Bettina Röhl, eine der 1962 geborenen Zwillingstöchter des Ehepaares Klaus Rainer Röhl ( Herausgeber des linken Blattes „konkret“) und Ulrike Meinhof, beschreibt, wie sie als Kind in ihrer Familie und in ihrem Umfeld die Auswirkungen der 68 und Entstehung und Aktionen der RAF erlebte oder durch ein Puzzle vielfältiger Textquellen zusammensetzte. Sie selbst gibt an, dass ihr kaum Fotos, Briefe oder andere Unterlagen geblieben waren und, dass sie vieles in diesem Buch Geschriebene anhand ihr ausgehändigter Anwaltsakten, Briefe und Dokumenten sowie selbst geführter Interviewas mit damals tätigen Anwälten und Weggefährten ihrer Eltern akribisch zusammengefügt hat, was auch durch die 439 angehängten Quellenangaben deutlich untermauert wird.
Ihr Buch ist gegliedert in drei große Kapitel ( 1. Auf dem Höhepunkt von 68, 2. Die Entstehung der RAF, 3. Mythos Meinhof sowie zwei Essays.
Bettina Röhl stimmt zunächst ein in die Zeit der 68er, in der Drogen und wilde Musik zu überbordernden Protestphantasien und politischer Selbsterhöhung geführt hätten. Sie beschreibt die dunklen Begleitumstände der Kulturrevulotionen, die als Vorbilder dienten und in Umerziehungslagern zu Massenvernichtung führten und deren Anstreben sie als Horrorvision empfindet. Energisch betont sie, dass man schon sehr naiv sein mußte, um dieses auszublenden und als Ideal anzustreben. Sie beschreibt die 60er Jahre als eine Zeit, in der Protest in Mode kam und man sich in den folgende Jahren immer mehr einfallen lassen mußte, um in den Protest-Charts plaziert zu sein, so wie beispielsweise Gudrun Enslin und Andreas Baader mit ihrem Kaufhausbrand. Wichtig ist der Autorin immer wieder an die Opfer solcher Anschläge und Tötungen zu erinnern, die ihrer Meinung nach leider viel zu wenig bis gar keine Beachtung in der Öffentlichkeit fanden, ganz im Gegensatz zu den „Berufsrevolutionären“, denen ihrer Meinung nach von Beginn an viel zu viel durchgehen gelassen wurde. Im Alter von sechs Jahren liebte sie alles Bürgerliche, das ihre Mutter nun bekämpfte...
Selbstverständlich handelt es sich um eine persönliche Darstellung der Zeit, die auch gleichzeitig ein Stück ihrer eigenen Biographie enthält. Sehr interessant fand ich unter anderem die von ihr beschriebenen Erziehungsstrategien und Maxime in ihrer frühen Kindheit, als sie mit ihrer Schwester und Mutter in Berlin lebte, beispielweise die Statements zu Kleidern, langen Haaren oder Vorkommnissen im Kinderladen, die Entführung nach Sizilien sowie die abgewendete Abschiebung in ein palästinensisches Waisenlager mit Waffenausbildung. Auch die ausführliche Korrespondenz der Ulrike Meinhof an ihre Anwälte und die einzelnen Briefe an ihre Kinder aus ihrer Haft heraus, ihre Gedanken und weiterentwickelten Pläne fand ich sehr aussagekräftig.
Zu Beginn des Buches hatte ich den Eindruck, dass Bettina Röhl mit harter Wortwahl, viel Wut und Hass mit ihrer Mutter und ihren politischen Begleitern abrechnet und bei vielem hatte ich vorher einen anderen Eindruck. Doch mit der Zeit wurde der Ton ruhiger und sachlicher und ihr Bemühen, den Mythos Ulrike Meinhof, die ihrer Meinung und Darstellung nach zur Ikone und Märtyrerfigur der Linken stilisiert wurde, hat sie sehr ausführlich, reichlich belegt, klar dargestellt.
Zudem war es ihr ein großes Bedürfnis mit „selbst ausgedachten Fakten“ anderer, um ihre Erlebnisse und Erinnerungen als Buch oder Film gewinnbringend zu veröffentlichen aufzuräumen und richtigzustellen.
Insgesamt fand ich Bettina Röhls Analyse und Teilbiographie bis ins Jahr 1974 äußerst interessant und aufschlußreich und empfehle es unbedingt weiter.