlen, brechen ein und betteln, sie haben niemanden der sie vermisst und niemanden ...

Drei Kinder – mittellos, auf sich allein gestellt und ohne Obdach versuchen sich in einer Stadt durchzuschlagen. Sie stehlen, brechen ein und betteln, sie haben niemanden der sie vermisst und niemanden der sich kümmert. Deshalb sind sie gezwungen für sich selbst zu sorgen, egal um welchen Preis. Alles was zählt ist Überleben und den selbsternannten Aufpassern wie der Polizei zu entkommen. Gemeinsam kämpfen sie sich von Tag zu Tag und halten aneinander fest, denn sie sind untereinander der einzige Rückhalt für den anderen. Yiza, die ihren richtigen Namen nicht einmal kennt ist die Jüngste der Gruppe. Mit ihren sechs Jahren hat sie noch den „Mitleidsfaktor“ auf ihrer Seite, doch dann wird sie ernsthaft krank…

Das bemerkenswerte an diesem Roman ist die Fülle seiner Informationen auf nur sehr wenigen Seiten. Michael Köhlmeier schafft es, den Leser sehr tief in das bittere Leben von minderjährigen Bettelkindern blicken zu lassen und dabei dennoch keine Wertung zu fällen. Ungenannt bleiben die äußeren Umstände, durch welche die Kinder in ihre aussichtslose Lage geraten sind, ungenannt bleiben die Verantwortlichen, sofern es welche gibt. Vielmehr konzentriert sich der Roman auf den täglichen Ablauf, den Hunger, die greifbare Not und initiiert damit unwillkürlich ernsthafte Überlegungen bezüglich Einsamkeit, Armut und Heimatlosigkeit dieser Kinder. Und damit ist dem Autor gerade in der heutigen Zeit ein wirklich aktuelles, gesellschaftskritisches Werk gelungen, welches zum Nachdenken zwingt. Denn auch wenn wir es oft ausblenden, auch mir selbst stehen die Bettelkinder der Heimatstadt vor Augen, die vielleicht nicht so zahlreich sind – aber auch deren Schicksal sieht vielleicht dem von Yiza sehr ähnlich.

Den Roman prägt eine sehr einfache, prägnante Sprache, die sehr gut zum geschilderten Umfeld passt. Damit werden auch die elementaren Sprachprobleme deutlich sichtbar, denn die Kinder verstehen sich untereinander kaum und sprechen auch nicht die Sprache der fremden Erwachsenen. Allein dieses Verständigungsproblem hat mich sehr bewegt. Mein einziger Kritikpunkt bezieht sich auf die distanzierte Schreibweise, die es mir schwer machte, mit den Findelkindern warm zu werden. Mitleid, Empathie und den Wunsch mich ihrer anzunehmen habe ich während des Lesens nicht gespürt. Die Sachlichkeit der Erzählung hinterlässt einen schalen Nachgeschmack, der möglicherweise gewollt ist, denn er drückt die Chancenlosigkeit dieser Bevölkerungsgruppe sehr gut aus.

Fazit: Ich vergebe 4 Sterne für einen aktuellen, umfassenden Roman, der das Thema Zuwanderung, Heimatlosigkeit und Einsamkeit thematisiert und viel Stoff für Diskussionen bietet. Diese Lektüre eignet sich sicherlich für den Deutschunterricht und hebt sich sehr positiv von manch fiktiver Handlung ab, denn gerade die bestechende Ehrlichkeit ist das wirklich Erschreckende an der Erzählung. Weil die Realität so schlimm ist, wie die dichterische Erzählkunst nicht sein kann. Für mich ein sehr lesenswertes Buch, welches ich weiterempfehlen kann.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Was wäre gewesen, wenn ...

Julia
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Christian Dudok hat sein Leben gelebt, hat seinen Teil zur Gesellschaft beigetragen und vollzieht nun die einzig schlüssige Konsequenz, die ihm noch bleibt - Selbstmord. In seinen jungen Jahren war er ...

Christian Dudok hat sein Leben gelebt, hat seinen Teil zur Gesellschaft beigetragen und vollzieht nun die einzig schlüssige Konsequenz, die ihm noch bleibt - Selbstmord. In seinen jungen Jahren war er ein Mann, der Träume hatte, der die Natur und die Freiheit mochte und sich Hals über Kopf in seine Kollegin Julia Bender verliebte. Doch dann kam der Krieg, es kamen verantwortungsvolle Aufgaben als Leiter der elterlichen Firma und eine Vernunftehe, die er aus Bequemlichkeit heraus einging. Und damit war das Schicksal von Christian besiegelt - ein Leben voller verpasster Chancen, ausgeträumter Phantasien und trauriger Wahrheiten. Was bleibt, wenn man den einen, alles verändernden Fehler beging, ohne jemals eine Korrektur vorzunehmen? Was bleibt, wenn das Leben keinen Hoffnungsschimmer lässt?

