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Veröffentlicht am 05.03.2021

Das Leben ist Traum

Der Zirkus von Girifalco
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Domenico Dara wurde 1971 in Italien geboren, er wuchs in Girifalco auf. Nach „Der Postbote von Girifalco, oder: Eine kurze Geschichte über den Zufall“ legt er mit „Der Zirkus von Girifalco“ ...


Domenico Dara wurde 1971 in Italien geboren, er wuchs in Girifalco auf. Nach „Der Postbote von Girifalco, oder: Eine kurze Geschichte über den Zufall“ legt er mit „Der Zirkus von Girifalco“ den zweiten Roman vor, dessen Handlung im kleinen kalabrischen Ort angesiedelt ist.

Kaleidoskopartig entwirft der Autor die Geschichte, es scheinen kurze Episoden zu sein, Schlaglichter fallen auf die Leben der Bewohner, und doch hängt alles irgendwie zusammen, wie es im Mikrokosmos Dorf eben so ist. Es gibt skurrile Figuren, sind sie etwa Typen? Seit John Irving kennt man die speziellen Außenseiter. Es ist Daras Sprache, die besonders ist. Auch wenn manche Aussagen Widerspruch erregen. Da gibt es natürlich "unterwürfige Frauen", die man im Süden leicht "finden kann". Hausstände wie von "Sultanen". Aber dennoch liest sich das Ganze gut, oszilliert zwischen Poesie und Profanität. Auch Spuren von magischem Realismus sind enthalten.
Ich liebe die römisch – katholische Atmosphäre, welche vom Autor entworfen wird: Das Fest zu Ehren des Patronatsheiligen San Rocco steht an, das ganze Dorf fiebert diesem Ereignis entgegen, die gesamte Aufmerksamkeit ist auf diesen Feiertag gerichtet – niemand rechnet mit dem mysteriösen Zirkus, der seine Zelte in Girifalco aufschlagen und das Leben der Menschen entscheidend beeinflussen soll …

Über die Figuren habe ich mich köstlich amüsiert, aber ich habe auch mit ihnen gelitten. Unter dem Deckmantel der Homosexualität verhält sich etwa der Dorfschneider wie ein wahrer Don Juan. Die gehörnten Ehemänner ahnen gar nicht, dass er ihre Frauen verführt! Archimedu (nomen est omen) leidet hingegen unter dem Verlust seines Bruders. Beim Lesen musste ich unwillkürlich an die klassischen Elemente der griechischen Tragödie denken; der Humor kommt dennoch nicht zu kurz!
Obwohl die Figuren sehr eigen sind, kann man als Leser/in eine Verbindung zu ihnen aufbauen; trotz aller Skurrilität besitzen sie anrührende, menschliche Eigenschaften.
Nur gute Literatur kann das – den Leser berühren. Daher lohnt sich eine Lektüre des Romans, trotz gewisser Längen gelingt es Domenico Dara, eine fesselnde Erzählung zu präsentieren.

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Veröffentlicht am 28.02.2021

Gerechtigkeit für Camilla Flores

All die dunklen Lügen
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„All die dunklen Lügen“ ist der zweite Band der Ellery-Hathaway-Reihe. Obwohl ich den ersten Band („Wie viele willst du töten“) nicht gelesen habe, hatte ich bei der Lektüre keine Verständnisschwierigkeiten, ...

