Klassische Plots in sehr guter Neugestaltung
SchattenbruchDas Buch beginnt gleich mit zwei schön ineinander verwobenen Dilemmata, die als klassische Plots aus der Krimiliteratur natürlich bekannt sind: Zum einen der Kommissar, der selbst in ein Verbrechen verwickelt ...
Das Buch beginnt gleich mit zwei schön ineinander verwobenen Dilemmata, die als klassische Plots aus der Krimiliteratur natürlich bekannt sind: Zum einen der Kommissar, der selbst in ein Verbrechen verwickelt wird, ohne Schuld zu sein, und der dann in eigener Sache seiner bewährten Arbeit eben nur mit Hindernissen nachgehen kann, wenn er nicht sogar – wie weiland Dr. Kimble – auf der Flucht sein muss. Und dann stellt sich eben heraus, welchen Kolleg*innen man trauen kann und welchen nicht; man kann sich dabei aber auch täuschen. Bertram und Tenbrink sind dabei – als Protagonisten der gesamten Serie – natürlich über jeden Zweifel erhaben. Und zum anderen der eher harmlose Einbrecher, der Zeuge eines weit schwerwiegenderen Verbrechens wird und nun abwägen muss, wie er sich verhält und welchen inneren Werten er folgt. Soviel darf man spoilern: Es läuft nicht darauf hinaus, dass er sich am Ende dazu durchringen kann, seine Tat zu gestehen, um ein größeres Unrecht zu verhindern und alles somit zu einem guten Ende zu bringen. Das wäre hier zu einfach.
Der Roman ist sehr angenehm zu lesen. Die Kapitel sind eher kurz gehalten und jeweils mit einem Szenenwechsel verbunden; alles passiert binnen vier Tagen. Dabei ist es aber so, dass alles Geschehen sehr anschaulich beschrieben wird und in einer klaren Sprache, die nicht zu einfach ist, aber auch nicht so, dass man dreimal zurücklesen müsste, um die Sätze aufzulösen. Natürlich wandert der Verdacht im Handlungsverlauf von hier nach da, aber der Autor führt den Leser nicht in künstlich aufgesetzte Verdachtsfallen. Vielmehr breitet der auktoriale Erzähler die Handlungen der Beteiligten vor uns aus, und wir sind sozusagen immer auf der Höhe des Geschehenen und Gedachten. Das beteiligte Personal ist übersichtlich (es braucht keine Besetzungsliste wie bei Dostojewski, um die Namen zuordnen zu können), und besonders haben mir die unschiedlichen Charaktere des Kommissariats gefallen, die das Teamgeschehen nie langweilig werden lassen. Auch die anderen Figuren sind schön und originell ausgemalt.
Ich hatte zur Vorbereitung nur den ersten Band der Reihe gelesen, in dem die Hauptpersonen bereits eingeführt werden. Es gibt an mehreren Stellen Verweise auf früheres Geschehen, das wohl in vorangegangenen Bänden der Reihe beschrieben ist. Aber das stört weder den Lesefluss noch das Verstehen der aktuellen Story. Insgesamt liest sich das Buch flott und spannend runter; man möchte wirklich nicht aufhören und tut es auch zu späterer Uhrzeit nicht, weil die kurzen Kapitel zum „noch eins vorm Lichtausmachen“ mehrfach einladen.
Zum Schluss aber noch ein paar Grüße ans Lektorat: (1) Das Verb „kosten“ steht im Deutschen mit doppeltem Akkusativ und nicht mit Dativ. Das ist kein Druckfehler, sondern ein Mangel an sprachlicher Kompetenz. (2) Es heißt „Popanz“ nicht „Popans“. (3) Auch im Münsterland muss man in heutiger Zeit eine Lippen-Gaumen-Spalte nicht durchgehend „Hasenscharte“ nennen. Dass solche Bezeichnungen despektierlich sind, hat sich (vielleicht außer auf Stammtischen) mittlerweile herumgesprochen, auch außerhalb akademischer Wokeness-Blasen. Für den einen Witz in der Buchmitte hätte es völlig genügt, auf diese Bezeichnung vorher einmal geschickt hinzuweisen. Ganz am Ende kommt der kleine Diskurs um Joaquin Phoenix dann zu spät und wirkt hier eher aufgesetzt. (Die Beschreibung der betroffenen Figur – einer Kollegin von Bertram - und ihres Erlebens im Spiegel anderer ist dagegen sehr gelungen.)