enthält Spoiler
Ich habe die What-if-Reihe von Sarah Sprinz lieben gelernt, weswegen ich unbedingt ihre neue YA-Reihe lesen wollte. Der Anfang war wirklich stark. Die Geschichte beginnt rasant, denn Emma hat verschlafen und beinahe ihren Flug verpasst. Auf dem Flughafen rennt sie in Henry, einen Schüler der Dunbridge Academy, rein, und sofort keimen leichte Gefühle für ihn auf, auch wenn sie sich keine Ablenkungen erlauben darf, denn der einzige Grund, warum sie nach Schottland will, ist, um ihren Vater wiederzusehen, denn der hat sie und ihre Mutter vor sechs Jahren einfach ohne ein Wort verlassen.
Laut Anfang und Klappentext hatte ich mir eine Liebesgeschichte vorgestellt, die gleichzeitig die Suche nach Emmas Vater behandelt und irgendwie auch die Suche nach Zugehörigkeit und Selbstfindung. Allerdings wurde die Suche nach Emmas Vater die erste Hälfte des Buches kaum erwähnt, und als sie dann doch auf ihren Vater getroffen ist, wurde die Sache ziemlich schnell abgehandelt. Eigentlich schade, denn man hätte diese Thematik weitaus mehr ausbauen können und dafür andere Inhalte kürzer oder vielleicht auch gar nicht aufführen müssen; aber dazu später mehr.
Die Liebelei mit Henry gestaltet sich als durchaus schwierig, denn Henry hat eine Freundin - und das seit drei Jahren! Zu Beginn wird deutlich, dass es schon eine Weile nicht mehr gut läuft, auch wenn dieses Argument immer mal wieder geändert wird: Mal funktioniert es nicht richtig, weil Henry Gefühle für Emma entwickelt hat (à la Liebe auf den ersten Blick), dann doch wieder deswegen, weil sie sich nach drei Jahren Beziehungen auseinander gelebt hätten.
Problematisch an der Sache finde ich, dass Henry einfach nicht mit Grace redet. Dreiviertel des Buches schiebt er das überaus notwendige Gespräch mit Grace vor sich her, obwohl er eindeutig merkt, dass er Gefühle für Emma hat, und vor allem das sehe ich fraglich, denn viele jüngere Leser:innen sehen dahinter vielleicht nicht wirklich das Problem. Es ist nicht schlimm, sich neu zu verlieben, allerdings ist es schlimm, dem:der Partner:in das Gefühl zu vermitteln, als würde noch etwas zwischen ihnen bestehen - und genau der Aspekt wurde für mich nicht richtig verdeutlicht.
Des Weiteren fand ich, dass Emma sich manchmal zu sehr in die Opferrolle gedrängt hat: Warum wollte er mich nicht küssen? Will er doch nichts von mir? Alle Männer sind scheiße! Ich habe das doch nur für ihn getan, warum sieht er das nicht? Nach einer Weile ist mir dieser Charakterzug wirklich auf die Nerven gegangen, denn auch zum Ende hin habe ich keine Verbesserung ihrer Einstellung gesehen. Henry hat sie nicht geküsst, weil er eine Freundin hat, doch hat sie nur die Schuld bei sich gesehen, anstatt einzusehen, dass er sich als Einziger richtig in der Situation verhalten hat.
Manchmal hatte ich das Gefühl, dass Sarah Sprinz nicht ganz den Sprung vom College zum Internat (und zu Elftklässlern) geschafft hat. Mir hat manchmal noch das Jugendhafte gefehlt. Die Sexszenen zum Beispiel lasen sich vielmehr wie die von Erwachsenen, beinahe viel zu sehr wie die von den Protagonist:innen der What-if-Reihe. Ich weiß, dass einige Leser:innen kritisiert haben, dass sie keine Sexszenen von 17-Jährigen lesen wollen, aber das sehe ich nicht als problematisch, denn immerhin handelt es sich hierbei um ein Young-Adult-Buch, weswegen die Leserschaft ungefähr im selben Alter sein kann/müsste wie die Figuren. Nur die Aufmachung fand ich etwas fehl am Platz.
Auch hat mir das Knistern und die Spannung zwischen Henry und Emma gefehlt. Am Anfang war sie noch deutlich spürbar, doch kaum waren die beiden zusammen, konnte ich kaum noch etwas nachempfinden - ganz anders als bei der What-if-Reihe, wo man gemerkt hat, dass die Autorin eindeutig Gefühle und Leidenschaft an die Leserschaft heranbringen kann.
Das Ende fand ich etwas langatmig. Die letzten 100-200 Seiten hätte man reintheoretisch kürzen oder weglassen und stattdessen sich eher mehr auf die Thematik mit Emmas Vater fokussieren können. Es kamen so viele andere Inhalte dazu, die die Spannung deutlich zum Bremsen gebracht haben und als einzelne Aspekte noch ein weiteres Buch hätten füllen können.
Bei all den Kritikpunkten könnte man meinen, dass ich "Dunbridge Academy 1" überhaupt nicht leiden konnte, doch das stimmt nicht. Ich liebe das Setting (unter anderem deswegen, weil ich selbst schon einmal in Schottland gewesen bin), ich liebe Sarah Sprinz' Schreibstil und ich liebe die Grundthematik und die Werte, die sie auch in diesem Buch vermittelt hat. Die Charaktere sind authentisch, haben alle ihre Fehler und Schwächen, aber auch ihre Stärken. Sie zeigen einem, dass es sich lohnt, auf sein Ziel hinzuarbeiten und niemals aufzugeben, auch wenn man glaubt, es nicht zu schaffen. Sie zeigen, dass man sich stets auf seine Freund:innen verlassen kann und Zusammenhalt das Wichtigste ist. Und sie zeigen, dass das Internatsleben in einem alten Schloss in Schottland doch etwas unfassbar Cooles sein kann, welchem ich als mittlerweile Anfang 20-Jährige mit Bedauern hinterher trauere - denn auf eine Schule wie die Dunbridge Academy wäre ich auch sehr gerne gegangen. Es war ein bisschen wie Harry Potter ohne Zaubern, ganz im Dark-Academia-Style mit Liebe zu alten staubigen Büchern, coolen und verbitterten Lehrer:innen, klaren Regeln und Vorschriften und dennoch Platz zur freien Entfaltung.
Deswegen gebe ich dem Buch auch nur sehr widerwillig 3,5-4 Sterne. Ich wollte Dunbridge Academy von Herzen lieben, doch manche Aspekte haben mich etwas zu sehr gestört. Dennoch brenne ich für Toris und Sinclairs Geschichte und werde definitiv zur Academy zurückkehren!