„All die dunklen Lügen“ ist der zweite Band der Ellery-Hathaway-Reihe. Obwohl ich den ersten Band („Wie viele willst du töten“) nicht gelesen habe, hatte ich bei der Lektüre keine Verständnisschwierigkeiten, da die Autorin Joanna Schaffhausen alle wichtigen Informationen in Band zwei integriert. Meines Erachtens sind also keine Vorkenntnisse nötig, Band zwei kann man prima als stand alone lesen.
Worum geht’s?
Der FBI-Agent Reed Markham bittet die Polizistin Ellery Hathaway um Hilfe. Er will einen besonderen Cold Case aufklären. In den 1970er Jahren wurde seine leibliche Mutter (eine Puertoricanerin) brutal ermordet. Reed wurde als Kind vom aufstrebenden Politiker Angus Markham adoptiert, es fehlte ihm an nichts. Dennoch lässt ihm die Suche nach seinen Wurzeln keine Ruhe – wer ermordete seine Mutter? War es ein Serienmörder? Auch eine Prostituierte wurde getötet, die Ermittlungsbehörden sahen aber keinen Zusammenhang zwischen den Fällen. Hatte womöglich ein korrupter Polizist seine Finger im Spiel?
Als das Ermittlerduo beginnt, einer heißen Spur zu folgen, stößt es auf eine Mauer des Schweigens…
Der Prolog war unheimlich spannend, er bietet einen Blick in die Vergangenheit. Dann beginnt die eigentliche, lineare Erzählung. Die Protagonisten sind gut charakterisiert, man fiebert sofort mit ihnen mit. Mir waren Reed und Ellery sehr sympathisch, sie haben eine besondere Verbindung zueinander. Die restlichen Figuren sind hinreichend charakterisiert, da sie jedoch in den Hintergrund treten, bleiben sie eher blass. Eine besondere Rolle spielt Ellerys Hund „Speed Bump“.
Die Geschichte wird flüssig erzählt, es gibt keine Längen in der Handlung, und man möchte als Leser/in stets wissen, was als Nächstes geschehen wird. „All die dunklen Lügen“ ist jedoch nicht so düster und brutal, wie der Titel klingt, auch wenn es Szenen gibt, die ich als bedrückend empfunden habe. Der Roman ist solide geplottet, das pacing ist genau richtig, einen pageturner mit einem packenden Showdown darf man jedoch nicht erwarten. Die Krimi - Handlung dominiert nicht, der Fokus liegt meines Erachtens mehr auf der Beziehung der Figuren zueinander, was kein Nachteil sein muss. Die Beschreibungen sind plastisch, beim Lesen fühlte ich mich, als würde ich einen Hollywoodfilm schauen. Den Handlungsverlauf fand ich jedoch vorhersehbar, für mich gab es keine verblüffenden Wendungen oder unvorhersehbare Überraschungsmomente, was auch damit zusammenhängen kann, dass Schaffhausen jeden Konflikt im Roman relativ schnell auflöst. Allzu flach ist die Geschichte dennoch nicht. Erzähltechnisch dominieren Dialoge, das fand ich etwas gewöhnungsbedürftig. Mir ist auch nicht ganz klar, weshalb dieser zweite deutsche Teil im englischen Original der dritte Band der Reihe ist.
Fazit:
Perfekte Unterhaltung für Zwischendurch!
Trotz kleiner Mängel habe ich „All die dunklen Lügen“ gerne gelesen, daher habe ich auch den ersten Band der Reihe auf meine Leseliste gesetzt.


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Veröffentlicht am 01.02.2021

Eine starke Frau

Katharina von Aragón (Die Tudor-Königinnen 1)
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1. Katharina von Aragón: Die wahre Königin (Die Tudor-Königinnen 1)
2. Anne Boleyn: Die Mutter der Königin (Die Tudor-Königinnen 2)

Heinrich VIII war lange eine dominierende Figur in der populärwissenschaftlichen ...

1. Katharina von Aragón: Die wahre Königin (Die Tudor-Königinnen 1)
2. Anne Boleyn: Die Mutter der Königin (Die Tudor-Königinnen 2)

Heinrich VIII war lange eine dominierende Figur in der populärwissenschaftlichen Darstellung & in der Unterhaltungsliteratur. In den Film – und Serienadaptionen waren es ferner Anne Boleyn und Jane Seymour, die in den Fokus gerückt wurden, etwa in der Serie „The Tudors“ oder im Film „Die Schwester der Königin“.

