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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.11.2019

Atmosphärisch

Liebes Kind
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In diesem Thriller ist nichts so wie es scheint- und das von Beginn an.

Eine junge Frau wird nach einem Autounfall mit Fahrerflucht schwerverletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Begleitet wird sie von ...

In diesem Thriller ist nichts so wie es scheint- und das von Beginn an.

Eine junge Frau wird nach einem Autounfall mit Fahrerflucht schwerverletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Begleitet wird sie von einem Mädchen namens Hannah, das behauptet ihre Tochter zu sein. Schnell kommt der Verdacht auf, dass es sich bei der Frau um die vor Jahren als vermisst gemeldete Lena handelt. Doch wo hat sie die letzten Jahre gesteckt? Und wer ist der Vater ihrer Tochter?

Das Buch behandelt also den Entführungsfall der jungen Lena und betrachtet die Geschichte dabei aus verschiedenen Erzählperspektiven. So kommen sowohl Hannah, als auch die Eltern der Vermissten und die verunglückte Frau selbst zu Wort und schildern die Erlebnisse der vergangenen Zeit ebenso wie den aktuellen Verlauf der Ermittlungen.

Durch die permanenten Andeutungen, dass dem Leser Geschehnisse vorenthalten würden, baut sich von den ersten Seiten an eine sehr beklemmende Stimmung auf, die Romy Hausmann bis zum Schluss gekonnt aufrecht erhält.

Die Vertonung des Hörbuches trägt seinen Teil dazu bei: die weiblichen Stimmen wurden perfekt gewählt und verkörpern sowohl die Tochter als auch die Mutter glaubhaft, tragen die Emotionen der beiden spürbar.
Die männliche Stimme hingegen wirkte manchmal etwas übertrieben auf mich, was aber auch an (Groß-)Vater Matthias liegen mag. Als Vater des Entführungsopfers ist er permanent agressionsgeladen, agiert oft unüberlegt und behandelt besonders Hannah auf eine beinahe ungesund innige Art und Weise. Damit wirkt er auf mich dermaßen unsympathisch und abstoßend, was sich vermutlich auf die Assoziation mit dem Vorleser auswirkt.

Insgesamt kann mich die Geschichte mit ihren Wendungen aber immer wieder überraschen, hält mich gefangen und jagt mir des Öfteren Schauer über den Rücken. Auch die Auflösung des Falls ist für mich stimmig und beantwortet alle offenen Fragen.

Besonders der Titel ist nach Ende des Buches beeindruckend tiefgründig gewählt und absolut passend, in mehr als einer Hinsicht.

Veröffentlicht am 21.11.2019

Familie in Bruchstücken

Otto
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Wenn ein Patriarch, am Ende seines Lebens stehend, von seinen Erlebnissen erzählt, ergibt das keine glatte, runde Geschichte. Wenn dieser Mann, so wie Otto, ein jüdischer Exilant aus Siebenbürgen ist und ...

Wenn ein Patriarch, am Ende seines Lebens stehend, von seinen Erlebnissen erzählt, ergibt das keine glatte, runde Geschichte. Wenn dieser Mann, so wie Otto, ein jüdischer Exilant aus Siebenbürgen ist und dank der geschichtlichen Verwicklungen des letzten Jahrhunderts viel erlebt hat, hat er umso mehr zu berichten.

Seine Erfahrungen gibt er in bruchstückhaften Annekdoten an seine Lieblingstochter Timna weiter (denn die jüngere Babi würde es eh nicht verstehen).
So entsteht ein Roman, der einerseits einen kranken, alten Mann präsentiert, der sein Leben in Gedanken zu ordnen versucht (was nur selten gelingt) und andererseits seine nächsten Angehörigen und Vertrauten (von denen er nicht mehr besonders viele hat), die versuchen sich der Gängelei ihres Oberhauptes zu entziehen (und es doch nicht schaffen).

Das Buch wird mit einer ganz feinen Note Humor erzählt, die Otto seltsam sympathisch wirken lässt, auch wenn er sich augenscheinlich nie darum bemüht hat und die ihn zuallererst menschlich macht.
Wahrscheinlich kennt jeder diese Menschen und hat sie mit noch größerer Wahrscheinlichkeit auch im Familienkreis: die unsympathischen, fordernden, leicht ich-bezogenen, die die größten Erwartungen an andere stellen- und die doch die größten Lücken reißen, wenn sie eines Tages nicht mehr sind.

Zumindest sind mir beim Lesen oft Parallelen aufgefallen. Wahrscheinlich ist mir dieses Buch deswegen so ans Herz gewachsen, hat es mir doch meinen eigenen "Otto" so unheimlich verständlicher gemacht!

Veröffentlicht am 21.11.2019

Kleinod

Letzte Rettung: Paris
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Es ist schon eine hohe Kunst, seine Hauptfiguren gleichzeitig unheimlich unsympathisch und liebevoll-schrullig wirken zu lassen, sodass sie einem nach und nach ans Herz wachsen.