Dieser Roman ist literarisch gesehen ein kleines Juwel, weil seine Sprache, seine Handlung und die treffsichere Charakterisierung des Hauptprotagonisten absolut gar nichts zu wünschen übriglassen. Eine beeindruckende Wortwahl gepaart mit einer tragischen Handlung lassen hier jeden Satz lange und intensiv nachklingen. Man möchte sich als Leser in dem geschriebenen Wort verlieren, möchte dem Inhalt nachspüren und eigene Gedankengänge zu den getroffenen Entscheidungen entwickeln. Ein Buch wie geschaffen für Diskussionsrunden und Leistungskurse im Unterrichtsfach Deutsch, denn auf 168 Seiten werden so viele Emotionen, fixe Ideen und traurige Momente entworfen, dass es schon fast an körperlichen Schmerz grenzt.

Äußerst gelungen empfinde ich die Abwechslung, die Virtuosität mit der diese Geschichte entworfen wird, denn sie vereint so viele brisante Themen, dass man sich nicht festlegen mag, welches nun das wichtigste ist. Es ist ein episches Werk über die Liebe, über die Schrecken einer historischen Periode, über die Verbitterung, die aus Fehlentscheidungen erwächst und über einen Mann, dem sein Verantwortungsbewusstsein zum Verhängnis wurde.

Fazit: Für mich ist dieses Buch eine Entdeckung, die ich allen historisch interessierten Lesern ans Herz legen möchte und noch viel mehr all jenen, die gerne Romane mit tiefsinnigen Hintergründen und moralischen Sequenzen lesen. Und dennoch lässt mich der Roman einsam, etwas verstört und an der Grenze zur depressiven Verstimmung zurück. Ich habe selten ein derartiges Szenario erlebt, welches keine Hoffnung, kein Glück und auch kein Morgen zulässt. Dieses Buch sollte man nur dann lesen, wenn man selbst das Leben bejaht und einen positiven Background hat, andernfalls zieht es einen unweigerlich in einen Strudel von negativen, traurigen Entwicklungen hinein. Dafür gibt es den Punktabzug - alles andere ist Spitzenklasse.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Zufälle, Bekanntschaften und andere Katastrophen

Das Leben ist ein listiger Kater
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Mit 67 Jahren fühlt sich Jean-Pierre eigentlich noch nicht übermäßig alt, doch nach einem Unfall, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte, liegt er zur Untätigkeit verbannt in einem städtischen Krankenhaus. ...

Mit 67 Jahren fühlt sich Jean-Pierre eigentlich noch nicht übermäßig alt, doch nach einem Unfall, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte, liegt er zur Untätigkeit verbannt in einem städtischen Krankenhaus. Da er eigentlich ein absoluter Einzelgänger ist und weder Familie noch viele Freunde hat, fällt es ihm unendlich schwer, sich den Gepflogenheiten im Krankenzimmer anzupassen. Denn nicht nur die Tatsache, dass ständig die Tür offen steht und der Zimmernachbar eine schrecklich laute Verwandtschaft hat, sondern vor allem die vielen täglichen Besuche anderer in seinem Refugium nerven ihn wahnsinnig. Als dann noch eine Jugendliche mit immenser Körperfülle bei ihm auftaucht, um sich jeden Tag seinen Laptop auszuborgen, platzt ihm bald der Kragen. Doch nach mehreren Wochen in der Klinik findet schließlich auch Jean-Pierre gefallen an den vielen kleinen Zufallsbekanntschaften des Lebens.

Dieser kleine Roman hat mein Herz im Sturm erobert, weil er die Alltäglichkeit des Lebens unmittelbar einfängt und sie in einen großen Zusammenhang mit ernsthaften, nachdenklichen Themen setzt. Natürlich ist das Altern beschwerlich und zur Einsamkeit verbannt, erscheint es noch viel unerträglicher, doch auf den gut 200 Seiten dieses Buches überwiegt definitiv der Humor.

Beim Lesen erinnert mich sowohl der Hauptprotagonist als auch der Handlungsverlauf sehr stark an den Roman "Ein Mann namens Ove", den ich damals auch schon grandios fand. Irgendwie gefällt es mir, davon zu erfahren, wie ein alter Miesepeter seine selbstgewählte pessimistische Lebenseinstellung zu Gunsten anderer, meist jüngerer Menschen aufgibt und endlich auch das Gute und Schöne wahrnimmt.
Dennoch bedient "Das Leben ist ein listiger Kater" keine Klischees, es fällt auch kein Urteil über diverse Lebensformen und stellt vor allem die Menschlichkeit und Nächstenliebe in den Mittelpunkt des Geschehens.

Fazit: Ich vergebe volle Punktzahl für diesen herzlichen Roman, der die Facetten des Lebens und verschiedene Schicksalsschläge gekonnt vereint, so dass letztlich eine lebensbejahende Kernaussage bleibt, die auch beim Leser die Hoffnung aufkeimen lässt, dass viele Dinge und Entscheidungen einen tieferen Sinn haben, als zunächst vermutet. Dieses Buch ist eine tolle Geschenkidee für Menschen, die sich selbst mit den zunehmenden Alterbeschwerden auseinandersetzen müssen und etwas Aufheiterung gebrauchen können. Toll gemacht!