Im Jahr 2019 stand endlich auch einmal König Heinrichs erste Frau Katharina im Mittelpunkt, in der TV – Serie „The Spanish Princess“ (nach einer Vorlage von Philippa Gregory, die auch „Die Schwester der Königin“ verfasste).
Grund genug, Alison Weirs biographischen Roman „Katharina von Aragon: Die wahre Königin“ zu lesen.
Es ist der erste Band der Tudor- Königinnen -Reihe. Der historische Roman ist formal in drei Teile gegliedert, dann gibt es noch den Anhang mit den dramatis personae und einer Zeittafel. Den Anhang fand ich besonders interessant, auch der im Buch enthaltene Stammbaum ist für ein historisches Thema unverzichtbar. Da die Autorin eigentlich Geschichtslehrerin ist, kann man eine saubere Recherche erwarten, obwohl das Ganze natürlich in gewisser Weise dem Genre „Biographische Fiktion“ zuzuordnen ist.
Katharinas Lebensweg wird beschrieben, die spanische Prinzessin wird zur Königin von England und ist, im Nachhinein betrachtet, die „wahre Königin“, auch wenn ihr Ehemann sie auf grausame Art und Weise verstoßen soll. Alison Weir gelingt das Kunststück, Katharina von Aragon auch für eine nicht-akademische Leserschaft greifbar zu machen.
1501 setzt Katharina den Fuß auf englischen Boden. Eigentlich ist sie Prinz Arthur versprochen, dieser verstirbt jedoch. Daher wird sie mit dem Thronerben Prinz Heinrich verlobt und verheiratet. Doch es soll keine glückliche Ehe werden.
Als Leser/in fühlt man mit Katharina. Sie wird als starke, tiefgläubige, prinzipientreue Frau porträtiert. „Die wahre Königin“ ist ideal, um sich der historischen Figur zu nähern. Alison Weirs Stil (bzw. die deutsche Übersetzung) war jedoch nicht immer mein Fall, weswegen ich einen Stern abziehe. Ich finde es jedoch gut, dass die Autorin keine Ich-Erzählerin auftreten lässt & sich so nicht wilden Spekulationen hingibt (wie es andere Autorinnen, die mit historischen Versatzstücken arbeiten, manchmal tun).
Der Roman ist insgesamt eine „runde Sache“, aufgrund gewisser Längen muss man bei der Lektüre jedoch „am Ball bleiben“.
Viel zu lange stand die Protagonistin im Schatten ihres berüchtigten Ehemannes, Alison Weir bringt Katharina buchstäblich an’s Licht und sie verleiht der Tudor – Königin die Würde und Anerkennung, die sie verdient.

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Veröffentlicht am 27.01.2021

Emily, Vera & Lynn

Der silberne Elefant
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Der Eisele Verlag könnte bald zu meinen Lieblingsverlagen gehören. „Der silberne Elefant“ von Jemma Wayne ist nach „Wenn Du mich heute wieder fragen würdest“ bereits das zweite Buch aus dem Verlagsprogramm, ...

Der Eisele Verlag könnte bald zu meinen Lieblingsverlagen gehören. „Der silberne Elefant“ von Jemma Wayne ist nach „Wenn Du mich heute wieder fragen würdest“ bereits das zweite Buch aus dem Verlagsprogramm, das Aufsehen erregen wird.
Es ist doch so: Es gibt Romane, die man liest & vergisst. Dann gibt es Geschichten, die lange im Gedächtnis bleiben.
„Der Silberne Elefant“ ist so ein Buch. Drei Frauenschicksale werden präsentiert, einer der Handlungsorte ist London. Emily, Vera und Lynn müssen ihre Traumata verarbeiten.
Emilys Name lautet eigentlich Emilienne. Obwohl in ihrer Heimat Französisch als Amtssprache mittlerweile abgeschafft worden ist, ist ihr Name doch ein Beleg für die Frankophonie Ruandas. Mit dem neuen Namen möchte sich Emilienne quasi neu erfinden: Sie hat den Genozid in Ruanda überlebt. Die Hutu - Mehrheit hatte 1994 Angehörige der Tutsi – Minderheit auf grausame Weise ermordet. Mit diesen Dingen beschäftigt man sich in der „westlich-zivilisierten“ Welt nicht gern. Srebrenica, Ruanda – was geht’s uns an?
Ich finde es wichtig, dass Jemma Wayne dieses schwierige Thema aufgreift und dieses mit einer weiblichen Protagonistin verknüpft. Viel zu oft werden Frauen als sozusagen selbstverständlicher „Kollateralschaden“ in Kriegen präsentiert. Andererseits hat das Ganze aber irgendwie ein „Geschmäckle“: Kulturelle Aneignung lässt grüßen. Wir werden Zeugen von Emilys posttraumatischer Belastungsstörung. „Der silberne Elefant“ ist daher keine Wohlfühllektüre, aber eine Geschichte, die mit Tiefgang überzeugen kann und von nuanciert ausgearbeiteten Figuren getragen wird: Die Handlung ist daher eher character driven und weniger plot driven.
Lynn ist eine todkranke Frau, Vera ist ihre Schwiegertochter in spe. Vera möchte ein gottgefälliges, christliches Leben zu führen, im Prinzip ist dies jedoch ein Zugeständnis an die Religiosität ihres Verlobten, außerdem versucht sie, den Dämonen ihrer Vergangenheit zu entfliehen. Emily ist Lynns Pflegerin, diese hadert ihrerseits sehr stark mit den verpassten Chancen ihres Lebens.
Die drei Frauen haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht, und doch haben sie eines gemeinsam: Sie müssen die prägenden Erlebnisse verarbeiten und diese irgendwie in ihre Biographien integrieren, um nicht am Erlebten zu zerbrechen.
„Der Silberne Elefant“ ist Jemma Waynes Debut. Meist gelingt es der Autorin, die Klischeeklippen zu umschiffen, auch das offene Ende trägt dazu bei. Der Roman ist jedoch kein Buch „für Zwischendurch“, man muss als Leser/in „am Ball bleiben“. Doch es lohnt sich!