Patrick deWitt hat das ...

Es ist schon eine hohe Kunst, seine Hauptfiguren gleichzeitig unheimlich unsympathisch und liebevoll-schrullig wirken zu lassen, sodass sie einem nach und nach ans Herz wachsen.

Patrick deWitt hat das mit seiner Geschichte um die bankrotte, verwitwete Frances und ihren ziellos durchs Leben streifenden erwachsenen Sohn Malcolm geschafft, die mit ihrem als Katze reinkarnierten Mann/ Vater vor dem Geldeintreiber nach Paris flüchten. Dabei begegnen ihnen viele verschiedene Menschen, die sich in ihrer Skurrilität förmlich gegenseitig versuchen zu überbieten.

Ihm ist damit auf jeden Fall eine kurzweilige, unterhaltsame Geschichte gelungen, die einen perfekt vom Alltag ablenkt. Durch die etwas vage gehaltene Randgeschichte fällt die zeitliche Einordnung etwas schwer, was das ganze zu einem universellen Märchen macht. Auch wenn die moralische Quintessenz dafür zu unscheinbar ausfällt.

Von Frances kann man für meinen Geschmack aber definitiv etwas lernen: manchmal bringt man es im Leben weiter, wenn man sich nicht ständig darüber Gedanken macht, welchen Eindruck man bei anderen hinterlässt. Lebe dein Leben, wie es dir gefällt, bereuen kann man immer noch, wenn man tot ist.

Veröffentlicht am 11.11.2019

Komplexes Epos

Der Untergang der Könige
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Jenn Lyons ist mit "Der Untergang der Könige" eine spannende, komplexe, gut strukturierte Geschichte gelungen und somit genau das, was ich an High Fantasy so liebe.

Die Geschichte um den jungen Dieb Khirin, ...

Jenn Lyons ist mit "Der Untergang der Könige" eine spannende, komplexe, gut strukturierte Geschichte gelungen und somit genau das, was ich an High Fantasy so liebe.

Die Geschichte um den jungen Dieb Khirin, der, von einem blinden Musiker und einer Bordellbesitzerin aufgezogen, keine Ahnung davon hat, wer er ist und welche Bedeutung er eigentlich für das gesamte Kaiserreich hat, besitzt alles, was ein gutes Buch zu einem kleinen Meisterwerk macht.

Die Figuren sind komplex, haben einen differenzierten Charakter und sind in den meisten Fällen nicht die, die sie zu sein scheinen.

Die Handlung ist wendungsreich und packend, ohne zu langweilen oder den Leser im Gegenteil zu überfordern.

Das worldbuilding ist umwerfend: Die Welt von Quur und seinen Kolonien ist gezeichnet von Kriegen und Intrigen, das Volk glaubt an verschiedene Götter und Gottkönige. Es gibt Drachen und Elfen, Hexen und Magier und das Schicksal wird bestimmt durch magische Artefakte.

Fazit: Es ist episch, es ist grandios- es ist "Der Untergang der Könige"!

Veröffentlicht am 11.11.2019

Was man erwartet

Tagebuch eines Buchhändlers
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Shaun Bythell ist ein schottisches Original und hat das (Mis-)Vergnügen, das größte literarische Antiquariat Großbritanniens zu führen. Als Hommage an den Buchhandel und gleichzeitige Warnung an all jene, ...

Shaun Bythell ist ein schottisches Original und hat das (Mis-)Vergnügen, das größte literarische Antiquariat Großbritanniens zu führen. Als Hommage an den Buchhandel und gleichzeitige Warnung an all jene, die sich mit dem Gedanken tragen, einen solchen zu eröffnen, zeigt dieses Tagebuch ein Jahr lang den Alltag des Antiquars und beschönigt dabei nichts.

Man sollte sich, wenn man zu diesem Buch greift, von vornherein über eines im Klaren sein: Shaun romantisiert oder beschönigt nichts. Vielmehr hat er eine Annekdotensammlung zusammengetragen über die schlimmsten Momente seines Berufsalltags, angereichert mit dem typisch trockenen, tiefschwarzen Humor der Briten.

Vordergründig erfährt man viel über die schrulligsten, verschrobensten Leute, die dieser Landstrich zu bieten hat. Wenn man zwischen den Zeilen liest, ist es ein Aufruf, den lokalen Buchhandel zu unterstützen, sich als Deutscher über die Buchpreisbindung zu freuen und sich allgemein intensive Gedanken über das eigene Kaufverhalten und den Umgang mit Dienstleistern zu machen.

Dieses Buch lässt sich nicht ganz leicht lesen, es sprüht nicht vor Witz und Amüsement und weist teilweise einige Längen auf. Aber gerade das macht es doch so authentisch und echt. Und um Gottes willen, lasst euch nicht von diesem leicht kitschig-weihnachtlichen Cover täuschen. Happyends gibt es im inhabergeführten Buchhandel offensichtlich nicht allzu viele und doch lässt er sich (hoffentlich) nicht unterkriegen.