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Veröffentlicht am 11.12.2020

Modernes Märchen

Kissing Chloe Brown (Brown Sisters 1)
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„Fünfundneunzig Kilo Frau“ – das ist die Brillenträgerin & Webdesignerin Chloe Sophia Brown. Die Afrobritin kommt aus einer wohlhabenden Familie. „Chlo“ ist chronisch krank, Fibromyalgie lautet die Diagnose, ...

„Fünfundneunzig Kilo Frau“ – das ist die Brillenträgerin & Webdesignerin Chloe Sophia Brown. Die Afrobritin kommt aus einer wohlhabenden Familie. „Chlo“ ist chronisch krank, Fibromyalgie lautet die Diagnose, die sie nach einer Ärzte- Odyssee erhält. Als sie mit 31 Jahren einen Autounfall hat, wirkt dieses Ereignis wie ein Weckruf auf sie – sie beschließt, sich nicht mehr von ihrer Krankheit einschränken zu lassen, sondern das Leben in vollen Zügen zu genießen.
Daher erstellt sie eine To-Do – Liste. Überhaupt schwört Chloe auf Listen, da Ermüdungserscheinungen und Gedächtnisprobleme (aufgrund der Einnahme von Schmerzmitteln) ihr zu schaffen machen. Erster Punkt auf der Liste – eine eigene Wohnung. Also zieht Chloe aus der elterlichen Villa aus.
Redford Morgan ist Hausmeister in Chloes Wohnblock, zunächst hält er die abweisende Mieterin für eine verwöhnte Upper-Class-Göre. Als Chloe ein Kätzchen rettet, und „Red“ Morgan, dem die Autorin implizit das Helfersyndrom attestiert, ihr zu Hilfe kommt, lernen die beiden sich kennen. Chloe will sich betrinken, Motorrad fahren, die Punkte auf ihrer Wunschliste für ein erfülltes, mutiges Leben abhaken. Der Biker Red willigt ein, ihr dabei zu helfen (eigentlich ist er Künstler, sie bietet dem Technikmuffel daher an, im Gegenzug seine Website zu programmieren) und verliebt sich dabei in die Frau, die er anfangs unausstehlich fand…
Die Autorin Talia Hibbert leidet selbst an einer chronischen Krankheit & sie gehört zur schwarzen community.
Mit „Kissing Chloe Brown“ (der englische Titel „Get a life, Chloe Brown“ gefällt mir viel besser) präsentiert sie daher keine Sick-Lit oder Inspiration Porn im Stil einer Jojo Moyes. Chloes Krankheit ist insofern kein Element, das dazu dienen soll, den potentiellen Leser aufzuwerten. Dies gefiel mir gut. Die Schilderung von Chloes Gesundheitszustand ist wohl realistisch, Hibbert zeigt auch auf, dass eine chronische Krankheit oft in’s soziale Abseits führt, leider versäumt sie es, zu zeigen, dass viele chronisch kranke Menschen neben gesundheitlichen Problemen oft auch mit einem finanziellen Abstieg zu kämpfen haben, der die Isolation verstärken kann. Chloes Familie ist angesehen & wohlhabend, sie selbst verdient als Webdesignerin sehr gut, kann sich ein Auto und eine Wohnung leisten. Chloes Familie unterstützt sie, es gibt die exzentrische Oma, die besorgte Mutter und die quietschfidelen Schwestern. Diese Figurenkonstellation hat mich etwas genervt, um ehrlich zu sein. Die Autorin arbeitet auch mit Tropen, die den Roman vorhersehbar machen. Wie oft hat man schon etwas über Protagonisten gelesen, die eine Wette abschließen, oder eine Liste abarbeiten (die sich im Verlauf der Geschichte als problematisch erweisen soll)?
Chloe ist eine klasse Protagonistin, eine Figur mit Ecken & Kanten. Red Morgan hingegen ist eine Figur, die fast zu gut ist, um wahr zu sein, solche Menschen gibt es in der Realität gar nicht. Er ist ein tätowierter Adonis, ein sensibler, einfühlsamer, hilfsbereiter Mensch; außerdem ein toller Liebhaber. Es ist seine Virilität, die Chloe anzieht, und sein unbedingter Wille, ihre Normalität auch als die seine zu akzeptieren. Die Anziehungskraft, die entsteht, wenn zwei Menschen auf einer Wellenlänge liegen, beschreibt die Autorin perfekt. Es ist gut, dass sie ihre Protagonistin nicht als asexuelles Wesen beschreibt, sondern ihrer Figur „erlaubt“, Lust zu empfinden & einen schönen Mann zu begehren. Chloes Überempfindlichkeit erweist sich in Liebesdingen nämlich als Pluspunkt, was nicht unplausibel ist. Aber es ist nicht ganz logisch, dass sie sich Red mehr oder weniger ohne Komplexe zeigen kann. Red findet Chloe heiß, er schwärmt von ihrem „Rokoko-Gesicht“. Es gibt sehr explizite Liebesszenen im Roman. Die Sprache in den Passagen (bzw. die deutsche Übersetzung) ist sicher Geschmackssache. Die Erotik trägt in gewisser Weise zur Figurenentwicklung bei, daher fand ich sie passend, auch wenn ich mich darüber wunderte, dass Chloe kein Problem mit Reizüberflutung zu haben schien.
Red, der auf Chloe sehr selbstbewusst wirkt, hat schlechte Erfahrungen gemacht ( es ist faszinierend, wie die Autorin Geschlechterstereotype in Reds Geschichte außer Kraft setzt), die ihn verletzlich machen. Er ist jedoch kein verkorkster Mensch, damit vermeidet die Autorin meines Erachtens das „zwei – gebrochene – Seelen – geben- einander- Halt“ Stereotyp.
Insgesamt hätte Talia Hibbert aber mehr aus der Geschichte machen können. Als Chloe sich aus ihrem Schneckenhaus wagt, geht es eigentlich nur noch steil bergauf. Sie findet sogar eine neue Freundin, ich muss aber sagen, dass der Zufall eine große Rolle spielt, auch wenn die Intention der Autorin war, zu postulieren, dass Selbstakzeptanz der Schlüssel zum Lebensglück ist, vermittelt ihre Geschichte widersprüchliche Botschaften. Die Quintessenz ist irgendwie „All you need is love“. Erst durch Red gewinnt Chloe an Lebensqualität, durch Chloe fühlt sich Red geerdet, er ist erstaunt, als sie für ihn „kocht“ und sich um ihn kümmert, da das Helfen (seine Mutter ist Diabetikerin) zu seinen Kernkompetenzen gehört (aber wie gesagt bedeutet das nicht, dass eine „Kranke“ einen anderen „Kranken“ findet und eine Schicksalsgemeinschaft entsteht). Talia Hibbert schneidet viele Themen an: Klassenunterschiede, Gewalt in Beziehungen, soziale Ausgrenzung. Das macht sie gut – ihre Hauptfigur wird von ihrem Verlobten aufgrund ihrer Krankheit verlassen. Die Autorin stößt stilistisch und erzählerisch aber auch rasch an ihre Grenzen, macht nicht vor kitschigen Formulierungen halt. Chloe „schmilzt dahin wie Butter“. Red nennt seine Angebetete „Chloemaus“. Im Großen & Ganzen wird aber auf Melodramatik verzichtet, auch wenn der Protagonist seine Freundin „tapfer“ und „taff“ findet.
Ich wünschte, Hibbert hätte sich mehr Zeit für die Entfaltung ihrer Geschichte genommen, die guten Ansätze ausformuliert. Im Prinzip gibt es keinen Konflikt in der Erzählung, der nicht schnell aufgelöst wird. Ich hatte mir von der Erzählung mehr Tiefgang erhofft, aber dann wäre der Roman wohl einem anderen Genre („Romantische Komödie“ nennt ihn der Verlag) zugeordnet worden.
„Kissing Chloe Brown“ ist ein humorvoller Liebesroman, der sich einerseits vom Einheitsbrei abhebt, andererseits aber nicht radikal genug ist, da er primär unterhalten will. Der plot ist einigermaßen simpel, die Erzählweise linear. Ich fand die Geschichte trotz stilistischer Schwächen spannend!

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